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Annahme der Kündigungsinitiative bedeutet das Ende des bilateralen Wegs

13.09.2019

Auf einen Blick

Voraussichtlich im Mai 2020 stimmt die Schweiz über die Kündigungsinitiative (Begrenzungsinitiative) ab. Diese will das Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und den EU-/EFTA-Ländern kündigen. Die Wirtschaft hat schon früh klar gegen die Initiative Stellung bezogen, denn die Konsequenzen im Fall einer Annahme sind weitreichend. So zielen die Initianten nicht nur auf die Personenfreizügigkeit ab, sondern gefährden durch die «Guillotine-Klausel» das ganze Vertragspaket der Bilateralen I. Welche Bedeutung das für den Schweizer Werk- und Forschungsplatz hat und weshalb ein umfassendes Freihandelsabkommen und Kontingentsystem keine gleichwertigen Alternativen sind, wird in diesem dossierpolitik aufgezeigt.

Das Wichtigste in Kürze

Die SVP will mit ihrer Kündigungsinitiative das Personenfreizügigkeitsabkommen vom Tisch haben. Da dieses jedoch über die «Guillotine-Klausel» mit den anderen sechs Verträgen der Bilateralen I verknüpft ist, würde eine Annahme der Initiative das ganze Vertragspaket automatisch ausser Kraft setzen. Demzufolge wäre der erfolgreiche bilaterale Weg innerhalb eines Jahres beendet. Die Schweizer Unternehmen würden auf einen Schlag den privilegierten Zugang zum für sie mit Abstand wichtigsten Absatzmarkt verlieren. 2018 betrug der Anteil des Aussenhandels am Schweizer Bruttoinlandprodukt (BIP) 95,3 Prozent. 51,6 Prozent der exportierten Waren und Dienstleistungen aus der Schweiz gingen in einen EU-Staat. Diese positive Dynamik hat sich auch auf die Einkommen der Schweiz ausgewirkt. Experten haben errechnet, dass diese dank der bilateralen Verträge pro Kopf und Jahr bis zu 4400 Franken höher ausfallen. So unbestritten der Erfolg der Bilateralen ist, so klar ist auch: Keine der von den Initianten herumgebotenen Alternativen kann sie ersetzen. Ein umfassendes Freihandelsabkommen würde den Schweizer Unternehmen nicht ansatzweise denselben Zugang zum europäischen Binnenmarkt ermöglichen, wie sie ihn heute haben. Auch kann die Schweizer Wirtschaft ihre Absätze in der EU nicht einfach durch mehr Exporte in die USA oder Asien ersetzen – zumal gerade diese Märkte sich zuletzt eher abgeschottet statt geöffnet haben. Auch auf den Schweizer Arbeitsmarkt hätte die Kündigungsinitiative negativen Einfluss: Kontingentsysteme haben in der Vergangenheit die Zuwanderung nicht gedrosselt. Hingegen erweisen sie den Schweizer Unternehmen einen Bärendienst bei der Bewältigung des Fachkräftemangels. Die Kündigungsinitiative schadet der Wirtschaft massiv, ohne einen entsprechenden Nutzen zu stiften. economiesuisse lehnt sie deshalb vorbehaltslos ab.

Position economiesuisse

  • Als offene, international vernetzte Volkswirtschaft ist die Schweiz auf stabile vertragliche Beziehungen angewiesen. Diese sichern Marktzugang und schaffen Rechts-, Planungs- sowie Investitionssicherheit. Die Kündigungsinitiative will ein funktionierendes Vertragssystem kündigen, ohne eine gleichwertige Lösung vorzulegen. Das ist unnötig und wirtschaftsschädlich.
  • Die Bilateralen ermöglichen Schweizer Unternehmen einen hervorragenden Zugang zum EU-Binnenmarkt und somit zur wichtigsten Handelspartnerin. Sie sind für den Schweizer Werkplatz von grösster Bedeutung.
  • Es gibt zurzeit keine realistische gleichwertige Alternative zum bilateralen Weg. Kein umfassendes Freihandelsabkommen stellt einen ähnlich guten Zugang zum EU-Binnenmarkt sicher, der auch in absehbarer Zukunft der wichtigste Markt für Schweizer Exporte bleiben wird. Weder die USA noch Asien können ihn ersetzen.
  • Die Kündigungsinitiative bietet auch keine gleichwertige Alternative für den Schweizer Arbeitsmarkt. Kontingentsysteme gefährden Arbeitsplätze, die zuletzt dank der Personenfreizügigkeit entstanden sind.
  • economiesuisse lehnt die Initiative klar ab.
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Wie die Kündigungsinitiative den bilateralen Weg zerstört

