# 9 / 2023
15.12.2023

Bilaterale III: Um was geht es eigentlich?

Paket Bilaterale III – Was ist drin und wie ist der Inhalt zu bewerten?

Paketansatz Bilaterale III

  • Es soll über ein ganzes Paket verhandelt werden, welches neue Binnenmarktabkommen und Kooperationen im Interesse der Schweiz umfasst. Dabei geht es um Strom, Lebensmittelsicherheit, Forschung, Bildung und Gesundheit. Darüber hinaus soll der Regulierungsdialog im Finanzbereich mit der EU wieder aufgenommen werden.
  • In der nachfolgenden Grafik werden sämtliche Elemente des Verhandlungspakets der Bilateralen III dargestellt:

  • Gemäss Bundesrat sollen die institutionellen Fragen neu in jedem Abkommen individuell gelöst werden (vertikaler, sektorbezogener Ansatz).
  • Auf diese Weise können die dynamische Rechtsübernahme, die Streitbeilegung und Ausnahmen in den fünf bestehenden sowie den zwei neuen Binnenmarktabkommen und dem Kooperationsabkommen Gesundheit individuell geregelt werden.

 

Einschätzung von economiesuisse

  • economiesuisse begrüsst, dass die Schweiz und die EU neue bilaterale Abkommen in den Bereichen Strom und Lebensmittelsicherheit sowie Kooperationen in den Bereichen Forschung & Innovation und Gesundheit abschliessen möchten.
  • Zudem hat die Aktualisierung der bestehenden Binnenmarktabkommen und insb. des Abkommens über den Abbau technischer Handelshemmnisse (MRA) für economiesuisse höchste Priorität. Ohne Aktualisierung dieses Abkommens mit insgesamt 20 Produktekategorien würden ab 2026/2027 bis zu 60% der Schweizer Exportunternehmen die bisherige Teilnahme am EU-Binnenmarkt verlieren.
  • Die Schweizer Medtech-Branche hat den barrierefreien Zugang zum EU-Binnenmarkt bereits 2021 verloren. Deshalb müssen Schweizer Medtech-Unternehmen ihre Produkte heute nach den erschwerten Bedingungen für Drittstaatsunternehmen in die EU exportieren.
  • Die Möglichkeiten für Schweizer Bankinstitute, aus der Schweiz Dienstleistungen für ihre Kunden in der EU zu erbringen, werden zunehmend eingeschränkt.
  • Die Wiederaufnahme des Regulierungsdialogs im Finanzbereich wird von economiesuisse begrüsst. Es ist eine rasche Wiederanerkennung der Gleichwertigkeit der Schweizer Börsenregulierung durch die EU anzustreben.

Institutionelle Regeln gelten künftig nur für acht von 140 bilateralen Abkommen

Die Anwendbarkeit der institutionellen Regeln gilt nicht flächendeckend, sondern ist auf die fünf bestehenden und zwei neuen Binnenmarktabkommen sowie das neue Kooperationsabkommen Gesundheit der Schweiz mit der EU beschränkt. Dies schafft innenpolitisch Klarheit, senkt das Konfliktpotenzial und sorgt für Rechtssicherheit.

Neues Binnenmarktabkommen Strom

  • Ab 2025 steht die Schweiz vor einem erheblichen Stromimportrisiko, insb. im Winter. Dieses Problem ergibt sich u.a. aufgrund neuer Regelungen in der EU, die ab 2025 vorsehen, dass 70% der Netzkapazitäten für den Stromhandel im Binnenmarkt reserviert sein müssen (siehe Studie BFE).
  • Mit einem Stromabkommen würde die Schweiz künftig gleich wie die EU-Mitgliedstaaten behandelt.

 

Einschätzung von economiesuisse

  • economiesuisse begrüsst den Abschluss eines Stromabkommens mit der EU und sieht dieses als wichtiges Element für die Verbesserung der Netzstabilität, die Stärkung der Versorgungssicherheit sowie die Schaffung von neuen Handelsopportunitäten, z.B. im Bereich der Wasserkraft.
  • Laut einer ETH-Studie im Auftrag von economiesuisse könnte die Schweiz mit einem Stromabkommen bis 2050 über 50 Milliarden Franken einsparen.

