Frühjahrssession 2021

Die eidgenössischen Räte haben in der Frühjahrssession 2021 folgenreiche und für die Wirtschaft wichtige Beschlüsse gefasst. Das Rentenalter der Frauen wird auf 65 Jahre angehoben, die Corona-Nothilfe um 10 Milliarden Franken aufgestockt, das Geldwäschereigesetz angepasst und mehrere Volksinitiativen werden zur Ablehnung empfohlen.

Session im Überblick

Am letzten Sessionstag hat ein weiteres Corona-Hilfspaket die Schlussab­stimmung der eidgenössischen Räte passiert (Covid-19-Gesetz und der entsprechende Zusatzkredit zum Budget). Bereits im kommenden Juni muss die Vorlage die Hürde der Referendumsabstimmung bezwingen. Ansonsten laufen die Bestimmungen des Covid-19-Gesetzes gegen Ende September 2021 aus. Vielleicht hat sich ob dieser Aussichten in der Einigungskonferenz letztlich die massvollere Lösung des Ständerats durchgesetzt. economiesuisse hat die Stossrichtung der Kleinen Kammer unterstützt. Die Härtefallmassnahmen sind Nothilfegelder und als solche zielgerichtet einzusetzen.

AHV 21: Tragfähige Lösung des Ständerats

Eine faire und nachhaltige Lösung hat der Ständerat bei der Revision der AHV vorgelegt. Nicht nur hat sich die Kleine Kammer klar für die Anhebung des Referenzalters der Frauen auf 65 ausgesprochen. Sie hat sich auch für ein sogenanntes Trapez­modell für die finanzielle Abfederung der neun ersten betroffenen Frauenjahrgänge entschieden. Dank dieser Lösung entlastet die Angleichung des Frauenreferenzalters die AHV um insgesamt rund eine Milliarde Franken. In der gleichen Grössenordnung bewegt sich die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer (MWST): Mit 0,3 Prozentpunkten fliessen jährlich zusätzliche Finanzmittel von gut einer Milliarde Franken in die AHV. economiesuisse hatte sich geeint mit dem Schweizerischen Arbeitgeberverband und dem Schweizerischen Gewerbeverband für eine tragfähige Lösung engagiert.

Wichtige Vorlagen unter Dach und Fach

Über die Ziellinie gerettet haben die Räte in der Schlussabstimmung die Revision des Geldwäscherei­gesetzes. Sie haben damit das Geldwäscherei-Abwehrdispositiv und auch den Wirtschaftsstandort der Schweiz gestärkt. Bundesrat Ueli Maurer hat jedoch bereits eine Anschlussrevision angekündigt, da mit der aktuellen nur die dringlichsten Herausforderungen gelöst seien.

Ohne Gegenstimme um fünf Jahre verlängert hat der Nationalrat die Ausnahmebestimmungen, welche Zinsen bei den sogenannten Too-big-to-fail-Instrumenten von der Verrechnungssteuer ausnimmt. economiesuisse begrüsst diesen klaren Entscheid, trägt er doch zur Stabilität des Finanzplatzes Schweiz bei. Die umfassende Reform der Verrechnungssteuer bleibt dennoch vordringlich.

Die Schlussabstimmung passiert hat auch die Revision des ETH-Gesetzes. Die letzten Differenzen wurden erst in der Einigungskonferenz ausgeräumt. economiesuisse hat sich in der Revision insbesondere gegen die geplante Weisungskompetenz des ETH-Rats ohne Konsultations- bzw. Anhörungsflicht der jeweiligen Institutionen sowie die Aufhebung des Beschwerderechts gegen Entscheide des ETH-Rats gestellt. economiesuisse ist mit dem Ergebnis der parlamentarischen Debatte zufrieden.

Mehrere Volksinitiativen hatten im Parlament richtigerweise keine Chance

Ein wichtiges Zeichen in Form einer sehr deutlichen Ablehnung haben die Räte bei der 99-Prozent-Initiative gesetzt. Diese radikale Vorlage wäre Gift für KMU, Start-ups, Kleinsparer, Eigenheimbesitzer und Bauernfamilien.

Keine Chance im Nationalrat hatte auch die Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenver­suchsverbot – Ja zu Forschungswegen mit Impulsen und Sicherheit und Fortschritt». Mit einer Annahme würde unter anderem der Forschungsplatz Schweiz geschwächt, was gerade in Pandemiezeiten als absurder Vorschlag anmutet.

Richtigerweise empfiehlt das Parlament Volk und Ständen die Fair-Preis-Initiative klar zur Ablehnung. Allerdings hat es einen indirekten Gegenvorschlag verabschiedet, welcher die Anliegen der Initianten weitgehend übernimmt. Verbunden mit diesem Gegenvorschlag sind aus Sicht von economiesuisse unrealistische Erwartungen an das neu einzuführende Konzept der relativen Marktmacht, welches einen Fremdkörper im Kartellrecht darstellt. Auch das im UWG vorgesehene Verbot von Geo-Blocking wird in der Praxis zu Herausforderungen bei der Durchsetzung führen. Immerhin hat das Parlament auf die Einführung einer sogenannten Re-Import-Klausel verzichtet. Die Initianten haben den Rückzug der Initiative angekündigt.

Dem Stimmvolk ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfiehlt die Grosse Kammer die Volksini­tiative, die ein undifferenziertes und radikales Verbot für Tabakwerbung fordert. economiesuisse unterstützt einen zielgerichteten Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Werbung für Tabakprodukte und E-Zigaretten. Dieser soll jedoch im Tabakproduktegesetz geregelt werden, wie dies auch National- und Bundesrat fordern.

Mit einer Ausbildungsoffensive und mehr Verantwortung für Pflegende will das Parlament dem Pflegeberuf eine Sonderstellung einräumen. Dies, indem es der Volksinitiative Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative) einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberstellt. Dessen Wirkung zugunsten der Pflege ist allerdings unklar. Auch ohne dieses Paket in der Höhe von rund 500 Millionen Franken hätte man den Pflegeberuf attraktiver machen können. economiessuisse lehnt sowohl den Gegenvorschlag als auch die Initiative ab. Letztere empfiehlt auch der Nationalrat zur Ablehnung. Der Ständerat muss sich dazu noch äussern.

Zentrale Geschäfte der Frühjahrssession sind die Vorlagen, mit welcher die Finanzierung des Härtefallprogramms, der Arbeitslosenversicherung und der Kurzarbeit sowie weiterer Unterstützungsmassnahmen beschlossen werden sollen. Dazu gehören unter anderem die Änderung des Covid-19-Gesetzes und der entsprechende Nachtrag zum Budget 2021. economiesuisse stellt sich grundsätzlich hinter die Vorlage des Bundesrats – entscheidend sind aber die Entwürfe der Kommissionen, welche noch nicht im Detail bekannt sind. Die Beurteilung von economiesuisse erfolgt deshalb zu einem späteren Zeitpunkt.

In den drei Sessionswochen stehen jedoch nicht nur Covid-Vorlagen, sondern auch andere für die Wirtschaft wichtige Geschäfte auf dem Programm. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen, ihre Arbeitsplätze und den Standort Schweiz muss in allen wirtschaftspolitischen Dossiers oberste Priorität haben. Jetzt – nach einem Jahr in der Pandemie – erst recht.

Zu denken ist etwa an das Geldwäschereigesetz, das die Schweiz für ihre Standortattraktivität und für ein international anerkanntes Abwehrdispositiv unter Dach und Fach bringen muss. Die Vorlage befindet sich in der Differenzbereinigung.

