Drei Monate Ukraine-Krieg: Drei Punkte zur Neubewertung der Globalisierung

Die Weltwirtschaft wird sich als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine verändern. Besonders die liberalen Demokratien werden viel stärker für die Einhaltung zentraler Werte wie Menschenrechte und internationales Recht einstehen müssen.

Vor drei Monaten begann Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Tragödie hat auch Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Dabei fallen mir drei Punkte besonders auf:

Wie hat der Krieg in der Ukraine die Globalisierung verändert?

Der Krieg in der Ukraine ist eine Tragödie für deren Bevölkerung. Er stellt auch eine Bedrohung für den Weltfrieden dar. Die liberalen Demokratien haben stark reagiert und Russland mit weitgehenden Wirtschaftssanktionen quasi aus der Weltwirtschaft hinausgedrängt – meines Erachtens zu Recht. Die G-7-Staaten machen rund 45 Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts (BIP) aus und umfassen die Märkte mit der höchsten Kaufkraft. Ist ihre geschlossene Reaktion der Beginn einer Phase der «Deglobalisierung»? Ich glaube nicht – es ist eher die Veränderung der Globalisierung, die in den vergangenen 30 Jahren Länder mit ganz unterschiedlichen Gesellschaftssystemen wirtschaftlich immer stärker miteinander verbunden hat. Diese Verbindung hat viel Wohlstand geschaffen und die Armut stark reduziert. Gleichzeitig hat die Globalisierung auch gegenseitige Abhängigkeiten geschaffen. Und diese sind nun nicht zu übersehen. Wenn Russland den Export von ukrainischem Weizen blockiert, dann erhöht dies das Risiko von Hungersnöten in Afrika. Hier braucht es rasche und gezielte Gegenmassnahmen. Denn die zentrale Aufgabe der Globalisierung ist nicht die Versorgung von Teenagern mit neuen Smartphones im Zweijahresrhythmus, sondern die Reduktion der Armut auf der Welt.

Wie könnte die Globalisierung weitergehen?

Kein Wirtschaftsraum ist gross und fähig genug, um sämtliche Güter und Dienstleistungen selbst zu entwickeln und zu produzieren. Die gegenseitigen Abhängigkeiten beinhalten aber das Risiko von Störungen in den globalen Lieferketten. Dies zeigen die COVID-19-Pandemie, das Versiegen russischer Energielieferungen an Europa oder die Blockierung des Suezkanals durch ein havariertes Containerschiff. Die Globalisierung verändert sich vor unseren Augen. Gegenwärtig zeigt sich aber weniger eine gross angelegte Rückverlagerung industrieller Produktion in den Norden, als vielmehr ein Streben nach mehreren Lieferquellen. Die Diversifizierung der Lieferketten ist das Gebot der Stunde, das Ziel ist das Knüpfen krisenresistenter Liefernetzwerke. Das ist eine grosse Chance für neue Player. Damit die Chancen aber auch genutzt werden können, braucht es offene Märkte.

Wie könnte die Rolle liberaler Demokratien aussehen?

Ja, wir im Westen haben uns in der russischen Regierung getäuscht. Worin sich die liberalen Demokratien jedoch nicht täuschen dürfen, ist ihre Sichtweise auf die vor uns liegenden Risiken für den Weltfrieden. Wenn Russland in der Ukraine nicht gestoppt wird, wo wird Russland als Nächstes zuschlagen? Es gilt zu verhindern, dass der Kreml und andere Mächte internationales Recht durch das Recht des Stärkeren ersetzen. Die liberalen Demokratien müssen in den kommenden Jahren international noch viel klarer einstehen für zentrale Werte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und internationales Recht. Diese Werte sind bereits heute in der UNO-Charta, der Welthandelsorganisation, der Internationalen Arbeitsorganisation, der Weltbankgruppe oder den UNO-Nachhaltigkeitszielen in zahlreichen Konventionen enthalten. Es wird darum gehen, gemeinsam für die Umsetzung dieser Werte in den dafür geschaffenen Organisationen einzustehen.