# 4 / 2022
20.05.2022

Die Schweizer Wirtschaft und der Ukrainekrieg – wirtschaftliche und humanitäre Perspektiven

Wirtschaftliche Auswirkungen

Die Schweiz pflegte mit Russland und der Ukraine vor dem Krieg langjährige bilaterale Wirtschaftsbeziehungen. Die Annexion der Krim 2014, der Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 sowie die damit verbundenen Massnahmen der Schweizer Behörden und die internationalen Sanktionen haben die wirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz mit den beiden Ländern jedoch stark beeinträchtigt. Das zeigen Zahlen des SECO, des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) und der Schweizerischen Nationalbank.

Bilaterale Handelsbeziehungen mit Russland für die Exportwirtschaft von begrenzter Relevanz

Vor dem Krieg war Russland die elftgrösste Volkswirtschaft der Welt. Etwa zwei Drittel seiner Exporte bestehen aus Erdöl, Erdölprodukten und Erdgas. Dieser grosse Rohstoffanteil am Export macht die russische Wirtschaft in hohem Masse von Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten abhängig. Das Land ist für die Schweizer Exportwirtschaft von eher geringer Bedeutung. Das bilaterale Handelsvolumen mit Russland beträgt insgesamt 4,7 Milliarden Franken (Exporte und Importe, Total 2, 2021). Von diesem Gesamtvolumen betragen Schweizer Güterexporte nach Russland 3,4 Milliarden und die Importe 1,3 Milliarden Franken (2021). Russland liegt damit für das Jahr 2021 bei den Gütern auf Rang 23 der wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Es werden vor allem chemisch-pharmazeutische Produkte, Präzisionsinstrumente/Uhren sowie Maschinen nach Russland exportiert. Die Schweiz wiederum importiert vor allem Edelmetalle aus Russland.

Im Vergleich zum bilateralen Güterhandel ist das Volumen bei den Dienstleistungen deutlich geringer. Die Schweizer Dienstleistungsexporte nach Russland betrugen 2020 2,3 Milliarden und deren Importe aus Russland 0,9 Milliarden Franken. Die Schweizer Dienstleistungsexporte nach Russland umfassten 2020 in erster Linie Transportdienstleistungen, Lizenzen und Finanzdienstleistungen. Importseitig machen Transportdienstleistungen ebenfalls den grössten Anteil aus. Die Schweizer Direktinvestitionen in Russland lagen Ende 2020 bei 27,8 Milliarden Franken. Schweizer Firmen beschäftigten vor Ort im selben Jahr über 39'000 Mitarbeitende.

Bereits 2014 hat die Schweizer Regierung infolge der Annexion der Krim Massnahmen zur Vermeidung der Umgehung von internationalen Sanktionen ergriffen. Zudem wurden die Verhandlungen für ein mögliches Freihandelsabkommen zwischen den Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA (Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein) und der damaligen Zollunion zwischen Russland, Belarus und Kasachstan sistiert.

Krieg stoppt positiven Trend der Wirtschaftsbeziehungen mit der Ukraine

Seit der Maidan-Revolution von 2014 hat sich die Ukraine politisch und wirtschaftlich zunehmend der EU zugewandt. Diese Umorientierung der ukrainischen Wirtschaft hat auch Folgen für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen mit der Schweiz. Diese sind zwar bisher relativ gering, haben sich in den letzten Jahren aber sehr positiv entwickelt. 2020 lag die Ukraine als Handelspartnerin der Schweiz auf Platz 64. 2021 wurden mit einem Handelsvolumen von 831 Millionen Franken und einem Zuwachs von 12,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr jedoch neue Höchstwerte erreicht. Aus der Schweiz werden vor allem chemisch-pharmazeutische Produkte, Edelmetalle und Präzisionsinstrumente/Uhren in die Ukraine exportiert, während die Ukraine Textilien, land- und forstwirtschaftliche Produkte sowie Präzisionsinstrumente/Uhren in die Schweiz exportiert.