Auf keinen Fall sollten Volk und Stände die Fair-Preis-Initiative annehmen. Die würde nämlich im Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz gar nichts nützen. Der anvisierte Gegenvorschlag des Parlaments ist nicht besser – er steht in beiden Räten zur Bereinigung von Differenzen auf der Traktandenliste. Weder Initiative noch Gegenvorschlag würden zu tieferen oder sogenannt fairen Preisen führen. Aber die rigiden Vorschriften behindern den freien Wettbewerb und schaffen Konflikte mit einer Reihe internationaler Vereinbarungen. Viel klüger und auch für Konsumenten vorteilhaft wäre die Abschaffung der Industriezölle. Doch hier tut sich insbesondere der Nationalrat schwer. Statt entschieden zu reagieren und Unternehmen von Importzöllen und administrativem Ballast zu befreien, wird das Projekt unnötig verzögert.

Auch die linke 99-Prozent-Initiative ist eine schlechte Idee: Die Bezeichnung suggeriert, dass nur ein Prozent der Bevölkerung von diesem Vorhaben betroffen sei. Tatsächlich wollen die Initiantinnen und Initianten der Juso aber auch Start-ups, Kleinsparer, Eigenheimbesitzer und Bauernfamilien zur Kasse bitten. Am stärksten belastet würden aber KMU. Im laufenden Betrieb und insbesondere bei der Unternehmensnachfolge würde die Initiative zu einem massiven Kapitalabfluss führen. Die Erholung «nach Corona» würde gefährdet. Die bereits stark in Mitleidenschaft gezogene Schweizer KMU-Wirtschaft stünde grundlegend auf dem Spiel. Es mutet absurd an, heute Milliarden zum Erhalt von KMU zu sprechen und diesen dann durch eine Initiative ihre Substanz zu entziehen. Der radikalen Juso-Initiative soll nach dem Ständerat auch der Nationalrat eine klare Absage erteilen

Ebenso deutlich abzulehnen ist die Volksinitiative für ein Tierversuchsverbot. Sie würde den Forschungsplatz Schweiz schwächen und damit just den Sektor, der die Schweiz in der heutigen Krise stützt. Arbeits- und Forschungsplätze müssten ins Ausland verlagert werden. Auch ist die Vorlage nicht vereinbar mit internationalen Verpflichtungen. Noch gravierender jedoch: Die Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit Medikamenten würde gefährdet. Der schönfärberische Titel «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot – Ja zu Forschungswegen mit Impulsen und Sicherheit und Fortschritt» macht die Vorlage nicht besser. Die Initiative wird vom Nationalrat beraten.

Im Ständerat für viel Diskussionsstoff sorgen wird die AHV-Reform. economiesuisse unterstützt das längst fällige Vorhaben, die AHV nachhaltig zu stabilisieren. Die Vorlage des Bundesrats ist aus Sicht der Wirtschaft jedoch zu stark auf einnahmenseitige Massnahmen (Zusatzfinanzierung) ausgerichtet. Durch die Beschlüsse der Kommission des erstberatenden Ständerats gerät die Vorlage nun noch weiter in Schieflage. Um die Reform nicht nur ausgewogen und nachhaltig, sondern auch mehrheitsfähig zu machen, braucht es aus Sicht von economiesuisse eine deutliche Korrektur. Details dazu lesen Sie hier.

Auf der Zielgeraden, in der zweiten Runde der Differenzbereinigung, befindet sich das ETH-Gesetz. economiesuisse unterstützt bei den noch offenen Punkten zum einen den Vermittlungsvorschlag des Ständerats zum Beschwerderecht gegen Entscheide des ETH-Rats und andererseits, dass die Beschwerdekommission durch den Bundesrat gewählt wird. Es ist richtig, dass die Beratungen jetzt zu einem Abschluss kommen.

Keine Unterstützung verdienen hingegen undifferenzierte Werbeverbote für legale Produkte, wie sie beispielsweise die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» verlangt. Die Wirtschaft stellt sich hinter Präventionsmassnahmen und den Schutz von Kindern und Jugendlichen, nicht jedoch hinter den anvisierten Weg: Werbeverbote für legale Produkte hindern Innovation – zum Beispiel in weniger schädliche Produkte –, stehen der Wirtschaftsfreiheit entgegen und bilden ein gefährliches Präjudiz für andere Produkte, nur um einige Kritikpunkte zu nennen.

Annehmen sollte der Nationalrat hingegen die Änderungen im Verrechnungssteuergesetz. Es geht um die Verlängerung von Ausnahmebestimmungen, für sogenannte Too-big-to-fail-Instrumente. Ohne diese Weiterführung würden die Instrumente für ausländische Investoren unattraktiv und der Eigenkapitalaufbau für systemrelevante Banken würde erschwert. Diese Teilrevision darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die umfassende Verrechnungssteuerreform, wegen der internationalen Anforderungen im Nachgang des OECD-BEPS-Projekts und wegen der Diskussionen um die Besteuerung der digitalen Wirtschaft, inzwischen vordringlich geworden ist. Die seit Jahrzehnten bestehenden Hindernisse für die Unternehmensfinanzierung und die Entwicklung des Schweizer Kapitalmarkts müssen endlich beseitigt werden.

In der Frühjahrssession haben die Räte um das Corona-Hilfspaket gefeilscht. Schliesslich passierte das Geschäft die Schlussabstimmung jedoch klar. economiesuisse beurteilt die Anpassungen im Covid-19-Gesetz positiv. National- und Ständerat haben mit Augenmass entschieden und sich für Nothilfegelder ausgesprochen, die nicht mit der Giesskanne, sondern zielgerichtet eingesetzt werden sollen.

Ein risikobasiertes und zielgerichtetes Vorgehen wäre auch mit Blick auf Lockerungsmassnahmen durch den Bundesrat vertretbar gewesen: Das betrifft insbesondere seinen Entscheid gegen die Aufhebung der Homeoffice-Pflicht und gegen die Öffnung der Restaurant-Terrassen. Die ausführliche Beurteilung von economiesuisse zu den neusten Entscheiden des Bundesrats lesen Sie in der Medienmitteilung

Erfahren Sie hier mehr über den Lockerungsplan, den economiesuisse schon vor geraumer Zeit vorgeschlagen hat. 

Alle Informationen zu Corona finden Sie hier: Schwerpunkt Corona-Pandemie

Beide Räte

MARTKABSCHOTTUNG FÜHRT NICHT ZU TIEFEREN PREISEN: IM GEGENTEIL

Die Volksinitiative fordert die Gewährleistung der diskriminierungsfreien Beschaffung von Waren und Dienstleistungen im Ausland sowie die Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen, die durch das Verhalten von marktmächtigen Unternehmen verursacht werden. Marktbeherrschende und «relativ marktmächtige Unternehmen» könnten nach den Vorstellungen der Initianten unter anderem dazu verpflichtet werden, die von ihnen abhängigen Unternehmen zu spezifischen Bedingungen zu beliefern oder von ihnen Waren und Dienstleistungen abzunehmen. Darüber hinaus verlangt die Initiative auch ein grundsätzliches Verbot der regionalen Sperrung von Internetinhalten durch den Anbieter (privates Geoblocking).

Der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrats nimmt das von der Initiative vorgeschlagene Konzept der relativen Marktmacht auf. Dessen Anwendungsbereich wird jedoch auf Abschottungen des Schweizer Marktes begrenzt. Rein innerschweizerische Sachverhalte wären nicht von der Regelung des Bundesrats erfasst. Ein grundsätzliches Verbot des privaten Geoblockings lehnt der Bundesrat insbesondere aufgrund der grossen Durchsetzungsschwierigkeiten ab.

