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Wächst die Schweiz vor allem in die Breite?

10.03.2023

Auf einen Blick

Demnächst zählt die Schweiz 9 Millionen Einwohner. Doch wächst mit der Bevölkerung auch der Wohlstand, oder verteilt sich der Kuchen einfach auf immer mehr Köpfe? Dieses Dossierpolitik zeigt auf, wie sich Produktivität und Wohlstand in der Schweiz in den letzten zwei Jahrzehnten entwickelt haben.

Das Wichtigste in Kürze

Eine innovative und wettbewerbsfähige Volkswirtschaft wie die Schweiz zieht Arbeitskräfte an. Die Zuwanderung in die Schweiz ist auch deshalb so hoch, weil die Schweizer Wirtschaft erfolgreich ist. Dabei hält sich hartnäckig die Behauptung, dass die Schweiz vor allem in die Breite wachse: Der «Kuchen» unserer Volkswirtschaft sei in den letzten Jahren zwar grösser geworden, aber das Kuchenstück pro Person werde aufgrund des Bevölkerungswachstums nicht grösser. Diese Beurteilung hält einer näheren Betrachtung allerdings nicht Stand.

Position economiesuisse

  • Die Diskussion über die Zuwanderung muss versachlicht und auf Basis korrekter Daten geführt werden.
  • Das Wohlstandsniveau der Schweiz ist sehr hoch, weil die Schweizer Wirtschaft international erfolgreich ist.
  • Die Schweizer Wirtschaftsleistung pro Kopf ist in etwa doppelt so gross wie diejenige Deutschlands oder fast 50 Prozent grösser als diejenige der USA.
  • Pro Kopf der Bevölkerung wächst die Schweizer Wirtschaft dank einer guten Entwicklung der Arbeitsproduktivität. Der Wohlstand für jede Einzelne und jeden Einzelnen nimmt zu. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf in der Schweiz ist seit der Jahrtausendwende um 19 Prozent gestiegen.
  • In absoluten Zahlen ist das Wachstum der Schweiz noch beeindruckender: Die Wirtschaftsleistung pro Kopf in Dollar hat stärker zugenommen als beispielsweise in Deutschland, obwohl die Deutschen ein prozentual etwas höheres Wachstum beim BIP pro Kopf aufweisen.
  • Das BIP pro Kopf wächst bei gleichzeitiger Reduktion der durchschnittlichen Arbeitszeit.
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Ausgangslage

Die Schweiz ist seit Jahrzehnten ein Zuwanderungsland. Aktuell wächst die ständige Wohnbevölkerung trotz tiefer Geburtenrate besonders stark. Schon bald wird die Schwelle von neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern erreicht werden. Da viele Einwanderer arbeiten, führt das Bevölkerungswachstum der Schweiz auch dazu, dass die Leistung der Volkswirtschaft ansteigt. Seit Jahren wird jedoch der Vorwurf erhoben, dass die Schweiz vor allem in die Breite wachse.

Jüngst hat die «NZZ» einen viel beachteten Beitrag veröffentlicht, der diese These . Die Argumentation ist vereinfacht die Folgende: Der «Kuchen» unserer Volkswirtschaft (gemeint ist das BIP) sei in den letzten Jahren zwar insgesamt grösser geworden. Weil aber die Bevölkerungszahl aufgrund der Zuwanderung ebenfalls stark gestiegen sei, werde das Kuchenstück für die einzelne Person nicht grösser: Das BIP pro Kopf nehme kaum noch zu. Diese Beurteilung unseres Wirtschaftswachstums ist allerdings falsch.

Aus dem EU-/Efta-Raum kommen vor allem Arbeitskräfte

Die Nettoeinwanderung in die ständige ausländische Wohnbevölkerung in der Schweiz betrug 2022 fast 90’000 Personen, brutto waren es über 160’000. Auffällig ist, dass sich aus den EU-/Efta-Staaten vor allem erwerbstätige Personen in der Schweiz niederlassen. Klammert man die Personen in Aus- und Weiterbildung, Personen ohne Erwerbstätigkeit und Flüchtlinge aus, ergibt sich folgendes Bild: Bei über 79’000 zugewanderten Erwerbstätigen betrug der Familiennachzug 2022 nicht ganz 22'000 Personen. Auf vier erwerbstätige Einwanderinnen und Einwanderer aus dem EU-/Efta-Raum kommt also eine Person zusätzlich als Familiennachzug. Bei den Drittstaaten verhält es sich genau umgekehrt: Rund 80 Prozent der Zuwanderung betrifft den Familiennachzug und rund 20 Prozent den Zugang in den Arbeitsmarkt, wobei der Familiennachzug wohl auch bei Flüchtlingen eine Rolle spielen dürfte. Nicht zu vergessen sind aber auch Schweizerinnen und Schweizer, die jemanden aus einem Drittstaat ehelichen und in die Schweiz holen.

