# 5 / 2017
08.05.2017

Die Fachkräftesituation bei Ingenieurinnen und Ingenieuren

Wie kann beim Fachkräftemangel Abhilfe geschafft werden?

Die Ingenieure-Befragung hat klar aufgezeigt, welche Gründe für den Fachkräftemangel verantwortlich sind. Erstens ist das inländische Angebot an Ingenieuren unzureichend. Die Schweizer Hochschulen bilden zwar mehr Ingenieure aus als in der Vergangenheit, der Anstieg konnte aber nicht Schritt halten mit dem Nachfragewachstum. Die Lücke konnte teilweise dank der Personenfreizügigkeit mit der EU gedeckt werden. Das Angebot ist aber auch deswegen zu klein, weil viele Ingenieure im Laufe ihrer Karriere in Managementfunktionen wechseln oder eine eigene Firma gründen. Zweitens ist ein «Mismatch» auf dem Arbeitsmarkt für Ingenieure zu beobachten: Das Profil der Stellenanwärter stimmt häufig nicht mit den Vorstellungen der Arbeitgeber überein. Die Arbeitgeber sind aber gleichzeitig des Öfteren nicht bereit oder nicht in der Lage, Kandidaten einzuarbeiten, die das Anforderungsprofil nicht ganz genau erfüllen.

Eine nachhaltige Reduktion des Fachkräftemangels in Ingenieurberufen bedarf aufgrund dieser Problemanalyse eines dreidimensionalen Ansatzes. Politische Massnahmen sind notwendig, aber nicht hinreichend. Ebenso wichtig sind Massnahmen, die sowohl von den Arbeitgebern als auch von den Arbeitnehmern getroffen werden, um ein besseres «Matching» auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Entsprechend lassen sich unsere Massnahmenforderungen in drei Teilen formulieren.

Abbildung 7

Es bedarf paralleler Anstrengungen von Politik, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, um die Lücke im Ingenieurwesen langfristig zu schliessen.

Arbeitgebermassnahmen

Die Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren etliche Initiativen lanciert, um dem Fachkräftemangel bei den Ingenieuren zu begegnen. Dabei ist zwischen einzel- und überbetrieblichen Massnahmen zu unterscheiden. Letztere fokussieren darauf, den Ingenieurberuf in der Bevölkerung (und damit bei Eltern und Jugendlichen) populärer zu machen. Dadurch sollen mehr junge Menschen motiviert werden, den Ingenieurberuf zu ergreifen. Ziel ist es also, das inländische Angebot an Ingenieuren zu erhöhen, indem der potenzielle Nachwuchs in der Schweiz bereits in der obligatorischen Schule und auf der Sekundarstufe II (Gymnasium, Berufslehre) sensibilisiert wird. Die Technikförderung ist dabei oft verzahnt mit der Förderung der anderen drei MINT-Fächer Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften.  

Infobox 1 beschreibt einige dieser Initiativen (siehe auch: Minsch, Rudolf/Steimann, Oliver, 2016: Naturwissenschaft und Technik: für die Schweiz ein Muss, Dossierpolitik 5/16, economiesuisse)

Solche überbetrieblichen Anstrengungen wirken erst langfristig, sind aber deswegen nicht weniger bedeutend. Die Wirtschaft ist entsprechend gefordert, solche Initiativen weiterzuführen und immer wieder an den Zeitgeist anzupassen.

Zusätzlich zu den überbetrieblichen Massnahmen sind auch die Arbeitgeber gefordert, einzelbetriebliche Massnahmen zu ergreifen. Ansatzpunkte ergeben sich direkt aus der vorliegenden Befragung: Unternehmen, die bereit sind, nicht voll ins Profil passende Kandidatinnen und Kandidaten einzuarbeiten, finden auf dem Arbeitsmarkt einfacher Ingenieure. Neben der Tatsache, dass viele Arbeitnehmer sich wegen der unsicheren Zukunft ihres Arbeitgebers bedroht fühlen, hat die Umfrage klar gezeigt, dass viele Ingenieure unzufrieden sind, weil die Aufstiegsmöglichkeiten beschränkt sind oder sie zu wenig Wertschätzung für ihre Arbeit erfahren. Unternehmen können entsprechend viel gegen den Fachkräftemangel tun, indem sie verstärkt in ihre Mitarbeiter investieren. Die Umfrage zeigt, dass das Potenzial gross ist. Es ist zwar verständlich, dass in der ersten Zeit nach dem Frankenschock in vielen Betrieben der Fokus stärker auf die Bewältigung der akuten Probleme gelegt werden musste und Mitarbeitende nicht noch lange eingearbeitet werden konnten. Mittel- und langfristig aber ist eine Mitarbeiterpolitik, die nach dem Prinzip «Mitarbeiter gewinnen, entwickeln und halten» funktioniert, sehr wichtig für den Erfolg eines Unternehmens. Eine geringe Fluktuation und spezifisch auf die betrieblichen Bedürfnisse hin weitergebildete Arbeitskräfte senken die Personalkosten für das Unternehmen und steigern die Produktivität. Wichtig ist, dass die Arbeitgeber die Ingenieurstellen attraktiv ausgestalten und Perspektiven aufzeigen. Je nach Wunsch und Eignung kann eine Führungs- oder eine Fachkarriere passend sein: Nicht jeder Ingenieur möchte und soll eine Führungsfunktion übernehmen. Auch attraktive Fachkarrieren können den Ingenieuren Entwicklungsperspektiven aufzeigen, Aufstiegsmöglichkeiten bieten, den Arbeitsinhalt abwechslungsreich gestalten und den Mitarbeitern die nötige Wertschätzung entgegenbringen.  

