# 15 / 2016
21.12.2016

Brexit und die Schweiz

Marktzugang und Rechtssicherheit gewährleisten, Chancen nutzen

Der Brexit hat kurzfristig nur geringen Einfluss auf das Verhältnis zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich. Die bestehenden Regeln sind für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen der beiden Länder weiterhin anwendbar. Mittel- und langfristig verlieren jedoch sämtliche bilateralen Verträge der Schweiz mit der EU ihre Gültigkeit für Grossbritannien. Es ist deshalb für die Schweizer Wirtschaft zentral, Rechtssicherheit sicherzustellen und die derzeit guten Rahmenbedingungen zu erhalten sowie wo nötig auszubauen.

Aufgrund der anspruchsvollen Ausgangslage, mit der sich die britische Regierung im Kontext des Brexit konfrontiert sieht, wird sich das Vereinigte Königreich jetzt primär auf die Austrittsverhandlungen mit der Europäischen Union, ihrem wichtigsten Handelspartner, konzentrieren. Die Aktivierung von Artikel 50 des Lissabonner Vertrags ist auf Ende März angekündigt. Allerdings kann eine notwendige Zustimmung des britischen Parlaments, wie vom High Court verlangt, den Zeitpunkt weiter hinauszögern. Nebst diesen Verhandlungen wird Grossbritannien nur über begrenzte Kapazitäten in Bezug auf die Wirtschaftsbeziehungen mit wichtigen Drittländern verfügen und sich auf die wichtigsten Handelspartner konzentrieren müssen. In diesem Zusammenhang ist die Schweiz aufgrund seiner Bedeutung als Handelspartner gut positioniert. Trotzdem muss die Politik aktiv sein und agieren.

Schweiz gehört klar zum «inner circle» der wichtigsten Handelspartner

Die Schweiz muss die britischen Partner kontinuierlich für die Bedeutung und die Vorteile der schweizerisch-britischen Wirtschaftsbeziehungen sensibilisieren und die Kontakte intensivieren. Als zentraler Partner Grossbritanniens im Handel und auch bezüglich Investitionen gehört die Schweiz klar in den inneren Kreis jener Staaten, mit denen das Vereinigte Königreich seine Wirtschaftsbeziehungen prioritär neu aushandeln will. In diesem Zusammenhang ist rasch ein entsprechendes Memorandum of Understanding anzustreben. Die Wirtschaft wird die Politik hier bestmöglich unterstützen.

Status quo+ im gegenseitigen Marktzugang und Rechtssicherheit gewährleisten

Im Kontext des Brexit ist der Erhalt von Rechtssicherheit das oberste Ziel für die Schweizer Wirtschaft. Eine bilaterale Vertragslösung zwischen dem Vereinigten Königreich und der Schweiz muss deshalb bereits zum Zeitpunkt des EU-Austritts Grossbritanniens vorliegen. Zentral ist dabei insbesondere der materielle Erhalt der Bilateralen I und II sowie des Freihandelsabkommens Schweiz-EU. Allenfalls muss dabei auf ein «Grandfathering» (Bestandsschutz) als Übergangslösung hingearbeitet werden. Regulatorische Divergenzen müssen möglichst vermieden werden. Die Wirtschaft fordert, dass der gegenseitige Marktzugang konkret über ein umfangreiches Freihandelsabkommen neuester Generation gesichert wird, welches auch eine Liberalisierung des Dienstleistungshandels sowie eine vertiefte regulatorische Kooperation zwischen beiden Ländern beinhaltet (Status quo+). Wo nötig sind ergänzend weitere sektorielle Abkommen anzustreben. Zentral ist dabei, dass auch in Zukunft der ungehinderte Zugang zu hoch qualifizierten Fachkräften aus dem jeweils anderen Partnerstaat sichergestellt wird.

Chance für Ausbau im Marktzugang nutzen

Grosse Veränderungen schaffen stets auch Möglichkeiten, neue Wege zu beschreiten und Bestehendes in allseitigem Interesse zu optimieren. Die Wirtschaft sieht in diesem Zusammenhang denn auch eine Chance, im Verhältnis mit Grossbritannien über eine Ausweitung des aktuellen gegenseitigen Marktzugangs zu diskutieren. Jenseits der bestehenden Verträge mit der EU sehen die einzelnen Branchen der Schweizer Wirtschaft beispielsweise bereits heute Potenzial bei der Harmonisierung und Äquivalenz von Regulierungsvorschriften (z.B. Finanzdienstleistungen) oder der Liberalisierung von Ursprungsregeln. Im intensiven Dialog zwischen Wirtschaft und Politik beider Länder sollen die engen Kontakte mit Grossbritannien deshalb genutzt werden, laufend zusätzliche Chancen für eine Vertiefung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu identifizieren und zu nutzen.


Schweiz ist offen für Diskussionen über EFTA-Beitritt 

Ein Beitritt Grossbritanniens zur EFTA dürfte frühestens mittel- oder langfristig eine Option darstellen. Die Schweizer Wirtschaft steht einer allfälligen Diskussion grundsätzlich offen gegenüber, hält den Zeitpunkt für eine vertiefte Debatte jedoch für verfrüht. Zuerst müsste Grossbritannien Interesse an einer EFTA-Mitgliedschaft bekunden, was bisher nicht festzustellen war. Ein abschliessendes Urteil bedarf daher einer eingehenden Analyse sämtlicher involvierten Parteien betreffend gemeinsamer Ziele, institutioneller Fragen, möglicher Reformbestrebungen der EU und der zukünftigen Dynamik innerhalb der Freihandelsassoziation.