Tabelle 1: Einwanderung 2022

Spannend ist auch die Beobachtung, dass aus der EU/Efta über 4000 Personen eingewandert sind, die nicht arbeiten oder studieren und dennoch eine Aufenthaltsbewilligung erhalten haben. Darunter werden einige vermögende und wohl auch sehr vermögende Personen sein.

Die Nettozuwanderung 2022 fällt – auch ohne Ukraine-Flüchtlinge – deutlich höher aus als im Jahr 2021, als 55'453 mehr Ausländer zusätzlich in die Schweiz eingewandert sind, als unser Land verlassen haben.

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Rückblick auf die letzten Dekaden der Wirtschaftsentwicklung der Schweiz

Mit wenigen Rückschlägen ist die Schweizer Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten stetig gewachsen. Das eindeutig schwächste Jahrzehnt waren dabei die 1990er-Jahre, wie in Abbildung 1 leicht ersichtlich ist. Die schwache Entwicklung hatte sowohl strukturelle als auch konjunkturelle Gründe. Gegen Ende des stürmischen Wachstums der 1980er-Jahre stieg die Inflationsrate stark an. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) reagierte, indem sie die Zinsen erhöhte und die Geldmenge für heutige Verhältnisse drastisch reduzierte. In der Folge platzte zu Beginn der 1990er-Jahre die Immobilienblase. Das brachte etliche Banken in Schieflage, weil sie Abschreibungen auf ihrem Immobilienportfolio tätigen mussten. Insgesamt schrieben die Banken bis 1996 etwa 60 Milliarden Franken ab. Dann gesellte sich ein weiterer belastender Faktor hinzu: Am 6. Dezember 1992 lehnte das Schweizer Stimmvolk den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab. Die erhoffte Belebung des relativ abgeschotteten Binnenmarkts blieb aus. In der Folge konnten zwar gewisse wirtschaftspolitische Reformen etwa im Wettbewerbs- oder Binnenmarktrecht umgesetzt werden. Allerdings blieben diese Reformen im Vergleich zum EWR-Beitritt Stückwerk. Das Abseitsstehen vom europäischen Binnenmarkt schaffte wirtschaftspolitische Unsicherheit und machte den Wirtschaftsstandort Schweiz weniger attraktiv für in- und ausländische Unternehmen. Die Netto-Direktinvestitionen sanken stark ins Negative. Das Wachstum wurde zudem durch eine restriktive Fiskalpolitik belastet, die erforderlich war, um das hohe Defizit der öffentlichen Hand zu reduzieren.

Unterschiede zur Zuwanderung der 1990er-Jahre

In Bezug auf die Zuwanderung können die 1990er-Jahre nicht mit dem heutigen Regime verglichen werden. Während die Personenfreizügigkeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten damals zunehmend gelebt wurde, steuerte die Schweiz die Zuwanderung nach wie vor über eine Kontingentierung. Obwohl sie auch in den 1990er-Jahren insgesamt ein Zuwanderungsland blieb, veränderte sich die Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung stark. So verliessen sehr viel mehr Spanier und vor allem Italiener die Schweiz, als aus diesen Ländern zuwanderten. Demgegenüber stieg die Zuwanderung aus den Ländern Ex-Jugoslawiens infolge des Krieges stark an. Schliesslich wurden die Bilateralen I im Jahr 2000 vom Schweizervolk gutgeheissen und auf den 1. Juni 2002 in Kraft gesetzt. Der Marktzugang verbesserte sich deutlich, und seither wird nur noch die Zuwanderung von Arbeitskräften aus Drittstaaten mit Kontingenten geregelt, im Verhältnis zur EU gilt die Personenfreizügigkeit. Der Regimewechsel übte gerade auf das Qualifikationsniveau der zugewanderten Personen einen grossen und positiven Einfluss aus: Während die Mehrheit der zugewanderten Personen aus den EU-/Efta-Staaten bis 2002 keinen oder einen Sekundarschule-II-Abschluss aufwiesen, verfügt die Mehrheit in der neueren Zeit über einen Tertiärabschluss.