Der Entwurf des Bundesrats wurde in der Frühjahrssession 2020 vom Nationalrat derart umgestaltet, dass er die Anliegen der Initiative nun ohne Abstriche aufnimmt: Das Kartellrecht soll demgemäss nicht nur marktbeherrschende, sondern neu auch relativ marktmächtige Unternehmen erfassen. Dabei will der Nationalrat anders als der Bundesrat nicht nur die Nachfrager, sondern auch die Anbieter «schützen», wenn sie von marktmächtigen Nachfragern abhängen. Schliesslich sind auch Geschäftsbeziehungen innerhalb der Schweiz im Gegenvorschlag erfasst. Der Nationalrat befürwortet überdies ein grundsätzliches Verbot von Geoblocking.

Position economiesuisse

economiesuisse lehnt sowohl die Volksinitiative wie auch die indirekten Gegenvorschläge des Bundesrats und des Parlaments ab.

Marktabschottung führt nicht zu tieferen Preisen

Unterschiedliche Preise müssen nicht zwangsläufig das Resultat von «Abzockerei» sein, sondern können beispielsweise auf höhere Lohnkosten, Wechselkursrisiken, abweichende nationale Regulierungen oder auch einen erhöhten Ressourcenaufwand zurückgeführt werden. Die grössten Preisdifferenzen im Vergleich zum Ausland finden sich überdies im abgeschotteten Binnenmarkt, wie etwa im Gesundheits- oder Energiesektor. Eine konsequente Marktöffnung, die Durchsetzung des Cassis-de-Dijon-Prinzips, Zollsenkungen wie auch der Abbau von (technischen) Handelshemmnissen und Regulierungen wären wesentlich effizientere und direktere Möglichkeiten, um gegen die Hochpreisinsel Schweiz vorzugehen. Davon abgesehen sehen weder die Initiative noch der bundes- oder nationalrätliche indirekte Gegenvorschlag eine Pflicht oder Garantie vor, wonach die hiesigen Unternehmen die kartellrechtlich erstrittenen Vorteile an die Kundinnen und Kunden weitergeben müssen.

Relative Marktmacht als Fremdkörper im Kartellrecht

Ein Vergleich der Initiative mit dem indirekten Gegenvorschlag des Parlaments zeigt eine weitgehende Übereinstimmung der vorgeschlagenen Mechanismen. Beide verlangen unter anderem die beide Marktseiten umfassende Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht im Schweizer Kartellgesetz. Als relativ marktmächtig gilt ein Unternehmen, wenn einzelne andere Unternehmen von ihm in einer Weise abhängig sind, dass keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen, auf andere Transaktionspartner auszuweichen. Eine allgemeingültige Definition, was unter «ausreichend und zumutbar» verstanden werden soll, besteht dabei nicht. Das Konzept erlaubt Eingriffe in das bilaterale Verhältnis zweier Unternehmen, auch wenn keine Marktbeherrschung vorliegt bzw. der Wettbewerb auf einem Markt insgesamt funktioniert.

Fehlender Preiswettbewerb durch Reimport-Klausel

Sowohl die Initiative wie auch der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments befürworten eine Reimport-Klausel, welche es Schweizer Unternehmen erlaubt, die Beschaffung der von ihnen exportierten Waren im Ausland einzuschränken, sofern diese lediglich in die Schweiz reimportiert und ohne weitere Bearbeitung verkauft werden. Damit würde inländischen, relativ marktmächtigen Unternehmen die Abschottung des Schweizer Marktes faktisch weiterhin erlaubt bleiben. Marktbeherrschenden Unternehmen soll dies neu sogar erlaubt werden. Dies würde dazu führen, dass Schweizer Unternehmen sowie Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten in vielen Fällen gerade nicht von günstigeren Preisen für Schweizer Produkte profitieren.

Waren im Ausland und nicht im Inland zu bestellen kann vielfältige Gründe haben: Beispielsweise können Schweizer Unternehmen aufgrund von Vertragsbindungen mit ausländischen Handelspartnern zum Bezug verpflichtet sein. Hinzu kommt der starke Schweizer Franken, welcher inländische Unternehmen zum kostengünstigeren Import zwingt. So sind gerade kleinere Unternehmen auf tiefere Preise angewiesen, um im Wettbewerb mithalten zu können. Die Reimport-Klausel gewichtet die Interessen (relativ) marktmächtiger, exportorientierter Unternehmen in der Schweiz höher als die zu erreichenden Preiseffekte für Konsumenten.

Die Reimport-Klausel schafft ausserdem Konflikte mit einer Reihe internationaler Verpflichtungen: so zum Beispiel mit dem Freihandelsabkommen der Schweiz mit der EU (FHA) und der Verpflichtung der Nicht-Diskriminierung nach WTO-Recht. Schliesslich könnte eine faktische einseitige Privilegierung von Schweizer Unternehmen dem Prinzip der Inländerbehandlung (gemäss den entsprechenden WTO- und FHA-Bestimmungen) entgegenstehen und würde damit ein negatives Signal an die Nachbarländer und die EU senden. Entsprechend ist mit heftigen Reaktionen der Nachbarländer und der OECD auf diesen Bruch kartellrechtlicher Grundprinzipien zu rechnen.

Geoblocking: oft schiere Notwendigkeit anstatt Instrument der Abschottung

Ebenfalls eine Behinderung des freien Wettbewerbs stellt ein grundsätzliches Verbot von Geoblocking dar. Ein solches kann beispielsweise aus Gründen des Konsumentenschutzes (Unterschiede bezüglich Informationspflichten, Gewährleistung) oder aufgrund regulatorischer Aspekte (zum Beispiel Finanzmarktprodukte, Pharmazeutika) geboten sein. Der Bundesrat weist darüber hinaus zurecht darauf hin, dass ein Verbot ohne entsprechende staatsvertragliche Regelung mit grossen Durchsetzungsschwierigkeiten verbunden und demnach wirkungslos sei.

Stand der Beratungen

Nationalrat und Ständerat lehnen sowohl die Volksinitiative als auch den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrats ab. Hingegen setzen sich beide Räte für einen indirekten Gegenvorschlag ein, der die Anliegen der Initianten fast vollständig übernimmt. Differenzen bestehen noch hinsichtlich der Reimport-Klausel sowie des Geoblocking-Verbots. Die diesbezügliche Bereinigung erfolgt in der Frühjahrssession 2021 zunächst durch den Nationalrat.

Beurteilung der Beratungen

Das Parlament hat sich für einen weitgehenden indirekten Gegenvorschlag zur Fair-Preis-Initiative ausgesprochen und setzt das Volksbegehren damit faktisch ohne Volksabstimmung um. Die Initianten haben denn auch schon den Rückzug ihrer Initiative angekündigt.

Es bleibt aber mehr als fragwürdig, ob die neu geschaffenen Instrumente im Kartellrecht und im UWG die erhofften Preissenkungen bewirken werden. Zusammen mit dem Bundesrat hatte econonomiesuisse darauf hingewiesen, dass mit der Einführung des bislang in unserem Rechtssystem nicht bekannten Konzeptes der «relativen Marktmacht» sich nichts Wesentliches an der Preisinsel Schweiz ändern wird. Das Gleiche gilt auch für das neue Verbot von Geoblocking. Die bisher für marktbeherrschende Unternehmen geltenden Verbote wie missbräuchliche Lieferverweigerung und Preisdiskriminierung werden künftig auch für «relativ marktmächtige» Unternehmen gelten. Dies ist dann der Fall, wenn der Geschäftspartner eines Unternehmens als Anbieter oder als Kunde von ihm abhängig ist. Dies muss grundsätzlich im Einzelfall beurteilt werden. Die neuen Instrumente schaffen damit Rechtsunsicherheit für die hiesigen Unternehmen.

