# 5 / 2023
26.06.2023

Demografische Entwicklung: Die Pensionierungswelle reisst grosse Lücken auf

Wie wir diese immensen Herausforderungen meistern

Die vorangehenden Ausführungen zeigen: Die demografische Entwicklung bedroht den Schweizer Wohlstand. Weil die Erwerbsbevölkerung nur leicht zunimmt, wird sich der Arbeitskräftemangel in den nächsten Jahren verschärfen. Dies bremst die wirtschaftliche Entwicklung. Und weil die nicht erwerbsfähige Bevölkerung getrieben durch die Pensionierungen stärker zunimmt, wird die Abgabenlast auf den Erwerbseinkommen zunehmen oder die heutigen Rentenansprüche werden sinken müssen. Oder beides zugleich. Zudem werden Spitäler und Pflegeheime durch die grössere Zahl von Alten stärker belastet, was den Arbeitskräftemangel zusätzlich verschärft. Um diese Herausforderungen anzugehen, hat die Schweizer Politik verschiedene Hebel zur Verfügung.

Potenzial im Inland besser ausschöpfen

Bei einer Erhöhung des Rentenalters würde die Erwerbsbevölkerung zunehmen, und gleichzeitig würde die Ausgabenlast der AHV reduziert. Deshalb ist dies der wirkungsvollste Lösungsansatz, auch wenn er politisch umstritten ist. Doch schon der Abbau von Fehlanreizen, die das Arbeiten über das Rentenalter hinaus unattraktiv machen, würde das Problem verringern. Ebenfalls eine positive Wirkung hätte es, wenn das inländische Arbeitskräftepotenzial besser ausgenutzt werden könnte. Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) hat hierzu verschiedene Vorschläge gemacht, etwa zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zur besseren Integration von aufgenommenen Flüchtlingen. Diese Vorschläge sind richtig. Um die Arbeitsstunden zu erhöhen, müssen negative Arbeitsanreize beseitigt werden. Durch die Steuerprogression beispielsweise kann es sein, dass eine höhere Beschäftigung der Eltern mit gleichzeitiger externer Kinderbetreuung das Netto-Familieneinkommen sogar reduziert. Die Rahmenbedingungen sollten so ausgestaltet sein, dass es sich lohnt, wenn die Erwerbstätigen mehr Arbeitsstunden leisten.

Stellenwachstum beim Staat bremsen

Darüber hinaus ist es auch relevant, wo diese Arbeitsstunden geleistet werden. In den letzten Jahren hat vor allem der Staat im grossen Stil Personal eingestellt. Er benötigt Arbeitskräfte, um seine Aufgaben wahrzunehmen. Dass die Beschäftigungsentwicklung hier stärker ausfällt als in der Privatwirtschaft, ist aber ein Problem, denn die staatliche Expansion der letzten Jahre verschärft den Arbeitskräftemangel zusätzlich. Es ist höchste Zeit, dieses Stellenwachstum zu bremsen. Die Politik ist gefordert, dem Staat nicht immer mehr Aufgaben zuzuteilen und die Verwaltung nicht mit Vorstössen einzudecken. Zudem ist auch beim Staat eine Verzichtsplanung unumgänglich.

Personenfreizügigkeit beibehalten

Hingegen ist die Personenfreizügigkeit mit den EU-/EFTA-Staaten zwingend beizubehalten. Diese ist Teil der Lösung. Die Nettozuwanderung hilft, die negativen Effekte der demografischen Entwicklung abzufedern. Dass die Schweiz ein attraktives Land ist für ausländische Arbeitskräfte, ist ein Trumpf, den man unbedingt beibehalten muss.

Produktivität weiter verbessern

Schliesslich geht ein entscheidender Faktor in der politischen Debatte vergessen: Die Produktivitätsentwicklung ist kein Naturgesetz, sondern das Resultat von florierenden Unternehmen, die mit innovativen Ideen und Qualität im Markt erfolgreich sind. Je grösser die Produktivitätsentwicklung ist, desto weniger einschneidend wird die demografische Entwicklung für den Wohlstand der Schweiz. Je stärker die Produktivität zulegt, desto stärker steigen die Löhne, die Lohnabzüge und die Steuerzahlungen. Dies alles dämpft die negativen Auswirklungen der demografischen Entwicklung.

Doch wo kann die Produktivität weiter zunehmen? Treiber sind die Unternehmen, welche skalierbare Produkte und Dienstleistungen herstellen und diese auf dem Weltmarkt verkaufen. Die Produktivität einer Masseurin oder eines Pflegefachmanns kann nicht beliebig gesteigert werden. Demgegenüber basiert der heutige Erfolg des Silicon Valleys darauf, dass die Techunternehmen ihre Ideen in kurzer Zeit weltweit ausrollen: Die Dienstleistung ist skalierbar, sie kostet immer weniger, je mehr davon hergestellt wird. Diese Eigenschaften hat auch die erfolgreiche Schweizer Wirtschaft. Sie muss auf den internationalen Märkten kompetitiv sein. Wenn Maschinen, Medizintechnikprodukte, Finanzdienstleistungen, Uhren, Medikamente, Fahrzeuge und so weiter in der Schweiz produziert werden, dann werden viele davon ins Ausland verkauft. Der Produktionsstandort Schweiz produziert also viel mehr als für die eigene Bevölkerung. Dadurch entstehen Skalenvorteile, was sich in einer steigenden Produktivität niederschlägt.

Wir müssen daher alles daransetzen, dass die guten Rahmenbedingungen für wertschöpfungsintensive Unternehmen erhalten und gezielt verbessert werden. Nur wenn es gelingt, weltweit an der vordersten Innovationsfront dabei zu sein, kann die Produktivität im Hochlohnland Schweiz weiterhin zunehmen und der Schmerz der demografischen Entwicklung erträglich gemacht werden.