Mit der Jahrtausendwende kehrte das Wachstum zurück

Seit 2000 wächst die Schweizer Volkswirtschaft, allerdings mit Rückschlägen. Gleich zu Beginn traf die Dotcom-Krise die Weltwirtschaft und liess auch die Schweiz nicht unberührt. Im Zuge der Finanzmarktkrise 2008/09 brach das BIP geradezu ein. 2011 sorgte die Euro-Krise für eine starke Aufwertung des Frankens, 2015 hob die SNB die Wechselkursuntergrenze zum Euro auf und der Franken erstarkte rapide. 2020/21 folgte die Corona-Krise und 2022 marschierte Russland in der Ukraine ein. Krisen wurden von der Ausnahme zur Regel und trafen die Schweizer Volkswirtschaft in kurzen Abständen. Doch diese Krisen wurden mit Ausnahme der Aufhebung der Wechselkursuntergrenze zum Euro 2015 nicht durch die Schweizer Politik ausgelöst, sondern trafen die Schweiz, das europäische Ausland oder gar die gesamte Weltwirtschaft mehr oder weniger gleich stark.

Dieser kurze Abriss zeigt: Die Schweizer Wirtschaftspolitik der 1990er-Jahre unterscheidet sich stark von derjenigen der nachfolgenden Jahrzehnte. Gerade die Zuwanderungspolitik erfuhr mit der Einführung der Personenfreizügigkeit mit der EU eine drastische Veränderung. Um die Frage zu beantworten, ob die Schweiz vor allem in die Breite oder stark auch qualitativ wächst, sollten die 1990er-Jahre daher nicht berücksichtigt werden. Wir beschränken die Analyse deshalb zweckmässiger auf den Zeitraum ab dem Jahr 2000.

Abbildung 1: Entwicklung des BIP der Schweiz seit 1980, inflationsbereinigt
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Wie vergleicht man die Wirtschaftsleistung von Ländern?

Die Wirtschaftsleistung eines Landes wird mit dem Bruttoinlandprodukt gemessen. Dabei wird das nominale BIP in der lokalen Währung oder in US-Dollar/Euro angegeben. Wird davon die Inflationsentwicklung herausgerechnet, resultiert das reale BIP. Dieses misst, wie viel Wertschöpfung durch die Produktion von Gütern und Dienstleistungen in einem Land erzielt wurde. Dabei wird das Inlandsprinzip angewendet. Das heisst, es wird gemessen, wie viel Wertschöpfung In- und Ausländer in einem Land erwirtschaften. Auch die Grenzgänger zählen dazu. Um die Wirtschaftsleistung in Relation zur Grösse des Landes zu setzen, verwendet man die Grösse «reales BIP pro Kopf» der ständigen Wohnbevölkerung. Wenn diese Grösse wächst, dann bedeutet dies, dass die Wertschöpfung pro Person in einem Land zunimmt. Dies ist auch eine gute Proxy für den Wohlstand eines Landes.

Abbildung 2 zeigt einen interessanten Zusammenhang: Reiche Volkswirtschaften haben in aller Regel auch hohe Preise. Doch wieso müssen Menschen in einem Land mit einem höheren Pro-Kopf-BIP auch mehr für Güter und Dienstleistungen bezahlen? Gerade in der Schweiz ist dieser Sachverhalt offensichtlich: Die auf den Weltmärkten erfolgreichen Unternehmen sorgen für eine hohe Wirtschaftsleistung und zahlen hohe Löhne. Damit genügend Personen bereit sind, als Coiffeur, Busfahrerin, Schreiner oder Pflegerin tätig zu sein, sind die Löhne auch in diesen Branchen im internationalen Vergleich hoch. Entsprechend steigt das Preisniveau für lokal hergestellte Güter und Dienstleistungen an. Dies wiederum führt dazu, dass Firmen und Private mehr für inländische Vorleistungen aufwenden müssen. Die hohen Löhne der international erfolgreichen Unternehmen müssen quasi mit anderen «geteilt» werden.

Um diesen Effekt zu berücksichtigen, wird häufig das Prinzip der Kaufkraftparität verwendet. Die einfachste Form ist sehr bekannt: Der «Big Mac Index» misst, wie teuer ein Big Mac in verschiedenen Ländern umgerechnet in Dollar . Bei Kaufkraftparität müsste der Big Mac überall gleich teuer sein, doch in Ländern wie der Schweiz ist der Burger effektiv in Dollar gemessen deutlich teurer. Wenn also der Vergleich des Pro-Kopf-BIP kaufkraftbereinigt erfolgt, dann korrigiert man um die (im Vergleich zur Kaufkraftparität) zu hohen Preise. In China ist das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf entsprechend höher als das reale BIP pro Kopf, weil man sich in China mit demselben Einkommen mehr leisten kann als in einem reicheren Land. In der Schweiz sinkt das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf entsprechend.

