# 6 / 2020
05.11.2020

Warum Handel die nachhaltige Entwicklung unterstützt und nicht bremst

Wie die Schweizer Wirtschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt

Die Schweiz ist eine Exportnation. Sie erwirtschaftet einen erheblichen Teil ihrer Wertschöpfung mit dem Export von Gütern und Dienstleistungen. Hierzulande werden 40 Prozent der gesamten Wertschöpfung exportiert. Dennoch nimmt die Schweiz im internationalen Waren- und Dienstleistungshandel absolut gesehen keine führende Position ein. Ganz anders bei den ausländischen Direktinvestitionen: Hier gehört die Schweiz gemäss UNCTAD (Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung) zu den zehn grössten Wirtschaftsmächten. Entsprechend gross ist auch der Einfluss, den Schweizer Unternehmen mittels Direktinvestitionen auf die globale nachhaltige Entwicklung ausüben. Es gibt kaum ein multinationales Unternehmen aus der Schweiz, das sich nicht zu einem internationalen Standard bezüglich sozialer oder ökologischer Nachhaltigkeit verpflichtet hat – sei es über den Global Compact, die Principles for Responsible Investments, die Equator Principles, die UN Principal Guidelines on Business and Human Rights oder die OECD Guidelines for Multinational Enterprises.

Schweizer Unternehmen exportieren Nachhaltigkeit mittels Standards und Produkten

Die Schweiz besetzt in verschiedenen Nachhaltigkeitsrankings Spitzenplätze. So belegt sie beispielsweise den zweiten Platz im Green Economy Index sowie im Nachhaltigkeitsranking von Robeco. Zudem erreichen mehrere Schweizer Unternehmen Topplatzierungen in den renommierten Dow Jones Sustainability Indices, einer Familie von Aktienindizes, welche nebst ökonomischen auch ökologische und soziale Kriterien berücksichtigen. Folglich haben die hohen Nachhaltigkeitsstandards von Schweizer Firmen einen entsprechend positiven Einfluss auf die Nachhaltigkeit ihrer Zweigniederlassungen im Ausland, gerade auch im Vergleich zu jenen von anderen Ländern.

Daneben steuern Schweizer Unternehmen auch mit dem Export von innovativen, technologisch hochstehenden und qualitativ erstklassigen Produkten zu einer nachhaltigen Entwicklung in ihren Partnerländern bei. Beispielsweise verbessern von Schweizer Pharmaunternehmen entwickelte Medikamente die Gesundheitsversorgung in anderen Ländern. Zugleich exportieren Schweizer Industrieunternehmen ressourceneffiziente Maschinen ins Ausland und leisten damit einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigeren Produktion vor Ort.

Davon abgesehen verschieben sich die Präferenzen der Konsumierenden zunehmend hin zu mehr Nachhaltigkeit. Deshalb bieten Schweizer Unternehmen ein immer differenzierteres Angebot und reagieren so auf die wachsende Nachfrage nach nachhaltigeren Produkten und Produktionsverfahren. Gleichzeitig erfüllen Schweizer Import- und Exportfirmen bereits heute eine Vielzahl von Normen und Produktevorschriften. Entsprechend haben Nachhaltigkeitsüberlegungen für die Schweizer Wirtschaft eine grosse Bedeutung.

Sustainable Finance: Schweizer Markt wächst rasant

Dass auch die Finanzindustrie mit ihrer Tätigkeit einen grossen Hebel zur positiven nachhaltigen Entwicklung hat, ist unbestritten. Entsprechend beeindruckend ist, wie stark nachhaltige Anlageklassen in den letzten Jahren gewachsen sind. Die wichtigsten Finanzmärkte haben sich in der Global Sustainable Investment Alliance GSIA (Zusammenschluss der sieben weltweit grössten Mitgliedsorganisationen für nachhaltige Investitionen) zusammengetan. Im Jahr 2018 hielten sie nachhaltige Investitionen in der Höhe von fast 31 Billionen US-Dollar. Der Bestand hat sich somit im Vergleich zu 2016 um 34 Prozent erhöht. In der Schweiz betrug das Marktvolumen für nachhaltige Investitionen im Jahr 2018 bereits 717 Milliarden Franken. Diese Zahl hat sich seit 2016 mehr als verdreifacht (damals lag sie noch bei 215 Milliarden Franken). Die Schweizerische Bankiervereinigung (SBV) hat zum Thema Sustainable Finance ein Positionspapier erstellt, das die wichtigsten Aspekte aufgreift.

