Kran hebt Container

Lieferengpässe werden zum Konjunkturrisiko

Viele Schweizer Firmen sind derzeit mit Lieferschwierigkeiten bei Vorprodukten und Rohstoffen konfrontiert. Die Situation wird sich nicht so bald normalisieren, wie eine Umfrage von economiesuisse bei Schweizer Unternehmen, Branchenverbänden und Handelskammern zeigt. Die weltweiten Lieferengpässe führen zu Preissteigerungen, längeren Wartezeiten, Planungsschwierigkeiten, Umsatzausfällen und verhindern eine raschere konjunkturelle Erholung, auch in der Schweiz.

Vor fast genau einem Jahr bereiteten eine schwächelnde Nachfrage und Arbeitsausfälle den Schweizer Unternehmen die grössten Sorgen. Die Pandemie und die getroffenen Eindämmungsmassnahmen belasteten damals vor allem die Absätze. Auch heute beschäftigen die Auswirkungen von Corona noch viele Betriebe. Doch aus dem Absatz- wurde vor allem ein Produktionsproblem: Vier von fünf befragten Unternehmen melden aktuell Schwierigkeiten beim Bezug von Vorprodukten. Dieser Anteil ist grösser als während des ersten Lockdowns im April 2020. Betroffen ist fast der ganze Industriesektor – inklusive die Baubranche. Aber auch der Gross- und Einzelhandel leidet unter Lieferproblemen. Es handelt sich um ein breitflächiges Phänomen: Über 80 Prozent der befragten Branchenvertreter berichten von Lieferengpässen in ihrem Wirtschaftszweig.

Während am Anfang vor allem Produkte aus Asien betroffen waren, treten die Lieferschwierigkeiten mittlerweile in nahezu allen Weltregionen auf. Die meist eng mit dem europäischen Markt verflochtenen Schweizer Unternehmen nennen denn auch Europa an erster Stelle der betroffenen Regionen – gefolgt von Asien. Nicht nur geografisch hat sich das Problem mit den Lieferengpässen ausgedehnt, sondern auch bei den betroffenen Produktkategorien. Es mangelt an Rohstoffen wie Stahl, Aluminium und Holz. Hinzu kommen stark gestiegene Energiepreise etwa in Europa und China. Das führt auch bei vielen Vorprodukten – zum Beispiel Halbleitern – zu einer akuten Knappheit. Doch es fehlen nicht nur Chips, sondern auch gewisse Kunststoffe und chemische Erzeugnisse. Im nachgelagerten Konsumgütermarkt macht sich der Mangel ebenfalls bemerkbar. Unter anderem bei den Waschmaschinen, Autos bis hin zu Spielzeugen oder Skis.

Höhere Nachfrage, weniger Produktion und Probleme beim Transport

Die Gründe für die Lieferengpässe sind vielfältig: Am häufigsten nennen die Unternehmen Probleme beim Transport und der Logistik. Geschlossene Häfen und fehlende Container als Nachwehen der Corona-Pandemie beeinträchtigen die Lieferketten. Zudem verzögern Produktionsausfälle bei Zulieferern die Herstellungsprozesse. Viele Fabriken in Asien mussten und müssen aufgrund von Pandemiemassnahmen die Herstellung ihrer Produkte drosseln oder einstellen. In einigen Fällen kam es gar zu Fabrikschliessungen. Folglich berichten 41 Prozent der Unternehmen, dass Corona-Massnahmen im Herstellungsland ein Grund für Lieferschwierigkeiten sind. Aber auch verschiedene Umweltereignisse, beispielsweise der Wirbelsturm «Grace», hatten einen Einfluss. Stromausfälle belasten die Produktion zusätzlich.

Die eingeschränkten Produktionskapazitäten treffen dabei in einem Grossteil der Unternehmen auf eine steigende Nachfrage. Zurückgestaute Kaufkraft, staatliche Stützungsmassnahmen und die Aussicht auf ein Ende der pandemiebedingten Einschränkungen befeuern den Konsum. Als Folge davon kann die Produktion nicht mit der Nachfrage mithalten.

Unternehmen müssen Preise erhöhen, verzichten aber auf Personalabbau

Die Engpässe bleiben nicht ohne Folgen. Längere Wartezeiten und ein gestiegener Planungsaufwand stellen die Betriebe vor grosse Herausforderungen. Rund ein Fünftel der Unternehmen muss bestehende Aufträge stornieren sowie neue Aufträge bereits ablehnen. Das führt aktuell bei mehr als der Hälfte der betroffenen Unternehmen zu Umsatzausfällen.

Doch die Betriebe versuchen Gegensteuer zu geben. Viele Unternehmen haben ihre Lager aufgestockt. Rund die Hälfte der Firmen sucht nach neuen Lieferanten in einem anderen Land. Ein etwas geringerer Anteil sucht nach alternativen Lieferoptionen im Herstellungsland. Praktisch kein Thema ist hingegen die Herstellung der fehlenden Komponenten im eigenen Unternehmen – oftmals fehlt es an Know-how. Auch ein Personalabbau kommt für den Grossteil der Unternehmen nicht infrage. Das überrascht angesichts eines ausgeprägten Fachkräftemangels wenig. Allerdings ziehen knapp sechs Prozent der Befragten, darunter insbesondere Zulieferbetriebe für die Autoindustrie, eine Erhöhung der Kurzarbeit ernsthaft in Erwägung.

Viele sehen sich aufgrund des gestiegenen Aufwands und der höheren Einkaufspreise gezwungen, ihre eigenen Preise anzupassen. Rund die Hälfte der Unternehmen hat die Preise bereits erhöht, drei Fünftel planen diesen Schritt innerhalb der nächsten sechs Monate. Während die Verkaufspreise für einzelne Komponenten um den Faktor 100 oder mehr gestiegen sind, erwarten die befragten Branchenvertreter innerhalb des nächsten halben Jahres – über alle betroffenen Güter gerechnet – einen Preisanstieg von rund fünf Prozent. Auch wenn ein Teil des Preisdrucks über die Margen abgefangen werden wird, werden die Probleme mit stockenden Logistikketten und fehlenden Bauteilen vermehrt auch für die Konsumenten spürbar werden.

Probleme erschweren die Erholung und verstärken den Inflationsdruck

Wie gross die Auswirkungen dieser Verwerfungen auf die Weltwirtschaft sein werden, hängt wesentlich von der Dauer der Engpässe ab. Die Einschätzung der Befragten lässt aber aufhorchen: Die betroffenen Branchen rechnen erst im Verlauf des nächsten Jahres mit einem Ende der Lieferschwierigkeiten. Unter diesen Voraussetzungen dürfte sich eine Normalisierung wesentlich verzögern. Gleichzeitig erhöhen die steigenden Preise für Rohstoffe, Energie und Vorprodukte das Risiko einer anziehenden Inflation. Dies ist eine gefährliche Entwicklung und könnte die Wirtschaftsaussichten für dieses und nächstes Jahr erheblich trüben.

 


Die Umfrage wurde von economiesuisse vom 13. bis zum 19. Oktober 2021 durchgeführt. Teilgenommen haben 237 Organisationen. Die Umfrage deckt alle Landesteile der Schweiz ab. 20 Branchenverbände haben die Umfrage konsolidiert für ihre Branche ausgefüllt. Die Auswertung zeigt ein aktuelles Stimmungsbild der Schweizer Wirtschaft. Die Antworten wurden jeweils nicht gewichtet und die Ergebnisse erheben keinen Anspruch auf Repräsentativität.