Zu begrüssen ist immerhin, dass das Parlament auf die Einführung einer problematischen Reimportklausel verzichtet hat. Schliesslich ist im Auge zu behalten, dass die wahren Gründe für die hohen Preise in unserem Land mit den neuen Instrumenten nicht angegangen werden. Der anstrengende, aber wichtige Kampf gegen nicht tarifäre Handelshemmnisse und preistreibende Regulierungen allgemein muss entsprechend unvermindert weitergehen.

AUTONOMIE DER ETH-INSTITUTIONEN MUSS GEWAHRT BLEIBEN

Die mit dieser Vorlage beantragten Neuregelungen im ETH-Gesetz vom 4. Oktober 1991 betreffen insbesondere die Umsetzung von Empfehlungen der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) zu den generellen Aufsichtskompetenzen des ETH-Rates und von zwei Corporate-Governance-Leitsätzen (Einschränkung des Stimmrechts und Ausstand für institutionelle Mitglieder des ETH-Rates). Weitere Anpassungen sehen diverse personalpolitische Änderungen (namentlich für eine Anstellung nach dem ordentlichen Altersrücktritt und für die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge) und die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für den Verkauf von zum Eigengebrauch erzeugter oder gekaufter überschüssiger Energie, für Disziplinarmassnahmen sowie für Sicherheitsdienste und Videoüberwachung vor.

Position economiesuisse

Um eine grösstmögliche Autonomie der ETH-Institutionen beizubehalten, empfiehlt economiesuisse, die Vorlage bei den noch verbleibenden Differenzen anzunehmen:

  • Der Ständerat hat in der Wintersession 2020 einen Vermittlungsvorschlag zum Beschwerderecht gemacht. Für die Wirtschaft ist dies ein guter Kompromiss. Es gilt, nun die Revision des ETH-Gesetzes abzuschliessen, so dass der ETH-Rat und die einzelnen Institutionen Rechtssicherheit haben. Die Wirtschaft empfiehlt folglich dem Kompromiss zuzustimmen (Minderheit bei Art. 37 Abs. 2bis). Das Beschwerderecht der ETH-Institutionen gegenüber dem ETH-Rat soll grundsätzlich beibehalten werden.
  • Der Bundesrat soll die Beschwerdekommission wählen (Art. 37a).

Keine Aufhebung des Beschwerderechts

Die vorgeschlagene Gesetzesrevision wollte ursprünglich an zwei Stellen das Zusammenspiel zwischen ETH-Rat und den einzelnen Institutionen des ETH-Bereichs wesentlich ändern: Erstens sollte der ETH-Rat eine Weisungskompetenz erhalten und hätte somit in unzulässiger Weise in die Autonomie der Institutionen eingreifen können. Zweitens sollte das Beschwerderecht der einzelnen Institutionen eingeschränkt werden. Damit wären diese den Weisungen des ETH-Rates ausgeliefert, selbst dann, wenn diese nicht dem ETH Gesetz entsprechen würden.

In der Differenzbereinigung hat der Ständerat einen Vermittlungsvorschlag gemacht, der in einigen Bereichen eine Beschwerdemöglichkeit vorsieht, in anderen, etwa im Personalbereich, hingegen nicht. Aus Sicht der Wirtschaft könnte es durchaus sinnvoll sein, dass sich der ETH-Rat und die Institutionen im Bereich Mittelzuteilung und Personal einigen und keinen langwierigen Beschwerdeprozess loslösen. In allen anderen Bereichen ist die Beibehaltung des Beschwerderechts bei wichtigen Entscheiden des ETH-Rates zwingend: Würde der ETH-Rat Entscheide fällen, die in die Autonomie der Institutionen in unzulässigem Masse eingreifen, könnte dagegen kein ordentliches Rechtsmittel ergriffen werden. Es bliebe nur die Möglichkeit, dass die Institutionen eine Aufsichtsbeschwerde gegen den ETH-Rat beim Bundesrat einreichten. Das würde zu einem politischen Kräftemessen führen, welches nicht im Interesse der ETH-Institutionen sein kann. Denn Meinungsverschiedenheiten politisch auszufechten, würde der Reputation des gesamten ETH-Bereichs grossen Schaden zufügen. Für die Wirtschaft ist der Vermittlungsvorschlag des Ständerats ein guter Kompromiss.

Wahl der Beschwerdekommission durch den Bundesrat sinnvoll

Bei der Wahl der Beschwerdekommission empfiehlt economiesuisse, dass künftig der Bundesrat die Mitglieder der Beschwerdekommission wählt und auch deren Geschäftsordnung erlässt, anstatt wie bisher der ETH-Rat. Aufgrund von Governance-Überlegungen kann dies durchaus sinnvoll sein. In diesem Punkt sollte sich der Nationalrat dem Ständerat anschliessen.

Stand der Beratungen

Die Vorlage befand sich in der Frühjahrssession 2021 in der zweiten Runde der Differenzbereinigung. Die Beratung war in beiden Kammern traktandiert – zuerst im Nationalrat.

Beurteilung der Beratungen

economiesuisse begrüsst den klaren Entscheid des Parlaments, das Beschwerderecht der ETH-Institutionen gegenüber dem ETH-Rat grundsätzlich beizubehalten. Einzig bei Personalentscheiden und Mittelzuweisungen soll nach dem Willen des Parlaments künftig keine Beschwerde mehr möglich sein. Der vorliegende Kompromiss ist für die Wirtschaft ein gangbarer Weg. Er garantiert die Autonomie der ETH-Institutionen und verschafft ihnen die nötige Rechtssicherheit. Eine grösstmögliche Unabhängigkeit der ETH-Institutionen ist für den Wirtschaftsstandort Schweiz zentral. Nur so können die hohe Reputation und Qualität der eidgenössisch-technischen Hochschulen beibehalten werden. Davon profitieren alle.

AUS- UND WEITERBILDUNG VON PFLEGEFACHPERSONEN SOLL EINE KANTONALE AUFGABE BLEIBEN

Bei dieser Vorlage (19.401) handelt es sich um einen indirekten Gegenvorschlag der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-NR) zur Volksinitiative «Für eine starke Pflege» (Pflegeinitiative, 18.079). Mithilfe des Gegenvorschlags soll dank einer durch den Bund mitfinanzierten Ausbildungsoffensive der Mangel an Pflegefachpersonen gemildert und der Pflegeberuf dank zusätzlicher Kompetenzen attraktiver gestaltet werden.

Position economiesuisse

economiesuisse lehnt sowohl die Volksinitiative wie auch den Gegenvorschlag ab. Die Wirtschaft unterstützt zwar grundsätzlich das im Gegenvorschlag und in der Initiative artikulierte Anliegen, genügend Pflegefachpersonal sicherzustellen und dieses kompetenzgerecht einsetzen zu können. Beide Vorlagen verfehlen jedoch die eigenen Ziele und untergraben unter anderem das bewährte Subsidiaritätsprinzip unserer Staatsordnung und damit die finanzielle Governance.

Aufgaben von Bund und Kantonen gehören entflochten und nicht weiterverflochten

Mit dem indirekten Gegenvorschlag würden die Aufgaben von Bund und Kantonen zusätzlich verflochten («gemeinsame Zuständigkeit»). Die Aufgabenteilung war jedoch ein zentraler Pfeiler der grossen Föderalismusreform zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen 2008 (NFA). Eine grössere Zahl von Aufgaben mit gemeinsamer Zuständigkeit von Bund und Kantonen («Verbundaufgaben») wurde damals erfolgreich entflochten und dabei entweder der Verantwortung von Bund oder von den Kantonen übertragen.