Anders als bei Russland ist der Dienstleistungshandel aus der Ukraine in die Schweiz im Vergleich zum Güterhandel viel wichtiger. Die Schweiz ist gemäss den letzten verfügbaren Zahlen die drittwichtigste Importeurin ukrainischer Dienstleistungen. Die Schweiz ist die viertwichtigste Investorin in der Ukraine (USD 2,7 Milliarden, International Monetary Fund) und war zudem vor dem Krieg mit verschiedenen und zahlreichen Projekten für die wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit des SECO vor Ort präsent. Gewisse dieser Projekte werden weitergeführt, wenn auch auf die aktuellen Bedürfnisse angepasst.

Der Krieg hat die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und der Ukraine in hohem Masse beeinträchtigt. Aufgrund der aktuellen Situation mussten Firmen die Produktion vor Ort einschränken oder ganz stoppen. Der Import und Export ist in gewissen Fällen aufgrund des Kriegs und von Logistikproblemen nicht mehr möglich. Die spezifischen Auswirkungen variieren je nach Firma. Die langfristigen Folgen sind aktuell noch nicht genau abschätzbar. Es ist allerdings klar, dass der Krieg und die Zerstörung der Infrastruktur die wirtschaftliche Entwicklung des Landes noch Jahre belasten werden.

Sanktionen treffen auch Handelsbeziehungen der Schweiz mit Belarus

Da die Schweiz auch ihre Sanktionen gegenüber Belarus verschärft hat, sind die Wirtschaftsbeziehungen der Schweiz mit Belarus von der aktuellen Situation ebenfalls tangiert, wenn auch in einem bedeutend geringeren Ausmass. Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der Schweiz und Belarus sind grundsätzlich nicht eng. 2021 betrug der bilaterale Warenhandel gemäss Statistiken des BAZG 158 Millionen Franken (Total 2). Davon machten die Schweizer Exporte knapp 109 Millionen und die belarussischen Exporte in die Schweiz fast 50 Millionen Franken aus. Bereits 2020 haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aufgrund der Unruhen und der instabilen politischen Situation infolge der Präsidentschaftswahl verschlechtert. Diese Tendenz dürfte unter den aktuellen Umständen noch weiter anhalten.

Seit Kriegsausbruch sind die bilateralen Handelsströme zwischen der Schweiz und den drei Ländern massiv eingebrochen.

Indirekte Auswirkungen des Ukrainekriegs potenziell gravierend für Schweizer Wirtschaft

Die direkten Auswirkungen der Sanktionen auf die bilateralen Handelsbeziehungen sind für die Schweizer Exportwirtschaft und den Finanzplatz eher gering.

Aber indirekt stellt der Krieg sowohl die Schweizer Wirtschaft als auch die Weltwirtschaft vor grosse Herausforderungen. Er verschärft die bereits vorhandenen Lieferengpässe, was wiederum die Beschaffung und Produktion gewisser Produkte wie Chips, Autos oder Baumaterialien erschwert und verteuert. Sowohl Russland als auch die Ukraine sind zum einen wichtige Energie- und Lebensmittelexporteure, zum anderen produzieren ihre Industrien wichtige Inputfaktoren für die Industrie. So stammt ein Grossteil der weltweiten Nickel- und Palladium-Produktion aus Russland. Die Ukraine ist weltweit der grösste Neon-Produzent. Ebenso werden für die Industrie relevante Metalle wie Eisen, Stahl, Aluminium, Kupfer, Platin oder Titan in den beiden Ländern produziert. Wegen der Volatilität der Preise für diese Rohstoffe herrscht bei vielen Industriebetrieben grosse Planungsunsicherheit. Verschiedene Staaten haben zudem den Import von russischem Erdöl und Erdgas reduziert oder diskutieren solche Schritte. Auch für die Schweiz ist die Energieversorgung im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg eine Herausforderung.

Die indirekten Auswirkungen des Kriegs sind mit Ausnahme der Banken für alle Branchen bedeutender als die direkten Folgen der Sanktionen.

Gemäss einer Umfrage von economiesuisse von Anfang März diesen Jahres ist jede zweite befragte Schweizer Firma von den wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs betroffen. Neben den kriegsbedingten Schwierigkeiten beim Bezug von Rohstoffen belasten auch die westlichen Sanktionen die Unternehmen, z.B. eingeschränkter Zahlungsverkehr mit russischen Banken oder Exportverbote und die Verwerfungen auf den Energiemärkten.