Richterhammer

Kollektiver Rechtsschutz: Keine Kommerzialisierung des Schweizer Rechts

Der Bundesrat hat heute die Botschaft zum kollektiven Rechtsschutz verabschiedet. Er will die bestehende Verbandsklage zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen ausbauen sowie kollektive Vergleiche zulasten des Wirtschaftsstandorts Schweiz ermöglichen. Dies käme einem prozessualen Paradigmenwechsel gleich und wäre für das Erfolgsmodell Schweiz aus mehreren Gründen äusserst schädlich. Insbesondere wird dadurch der internationalen Klageindustrie Tür und Tor geöffnet.

Die Wirtschaft hatte die bundesrätlichen Vorschläge zur Einführung von Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes bereits im Vorentwurf der Zivilprozessordnung abgelehnt und erfreut zur Kenntnis genommen, dass diese aus dem Entwurf der Revision zur Zivilprozessordnung (ZPO) rausgelöst worden waren.

«Neue Vorschläge» zum kollektiven Rechtsschutz

Gemäss der heutigen Medienmitteilung habe sich in der parlamentarischen Beratung zur ZPO-Revision auch die klare Erwartung gezeigt, dass der Bundesrat «neue Vorschläge zum kollektiven Rechtsschutz» vorlege. Unverständlich ist aber, warum diese Neuerungen nicht erneut konsultiert, sondern direkt zuhanden des Parlaments verabschiedet wurden.

Konkret soll die bestehende Verbandsklage für Verbände neu auch zur Geltendmachung von Schadenersatz für alle Rechtsverletzungen zur Verfügung stehen. Zudem sollen auch kollektive Vergleiche (sowohl im Rahmen des Verbandsklageverfahrens wie auch ausserhalb eines Verbandsklageverfahrens) ermöglicht werden. Damit werden die Schweizer Gerichtssäle der Klageindustrie preisgegeben, müssen die klagenden Verbände doch zum Zeitpunkt der Klageerhebung bloss seit mindestens zwölf Monaten bestanden haben. Die Sammelklagen sollen sektorübergreifend umgesetzt werden und stehen damit in allen Rechtsbereichen zur Verfügung. Zudem soll gemäss Botschaft im Unterschied zum geltenden Recht auf die «Voraussetzung der gesamtschweizerischen oder regionalen Bedeutung» einer Organisation verzichtet werden. Auch ausländische Organisationen sollen zur Klage in der Schweiz zugelassen werden und es soll auf zusätzliche Voraussetzungen bezüglich Eignung oder Qualifikation der legitimierten Verbände und Organisationen verzichtet werden. Der internationalen Klageindustrie werden mit dieser Vorlage Tür und Tor geöffnet. Genau vor einer solchen Entwicklung warnt die Wirtschaft seit Langem. Schutzmassnahmen zur Verhinderung solcher Entwicklungen sind keine ersichtlich.

Geschlossene Ablehnung durch die Wirtschaft

Die schweizerische Wirtschaft lehnte bereits im Rahmen der Veröffentlichung des Vorentwurfs zur Revision der Zivilprozessordnung die Einführung von Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes ins schweizerische Rechtssystem geschlossen ab (vgl. dazu detailliert: dossierpolitik economiesuisse: Sammelklagen).

Vor einem Jahr legte economiesuisse dar, weshalb unsere schweizerischen Unternehmen ganz grundsätzlich gegen die Einführung solcher stark missbrauchsanfälligen Instrumente sind, welche der Kommerzialisierung des schweizerischen Rechts Vorschub leisten und bloss neue Probleme schaffen. Alle Unternehmen würden sektorunabhängig ins Visier genommen werden können und sähen sich dadurch massiven Haftungsrisiken ausgesetzt. Die daraus resultierenden gravierenden Nachteile, wie die generelle Erhöhung der Preise und das Missbrauchspotenzial zulasten aller unserer Unternehmen, wären für unser Wirtschaftssystem und unser Erfolgsmodell Schweiz gravierend. Zudem wird dadurch die höchst umtriebige weltweit geschickt operierende Klageindustrie in unser Land gelockt. Nicht zuletzt würde gerade auch den schweizerischen Konsumenten dadurch ein Bärendienst erwiesen.

Begrüssung der Erleichterung des Zugangs zum Recht

Die aktuelle Revisionsvorlage steht unter dem Zeichen der Erleichterung des Zugangs zum Recht. Die schweizerische Wirtschaft unterstützt diese Verbesserungen, damit Rechtsansprüche einfacher gerichtlich geltend gemacht werden können (zum Beispiel Reduzierung der Kostenvorschüsse für Kläger; keine Überwälzung des Kosten- und Insolvenzrisikos auf Kläger; punktueller Ausbau des Schlichtungsverfahrens; Erleichterungen der Verfahrenskoordination). Diese Verbesserungen zum Zugang zum Recht, welche zurzeit vom Parlament beraten werden, erfolgen auf der Basis der bestehenden und in unserem Rechtssystem erprobten Instrumente. Daher sind diese Erleichterungen des Zugangs zum Recht zunächst zu finalisieren und die Erfahrungen mit der revidierten Zivilprozessordnung abzuwarten, bevor missbrauchsanfällige neue prozessuale Instrumente eingeführt werden.