Abbildung 2: Klare Korrelation zwischen Preisniveau und BIP pro Kopf

Welches ist nun die richtige Vergleichsgrösse? Das reale BIP pro Kopf oder das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf? Beide haben ihre Berechtigung. Wenn es um die internationale Kaufkraft und die Stärke der Volkswirtschaft geht, dann nimmt man das reale BIP pro Kopf. Diese Grösse zeigt, wie viel sich die Menschen in den Ferien im Ausland leisten können oder wie kaufkräftig sie für international gehandelte Güter sind. Wenn es darum geht herauszufinden, ob sich die Menschen im Inland mehr leisten können, dann verwendet man das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf.

Die relevante Messgrösse: Produktivität pro Arbeitsstunde

Auch wenn es beinahe Trivialitäten sind, sie werden immer wieder vergessen:

  • Je reicher eine Volkswirtschaft wird, desto stärker sinkt die potenzielle Wachstumsrate.
  • Je reicher eine Volkswirtschaft ist, desto grösser ist das absolute Wachstum bei gleicher Wachstumsrate.

Ein Entwicklungsland muss hohe Wachstumsraten aufweisen, um den tiefen Entwicklungsstand korrigieren zu können. Im Vergleich dazu wachsen Länder mit einem ausgesprochen hohen Wohlstandsniveau prozentual weniger. Doch das Prozentrechnen ist so eine Sache: Ein Wachstum des Schweizer BIP pro Kopf von zwei Prozent bedeutet eine absolute Wohlstandszunahme in Franken oder Dollar gemessen, die weit grösser ist als dasselbe prozentuale Wachstum in China oder auch Italien. Ganz einfach deshalb, weil die Basis, von der ausgegangen wird, in der Schweiz sehr viel höher liegt.

Um die Sache noch verwirrlicher zu machen: Das BIP pro Kopf sagt nur bedingt etwas darüber aus, wie produktiv eine Volkswirtschaft ist. In einem Land mit vielen Rentnern, vielen Arbeitslosen, vielen Kindern oder einer tiefen Jahresarbeitszeit mag das BIP pro Kopf tief sein, weil weniger Stunden pro Kopf gearbeitet wird, aber dort wo gearbeitet wird, kann die Arbeitsleistung dennoch international kompetitiv hoch sein. Um die Frage zu beantworten, wie viel Werte eine durchschnittliche Arbeitskraft in einem Land schafft, wird die Grösse «Produktivität pro Arbeitsstunde» verwendet. Auch hier kann diese nominal, real oder kaufkraftbereinigt angegeben werden.

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Die Fakten: Wächst die Schweiz vor allem in die Breite?

Beginnen wir mit dem Niveau: Wie gross ist das reale Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Bevölkerung in Dollar gemessen? Abbildung 3 zeigt die Entwicklung der Schweiz und einiger ausgewählter Länder auf. Der Wert für die Schweiz ist beeindruckend: Er liegt fast 50 Prozent höher als in den USA, mehr als doppelt so gross wie in Deutschland und beinahe dreimal so hoch wie in Italien. Die absolute Differenz zwischen der Schweiz und den anderen Ländern sank in den 1990er-Jahren, um in den Jahren ab 2000 wieder zuzulegen. Die Schweizerinnen und Schweizer verfügen somit im internationalen Vergleich im Durchschnitt über eine ausgesprochen hohe internationale Kaufkraft.

Abbildung 3: Entwicklung des realen BIP pro Kopf in US-Dollar in ausgewählten Ländern

Reales BIP-Wachstum pro Kopf im internationalen Vergleich

Fokussieren wir uns nun auf das prozentuale Wachstum: Wie stark hat das BIP pro Kopf seit dem Jahr 2000 zugenommen? Tabelle 2 zeigt, dass trotz des sehr hohen Niveaus das reale BIP pro Kopf in der Schweiz um 19 Prozent gewachsen ist. Die Zunahme pro Kopf war damit leicht höher als in Dänemark und den Niederlanden und deutlich höher als in den Nachbarländern Frankreich und Italien.