Die Bilateralen I sind das Fundament, auf dem die Schweiz nach der Ablehnung des Beitritts zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) 1992 ihre Beziehungen mit der EU geregelt hat. Es hat mehrere Jahre gedauert, das Vertragspaket auszuhandeln. Erst 1999 hat die Schweiz die fertig ausgehandelten Abkommen unterschrieben. Die Stimmberechtigten haben sie daraufhin im Jahr 2000 mit überwältigenden 67,2 Prozent an der Urne angenommen. Seit 2002 sind sie in Kraft. In der Folge haben die Schweizer Stimmbürger in zahlreichen weiteren Abstimmungen den bilateralen Weg bestätigt. Deshalb erstaunt auch nicht weiter, dass laut aktuellen Umfragen 80 Prozent der Schweizer Bevölkerung hinter den Bilateralen stehen.

Trotzdem hat die SVP gemeinsam mit der Auns im Oktober 2017 die Kündigungsinitiative (KI) lanciert und am 31. August 2018 mit 116’139 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Der Initiativtext lässt keinen Interpretationsspielraum offen: Die Schweiz soll die Personenfreizügigkeit (PFZ) mit den EU-/EFTA-Ländern beenden und ein dauerhaftes Verbot für den Abschluss vergleichbarer Abkommen in der Verfassung verankern. Scharf formuliert sind auch die Übergangsbestimmungen: Zunächst wird dem Bundesrat eine Frist von zwölf Monaten eingeräumt, um «auf dem Verhandlungsweg anzustreben», dass die Personenfreizügigkeit ausser Kraft gesetzt wird. Wenn dies nicht gelingt, hat die Landesregierung weitere 30 Tage Zeit, um den Vertrag zu kündigen. Auch die Initianten räumen ein, dass die Schweiz – falls nicht überraschend doch eine Lösung mit Brüssel gefunden wird – spätestens 13 Monate nach einem Ja das ganze Paket der Bilateralen I kündigen müsste. Denn als dieses 1999 ausgehandelt wurde, einigte man sich auf die sogenannte «Guillotine-Klausel». Sie besagt, dass die sieben Abkommen (siehe Abbildung 1) nicht einzeln gekündigt werden können. Wird ein Abkommen aufgegeben, treten sechs Monate später automatisch alle anderen auch ausser Kraft. Mit anderen Worten: Nimmt die Schweiz die Kündigungsinitiative an, wird sie den bilateralen Weg beenden.

Das Wegfallen der Bilateralen I hätte auch Auswirkungen auf die Mitgliedschaft der Schweiz in der European Freetrade Association (EFTA). Die Freihandelszone mit Norwegen, Liechtenstein und Island gründet auf der EFTA-Konvention, die wiederum grundsätzlich auf den Bilateralen I aufbaut. Der Bundesrat hält deshalb fest: «Bei einer Kündigung des FZA (Personenfreizügigkeitsabkommen) ist eine unveränderte Weiterführung der EFTA-Konvention nicht möglich.»

Abbildung 1

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Wortlaut des Initiativtextes

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:

Art. 121b Zuwanderung ohne Personenfreizügigkeit

1 Die Schweiz regelt die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig.
2 Es dürfen keine neuen völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen und keine anderen neuen völkerrechtlichen Verpflichtungen eingegangen werden, welche ausländischen Staatsangehörigen eine Personenfreizügigkeit gewähren.
3 Bestehende völkerrechtliche Verträge und andere völkerrechtliche Verpflichtungen dürfen nicht im Widerspruch zu den Absätzen 1 und 2 angepasst oder erweitert werden.

Art. 197 Ziff. 12
12. Übergangsbestimmung zu Art. 121b (Zuwanderung ohne Personenfreizügigkeit)

1 Auf dem Verhandlungsweg ist anzustreben, dass das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit innerhalb von zwölf Monaten nach Annahme von Artikel 121b durch Volk und Stände ausser Kraft ist.
2 Gelingt dies nicht, so kündigt der Bundesrat das Abkommen nach Absatz 1 innert weiteren 30 Tagen.