Zahlreiche Verbundaufgaben blieben jedoch bestehen. Diese Entwicklungen stehen im Widerspruch zu den zentralen Grundsätzen des Schweizer Föderalismus. «Subsidiarität», das heisst grösstmögliche Bürgernähe, und der «fiskalischen Äquivalenz», das heisst, «wer zahlt, befiehlt». Diese Grundsätze sind in der Bundesverfassung verankert und sollen auch so gelebt werden. Die Wirtschaft unterstützt deshalb seit Jahren eine Neuüberprüfung sowie die Fortsetzung der Aufgabenteilung. Sowohl die Volksinitiative wie auch der vorliegende indirekte Gegenvorschlag widersprechen diesen Bestrebungen diametral und sollten deshalb abgelehnt werden.

Stand der Beratungen

In der Frühjahrssession 2021 berät der Nationalrat den indirekten Gegenvorschlag in der zweiten Runde des Differenzbereinigungsverfahrens. Die SGK-NR empfiehlt ihrem Rat bei den noch offen Punkten, an dessen Beschlüssen festzuhalten.

Die Volksinitiative (18.079) wird von Bundesrat und Nationalrat abgelehnt. Der Ständerat hat sich dazu noch nicht geäussert.

Beurteilung der Beratungen

Das Parlament hat einen indirekten Gegenvorschlag zur sogenannten Pflegeinitiative beschlossen. economiesuisse bedauert diesen Entscheid. Es ist zwar begrüssenswert, dass die Leistungserbringer (Spitexorganisationen, Pflegeheime, Pflegefachpersonen) bestimmte Leistungen ohne ärztliche Anordnung erbringen können. Damit wird die Kompetenz von Pflegefachpersonen und die Attraktivität der Pflegeberufe erhöht. Andererseits drohen massive Mehrkosten, wenn mehr Leistungserbringer abrechnen können. Um dem entgegenzuwirken, sollen die Verbände der Leistungserbringer und Versicherer künftig gesamtschweizerische Verträge abschliessen, mit welchen die mengenmässige Entwicklung der Pflegeleistungen ohne ärztliche Anordnung überwacht werden kann. Besser wäre es, wenn Versicherer und Leistungserbringer direkt Leistungsverträge abschliessen könnten.

In der Summe führen Initiative und Gegenvorschlag zu massiven Mehrkosten – insbesondere für die Kantone, denen das Parlament Mehrkosten von 469 Millionen Franken für die Lebenshaltungskosten von angehendem Pflegefachpersonal aufgebürdet hat. Das Parlament hat eine zusätzliche Verbundaufgabe geschaffen, welche die Verantwortlichkeiten vermischt und unser föderales System schwächt.

Nationalrat

GELDWÄSCHEREI-ABWEHRDISPOSITIV DER SCHWEIZ STÄRKEN

Die Financial Action Task Force (FATF; franz. Groupe d’action financière, GAFI) hat Empfehlungen ausgearbeitet, die den internationalen Standard zur Bekämpfung der Geldwäscherei, der Terrorismus- und der Proliferationsfinanzierung bilden. Im Rahmen von gegenseitigen Länderprüfungen prüft sie regelmässig, ob die nationale Gesetzgebung ihrer Mitgliedstaaten ihren Empfehlungen entspricht. Ziel dieser Vorlage ist es, einige der wichtigsten Empfehlungen aus dem Länderbericht umzusetzen.

Die FATF anerkennt die insgesamt gute Qualität des schweizerischen Dispositivs zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung. In gewissen Bereichen hat sie jedoch auch Schwachstellen identifiziert und entsprechende Empfehlungen abgegeben. Der Schweiz wurden aufgrund der getroffenen Massnahmen gute Fortschritte bescheinigt, insbesondere unter Einbezug der vorliegenden Revision des Geldwäschereigesetzes.

Position economiesuisse

economiesuisse unterstützt eine Anpassung des Geldwäschereigesetzes (GwG) an die FATF-Standards. Mit den vorgeschlagenen Neuerungen wird das bereits gute Geldwäscherei-Abwehrdispositiv der Schweiz weiter gestärkt. Sie bedeuten einen weiteren wichtigen Schritt zur internationalen Abstimmung.

Präzisierung zum «begründeten Verdacht»

economiesuisse begrüsst, dass die Schweiz am bewährten System von «Meldepflicht und Melderecht» festhält. Im Hinblick auf eine erneute Prüfung durch die FATF sollten noch gewisse Punkte angepasst werden. Konkret muss präzisiert werden, was unter einem «begründeten Verdacht» verstanden wird und wann die sogenannte Meldepflicht ausgelöst wird. Mit der deutlicheren Abgrenzung zwischen Meldepflicht und Melderecht würde auch die von der Branche stark kritisierte «simple doute»-Bundesgerichtspraxis klarer. Gerade weil sowohl zu Unrecht erfolgte wie auch zu Unrecht nicht erfolgte Geldwäschereimeldungen für die meldenden respektive zuständigen Mitarbeitenden eines Finanzintermediärs gravierende Auswirkungen haben können (beispielsweise 500'000 Franken Busse oder Arbeitslosigkeit), ist eine Präzisierung, wann ein begründeter Verdacht vorliegt, unabdingbar, und zwar im Gesetz selbst (nicht nur in der Geldwäschereiverordnung, wie heute vorgesehen). Das Melderecht sollte ebenfalls im Gesetz geregelt und von der Meldepflicht abgegrenzt werden.

Internationale Entwicklungen berücksichtigen

Zugleich ist zentral, dass die Meldeschwelle nicht zu hoch angesetzt wird, damit die Schweiz im internationalen Kontext die richtigen Zeichen setzt und die Definition den Bemühungen, Geldwäschereimeldungen zu erfassen, nicht zuwiderläuft. Die vom Ständerat gewählte Formulierung birgt ein Risiko, dass die Schweiz in der nächsten Länderprüfung der FATF eine ungenügende Note erhält. Dies hatte der Ständerat in der Debatte im Herbst 2020 selbst erkannt und dem Nationalrat das «Finden einer besseren Formulierung» nahegelegt.

Stand der Beratungen

Die Vorlage wurde in der Frühjahrssession 2021 vom Nationalrat beraten.

Beurteilung der Beratungen

Das Parlament hat in dieser Session die letzten Differenzen zur Revision des Geldwäschereigesetzes (GwG) bereinigt. Insbesondere wurde nochmals über die Meldeschwelle bei Verdachtsfällen debattiert. In der Schlussabstimmung hat das Parlament die Vorlage angenommen. Mit der nun gefundenen Formulierung wird die geltende Rechtspraxis in Übereinstimmung mit internationalen Standards gesetzlich verankert. Die Revision stärkt das bereits gute Abwehrdispositiv der Schweiz gegen Geldwäscherei und damit den Wirtschaftsstandort Schweiz. Lesen Sie hier die ausführliche Beurteilung von economiesuisse.

FORSCHUNGS-VERBOTS-INITIATIVE GEFÄHRDET DEN FORSCHUNGSSTANDORT SCHWEIZ UND DIE GESUNDHEIT DER BEVÖLKERUNG

Die Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot – Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt» fordert ein vollumfängliches Verbot von Tierversuchen und von Forschung am Menschen. Die Durchführung von Tierversuchen soll als Tierquälerei eingestuft und daher bestraft werden. Zudem sollen die Einfuhr und der Handel für sämtliche Produkte (unter anderem medizinische Güter wie Impfstoffe), die unter Anwendung von Tierversuchen entwickelt wurden, verboten werden.