EU unterstützt Schweizer Vorschlag für Wahlmodell beim Strom

Erfreulich ist, dass die EU den Vorschlag der Schweiz zur Einführung eines Wahlmodells unterstützt. Mit diesem Modell hätten Konsumenten in der Schweiz künftig die Wahl, ob sie im System der sogenannten Grundversorgung (in welchem sie den Strom bei ihrem lokalen Netzbetreiber zu vordefinierten Preisen beziehen) verbleiben oder ihren Strom neu am freien Markt einkaufen möchten.

Neues Binnenmarktabkommen Lebensmittelsicherheit

  • Beim Binnenmarktabkommen Lebensmittelsicherheit stehen der Zugang zu Frühwarnsystemen und Risikobewertungen der EU, die Reduktion von Handelshemmnissen, die Marktöffnung sowie eine Stärkung des Schutzes der Konsumentinnen und Konsumenten im Mittelpunkt.
  • Der Bundesrat verfolgt die Absicht, die Schweizer Bevölkerung künftig noch wirkungsvoller vor potenziell gefährlichen Lebensmitteln zu schützen.
  • Aus diesen Gründen verhandelt er u.a. die Mitgliedschaft in der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und beim Schnellwarnsystem für Lebens- und Futtermittel (RASFF).
  • Die Agrarpolitik der Schweiz bleibt vom Abkommen unberührt.
  • In den Verhandlungen wird es darum gehen, mittels Ausnahmen eine Senkung der in der Schweiz geltenden Standards, insbesondere im Bereich des Tierschutzes und der Lebensmittelproduktion, zu verhindern.

 

Einschätzung von economiesuisse

  • Eine Vollmitgliedschaft beim RASFF würde der Schweiz viele Vorteile bringen.
  • Der Zugriff auf sämtliche Meldungen würde es erlauben, frühzeitig Massnahmen zum Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten zu treffen.

Kooperation in der Forschung: Teilnahme der Schweiz an «Horizon Europe»

  • Mit dem Paketansatz wird eine rasche Vollassoziierung der Schweiz am EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe» angestrebt. Dabei handelt es sich mit einem Budget von fast 100 Milliarden Euro um das grösste der Welt.
  • Die verschiedenen Förderinstrumente decken von der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung bis zur technologischen Innovation alles ab.
  • Die Leitung von EU-Forschungsprojekten aus der Schweiz heraus ist aktuell nicht möglich. Zudem können Schweizer Forschende beim European Research Council keine Grants mehr beantragen. Damit fällt für sie ein wichtiges und prestigeträchtiges Förderinstrument ausser Betracht.
  • Als Basis für die Vollassoziierung bei «Horizon Europe» muss ein Grundsatz-Abkommen (specific agreement) ausgehandelt werden, welches die Rahmenbedingungen für die aktuelle und künftige Teilnahme der Schweiz an allen EU-Programmen festhält (also Forschung, Innovation, allgemeine und berufliche Bildung, Jugend, Sport und Kultur). Entsprechende Rahmenbedingungen hat die EU bereits mit anderen Drittstaaten wie den Färöer Inseln und Neuseeland sowie mit Grossbritannien im Rahmen seines Brexit Abkommens ausgehandelt.
  • Die Schweiz wird im Einzelfall aber immer noch selbst entscheiden, ob sie sich an einem konkreten EU-Programm beteiligen will. Das Grundsatz-Abkommen soll künftige Verhandlungen über die Teilnahme der Schweiz an EU-Programmen jedoch wesentlich erleichtern und beschleunigen.

 

Einschätzung von economiesuisse

Vollassoziierung bei «Horizon Europe» lohnt sich noch immer

Für die innovationsbasierte Schweizer Wirtschaft lohnt sich eine zügige Vollassoziierung nach wie vor: Da im letzten Drittel von «Horizon Europe» die Grundlagen für das Folgeprogramm geschaffen werden, könnte die Schweiz bereits an den Vorbereitungsarbeiten für das neue Programm mitwirken.