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Die Schweizer Wirtschaft ist dank der Bilateralen stark gewachsen

Forscher des Instituts BAK Economics und von Ecoplan haben im Auftrag der Bundesverwaltung in zwei unterschiedlichen Studien den Gesamtwert der Bilateralen I beleuchtet. Die Ökonomen von BAK Economics halten fest, dass das Schweizer BIP ohne Bilaterale I jedes Jahr geringer ausfallen und 2035 um 7,1 Prozent tiefer liegen würde. Rechnet man zusammen, wie viel der Schweiz in dieser Zeitspanne an Wirtschaftsleistung entgehen würde, ergäbe das 630 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Das gesamte BIP der Schweiz im Jahr 2018 betrug 690 Milliarden Franken. Heruntergebrochen auf den einzelnen Einwohner lässt sich festhalten: Ohne Bilaterale I würde das persönliche Einkommen im Jahr 2035 im Schnitt um 3400 Franken geringer ausfallen.

Die Experten von Ecoplan, die bei ihrer Untersuchung weder das Forschungsabkommen noch systemische Effekte miteinbeziehen, weisen für dieselbe Zeitspanne einen kumulierten Einkommensverlust von 460 Milliarden Franken aus. Das würde bedeuten, dass die Einwohner der Schweiz 2035 pro Kopf durchschnittlich je 1900 Franken pro Jahr verlieren würden.

Es gilt darauf hinzuweisen, dass sowohl die Forscher von BAK Economics wie auch Ecoplan ihre Modelle mit sehr vorsichtig formulierten Annahmen aufgestellt haben. Mit anderen Worten: Der gesamtwirtschaftliche Effekt der Bilateralen I dürfte laut Bundesverwaltung höher liegen, als von den Experten geschätzt.

Schweiz profitiert stärker vom europäischen Binnenmarkt als die EU-Mitglieder

Wer in Europa profitiert wie stark vom EU-Binnenmarkt? Mit dieser Frage hat sich die renommierte Bertelsmann-Stiftung 2019 auseinandergesetzt und errechnet, wie viel höher das Pro-Kopf-Einkommen in den unterschiedlichen Regionen dank des Zugangs zum Binnenmarkt ausfällt. Spitzenreiter ist überraschenderweise jemand, der gar nicht EU-Mitglied ist: die Schweiz. Im ganzen Land ist das Pro-Kopf-Einkommen dank des Binnenmarktzugangs um 2914 Euro pro Person und Jahr höher. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Wert bei 1046 Euro. Noch stärker fällt der Zuwachs aus, wenn man einzelne Regionen der Schweiz betrachtet: Hier ragen Zürich (plus 3592 Euro pro Kopf), das Tessin (3238 Euro) und die Nordwestschweiz (3092 Euro) hervor. Der direkte Zugang zum Binnenmarkt, abgesichert durch die bilateralen Abkommen, hat die wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz eindeutig beflügelt.

Auch economiesuisse hat in einer Studie mit einem eigenen Modell den Wert der Bilateralen berechnet – allerdings nicht wie BAK Economics und Ecoplan mit Blick in die Zukunft. Der Wirtschaftsdachverband hat sich rückblickend die Frage gestellt, wie viel stärker die Schweizer Wirtschaft dank des Inkrafttretens der Bilateralen gewachsen ist. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass das Einkommen pro Kopf in der Schweiz 2016 um rund 4400 Franken höher ausgefallen ist als im Vergleichsszenario ohne bilaterale Abkommen.

Angesichts dieser Zahlen ist es nicht erstaunlich, dass die Schweizer Unternehmen 2019 in einer repräsentativen Umfrage zu 75 Prozent die bilateralen Verträge als positiv beurteilt haben. Marginale 4 Prozent haben sich gegen die Abkommen ausgesprochen.

Abbildung 2

Gesamtwert der Bilateralen
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Jedes einzelne bilaterale Abkommen bringt der Schweiz Vorteile

Nachdem im vorhergehenden Kapitel der Gesamtwert der Bilateralen I thematisiert wurde, sollen nun hier die einzelnen Abkommen beleuchtet werden.