Schweizer Direktinvestitionen sind wichtig für Entwicklungsländer

Mit einem Kapitalbestand von fast 1,5 Billionen Schweizer Franken schaffen Schweizer Firmen über zwei Millionen Arbeitsplätze ausserhalb der Schweiz. Ebenso eindrücklich ist der wirtschaftliche Fussabdruck von Schweizer Firmen in Entwicklungsländern. Der Kapitalbestand beträgt 202 Milliarden Schweizer Franken. Über 660'000 Arbeitsplätze hängen damit zusammen. Setzt man diesen Bestand in Relation zur Grösse der Schweizer Volkswirtschaft und vergleicht den Wert mit dem weltweiten Verhältnis von ausländischen Direktinvestitionen und BIP fällt auf, dass sich die Schweizer Wirtschaft fast viermal stärker in diesen Regionen engagiert als der Rest der Welt (siehe untenstehende Grafik). Damit verbunden sind beispielsweise häufig ein starkes Engagement im Ausbildungsbereich und der Transfer moderner Technologien.

Das Center for Corporate Responsibility and Sustainability (CCRS) der Universität Zürich ist der Frage nachgegangen, wie stark Schweizer Direktinvestitionen in Entwicklungsländern lokal verankert sind und wie sie zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Die Fallbeispiele zeigen dabei eindrücklich auf, welch positiven Beitrag Schweizer Unternehmen zu einer nachhaltigen Entwicklung vor Ort leisten.

Schweizer Direktinvestitionen am Beispiel von Nestlé Philippines

Die positiven Effekte von Schweizer Direktinvestitionen in Entwicklungsländern lassen sich am Beispiel des Schweizer Nahrungsmittelherstellers Nestlé aufzeigen, der auf den Philippinen eine Zweigniederlassung besitzt. Die Marke Nescafé als Teil von Nestlé Philippines bezieht heute nicht nur seine Kaffeebohnen von den Philippinen, sondern verarbeitet und verkauft auch den Grossteil seiner Endprodukte im Land. Zudem sind die Mehrzahl der Angestellten in leitenden Positionen Filipinos. Nestlé Philippines ist stark in die lokale Wirtschaft eingebettet und wird deshalb von den meisten Filipinos als einheimisches Unternehmen wahrgenommen. Zugleich verpflichtet sich das Unternehmen zur Einhaltung globaler CSR-Standards und hat den NESCAFÉ-Plan entwickelt, damit lokale Kaffeebauern Zugang zu ertragreicheren Pflanzen haben und der Kaffeeanbau nachhaltig bleibt. Gemeinsam mit der Rainforest Alliance (RA) und dem Common Code for the Coffee Community (4C) stellt Nestlé sicher, dass die international anerkannten Nachhaltigkeitsstandards eingehalten werden. Seit der Gründung ihrer ersten Tochtergesellschaft vor 100 Jahren hat Nestlé auf den Philippinen nicht nur Zehntausende von Arbeitsplätzen geschaffen, sondern auch einen wertvollen Wissenstransfer in den lokalen Privatsektor ermöglicht. Dies half dabei, ein nationales wirtschaftliches Ökosystem rund um die Produktion, die Kommerzialisierung und den Konsum von Kaffee aufzubauen. Dank eines umfassenden Kapazitätsentwicklungsprogramms für Zulieferer und der strengen Sozial- und Umweltstandards von Nestlé Global gelang es dem Unternehmen in den letzten Jahrzehnten, die Nachhaltigkeit seiner lokalen Lieferanten zu erhöhen.

Exkurs: Unternehmens-Verantwortungs-Initiative ist kontraproduktiv

Die Unternehmens-Verantwortungs-Initiative (UVI), über die am 29. November 2020 abgestimmt wird, will die Klagemöglichkeiten gegen kleine und grosse Schweizer Unternehmen ausbauen. Konkret sollen diese in der Schweiz auf die weltweite Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutzvorschriften verklagt werden können. Ein Unternehmen haftet so sogar für Vorfälle von eigenständigen Drittfirmen, wenn diese von ihnen wirtschaftlich abhängig sind. Zum Beispiel als Zulieferer oder als Empfänger von Darlehen.

Heute ist die Schweiz mittels Direktinvestitionen überdurchschnittlich stark in Entwicklungsländern engagiert. Über ausländische Tochtergesellschaften tragen Schweizer Unternehmen das hiesige Modell der Lehrlingsausbildung in die ganze Welt. Dieses Engagement steht wegen der UVI auf dem Spiel. Denn durch die neuen, unberechenbaren Haftungsrisiken können sich Schweizer Unternehmen gezwungen sehen, sich aus Entwicklungsländern zurückzuziehen und sich von lokalen Produzenten (Bauern, Gewerbe) zu trennen, wenn diese ein potenzielles Haftungsrisiko darstellen. Menschenrechte und Umweltschutzbestrebungen sind besonders dann gefährdet, wenn Firmen aus Ländern mit tieferen Sozial- und Umweltstandards in die Lücke springen, welche Schweizer Unternehmen vor Ort hinterlassen. Die UVI gefährdet somit letztlich auch das Erfolgsmodell der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. Der international abgestimmte Gegenvorschlag führt nicht zu solchen Fehlanreizen, sondern fokussiert auf eine konstante Verbesserung der unternehmensinternen Sorgfaltsprüfungsprozesse.