Kooperation in der Bildung: Teilnahme der Schweiz an «Erasmus+»

  • Im Rahmen des Paketansatzes ist eine Beteiligung der Schweiz am EU-Bildungsprogramm «Erasmus+» vorgesehen. «Erasmus+» ist das EU-Programm zur Förderung von allgemeiner und beruflicher Bildung, Jugend und Sport in Europa. Es verfügt über ein Budget von ca. 26,2 Milliarden Euro.
  • Schwerpunkte des Programms 2021–2027 sind die soziale Inklusion, der grüne und digitale Wandel sowie die Förderung der Teilhabe junger Menschen am demokratischen Leben.

 

Einschätzung von economiesuisse

  • Die Schweiz ist auf ein exzellentes Bildungssystem angewiesen, um hochstehende Forschung zu betreiben und Innovationen zu fördern. Die Förderung der internationalen Mobilität ist dabei ein wichtiges Element.
  • Die Vollassoziierung der Schweiz an «Erasmus+» soll gegebenenfalls angestrebt werden, falls sie finanziell tragbar und das Nutzen-Kosten-Verhältnis positiv ist.

Kooperationsabkommen Gesundheit

Gemäss dem Paketansatz ist ein Kooperationsabkommen der Schweiz mit der EU im Gesundheitsbereich vorgesehen, das folgende Elemente enthalten soll:

  • die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC)
  • die Teilnahme am Frühwarn- und Reaktionssystem (EWRS)
  • der Einbezug der Schweiz in das neue EU-weite Dispositiv bei grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen
  • die Beteiligung am mehrjährigen EU-Gesundheitsprogramm
  • Die Zusammenarbeit kann später auf andere Bereiche der Gesundheit ausgeweitet werden, wenn beide Parteien dies wollen (Evolutivklausel)

Die grenzüberschreitende Patientenmobilität, Tabak und Arzneimittel sind ausgenommen.

 

Einschätzung von economiesuisse

  • Der Abschluss eines reinen Kooperationsabkommens im Gesundheitsbereich wird von economiesuisse begrüsst.
  • Aufgrund der kurzen Reaktionszeiten und des grossen Schadenpotenzials in Krisensituationen hat die Schweiz ein Interesse an der Mitwirkung in den EU-Risikobewertungs- und Schnellwarnsystemen im Gesundheitsschutz.

Flankierende Massnahmen (FlaM) und Lohnschutz

Ein Grossteil der Fragen beim Lohnschutz für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konnte gemäss Bundesrat zufriedenstellend geklärt werden. So hat die EU u.a. die nachfolgenden Ausnahmen vom Entsenderecht akzeptiert:

  1. eine Nicht-Regressions-Klausel (sollte die EU den Lohnschutz im Entsenderecht reduzieren, müsste die Schweiz diese Regeln nicht übernehmen),
  2. eine Voranmeldefrist von vier Arbeitstagen aufgrund einer objektiven und branchenspezifischen Risikoanalyse,
  3. die Kautionspflicht für Unternehmen, die in der Vergangenheit den finanziellen Verpflichtungen nicht nachgekommen sind und
  4. Massnahmen zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit.

 

Einschätzung von economiesuisse

economiesuisse unterstützt den Erhalt des heutigen Lohnschutzniveaus. Die Wirtschaft steht voll und ganz hinter der Bekämpfung von Lohndumping.

  • Ein Ausbau des Lohnschutzes, die Einführung von Mindestlöhnen oder sonstige sachfremde Anliegen werden jedoch klar abgelehnt.
  • Mit der Nicht-Regressions-Klausel wurde eine der Hauptforderungen der Gewerkschaften erfüllt. Zudem wird das duale Vollzugssystem (Überwachungs- und Sanktionierungskompetenz) durch die Schweizer Sozialpartner von der EU nicht eingeschränkt und die obenstehenden EU-bedingten Anpassungen bestehender FlaM werden mit innerstaatlichen Massnahmen ausgeglichen, um das Lohnschutzniveau zu halten.
  • Der Grundsatz «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» umfasst gemäss «Common Understanding» auch die Spesen. Die Spesenregelung der EU darf daher in der Schweiz nicht zu unfairem Wettbewerb führen, gleichzeitig müssen Lohnschutzmassnahmen verhältnismässig sein.
  • Die inländischen Gespräche zwischen den Sozialpartnern, der Wirtschaft, dem Bund und den Kantonen werden weitergeführt und Lösungen konkretisiert.