Personenfreizügigkeit

Der wohl bekannteste und wertvollste Vertrag der Bilateralen I ist das Personenfreizügigkeitsabkommen. Dieses hält fest, dass sich Bürger der Schweiz und der EU gleichberechtigt in den Vertragsstaaten niederlassen, beziehungsweise eine Arbeit aufnehmen können. Voraussetzungen sind, dass sie über einen gültigen Arbeitsvertrag verfügen, selbstständig erwerbend sind oder ausreichende finanzielle Mittel nachweisen können und krankenversichert sind. Die Personenfreizügigkeit hat sich bisher mehrheitlich positiv auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt (unter anderem Zugang zu gut qualifizierten Fachkräften). Hier ansässige Firmen haben in Umfragen das Abkommen als den für sie mit Abstand wichtigsten Vertrag der Bilateralen I bewertet. 76,5 Prozent der befragten Unternehmen bezeichneten den Vertrag als positiv, nur 6,8 Prozent als negativ.

Es ist schwierig, den genauen Wert der Personenfreizügigkeit zu beziffern. Professor George Sheldon von der Universität Basel hat errechnet, dass zwischen 2003 und 2011 das Pro-Kopf-BIP der Schweiz durch die PFZ-Zuwanderer um 553 Franken angestiegen ist und sich somit im Schnitt um 0,9 Prozent erhöht hat – trotz Finanzkrise. Der Wert des Abkommens wird mit rund 14 Milliarden Franken pro Jahr veranschlagt.

Abbau von technischen Handelshemmnissen

Das Abkommen zum Abbau von technischen Handelshemmnissen (MRA oder Mutual Recognition Agreement) regelt, dass ein Unternehmen nur noch bei einer Stelle in der Schweiz oder in der EU prüfen lassen muss, ob ein Produkt den geltenden Vorschriften entspricht (sogenannte Konformitätsbewertung). Das spart den Betroffenen viel Geld und Zeit. Der durchschnittliche Nutzen der Beseitigung der technischen Handelshemmnisse beträgt fast zwei Milliarden Franken jährlich.

Landwirtschaftsabkommen

Das Landwirtschaftsabkommen vereinfacht den Handel mit gewissen Agrarprodukten, vor allem Käse und andere verarbeitete Milchprodukte. Einerseits bauen die EU und die Schweiz Zölle ab, andererseits anerkennen sie die Gleichwertigkeit der Vorschriften in den Bereichen Veterinärmedizin, Pflanzenschutz und biologische Landwirtschaft. Das Abkommen hat die Käseexporte in die EU angekurbelt: Verglichen mit 2002 konnten Schweizer Produzenten im Jahr 2018 mengenmässig ganze 42 Prozent mehr Käse und Quark in die Mitgliedstaaten verkaufen. Die Einnahmen stiegen gar um über 50 Prozent. Mit 80 Prozent Exportanteil ist die EU der mit Abstand wichtigste Markt für Schweizer Käse. Der Nutzen des Abkommens wird für Schweizer Käser dabei auf 100 Millionen Franken pro Jahr beziffert. Das ist allerdings nicht alles, was das Abkommen leistet: Es senkt auch die Preise für Schweizer Landwirte, weil sie zum Beispiel Saatgut günstiger importieren können. Und es erhöht die Auswahl für Schweizer Konsumenten, weil sie unter anderem mehr Käsesorten im Laden finden.

Landverkehrsabkommen

Durch das Landverkehrsabkommen wird das Ziel der Schweiz, den alpenquerenden Schwerverkehr auf die Bahn zu verlagern, europapolitisch abgesichert: Die EU akzeptierte die Erhöhung der Schwerverkehrsabgabe (LSVA) auf 325 Franken (2008), die Schweiz die stufenweise Erhöhung der Gewichtslimite für Lastwagen auf 40 Tonnen (seit 2005). Experten schätzen den jährlichen Wert des Abkommens auf 500 Millionen Franken.

KMU profitieren besonders von der Teilnahme am EU-Binnenmarkt

Dass Schweizer Maler oder Architekten in Deutschland oder Frankreich Dienstleistungen erbringen können oder ein KMU wie Bühlmann Laboratories seine Instrumente für Laboruntersuchungen nach Österreich verkaufen kann, hängt massgeblich mit den Bilateralen I zusammen. Ohne Personenfreizügigkeit oder das Abkommen zum Abbau von technischen Handelshemmnissen wäre das nicht möglich. Das verdeutlicht, dass insbesondere KMU von der Teilnahme am EU-Binnenmarkt profitieren. Sie produzieren oft in der Schweiz für die EU und nicht für den viel kleineren Heimmarkt. Deshalb sind auch die europäischen Zulassungen für sie wichtig. Grössere Unternehmen können ihre Produktion ins Ausland verlagern, kleinere und mittlere Firmen haben diese Möglichkeit oft nicht. Die durch die Bilateralen I geschaffene Rechts-, Planungs- und Investitionssicherheit ist ein zentraler Standortfaktor für KMU. Das erklärt auch, weshalb in einer Meinungsumfrage 74 Prozent der befragten KMU die bilateralen Verträge als Chance für die Schweiz bezeichnet haben.