Position economiesuisse

economiesuisse lehnt die Volksinitiative aus nachstehenden Gründen dezidiert ab. Die Wirtschaft wehrt sich auch gegen einen Gegenvorschlag.

Schwächung des Forschungsstandorts Schweiz

Die Attraktivität und Stärke des Forschungsstandorts zählt zu den zentralen Erfolgsfaktoren der Schweiz. Drei Viertel der Forschungsausgaben werden hierzulande von Privaten getätigt. Hierbei spielt die chemisch-pharmazeutische Industrie eine besondere Rolle. Sie ist zudem ein wichtiger Eckpfeiler der Schweizer Wirtschaft und war in den letzten Jahren stets der Wachstums- und Exportmotor schlechthin. Die Initiative würde die Unternehmen dieser wichtigen Branche dazu zwingen, einen Teil ihrer Aktivitäten ins Ausland zu verlagern. Dies ginge konsequenterweise mit Arbeitsplatzverlusten einher. Die rigorosen Einschränkungen würden auch die Attraktivität der Schweizer Hochschulen deutlich senken, was bis hin zur Schliessung gewisser Forschungsinstitutionen führen könnte.

Nicht vereinbar mit internationalen Verpflichtungen

Gemäss Bundesrat ist das in der Initiative vorgesehene Einfuhr- und Handelsverbot nicht mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar. Eine derartige Einschränkung widerspräche sowohl der nationalen als auch der internationalen Handelspolitik. Die Schweiz würde so ihre Verpflichtungen gegenüber WTO, EU und anderen Handelspartnern verletzen. Handelsstreitigkeiten und Retorsionsmassnahmen könnten die Folge sein. Schweizer Beamte müssten zudem überprüfen können, unter welchen Bedingungen für den Import in die Schweiz bestimmte Produkte hergestellt wurden, was zu einem unverhältnismässigen Aufwand führen würde.

Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit Medikamenten gefährdet

Nicht zuletzt hätte die Initiative gravierende Auswirkungen auf das Gesundheitswesen in der Schweiz. Da Produkte, die unter Anwendung von Tierversuchen und klinischen Studien entwickelt worden sind, weder hergestellt noch importiert werden dürften, wäre die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten, Impfstoffen und anderen Medizinprodukten nicht sichergestellt. Insbesondere hätte die Schweizer Bevölkerung keinen Zugang zu den neuesten Medikamenten und Behandlungsmethoden, falls bei deren Entwicklung Tierversuche durchgeführt worden sind.

Gegenvorschlag ist kein gangbarer Weg

Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es für viele Tierversuche noch keine Alternative. Insofern ist es der falsche Zeitpunkt, einen von der Minderheit der WBK-NR geforderten Ausstiegsplan festzulegen und so die Zukunft der Forschung in der Schweiz in lebenswichtigen Bereichen zu gefährden. Zusätzliche Kriterien und Verbote bei Tierversuchen, wie sie die Minderheiten vorsehen, würden zudem die weiteren Forschungsarbeiten, zum Beispiel aktuell im Zusammenhang mit einer Pandemiebekämpfung, erheblich erschweren. Der Nationalrat hat sich erst kürzlich sehr deutlich gegen solche zusätzlichen Verbote ausgesprochen (Ablehnung der Pa. Iv. 18.491). Es gibt insbesondere in der aktuellen Situation keinen Grund, diesen klaren Entscheid des Nationalrats zu ändern.

Stand der Beratungen

Die Vorlage wurde in der Frühjahrssession 2021 vom Nationalrat als Erstrat behandelt. Die vorberatende Kommission (WBK-NR) hat die Initiative einstimmig verworfen. Eine Minderheit wollte der Vorlage einen direkten bzw. einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberstellen.

Der Bundesrat empfiehlt die Volksinitiative Volk und Ständen zur Ablehnung.

Beurteilung der Beratungen

Die Schweizer Wohnbevölkerung soll weiterhin Zugang zu den modernsten Medikamenten, Impfstoffen und Behandlungsmethoden haben. Nach dem Bundesrat empfiehlt auch der Nationalrat der Stimmbevölkerung die radikale Volksinitiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung. economiesuisse ist erfreut über das klare Votum der Grossen Kammer; die Volksinitiative wird von allen Fraktionen abgelehnt. Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie ist dies auch nicht weiter erstaunlich, käme doch eine Annahme der Initiative einem faktischen Forschungsverbot gleich – mit negativen Folgen für den Forschungsstandort Schweiz und die Gesundheitsversorgung der Schweizer Wohnbevölkerung.

RADIKALES WERBEVERBOT FÜR TABAKPRODUKTE STEHT IM WIDERSPRUCH ZU VERFASSUNGSMÄSSIGEN RECHTEN

Die Volksinitiative fordert ein Verbot jeder Art von Werbung und Sponsoring für Tabakprodukte, die Kinder und Jugendliche erreicht. Gemäss Initianten ist der Initiativtext breit auszulegen. So soll das Werbeverbot auch für Alternativprodukte wie zum Beispiel elektronische Zigaretten gelten. Einzig Werbung, die sich ausschliesslich an Erwachsene richtet und keine Minderjährigen erreicht, wäre weiterhin zulässig.

Position economiesuisse

economiesuisse lehnt die Initiative ab. Bei einer Annahme könnten in der Schweiz legal erhältliche Produkte nicht mehr beworben werden. Selbst im Kiosk wäre Werbung de facto verboten. Dies stellt einen massiven Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) dar. Die geforderten Einschränkungen, welche ein komplettes Werbeverbot für Tabak- und Alternativprodukte bedeuten, sind überschiessend, unverhältnismässig und klar abzulehnen. Solche totalen, undifferenzierten Werbeverbote sind radikale Interventionen und Einschränkungen von etablierten Verfassungsrechten, die sich nicht rechtfertigen lassen. Der berechtigte und wichtige Jugendschutz darf nicht als Vorwand benutzt werden, um umfassende Kommunikations- und Werbeverbote einzuführen. Zudem wirkt ein Werbeverbot in der Wirtschaft wie ein Innovationsverbot. Schliesslich würde ein faktisches Werbeverbot auch ein gefährliches Präjudiz für andere Produkte darstellen, wie beispielsweise Alkohol oder fett- und zuckerhaltige Nahrungsmittel.

Darüber hinaus besteht ein enger Konnex zu den aktuellen Beratungen zum Tabakproduktegesetz. Der Nationalrat hat sich im Dezember 2020 bei den Werbebeschränkungen für einen harten, verglichen zur Fassung des Ständerats vom September 2019 aber ausgeglicheneren Weg entschieden. economiesuisse sieht darin einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Die Fassung des Ständerats und die vorliegende Initiative zielen beide auf ein totales und undifferenziertes Werbeverbot ab und gehen deshalb klar zu weit.

Stand der Beratungen

In der Frühjahrssession 2021 beriet der Nationalrat die Vorlage als Erstrat. Dessen vorberatende Kommission (SGK-NR) empfahl– wie schon der Bundesrat – die Vorlage Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen.