Der Lohnschutz in der Schweiz ist nicht gefährdet

Die übrigen bestehenden FlaM wären zwar nicht vertraglich abgesichert und unterlägen der Rechtsentwicklung bzw. der Streitschlichtung. Inhaltlich sind sie den Massnahmen in der EU aber gleichwertig und darum nicht gefährdet. Zudem kann die Schweiz auch künftig FlaM zur Sicherstellung des Grundsatzes «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» ergreifen, sofern diese mit der Entsende- und der Durchsetzungsrichtlinie vereinbar, d.h. nicht-diskriminierend sowie verhältnismässig sind. Gleichzeitig sichert die Nicht-Regressions-Klausel das Schutzniveau im Falle künftiger Rechtsentwicklungen zusätzlich ab. Die Ziele der FlaM, der Schutz vor Lohndumping und der Erhalt des Schweizer Lohnniveaus, werden von der EU nicht infrage gestellt.

Personenfreizügigkeit hat in der Schweiz nicht zu tieferem Lohnniveau geführt

Die Gewerkschaften bekämpfen die Anpassung der FlaM mit der Begründung, dass mit dieser das Lohnschutzniveau in der Schweiz auf breiter Front einbrechen würde. Allerdings haben bisher alle empirischen Studien und die Observatoriumsberichte des Seco bestätigt, dass die Einführung der Personenfreizügigkeit weder systematische Verdrängungseffekte zur Folge hatte noch zu einem tieferen Lohnniveau führte. Ganz im Gegenteil: Es konnte festgestellt werden, dass seit Inkrafttreten des FZA in der Schweiz auch die tiefsten Löhne gestiegen sind.

Kurzaufenthalter machen nur 0,7 Prozent der Gesamtbeschäftigung aus

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der FlaM muss korrekt eingeordnet werden. Gemäss Berechnungen von Avenir Suisse aus dem Jahr 2017 leisten Kurzaufenthalter hierzulande ein Arbeitsvolumen, welches gerade einmal 0,7 Prozent der Gesamtbeschäftigung entspricht. Deshalb ist mit der Übernahme des EU-Entsenderechts nicht mit systematisch negativen Auswirkungen auf das Lohnniveau in der Schweiz zu rechnen.

Dynamische Rechtsübernahme

  • Die Schweiz wird über jede einzelne Übernahme von Binnenmarktrecht innerhalb der Binnenmarktabkommen autonom entscheiden können.
  • Für die dynamische Rechtsübernahme hat die Schweiz jeweils zwei Jahre Zeit. Dabei werden die direktdemokratischen Entscheidungsprozesse der Schweiz gewahrt. Sollte es zu einem Gesetzesreferendum kommen, wird der Schweiz ein zusätzliches Jahr zur Umsetzung zugesichert.
  • Es ist vorgesehen, dass die Schweiz bei der Entwicklung des relevanten EU-Rechts künftig wie die EU-Mitgliedstaaten systematisch konsultiert wird und ihre Anliegen im Rahmen des «decision shaping» aktiv einbringen kann.

 

Einschätzung von economiesuisse

  • Die dynamische Rechtsübernahme schafft gemeinsam mit der Einführung eines Streitschlichtungsmechanismus verlässliche Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit für Schweizer Unternehmen, was economiesuisse begrüsst.
  • Heute blockiert die EU-Kommission bspw. die Aufdatierung des Abkommens über technische Handelshemmnisse (MRA), ohne dass sich die Schweiz vor einem paritätischen Schiedsgericht dagegen wehren kann (siehe nächstes Unterkapitel).
  • Dank klarer Regeln über die Gegenmassnahmen bei einer Nichtübernahme von Binnenmarktrecht durch die Schweiz wäre dies in Zukunft nicht mehr möglich. Die Schweiz könnte einen solchen Fall vor das paritätische Schiedsgericht ziehen.

Die dynamische Rechtsübernahme ist keine Gefahr für die direkte Demokratie

Die Pflicht zur dynamischen Rechtsübernahme ist bereits heute im Luftverkehrsabkommen (Bilaterale I) sowie im Schengen/Dublin-Abkommen (Bilateralen II) verankert und hat seit deren Inkrafttreten 2002 bzw. 2008 zu keinerlei Problemen geführt. So konnte sich die Schweizer Stimmbevölkerung im Mai 2019 bspw. über die Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie im Schweizer Waffenrecht in einer Volksabstimmung äussern. Die «Interessengemeinschaft Schiessen Schweiz» hatte gegen die Umsetzung das Referendum ergriffen.