Luftverkehrsabkommen

Noch wertvoller ist das Luftverkehrsabkommen, das Fluggesellschaften gegenseitige Zugangsrechte zu den Luftverkehrsmärkten gewährt. Da Schweizer Passagiere von tieferen Preisen profitieren und Schweizer Fluggesellschaften mehr Destinationen zu günstigeren Tarifen anfliegen können, ergibt sich ein Wert von etwa sieben Milliarden Franken. Ausserdem ist die Schweiz dank dieses Vertrags Vollmitglied bei der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) und kann so die Regeln für die Luftfahrt direkt mitgestalten.

Öffentliches Beschaffungswesen

Das Abkommen zum öffentlichen Beschaffungswesen weitet die Ausschreibungspflicht der Welthandelsorganisation aus, insbesondere auf den Schienenverkehr und die Gemeindeebene. Dadurch erhalten Schweizer Firmen einerseits mehr Aufträge in der EU, andererseits können Schweizer Gemeinden ihre Projekte günstiger umsetzen. Insgesamt wird der Nutzen somit auf eine Milliarde Franken pro Jahr geschätzt.

Forschungsabkommen

Das Forschungsabkommen legt den Grundstein für die Teilnahme von Schweizer Forschern und Unternehmen an den milliardenschweren EU-Forschungsrahmenprogrammen. Sie können dadurch nicht nur prestigeträchtige Projekte innerhalb des Programms leiten, sondern ihr Netzwerk zu anderen Forschern ausweiten. Das Abkommen bringt dem Schweizer Forschungs- und innovationsbasierten Wirtschaftsstandort Effizienzgewinne von 20 Prozent und einen Mehrwert von über zwei Milliarden Franken pro Jahr.

Abbildung 3

Die einzelnen Abkommen und ihr geschätzter Wert
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Es gibt keine gleichwertigen Alternativen

Ein umfassendes Freihandelsabkommen?

Der Wert des bilateralen Wegs ist immens. Die Schweiz könnte selbstverständlich versuchen, mit anderen Instrumenten Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu erhalten. Die Urheber der Kündigungsinitiative führen diesbezüglich immer wieder ein umfassendes Freihandelsabkommen ins Feld. Allerdings verkennt diese Argumentation einen zentralen Punkt: Die Schweiz hat die bilateralen Abkommen abgeschlossen, weil den Bedürfnissen der Schweizer Wirtschaft im Bereich des Marktzugangs mit einem Freihandelsabkommen allein nicht genügend Rechnung getragen werden kann. Die Unternehmen profitieren von der Teilnahme am EU-Binnenmarkt, insbesondere durch die gleichen Regeln und die weitergehenden Kooperationen. Nur mit einem Freihandelsabkommen würden Schweizer Standards in der EU nicht mehr als gleichwertig anerkannt, und gewisse Dienstleistungsbereiche, wie zum Beispiel der Luftverkehr, wären ganz ausgeklammert. Somit wäre ein solches Szenario ein deutlicher Rückschritt mit entsprechend hohen Kosten für die Schweiz. Das hat auch die Bundesverwaltung in einer Analyse klar festgehalten. Hinzu kommt, dass ein solches Abkommen erst einmal ausgehandelt werden muss und neben den zeitlichen Verzögerungen nicht klar ist, zu welchen Zugeständnissen die EU dabei überhaupt bereit wäre – oder welche Forderungen sie im Gegenzug stellen würde.

Auch kann sich die Schweiz im Handel mit der EU nicht einfach nur auf die WTO-Regeln allein verlassen. Diese sind zwar im internationalen Handel ungemein wichtig, sie stellen aber einen Mindeststandard dar. Der Marktzugang über die bilateralen Verträge geht weit über diesen hinaus. Ausserdem ist die WTO zurzeit blockiert und es ist unsicher, wie es mit ihr weitergeht. Es ist deshalb umso wichtiger für die Schweizer Wirtschaft, die Beziehungen zur wichtigsten Handelspartnerin auf ein sicheres Fundament zu stellen.

