# 5 / 2021
07.05.2021

Die Schweiz und China

Entstehung einer neuen Weltordnung

China als aufstrebendes Land, das mehr und mehr Einfluss auf der Weltbühne gewinnt, steht häufig im Fokus der politischen Diskussion. Tatsächlich hat sich im «Reich der Mitte» seit den 1980er Jahren einiges getan. Dank Wirtschaftswachstum sank der Anteil von Menschen in extremer Armut von 66 Prozent im Jahr 1990 auf nur 0,5 Prozent im Jahr 2016.

Eine Mittelschicht ist entstanden, und auch der Umweltschutz erhält mehr Gewicht. Leider hat sich in den letzten Jahren die Situation bezüglich der Grundrechte generell verschlechtert. Das gilt insbesondere für Hongkong und für die Uigurische Bevölkerung. Daneben ist auch die fehlende Anerkennung des internationalen Schiedsspruchs zu den Grenzen im südchinesischen Meer besorgniserregend. Zudem verlangt China Akzeptanz für seine Werte, ohne selbst Toleranz gegenüber Andersdenkenden zu üben.

Doch nicht nur China selbst, sondern auch der Rest der Welt konnte von dessen Öffnung und Modernisierung profitieren. Das Wirtschaftswachstum Chinas dank technologischem Fortschritt und wirtschaftlich offenen Handelssystemen hat sich grösstenteils positiv auf die Weltbevölkerung ausgewirkt. Der Anteil in absoluter Armut lebender Personen in der Welt sank zwischen 1981 und 2017 um über 75 Prozent. Die Integration Chinas und weiterer Schwellenländer in den internationalen Handel hat den durchschnittlichen Lebensstandard weltweit angehoben.

Wandel durch Handel

Trotz dieser Erfolge und Aussichten steht die Maxime «Wandel durch Handel» immer mehr am Pranger. Dabei steht China im Zentrum der Debatte. Nach grossen Reformen seit der Zeit des WTO-Beitritts folgte ab 2010 eine Gegenreaktion: Während der Handel und der Wohlstand weiterhin rasant zunahmen, verstärkte der Staat den Druck auf Andersdenkende zusehends und dehnte die Kontrolle mit Instrumenten wie dem Social Credit System auf Private und Firmen aus. So klärte sich auch der Unterschied zwischen Staat und Wirtschaft in China nicht, sondern bleibt verschwommen. Der Westen fühlt sich vom chinesischen Modell des Staatskapitalismus herausgefordert. Ein neuer Systemwettbewerb stellt sich ein.

Statt über die Weiterentwicklung der WTO Druck auf China auszuüben, verbreitete sich im Westen ein «China-Bashing». Schliesslich entflammte ein Handelskrieg mit den USA. Doch diese Entwicklungen haben vor allem die Fronten verhärtet und die chinesische Regierung in ihrem Vorgehen sogar bestärkt.

Es ist höchste Zeit für eine Trendumkehr. Die letzten 75 Jahre zeigen die konstruktive Alternative: Offene Handelsrouten, offene Märkte und ein friedlicher Interessensausgleich sind wichtige Pfeiler eines funktionierenden internationalen Handelssystems, welcher den weltweiten Wohlstand erst möglich gemacht hat. China profitierte und profitiert stark davon. China steht nun entsprechend seiner wirtschaftlichen Bedeutung auch in der Verantwortung, dass das internationale Handelssystem erhalten bleibt und sich weiterentwickeln kann.

Der Interessensausgleich geschieht vor allem in internationalen Organisationen wie der Welthandelsorganisation WTO, der Weltbank, die UNO oder dem Internationalen Währungsfonds. Es ist unbestritten, dass die für das Handelssystem besonders wichtige WTO derzeit schwächelt. Sie deshalb abzuschreiben, ist aber falsch. Der Westen tut gut daran, sich für eine Weiterentwicklung der WTO einzusetzen und auf diese Weise auch China ins internationale Regelwerk einzubinden. Besonderer Reformbedarf besteht in der WTO beim Streitschlichtungsmechanismus, bei der Transparenz und in Bezug auf eine Beschränkung staatlicher Beihilfen. Zudem muss dem Fortschritt in China Rechnung getragen werden – die Einstufung durch die WTO als Entwicklungsland ist nicht mehr angebracht.

Der Westen muss sich auf seine Erfolgsrezepte besinnen: Individuelle Freiheit, Rechtstaatlichkeit, Unternehmertum, Wettbewerb und Wirtschaftsfreiheit ermöglichen Innovationen und schaffen Wohlstand.

Durch Engagements auf multilateraler Ebene sowie Offenheit gegenüber China kann dazu beigetragen werden, China ins internationale System und die Verantwortung zu integrieren. Wandel durch Handel gilt auch heute – in China und der Schweiz.