Dynamische Rechtsübernahme nur bei klarem Bezug zu Binnenmarktabkommen

Richtlinien und Verordnungen der EU können auch Regeln enthalten, die für den Binnenmarkt und die betroffenen Binnenmarktabkommen nicht relevant sind. Es wird wichtig sein, dass die Schweiz deren Anwendung bei der Übernahme ausschliesst. Soll beispielsweise ein Abkommen auf einen neuen Themenbereich ausgedehnt werden, der keinen Bezug zum ursprünglichen Kern des Abkommens hat, sollte diese Ausweitung nicht von der dynamischen Rechtsübernahme erfasst werden, sondern ein neues Abkommen zu diesem Themenbereich erfordern.

Streitschlichtung

Im Paketansatz ist ein Streitschlichtungsmechanismus vorgesehen, welcher bei Uneinigkeiten zwischen der Schweiz und der EU bei der Umsetzung eines Binnenmarktabkommens zur Anwendung kommen soll. Dieser Mechanismus wird in der nachfolgenden Grafik detailliert beschrieben:

  • Das für die Streitbeilegung zuständige Schiedsgericht wird paritätisch zusammengesetzt sein, z.B. mit drei von der Schweiz und drei von der EU ernannten Richtern sowie einem unabhängigen Präsidium.
  • Dies entspricht gängigen völkerrechtlichen Prinzipien: Die Schweiz hat in vielen ihrer Abkommen solche paritätischen Schiedsverfahren abgeschlossen.

 

Einschätzung von economiesuisse

  • Mit dem Streitschlichtungsmechanismus verbessert sich die Position der Schweiz. Sie erhält damit ein Instrument, um ihre Interessen in Bezug auf die betroffenen Binnenmarktabkommen auf dem Rechtsweg wirksam durchzusetzen.
  • Ausgleichsmassnahmen können im Maximum bis zur Suspendierung von Abkommen gehen. Eine Kündigung ist ausgeschlossen. Eine Suspendierung ganzer Abkommen durch die EU dürfte jedoch kaum verhältnismässig sein, sollte die Schweiz einzelne Rechtsentwicklungen nicht übernehmen wollen.

Es gibt keine «fremden Richter»

In den bilateralen Verträgen sind sowohl heute als auch künftig keine «fremden Richter» vorgesehen. Es sind drei Arten von Rechtsfällen zu unterscheiden:

  1. Entsteht ein Rechtsstreit in der Schweiz, ist ein Schweizer Gericht zuständig.
  2. Entsteht ein Rechtsstreit in einem EU-Land, etwa Deutschland, ist ein deutsches Gericht und allenfalls der Europäische Gerichtshof EuGH zuständig.
  3. Gibt es Differenzen zwischen der EU-Kommission und dem Bundesrat über die Auslegung von Regeln, zum Beispiel im Landverkehr oder bei der Personenfreizügigkeit, dann kommt ein paritätisches Schiedsgericht zum Zug.

Das paritätische Schiedsgericht entscheidet künftig, welches Recht zur Anwendung kommt – Schweizer Recht, Vertragsrecht oder EU-Binnenmarktrecht. Hat die Schweiz das EU-Binnenmarktrecht vertraglich übernommen, z.B. im Medtech-Bereich, entscheidet der EuGH über die Frage der Auslegung ausschliesslich des europäischen Binnenmarktrechts. Haben sich die Schweiz und die EU auf spezielle Regeln verständigt, etwa Spezialregeln und Ausnahmen für die Schwerverkehrsabgabe oder die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit, gilt dieses Recht. Am Ende des Verfahrens wird das paritätische Schiedsgericht beurteilen, ob Bern oder Brüssel das Recht verletzt hat.