Immer wichtiger wird in der Zukunft auch der stärkere Miteinbezug von älteren Arbeitnehmern. Um diese länger in der Arbeitswelt zu halten, können Unternehmen betriebliche Massnahmen ergreifen. Swissmem, der Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, hat diesbezüglich ein Werkzeug entwickelt, das er seinen Mitgliedern zur Verfügung stellt. Dieses Tool stellt eine Reihe von Best Practices, Vorschlägen und Empfehlungen vor, die den Miteinbezug älterer Arbeitskräfte erleichtern können.

Infobox 2: Best Practices für einzelbetriebliche Massnahmen

Weil gut qualifizierter Nachwuchs auf dem Arbeitsmarkt kaum zu finden ist, haben diverse Unternehmen das Zepter selbst in die Hand genommen und interne Aus- und Weiterbildungsmassnahmen ergriffen. Erfolgreiche Beispiele sind die HHM Academy oder die HKG Group: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden sowohl fachlich als auch in Führungskompetenzen geschult. Einerseits entsteht dadurch eine «Wir-Kultur», andererseits steigern top ausgebildete Mitarbeitende die Rentabilität. Für die Unternehmen lohnt sich die langfristige Investition in den eigenen Nachwuchs, um den Fachkräftemangel zu lindern.

Das Impulsprogramm «Kultur-Wegweiser» der Schweizerischen Vereinigung der Ingenieurinnen SVIN will in technologiebasierten Unternehmen zementierte Geschlechterrollen aufbrechen und verändern. Es setzt bei der Unternehmenskultur an: Karrierevorstellungen von tätigen Ingenieurinnen, bzw. MINT-Fachfrauen in den beteiligten Unternehmen werden diskutiert und dem Management präsentiert. Zudem werden die Führungskräfte und Personalverantwortlichen für unternehmenskulturelle Hemmnisse sensibilisiert, bevor man gemeinsam versucht, entsprechende Stolpersteine zu benennen und nach Möglichkeit aus dem Weg zu räumen.

Arbeitnehmermassnahmen

Die Erhebung macht deutlich, dass Arbeitnehmer oftmals nicht über die Kompetenzen verfügen, die von den Arbeitgebern verlangt werden. Hier müssen die Ingenieurinnen und Ingenieure selbst ansetzen und sich fitter für den Arbeitsmarkt machen. Besonders grosse Diskrepanz besteht in der Weiterbildung. Die Investition in die eigene Weiterbildung ist in diesem Zusammenhang essenziell. Die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, dass die Weiterbildungen seit 2010 teilweise sogar rückläufig sind. Doch das Fachwissen ist nicht alleine ausschlaggebend. Vonseiten der Arbeitnehmer werden zwei Dinge wohl häufig unterschätzt: Erstens sind neben den fachlichen Fähigkeiten für den beruflichen Erfolg auch Sozialkompetenzen bedeutend. Die Arbeitgeber orten gerade hier oft Schwächen. Entsprechend besteht ein grosses Potenzial, denn Teamfähigkeit, positive Ausstrahlung und ein sicheres Auftreten können geübt werden. Zweitens ist ein berufliches Netzwerk nicht nur für die eigene Karriere sehr hilfreich, sondern auch für den gegenseitigen Ideenaustausch, der Problemlösungen im Betrieb erleichtert. Innovationen geschehen heute kaum mehr im stillen Kämmerlein, sondern im gegenseitigen Austausch über die Betriebsgrenzen hinweg. Das berufliche Netzwerk eines Ingenieurs kann also auch für das Unternehmen sehr wertvoll sein.  