Im Vergleich mit Deutschland schneidet die Schweiz etwas schlechter ab. Wohl hat die deutsche Wirtschaft mit vielen exportorientierten Unternehmen in den letzten Jahren vom schwachen Euro profitiert. Aber das ist nicht der Punkt: Den Deutschen geht es wegen dem etwas höheren Pro-Kopf-Wachstum nicht besser als den Schweizern. Wie erwähnt, ist das BIP pro Kopf in der Schweiz seit vielen Jahren deutlich höher als in Deutschland und in vielen anderen Ländern. Daher stellt sich ein Basiseffekt ein: Eine Zunahme des BIP pro Kopf um 19 Prozent bedeutet für die Schweiz absolut eine Steigerung um fast 14’000 US-Dollar. Eine Zunahme des BIP pro Kopf um 22 Prozent bedeutet für Deutschland eine Steigerung von lediglich rund 7600 US-Dollar. Der Wohlstand ist inflationsbereinigt in der Schweiz im Vergleich zu den anderen Ländern in der Tabelle also am stärksten gestiegen. Selbst in den USA fällt die absolute Zunahme des BIP pro Kopf kleiner aus. Berücksichtigt man auch die Kaufkraft, sind die Unterschiede aufgrund der höheren Preise in der Schweiz nicht mehr ganz so gross, der Wohlstand pro Kopf ist hier dennoch um 800 US-Dollar mehr gestiegen als in Deutschland. Einzig die USA weisen noch höhere Zunahmen auf als die Schweiz.

Tabelle 2: Entwicklung des Bruttoinlandprodukts

Produktivität

Die bisherige Diskussion hat gezeigt, dass die Behauptung, die Bevölkerung habe wenig vom Wirtschaftswachstum und die Schweiz sei nur aufgrund der Zuwanderung gewachsen, falsch ist. Es ist zwar offensichtlich, dass ein Teil des BIP-Wachstums der steigenden Bevölkerungszahl zuzuschreiben ist. Ein wesentlicher Teil des Wachstums konnte die Schweiz aber durch eine höhere Arbeitsproduktivität erzielen.

Bemessen am BIP pro Beschäftigte (Erwerbstätige) hat die Produktivität in der Schweiz seit 2000 um 13 Prozent und damit stärker als beispielsweise in Deutschland zugenommen. Das ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass in der Schweiz die Arbeitsmarktpartizipation sehr hoch ist. Der Anteil der Personen von 15 bis 64 Jahren, die in der Arbeitswelt integriert sind, liegt in der Schweiz aktuell bei 83 Prozent und damit höher als in den anderen Ländern. Dies vor allem dank der Berufslehre, die zu einer hohen Partizipation bei den Jungen führt, und dank einer stärkeren Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt. In den USA ist ein gegenläufiger Trend zu beobachten. Hier sinkt die Arbeitsmarktpartizipation. Diejenigen, die im Arbeitsmarkt verbleiben, haben ihre Produktivität aber deutlich erhöht. Die Zahlen fallen zwar auch deswegen so gut für die USA aus, weil alle Vergleiche in Dollar umgerechnet werden. Doch die starke Steigerung der Produktivität ist auch das Resultat davon, dass die USA in Trendbranchen wie der Informationstechnologien die Nase vorne haben.

Etwas verzerrt wird der Vergleich allerdings dadurch, dass insgesamt weniger gearbeitet wird. So hat die jährliche Arbeitszeit in der Schweiz und Deutschland stärker abgenommen als etwa in Frankreich, in den Niederlanden oder in den USA. Wenn weniger gearbeitet wird, hat dies einen negativen Effekt auf die Jahresproduktivität.

Weniger beeinflusst vom jährlichen Arbeitsvolumen ist die Produktivität einer Person pro Arbeitsstunde. Auch hier zeigt sich im Falle der Schweiz die gute Entwicklung der Arbeitsproduktivität: Das BIP pro geleistete Arbeitsstunde ist in der Schweiz seit der Jahrtausendwende um 24 Prozent gestiegen. Die Schweiz schlägt die Nachbarländer deutlich: So hat sich die Produktivität in der Schweiz besser entwickelt als etwa in Deutschland, sowohl real als auch kaufkraftbereinigt betrachtet. Von den Vergleichsländern weist einzig die USA eine deutlich und Dänemark eine leicht bessere Entwicklung auf.