Eine Analyse sämtlicher bisheriger EuGH-Entscheide, welche eine Auslegung von EU-Binnenmarktrecht erforderten, zeigt, dass der EuGH sachlich und unparteiisch vorgeht und «nicht systematisch zum Nachteil der Schweiz bzw. beschwerdeführender Personen und Unternehmen urteilt, welche sich auf die vertraglich abgesicherten (Marktzugangs-)Rechte berufen». Die Anzahl künftiger Streitschlichtungsverfahren ist schwer einzuschätzen. Ein Blick auf die «Konflikte» in den letzten Jahren zeigt, dass hier eher mit einer kleinen Zahl zu rechnen ist.

Staatliche Beihilfen & Wettbewerbsregeln

  • Im Paketansatz ist die Aufnahme von Regeln für staatliche Beihilfen in den bestehenden Binnenmarktabkommen Luft- und Landverkehr sowie im neuen Binnenmarktabkommen Strom enthalten.
  • Damit sollen für Schweizer und EU-Akteure im Binnenmarkt gleiche Bedingungen geschaffen und Wettbewerbsverzerrungen durch staatliche Eingriffe vermieden werden («level playing field»).
  • Alle übrigen Abkommen, die Förderung wirtschaftlich benachteiligter Regionen oder die Realisierung von wichtigen Projekten im Landesinteresse sind vom Verbot der staatlichen Beihilfen nicht betroffen.

 

Einschätzung von economiesuisse

  • economiesuisse begrüsst, dass das EU-Beihilferecht künftig nur in den Binnenmarktabkommen Luft- und Landverkehr sowie Strom Anwendung finden soll. Zudem ist wichtig, dass die Schweiz die Überwachung staatlicher Beihilfen selbst vornehmen wird (Zwei-Pfeiler-Modell).
  • Aus Sicht der Wirtschaft ist eine erhöhte Transparenz der Subventionen und Beihilfen in der Schweiz generell wünschenswert.

Unabhängigkeit der Überwachung staatlicher Beihilfen bleibt gewährleistet

Die Einhaltung der staatlichen Beihilferegeln soll jeweils durch eine eigenständige, unabhängige Überwachungsinstanz mit gleichwertigem Vorgehen sichergestellt werden. Im Falle der EU ist dies die EU-Kommission. Die Schweiz hätte ein eigenes System und müsste eine solche Instanz noch schaffen oder diese Aufgabe einer bereits bestehenden Instanz (z.B. der Wettbewerbskommission WEKO) zuweisen. Diese kann über die Rückerstattung unrechtmässiger staatlicher finanzieller Beihilfen an Unternehmen entscheiden oder eine Genehmigung für geplante Beihilfen erteilen.

Landverkehr: Keine Liberalisierung des nationalen Verkehrs vorgesehen

Die EU fordert von der Schweiz im Kontext des Landverkehrsabkommens einzig, den internationalen Schienen-Personenverkehr (IPV) zu öffnen. Für Schweizer Bahnreisende ist damit ein Ausbau des Angebots internationaler Zugverbindungen zu erwarten. Neue Anbieter müssten jedoch den Taktfahrplan berücksichtigen, die Tarifintegration respektieren sowie die Schweizer Arbeitsbedingungen einhalten. Der Service Public in der Schweiz ist nicht betroffen: Auswirkungen auf die Bahninfrastruktur sind ausgeschlossen und nicht Teil des Abkommens. Eine Liberalisierung des nationalen Verkehrs steht somit nicht zur Debatte.

Unionsbürgerrichtlinie (UBRL)

  • Seit 2004 regelt die UBRL die Freizügigkeit und den Aufenthalt von EU-Staatsangehörigen. Als Rechtsakt fasst die UBRL die meisten bis heute geltenden Regelungen im Bereich der Personenfreizügigkeit zusammen.
  • Für die Verhandlungen zielt der Bundesrat darauf ab, die Risiken für das Schweizer Sozialhilfesystem durch die Übernahme der UBRL zu minimieren. Ebenso wird die Freizügigkeit auf Arbeitnehmende fokussiert.
  • Zudem wird gemäss Mandatsentwurf und Sondierungsresultat ein Konflikt mit der geltenden Schweizerischen Bundesverfassung bei der Frage des Landesverweises ausgeschlossen.