Ersatz durch Erschliessung anderer Absatzmärkte?

Für die Schweizer Aussenwirtschaft ist es essenziell, dass sie ihre Exporte in möglichst vielen Märkten absetzen kann. Denn der gesamte Aussenhandel entspricht 95,3 Prozent des Schweizer BIP. Zwei von fünf Franken verdienen die Schweizer dank des Austausches mit dem Ausland. Deshalb sind auch die aufstrebenden Märkte in Asien oder die Vereinigten Staaten sehr wichtig. Auch steht ausser Frage, dass die Schweizer Aussenwirtschaftspolitik hier möglichst erstklassige Marktzugangsbestimmungen für Schweizer Firmen aushandeln und mit Freihandelsabkommen absichern soll. Es ist allerdings verfehlt zu denken, diese Märkte könnten den Handel mit der EU ersetzen.

Heute sind Kunden in der EU Abnehmer von 51,6 Prozent aller exportierten Schweizer Dienstleistungen und Waren. Natürlich wachsen die Exporte in andere Regionen prozentual schneller, aber sie wachsen auf einem viel tieferen Niveau. Was das bedeutet, haben Ökonomen der BAK Economics errechnet: Auch in den nächsten zehn Jahren wird die EU den grössten Beitrag zum Wachstum der Schweizer Ausfuhren beitragen, gefolgt von der Region Asien. Erst dann kommt die Region Amerika. Deshalb ist es essenziell, dass die Schweiz ihren Marktzugang in Europa nicht verschlechtert.

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Kontingente verschärfen den Fachkräftemangel

Die Kündigungsinitiative würde der Wirtschaft nicht nur massiv zusetzen, weil es den Unternehmen den Verkauf ihrer Produkte und Dienstleistungen in die EU erschwert. Sie würde auch dem Arbeitsmarkt schaden. Die Schweiz leidet unter einem Fachkräftemangel, der sich in Zukunft noch weiter zuspitzen wird. Ökonomen der UBS rechnen damit, dass in den nächsten zehn Jahren ein zusätzlicher Bedarf von 300'000 Arbeitskräften entstehen wird. Um darauf zu reagieren, müssen Unternehmen weiterhin flexibel Angestellte auch in Europa rekrutieren können. Diese Zuwanderer haben dazu geführt, dass es in der Schweiz mehr Arbeitsplätze gibt, von denen auch Einheimische profitieren. So haben Wissenschaftler dargelegt, dass die Neuanstellung einer höher qualifizierten Person in einem Unternehmen nachgelagert bis zu fünf weitere Stellen schafft. Und 74 Prozent der jüngst aus der EU in die Schweiz gekommenen Personen arbeiten in Berufsgruppen mit hohen oder sehr hohen Qualifikationsanforderungen. Seit 2002 sind in der Schweiz über 700'000 neue Stellen entstanden, rund die Hälfte davon konnten Schweizer besetzen. Die EU- und EFTA-Bürger ergänzen also die hiesigen Angestellten. Ohne Personenfreizügigkeit würden Schweizer Firmen wieder mit einem Kontingentsystem leben müssen. Unternehmen müssten für jeden ausländischen Angestellten einen Bundesangestellten bemühen, die Rekrutierung von Spezialisten aus der EU wäre somit teurer und zeitintensiver.

Die Bundesverwaltung überprüft regelmässig die Auswirkung der Zuwanderung über die Personenfreizügigkeit auf den Arbeitsmarkt. Und die Berichte sprechen eine klare Sprache: Es gibt keine Belege für einen generellen Lohndruck und die Zuwanderung stützt die erste Säule der Sozialwerke. Die Schweizer Löhne sind in den letzten Jahren stets um ungefähr 1,1 Prozent gewachsen. Gleichzeitig bezahlen die EU-Zuwanderer 26,1 Prozent der Einnahmen der AHV und IV, beziehen aber nur 15,3 Prozent der Ausgaben. Nur bei der Arbeitslosenversicherung sind Ausländer aus EU-/EFTA-Staaten mit 31,1 Prozent zu 24,4 Prozent mehr Bezüger als Finanzierer.