Beurteilung der Beratungen

Der Nationalrat ist dem Bundesrat gefolgt und empfiehlt der Stimmbevölkerung die Volksinitiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung. Ein derart radikales und undifferenziertes Werbeverbot ging der Grossen Kammer zu weit. economiesuisse schliesst sich dieser Empfehlung an. Eine Annahme der Volksinitiative würde einen schwerwiegenden Eingriff in die verfassungsmässig garantierte Wirtschaftsfreiheit darstellen und – wie treffenderweise von mehreren Nationalräten und Nationalrätinnen erwähnt – ein gefährliches Präjudiz für andere Produkte wie fett- und zuckerhaltige Lebensmittel, Alkohol oder Fleisch schaffen. Für potenziell weniger schädliche Alternativprodukte wie Tabakprodukte zum Erhitzen und E-Zigaretten käme ein totales Werbeverbot zudem einem Innovationsverbot gleich. Dies wiederum würde eine wirksame Risikominderungspolitik verunmöglichen. Kinder und Jugendliche vor Werbung für Tabakprodukte und E-Zigaretten zu schützen ist richtig und wichtig. Dies soll mittels zielgerichteten und verhältnismässigen Massnahmen im aktuell diskutierten Tabakproduktegesetz sichergestellt werden. Der vom Nationalrat in der vergangenen Wintersession eingeschlagene Weg stellt diesbezüglich einen ersten Schritt in die richtige Richtung dar.

MIT WICHTIGEN ÜBERGANGSBESTIMMUNGEN DIE FINANZSTABILITÄT ERHALTEN

Too-big-to-fail-Instrumente (TBTF) wie beispielsweise Bail-in-Bonds sind für Banken ein wichtiges Instrument, um die aufsichtsrechtlichen Eigenmittelvorgaben zu erfüllen. Die geltenden Ausnahmen bei der Verrechnungssteuer (VSt) für Zinsen aus TBTF-Instrumenten laufen Ende 2021 aus. Der Bundesrat beantragt im Interesse der Finanzstabilität, die Geltungsdauer der Ausnahmebestimmungen um fünf Jahre, also bis Ende 2026, zu verlängern. Da die Ausnahmen bereits im geltenden Recht bestehen, ergeben sich dadurch keine zusätzlichen Auswirkungen.

Position economiesuisse

economiesuisse unterstützt eine Verlängerung der bestehenden Ausnahmebestimmung für die Zinsen von TBTF-Instrumenten bei der VSt und empfiehlt daher die Annahme der Vorlage. Ohne diese Weiterführung würden betroffene TBTF-Instrumente für ausländische Investoren unattraktiv, der Eigenkapitalaufbau für systemrelevante Banken würde erschwert und folglich die Krisenresistenz des Finanzplatzes Schweiz verringert.

Grundlegender Reformbedarf bei der Verrechnungssteuer

Internationale Investoren können die VSt auf schweizerischen Anleihen in der Praxis regelmässig nicht oder nur sehr schwer zurückfordern. Selbst wenn sie aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens dazu berechtigt sind, ist der administrative Aufwand bzw. die zeitliche Verzögerung zu gross. Die Notwendigkeit dieser Vorlage belegt die unzeitgemässen verrechnungssteuerlichen Rahmenbedingungen für den Schweizer Finanz- wie auch den Werkplatz und damit den grundlegenden Reformbedarf bei der VSt. Wenn die Wirtschaft auch die erneute Verlängerung der Ausnahmebestimmung unterstützt, muss es dennoch das Ziel sein, das Problem der VSt auf Anleihen grundsätzlich zu beheben und gleiche Rahmenbedingungen für alle Finanzmarktteilnehmer zu gewährleisten.

Internationale Entwicklungen machen Verrechnungssteuerreform vordringlich

Bereits die ursprüngliche Ausnahmeregelung, die per 2013 in Kraft trat, wurde in Erwartung einer grundlegenden VSt-Reform auf vier Jahre befristet. Da die Revision in diesem Zeitrahmen nicht geglückt ist, musste die Ausnahme per 2017 für weitere fünf Jahre verlängert werden. Nun lässt die VSt-Reform 2021 weiterhin auf sich warten. Vorgesehen ist deshalb eine erneute, fünfjährige Verlängerung der Ausnahmebestimmung. Die Wirtschaft ist auf eine Reform deutlich vor Ablauf der erneuten Ausnahmefrist angewiesen. Die verschärften internationalen Anforderungen im Nachgang des OECD-BEPS-Projekts (Base erosion and profit shifting) und die laufenden OECD-/G-20-Steuerdiskussionen in Sachen Digitalisierung machen die Umsetzung der längst fälligen Verrechnungssteuerreform jetzt vordringlich.

Hindernisse für die Unternehmensfinanzierung beseitigen

Die Botschaft des Bundesrats für die Reform der VSt ist für das 2. Quartal 2021 versprochen und die entsprechenden Eckwerte sind bereits festgelegt. Die Wirtschaft unterstützt den Bundesrat in diesen Eckwerten und wird dem Parlament die Umsetzung im Gesetz empfehlen. Die Reform darf nicht erneut scheitern, insbesondere nicht zu einem Zeitpunkt, in dem die Schweizer Wirtschaft mehr denn je auf gute Rahmenbedingungen und ein förderliches Umfeld angewiesen ist. Seit Jahrzehnten bestehende Hindernisse für die Unternehmensfinanzierung und die Entwicklung des schweizerischen Kapitalmarktes sind endlich zu beseitigen.

Stand der Beratungen

Der Nationalrat behandelte die Vorlage in der Frühjahrssession 2021 als Erstrat. Die WAK-NR empfahl ihrem Rat mit 22 zu 0 Stimmen bei 3 Enthaltungen, der Vorlage des Bundesrats zuzustimmen.

Beurteilung der Beratungen

Der Nationalrat hat sich ohne Gegenstimmen dafür ausgesprochen, Zinsen auf TBTF-Instrumente für weitere fünf Jahre (bis 2026) von der Verrechnungssteuer auszunehmen. economiesuisse begrüsst diesen klaren Entscheid, trägt er doch zur Stabilität des Finanzplatzes Schweiz bei. Die umfassende Reform der Verrechnungssteuer bleibt dennoch vordringlich und sollte möglichst rasch in Angriff genommen werden.

Ständerat

AHV21: UNAUSGEWOGENE SCHEINLÖSUNG KORRIGIEREN

Die AHV muss dringend reformiert werden. Seit 2014 sind die Einnahmen und Ausgaben nicht mehr ausgewogen. Die Situation wird sich mit der Pensionierung der geburtenstarken Jahrgänge ab dem Jahr 2020 weiter verschärfen. In den beiden letzten Jahrzehnten sind alle Versuche einer Anpassung der Altersvorsorge gescheitert, da sie als unausgewogen oder zu komplex galten. Die Reform AHV21 soll sich deshalb auf die wesentlichen Elemente zum Erhalt des Leistungsniveaus und der Sicherung der Finanzierung beschränken.

Position economiesuisse

Die vorberatende Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats (SGK-SR) hat die Diskussion zur Reform AHV21 abgeschlossen. Leider hat es die Kommission verpasst, den bereits unausgewogenen Entwurf des Bundesrats ins Gleichgewicht zu bringen. Im Gegenteil, mit der Erhöhung des Ehepaarplafonds und der Erhöhung der Zusatzfinanzierung wurde eine unausgewogene Scheinlösung beschlossen. Angesichts der enormen finanziellen Herausforderungen kommt für economiesuisse nur eine Reform infrage, die die AHV auch strukturell entlastet, und zwar im Umfang der Zusatzfinanzierung.

Mehr finden Sie auch hier: AHV21 unausgewogene Scheinlösung.

Stand der Beratungen

Der Ständerat beriet die Reform in der Frühjahrsession 2021 als Erstrat.