Tabelle 3: Produktivität und Abreitszeit

Freizeit

Der Wohlstand in der Schweiz ist dank dem soliden Wirtschaftswachstum gestiegen, sowohl für die Volkswirtschaft als Ganzes als auch für jede einzelne Person. Die Bevölkerung ist produktiver geworden und die exportorientierten Unternehmen sind international wettbewerbsfähig. Dies alles konnte die Schweiz erreichen und gleichzeitig die durchschnittliche Jahresarbeitszeit seit dem Jahr 2000 um acht Prozent reduzieren. Die Beschäftigten verzichten also auf ein noch höheres monetäres Einkommen und konsumieren dafür mehr Freizeit. Wäre dies nicht der Fall, würde das BIP pro Kopf noch höher ausfallen. Im Schnitt arbeitete eine beschäftigte Person im ganzen Jahr 2021 knapp 137 Stunden weniger als noch vor 20 Jahren.

Qualifikation der Zuwanderung

Eine Erklärung für die deutlich verbesserte Produktivitätsentwicklung seit den 2000er-Jahren ist die bessere Qualifikation der zugewanderten Personen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) untersucht regelmässig, wie sich die Zuwanderung im Rahmen der Personenfreizügigkeit auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Dieses Monitoring zeigt, dass eine Mehrheit der zugewanderten Arbeitskräfte aus dem EU-/Efta-Raum gut bis sehr gut qualifiziert ist. Im Durchschnitt der Jahre 2020 bis 2021 hatten 84 Prozent der Zugewanderten mindestens einen Abschluss auf Sekundarstufe II, 51 Prozent verfügten sogar über einen tertiären Abschluss. Entsprechend gab es einen gewissen Lohndruck für gut qualifizierte Inländer, für einheimische Beschäftigte mit tiefen und mittleren Qualifikationen hat sich die Lage seit Einführung der Personenfreizügigkeit hingegen sogar verbessert. Die befürchtete Verdrängung einheimischer Arbeitnehmer durch zugewanderte Personen ist nicht eingetreten. Vielmehr herrscht in der Schweiz ein anhaltender Mangel an Fachkräften, über die meisten Branchen hinweg sowohl für hoch- wie auch für niedrigqualifizierte Positionen.

Löhne und wie lange man für ein iPhone arbeiten muss

Die bisherigen Vergleiche mögen etwas abstrakt daherkommen. Überführen wir nun die Diskussion auf leicht verständliche Grössen. Die Produktivität eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin bestimmt, wie «wertvoll» diese Person für das Unternehmen ist. Je höher die Produktivität, desto mehr bzw. desto wertvollere Güter oder Dienstleistungen stellt eine Person her, was wiederum die Erträge des Unternehmens erhöht. Diese Leistung wird entschädigt: Je höher die Produktivität ist, desto höher ist in aller Regel der Lohn. Die folgende Tabelle zeigt den Durchschnittslohn in der Schweiz, in den USA und in Deutschland.

Interessant ist nun die Beantwortung der Frage, wie lange Arbeitnehmende zu arbeiten brauchen, um sich zum Beispiel ein iPhone leisten zu können. In der Schweiz muss man lediglich 22 Stunden für ein iPhone arbeiten, in Deutschland sind es 43 Stunden und in den USA 31 Stunden. Dies zeigt, wie kaufkräftig die Schweizerinnen und Schweizer gerade bei international gehandelten Gütern oder in den Ferien sind. Diese Verhältnisse widerspiegeln in etwa die Verhältnisse beim realen BIP pro Kopf der Bevölkerung.

Erinnern wir uns an den Zusammenhang, dass reiche Volkswirtschaften auch hohe Preise aufweisen, weil die Löhne aller ansteigen und lokal hergestellte Güter und Dienstleistungen entsprechend teuer sind. Der Big Mac eignet sich gut für den Vergleich von lokal hergestellten Gütern. Neben den Löhnen fallen auch Kosten für Miete, Energie und Rohstoffe an. Im Falle der Schweiz führt der Agrarprotektionismus zudem zu sehr hohen Rindfleischpreisen, was die Produktion des Big Mac verteuert und den Vergleich etwas verzerrt. Trotz der deutlich höheren Kosten und Preise in der Schweiz muss eine Person deutlich weniger lange als in Deutschland und etwa gleich lang wie in den USA arbeiten, um sich einen Big Mac leisten zu können. Dieser Vergleich widerspiegelt in etwa die voranstehende Diskussion rund um das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf der Bevölkerung.

Tabelle 4: Wie lange muss man für ein iPhone arbeiten

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