Zielführende Massnahmen für Arbeitslose über 50 Jahren wichtig

Der Fachkräftemangel ist für die Schweizer Wirtschaft eine grosse Herausforderung. Während die Kündigung der Personenfreizügigkeit diesen verstärken würde, hat der Bundesrat jüngst verschiedene Massnahmen ausgearbeitet, die einen positiven Effekt haben könnten. Dabei ist ein wichtiger Teil Personen über 50 Jahren gewidmet. Wirtschaftlich betrachtet ist das wichtig, da diese Gruppe rund 30 Prozent der Erwerbsbevölkerung ausmacht. Mit verschiedenen Bildungs- sowie Informationsprogrammen sollen diese Arbeitnehmenden schneller und einfacher wieder in den Arbeitsmarkt gelangen, nachdem sie arbeitslos geworden sind. Denn es zeigt sich, dass arbeitslose über 50-Jährige mit neun Monaten deutlich länger brauchen als jüngere Arbeitnehmende, um wieder einen Job zu finden. Gleichzeitig muss aber auch beachtet werden: Die Situation für über 50-Jährige auf dem Schweizer Arbeitsmarkt ist nicht prekär. Die Erwerbstätigenquote bei dieser Altersgruppe liegt bei 73 Prozent, was international ein Spitzenwert ist. Während die Erwerbslosenquote gemäss Internationaler Arbeitsorganisation bei den 40- bis 54-Jährigen bei 4,2 Prozent und bei den 55- bis 64-Jährigen bei 4,0 Prozent liegt, ist sie bei den 25- bis 39-Jährigen mit 4,9 Prozent höher als bei den älteren Arbeitnehmenden. Somit liegt der Schluss nahe, dass auch die über 50-Jährigen in der Schweiz vom Erfolg des bilateralen Wegs profitieren.

Seit dem Rekordjahr 2013 ist die Zuwanderung stark zurückgegangen (siehe Abbildung 4). Denn es ist die wirtschaftliche Dynamik – also Arbeitgeber, die Angestellte brauchen –, die diese bestimmt. Boomt die Wirtschaft, nimmt die Zuwanderung zu. Umgekehrt nimmt sie ab, wenn Schweizer Firmen weniger Aufträge haben. Die Personenfreizügigkeit hat sich für Schweizer Arbeitgeber wie Arbeitnehmer bewährt. Die Erfahrungen mit den Kontingentsystemen in der Vergangenheit waren anders: Für Arbeitnehmer bedeuten sie viel Bürokratie, die Zuwanderung haben sie ebenfalls nicht gebremst. Das belegt auch der Blick in die Vergangenheit: Hunderttausende Migranten wanderten zwischen 1950 und 1971 in die Schweiz ein, 300’000 waren es von 1984 bis 1990. Damals hatte die Schweiz Kontingente.

Abbildung 4

Entwicklung der Zuwanderung
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Fazit: Stabile Beziehungen zum wichtigsten Handelspartner sind essenziell

Die Schweiz hat in den letzten Jahren stark profitiert von den guten Beziehungen zur Europäischen Union. Die Basis dieser Beziehungen sind die bilateralen Verträge. Die Kündigungsinitiative der SVP würde dieser Erfolgsgeschichte ein rasches Ende bereiten – und je nach Berechnung in den nächsten 18 Jahren 460 bis 630 Milliarden Franken kosten. Oder anders ausgedrückt: Die Schweizer müssten pro Jahr und Kopf mit 1900 bis 3400 Franken weniger Einkommen auskommen. Des Weiteren zeigt sich, dass es keine gleichwertigen Alternativen zum bilateralen Weg gibt: Ein umfassendes Freihandelsabkommen räumt der Wirtschaft nicht annähernd denselben Zugang zum EU-Binnenmarkt ein. Die EU ist und bleibt die wichtigste Handelspartnerin der Schweiz, die mehr als die Hälfte ihrer Ausfuhren nach Europa exportiert. Umso wichtiger sind stabile und gute Beziehungen mit diesem Partner – gerade in Zeiten, in denen Handelskriege und ein blockiertes Welthandelssystem die Schweizer Unternehmen überall sonst vor grosse Herausforderungen stellen. Die Kündigungsinitiative zerstört den erfolgreichen bilateralen Weg – ohne eine valable Alternative zu bieten. Weder kann ein umfassendes Freihandelsabkommen die Bilateralen ersetzen, noch verbessert ein Kontingentsystem die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Im Gegenteil: Die Initiative gefährdet Wohlstand und Arbeitsplätze in der Schweiz massiv. Aus diesen Gründen lehnt economiesuisse die schädliche Vorlage entschieden ab.

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