Die Arbeitswelt erwartet von den künftigen Arbeitskräften ein hohes Mass an Flexibilität, Teamfähigkeit und Kommunikationskompetenz. Es wäre daher zielführend, wenn sich angehende Ingenieure auch in ausserstudentischen Aktivitäten engagieren. Die Arbeit in einem Studentenparlament, das Unterrichten an Schulen, das Trainieren von Nachwuchssportlern, Leitungsfunktionen in einem Verein, Theaterspielen und vieles mehr können die Persönlichkeitsentwicklung positiv beeinflussen, was im späteren Berufsleben Früchte trägt.

Politische Massnahmen

Die Umfrage zeigt, dass die Rekrutierungsschwierigkeiten zum grössten Teil auf eine Angebotslücke zurückzuführen sind, die nicht alleine mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmermassnahmen geschlossen werden kann. Der Mangel ist insbesondere bei den im Inland ausgebildeten Ingenieurinnen und Ingenieuren gross. Die Schweiz muss auch deswegen das Angebot an Ingenieuren weiter erhöhen, weil sich das Fachkräfteproblem aufgrund der demografischen Entwicklung in ganz Europa verschärfen wird. Künftig wird es auch zunehmend schwieriger werden, geeignete Ingenieure aus dem europäischen Ausland zu engagieren.

Damit langfristig genug Ingenieurinnen und Ingenieure ausgebildet werden, sind bildungspolitische Massnahmen unumgänglich. Doch es muss früh angesetzt werden, denn der Entscheid für oder gegen eine technische Ausbildung fällt bei den meisten jungen Menschen bereits im Alter von 13 bis 14 Jahren. Entsprechend ist die obligatorische Schule gefordert.

Es ist nicht ihre Aufgabe, bereits junge Ingenieure auszubilden. Auch wäre es falsch, Technik isoliert zu betrachten, denn diese ist sehr stark mit der Mathematik, der Informatik oder den Naturwissenschaften verknüpft. Technik ist die konkrete Anwendung von Naturwissenschaften und Mathematik. Die Idee ist, nicht die einzelnen Fächer isoliert auszubilden, sondern sie zu verbinden, um eben den Bezug zur Technik herzustellen. So können Unterrichtseinheiten attraktiver gestaltet und die Schülerinnen und Schüler eher für eine MINT-Karriere begeistert werden. Ziel muss es daher sein, den gesamten MINT-Fächerkanon an unseren Schulen zu stärken und so die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass mehr Jugendliche die eine oder andere technische Ausbildung in Angriff nehmen.

Erstens gilt es, das MINT-Verständnis bei allen Schülerinnen und Schülern zu verbessern. Zweitens soll die Schule die Türe für die MINT-Fächer für all diejenigen noch weiter öffnen, die von ihren Fähigkeiten her eine MINT-Ausbildung anstreben könnten. Sie lassen sich für technische Fragen begeistern. Das Potenzial ist gross, nicht nur bei den Mädchen.

economiesuisse hat 2016 ein Dossier mit konkreten Forderungen zur MINT-Förderung formuliert (siehe Minsch, Rudolf/Steimann, Oliver, 2016: Naturwissenschaft und Technik: für die Schweiz ein Muss, Dossierpolitik 5/16, economiesuisse), die hier kurz zusammengefasst werden:

  • Lehrplan 21 umsetzen: Der neue Lehrplan hält wesentliche Verbesserungen für die MINT-Fächer bereit. Diese werden gestärkt und anwendungsorientierter ausgestaltet. Der Lehrplan 21 schafft gute MINT-Voraussetzungen in den Fachbereichen «Mathematik», «Natur, Mensch, Gesellschaft» und «Gestalten» und in den Modulen «Medien und Informatik» und «Berufliche Orientierung». Diese ganzheitliche MINT-Förderung ist zweckmässig und zielführend.
  • Motivierte Lehrkräfte: Ein Lehrplan ist lediglich eine notwendige, aber noch lange keine hinreichende Bedingung dafür, dass Kinder und Jugendliche sich für MINT-Fächer interessieren. Dafür braucht es engagierte Lehrerinnen und Lehrer. Die Kantone müssen der Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte im MINT-Bereich grosses Gewicht beimessen.
  • Mathematikunterricht hinterfragen: Wir verlieren etliche Jugendliche während des Gymnasiums, wenn der Mathematikunterricht demotivierend wirkt. Wieso nicht auch Ingenieure, Informatiker oder Ökonomen Mathematik unterrichten lassen?
  • Öffnen der Klassenzimmer: Studenten, Lehrlinge, Pensionierte oder Berufsleute aus dem MINT-Bereich könnten in den Schulen in Zusammenarbeit mit der Lehrkraft Unterrichtseinheiten gestalten. So könnte eine Informatik-Studentin Fünftklässler wahrscheinlich sehr motivierend in die Welt des Programmierens einführen.
  • Zusammenarbeit Schule-Wirtschaft: Praxisbezogene Einsätze in Unternehmen, die pädagogisch begleitet werden, haben sich als sehr erfolgreich herausgestellt. Ein solches Best-Practice-Beispiel ist das MINT-Camps GR, wo Dritt- bis Sechstklässler in den Schulferien ihr MINT-Wissen in Unternehmen anwenden und erweitern können.
  • Sinnhaftigkeit von MINT-Studiengängen aufzeigen: Viele junge Menschen wollen zu einer besseren Welt beitragen und mithelfen, die heutigen Probleme zu lösen. Umweltprobleme, Energiefragen oder medizinaltechnische Herausforderungen lassen sich in erster Linie mit MINT-Wissen lösen. Die bessere Erklärung der Sinnhaftigkeit könnte auch dazu führen, dass sich mehr Frauen für den Ingenieurberuf begeistern.

Infobox 1: Ausgewählte Beispiele für überbetriebliche Angebote zur Steigerung der Attraktivität des Ingenieurberufs

tunSchweiz

Die Stiftung tunSchweiz koordiniert die Aktivitäten der Verbände Swissmem, Electrosuisse und swissT.net sowie vieler regionaler Partner, um Kinder und Jugendliche für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern. Sie organisiert einmal oder mehrmals jährlich an einer Publikumsmesse in Bern, Zürich, Basel oder in der Ostschweiz eine grosse Werkstatt, eine sogenannte «tun». Hier können Schulklassen oder auch einzelne Kinder mit ihren Eltern spannende Erfahrungen in verschiedensten MINT-Bereichen sammeln.

NaTech Education

Dieser Verein setzt sich für die Förderung der Naturwissenschaften und des Technikverständnisses auf der Primar- und Sekundarstufe I ein, fördert die Schaffung von entsprechenden Lehrmitteln in der Volksschule und engagiert sich, damit die Bildungsziele, die zum Verständnis von Technik und Naturwissenschaften führen, im Lehrplan verankert sind. Besonders erfolgreich sind bei NaTech-Education die Technik-Wochen an Gymnasien, die junge Menschen für MINT begeistern wollen.

IngCH

Der 1987 gegründete Verband IngCH will die Öffentlichkeit für die zentrale Bedeutung der Technik in Wirtschaft, Kultur und Politik sensibilisieren und bei Jugendlichen das Interesse an einer Ingenieursausbildung wecken. Er organisiert ebenfalls Technik- und Informatikwochen, «Meitli-Technik-Tage» für Sekundarschülerinnen und Wanderausstellungen.

SimplyScience

SimplyScience ist eine Stiftung, die Kindern und Jugendlichen von 8 bis 18 Jahren die faszinierende Welt der Naturwissenschaft und Technik näherbringt. Altersstufengerecht werden auf der Internetplattform witzige Geschichten, Spiele, Wettbewerbe und Experimente angeboten, die sich mit Technik und Naturphänomenen auseinandersetzen. Kinder und Jugendliche erfahren zum Beispiel, warum Eisbären nicht frieren, wie man eine E-Gitarre baut, was eine Fata Morgana ist oder wie sich die moderne Robotertechnik von der Tierwelt inspirieren lässt. Für Teenager werden zudem MINT-Berufe vorgestellt und ein Kalender gibt Auskunft über Schnuppertage und Infoveranstaltungen. Für den praxisorientierten naturwissenschaftlichen Schulunterricht werden für Lehrpersonen verschiedene Lehrmittel angeboten.

Swiss Engineering STV

Der Berufsverband Swiss Engineering unterstützt Ingenieurinnen und Ingenieure mit einem vielfältigen Seminar- und Beratungsangebot dabei, sich weiterzubilden, die persönliche Arbeitsmarktfähigkeit regelmässig zu überprüfen und zu optimieren, die eigene Karriere zu planen und sich auf Bewerbungen vorzubereiten. An den Anlässen der rund 50 Sektionen und Fachgruppen des Verbands können Mitglieder aktiv ein betriebs- und fachübergreifendes persönliches Netzwerk aufbauen und pflegen.