Beurteilung der Beratungen

Der Ständerat hat in der Frühjahrssession die Weichen für eine ausgewogene und tragfähige AHV-Reform gestellt. Die nun vorliegende Fassung sichert immerhin das Leistungsniveau der 1. Säule für die nähere Zukunft. Angesichts der demografischen Entwicklung drängt sich dennoch eine nachhaltige Lösung zur Stabilisierung der AHV auf; die Finanzierungslücke wird nicht kleiner werden. economiesuisse unterstützt deshalb den Auftrag des Ständerats an den Bundesrat, bis Ende 2026 eine weitere Reformvorlage auszuarbeiten. Lesen Sie hier die ausführliche Beurteilung von economiesuisse. 

WAS CORONA BEI KMU NICHT AN SCHADEN ANRICHTET, RICHTET DIE 99%-INITIATIVE AN

Die Volksinitiative «Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern» (inoffiziell «99%-Initiative») will Kapitaleinkommen (Zinsen, Dividenden usw.) über einem noch zu bestimmenden Schwellenbetrag im Umfang von 150 Prozent versteuern. Also um 50 Prozent höher als andere Einkommensarten. Der so generierte Mehrertrag soll für Umverteilungsmassnahmen eingesetzt werden.

Der Initiativtext lässt in Bezug auf die Umsetzung viele Fragen offen: Was genau fällt unter den Begriff Kapitaleinkommen, ab welchem Betrag kommt die höhere Besteuerung zum Tragen und wie werden die Mehrerträge umverteilt?

Position economiesuisse

economiesuisse lehnt die Volksinitiative dezidiert ab.

Angriff auf die Substanz krisenbetroffener KMU und Start-ups

Eine massiv erhöhte Besteuerung von Kapitaleinkommen, wie sie die Volksinitiative verlangt, würde bei bereits von Corona-Massnahmen stark in Mitleidenschaft genommenen KMU (z. B. in der Gastro- oder der exportorientierten Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie) zu einem erheblichen Mittelabfluss führen. So müssten sich die Unternehmer deutlich mehr Mittel ausschütten, um nach Abzug der neu deutlich höheren Dividendensteuer die Vermögenssteuer überhaupt begleichen zu können.

Bei der Generationenübergabe wären diese oft als Familiengesellschaften geführten Firmen (immerhin vier Fünftel aller Schweizer Unternehmen) von der Initiative existenziell bedroht. So muss zur Alterssicherung der Vorgängergeneration und Abgeltung der Geschwister bei Nachfolgelösungen in der Regel ein Kapitalgewinn realisiert werden. Selbst in kleineren Verhältnissen wird dabei ein Schwellenwert von 100'000 Franken überschritten. Die neue 150-Prozent-Überbesteuerung würde einen happigen Teil des Erlöses wegbesteuern. Soll die Altersvorsorge der Vorgänger nicht gefährdet werden, müssen die Nachfolger diesen Steuerbetrag berappen. Das entzieht dem Unternehmen wichtige Substanz für Zukunftsinvestitionen und trifft die Familienunternehmen in einer ohnehin kritischen Phase massiv.

Auch Start-ups wären von der Initiative betroffen. Jungfirmen verfügen in aller Regel nicht über die Mittel, hohe Löhne auszuzahlen. Ihre Attraktivität für den Gründerkreis sowie angestellte Spezialisten beruht stattdessen auf Mitarbeiterbeteiligungen, die sich bei Gedeihen des Unternehmens zu einem späteren Zeitpunkt auszahlen. Würden private Kapitalgewinne in der Schweiz der Besteuerung unterworfen (zumal einer exzessiven Besteuerung von 150 Prozent), würde den Start-ups die betriebswirtschaftliche Basis entzogen und die Schweiz als Start-up-Standort uninteressant.

Es stellte sich somit die Frage, warum die Steuerzahlenden in der aktuellen Lage Milliarden für die Stützung und den Erhalt von Betrieben ausgeben, wenn gleichzeitig durch Vorlagen wie die 99%-Initiative die Zukunft derselben Firmen gefährdet wird. Ja, die Initiative bringt gar jene widerstandsfähigen und volkswirtschaftlich wichtigen Unternehmen in Gefahr, die heute mit wenig und oder keiner staatlichen Hilfe durch die Krise kommen. Bei Annahme der Initiative würden Firmen kapitalmässig «entleert», was ihre Widerstandsfähigkeit in künftigen Krisen erheblich verringert.

Irreführendes «1 Prozent»-Argument

Die Initianten behaupten, dass nur rund ein Prozent der Steuerpflichtigen – nämlich jene mit einem Vermögen von über drei Millionen Franken – von der Initiative betroffen sind. Diese Aussage ist irreführend. Erstens soll in der Auslegung der Initianten die Dividendenbesteuerung ausdrücklich auch unterhalb dieses Schwellenwertes erhöht werden. Zweitens würde der Schwellenwert von «z. B. 100'000 Franken» bei einer Nachfolgeregelung leicht überschritten, weil die über viele Jahre aufgebaute Firmensubstanz in der Regel ein Mehrfaches des ursprünglichen Werts beträgt. Diese Wertsteigerung wäre zu 150 Prozent zu versteuern, mit drastischen Folgen für das Unternehmen und seine Arbeitsplätze.

Bereits überdurchschnittlich hohe Vermögensbesteuerung

Die Besteuerung von Vermögen ist in der Schweiz im Vergleich der OECD-Staaten überdurchschnittlich hoch. Kantonale Vermögenssteuern generieren stabil hohe Erträge von über 7 Milliarden Franken. Anders als eine von der Konjunktur und der Entwicklung der Kapitalmärkte abhängige Kapitalgewinnsteuer erbringt die Vermögenssteuer regelmässige Erträge, weil sie am stabilen Vermögensbestand ansetzt. Die kantonalen Finanzdirektoren lehnen die Initiative denn auch insbesondere deshalb ab, weil die Vermögenssteuer, die schon heute indirekt dieselben Kapitaleinkommen belastet, damit unter Druck geraten könnte.

Extreme Unbestimmtheit verunmöglicht freie Willensbildung

Die Juso-Initiative ist in absolut entscheidenden Fragen unklar. Dies betrifft die Definition von Kapitaleinkommen (was auch Veräusserungsgewinne auf Firmenbeteiligungen und Immobilien umfassen kann), die Höhe des Schwellenbetrags, die behaupteten Steuerfolgen unterhalb dieses Schwellenbetrags, die Höhe des finanziellen Mehrertrags, die steuerliche Entlastung der Arbeitseinkommen und die Art der Rückverteilung über Sozialtransfers.

Stand der Beratungen

Der Ständerat behandelte die Volksinitiative in der Frühjahrssession 2021 als Zweitrat. Seine vorberatende Kommission empfahl die Vorlage zur Ablehnung, genauso wie Nationalrat und Bundesrat.

Beurteilung der Beratungen

Der Ständerat empfiehlt den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern die 99%-Initiative der Jungsozialisten deutlich und ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung. Er folgt darin der Grossen Kammer und der Landesregierung. economiesuisse begrüsst dieses klare Votum; eine Annahme der Initiative würde unter anderem die Kapitaldecke von ohnehin durch die Corona-Pandemie geschwächten Familienbetrieben, KMU und Start-ups massiv schmälern. Zudem existiert in der Schweiz bereits ein bunter Strauss an Umverteilungsmassnahmen (AHV, Krankenkassenprämienverbilligung usw.). Die Initiative ist nicht nur unnötig, sondern auch brandgefährlich für den Wirtschaftsstandort Schweiz.