 

Einschätzung von economiesuisse

  • Aus Sicht von economiesuisse ist eine Ausweitung der Anwendbarkeit der UBRL über die Personenfreizügigkeit hinaus unzulässig.
  • Für die Verhandlungen ist es essenziell, dass die binnenmarktrelevanten Vorschriften, die von der Schweiz übernommen werden müssen, klar von denjenigen abgegrenzt werden, die nicht übernommen werden müssen.

Es droht keine Einwanderung in die Sozialsysteme der Schweiz

Beim Recht der EU-Bürger auf Aufenthalt und beim Anspruch auf Sozialleistungen bis zu fünf Jahren ist die Rechtslage in der EU und der Schweiz bereits heute vergleichbar: Beides ist an einen bestehenden Arbeitsvertrag geknüpft. Hier räumt die EU der Schweiz eine ausdrückliche Ausnahme ein, welche sie vor einer künftigen Änderung des EU-Rechts schützt. Zudem räumt der EuGH den EU-Mitgliedstaaten beim Anspruch auf Sozialleistungen von nicht erwerbstätigen Unionsbürgern aus einem anderen EU-Land einen weiten Gestaltungsspielraum ein. Nicht erwerbstätige Unionsbürger, die sich allein mit dem Ziel, in den Genuss von Sozialhilfe zu kommen, in einen anderen Mitgliedstaat begeben, können von bestimmten Sozialleistungen ausgeschlossen werden, urteilte der EuGH im November 2014.

Kriminelle EU-Staatsangehörige können auch künftig ausgewiesen werden

Mit einer teilweisen Übernahme der UBRL wird die Ausweisung krimineller Unionsbürger aus der Schweiz nicht erschwert. Ausserdem soll der Schweiz gemäss Common Understanding eine Ausnahme gewährt werden, wonach der in der Unionsbürgerrichtlinie geltende, verstärkte Schutz von kriminellen EU-Bürgern vor Ausweisung nicht gilt. Die Entscheidedes Bundesgerichts zum Landesverweis von EU-Bürgern zeigen, dass die Schweizer Praxis im Rahmen des den EU-Mitgliedstaaten zugestandenen Ermessensspielraums liegt: So wurde 2019 die Ausweisung eines zu 19 Monaten Freiheitsstrafe verurteilten, spanischen Staatsangehörigen wegen Drogenhandels bestätigt, weil er mit seinem Verhalten die öffentliche Ordnung und die Gesundheit vieler Menschen gefährdet hatte.

Angehörige unserer Nachbarstaaten haben schon heute Daueraufenthaltsrecht

Bereits heute haben Angehörige von 15 EU- und EFTA-Staaten aufgrund des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) und von bilateralen Vereinbarungen einen Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung nach fünf Jahren Aufenthalt in der Schweiz. Mit der Übernahme von Teilen der UBRL würde dieser Anspruch auf alle übrigen EU-Mitgliedstaaten ausgedehnt. Die Folgen dieser Ausweitung dürften sich allerdings in Grenzen halten, da Angehörige der Nachbarstaaten mit den grössten Einwanderungskontingenten (Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich) schon heute ein Anrecht auf Daueraufenthalt nach fünf Jahren haben.

Verstetigung des Schweizer Kohäsionsbeitrags

  • Der Paketansatz sieht einen regelmässigen Beitrag der Schweiz zur Kohäsion innerhalb der EU vor. Dabei handelt es sich um autonom geleistete Finanzhilfen der Schweiz an bestimmte EU-Mitgliedsstaaten.
  • Die Schweiz beteiligt sich bereits seit 2007 an ausgewählten Projekten zur Verringerung wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheiten in der EU. Damit trägt sie zur Förderung des Zusammenhalts und der Stabilität in Europa bei.

 

Einschätzung von economiesuisse

  • Die Verstetigung des Beitrags ist bei einem aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zufriedenstellenden Ergebnis der Verhandlungen zu begrüssen.
  • Es liegt auch im Interesse der Schweiz, die wirtschaftlichen Unterschiede im europäischen Binnenmarkt zu verringern, so dass die teilnehmenden Staaten zu attraktiven Zielmärkten mit höherer Kaufkraft heranwachsen.
  • Es liegt im politischen und wirtschaftlichen Landesinteresse, die Beziehungen mit den Empfängerstaaten in Mittel- und Osteuropa auszubauen.