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Selbstregulierung – erfolgreich und nicht nur schweizerisch

Selbstregulierung ist eine bewährte und zugleich moderne Antwort auf die heutige Komplexität des Wirtschaftslebens.

Die Selbstregulierung in der Schweiz steht unter Druck. Es wird der Eindruck erweckt, dieses wichtige Instrument sei eine längst überholte schweizerische Eigenart und nur zentral vom Gesetzgeber oder den Behörden verabschiedete Regeln können heutzutage ausreichend Sicherheit schaffen.

Professor Andrea Minto der Universität Venedig hat eine Analyse der Selbstregulierung erstellt. Er bestätigt, dass das Gegenteil der Fall ist: Selbstregulierung weist zahlreiche Vorteile auf und ist gerade ausserhalb der EU ein weiterhin breit anerkanntes und mit Erfolg genutztes Instrument.

Selbstregulierung: schnell und präzise

Die wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten ändern heutzutage äusserst schnell. Dadurch veraltet die Gesetzgebung viel schneller als dies früher der Fall war. Die langsamen regulären Gesetzgebungsprozesse entsprechen damit oftmals nicht mehr den wirtschaftlichen Realitäten. Aus diesem Grund sind der Erlass von Rahmengesetzen wie zum Beispiel das Finanzmarktinfrastrukturgesetz («FinfraG») oder auch das Setzen auf verstärkte Selbstregulierung willkommene Alternativen.

Wer soll Regeln erlassen?

Der Staat schafft mehrheitlich die Regeln der schweizerischen Rechtsordnung. Doch ist es nicht sinnvoll, wenn der Staat selbst alles bis ins kleinste Detail regelt. Er kann den Privaten auch Raum lassen, Regeln selbst zu gestalten. Entsprechend bedeutet Selbstregulierung, wenn «Private selbst Recht setzen».

Wo genau regulieren Private selbst?

Es gibt in der Schweiz zahlreiche Beispiele erfolgreicher Selbstregulierung. Zu denken ist dabei einmal an den Swiss Code of Best Practice of Corporate Governance. Seit 2002 dient der «Swiss Code» von economiesuisse als Richtschnur für Corporate Governance von Schweizer Unternehmen und prägte die entsprechende Entwicklung in der Schweiz massgeblich. Anfang 2023 kann eine revidierte Fassung der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Zudem sind allen Bauherrinnen, welche in der Schweiz bauen, die vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein herausgegebenen «SIA-Normen» ein Begriff. Auch dabei handelt es sich um erfolgreiche Selbstregulierung.

Ebenso geläufig sind die Standesordnungen der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH oder auch die vom Schweizerischen Anwaltsverband für seine Mitglieder erlassenen Standesregeln SAV. Im Bankenbereich stellt die Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken einen wesentlichen Baustein im Schweizer Abwehrdispositiv zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung dar.

Auch kann gesetzlich vorgesehen werden, dass private Regelwerke zwecks Erlangung einer staatlichen Bewilligung befolgt werden müssen, dies ist beispielsweise beim Recht der kollektiven Kapitalanlagen der Fall.

Ein ganz aktuelles Beispiel sind die auf Jahresbeginn 2023 in Kraft tretenden neuen Regeln der SBVg, welche die Integration der Nachhaltigkeit in den Beratungsprozess der Banken regeln und für die Mitglieder der SBVg verbindlich sind. Damit wird festgelegt, wie die ESG-Themen bei der Beratung der Kunden durch die Bankmitarbeitenden gehandhabt und in die bestehenden Anlageprozesse integriert werden sollen.

Zahlreiche Vorzüge guter Selbstregulierung!

Das Konzept der Selbstregulierung hat sich bewährt und hat in der Schweiz eine langjährige Tradition. Gerade weil die Selbstregulierung nicht durch den regelmässig langwierigen politischen Gesetzgebungsprozess gehen muss, erlaubt diese eine schnelle und zeitnahe Reaktion auf eine bestimmte Situation. Da die Selbstregulierung von den Nutzern bezahlt wird, ist diese auch kosteneffizient. Und weil die Privaten die erforderliche Nähe zur Praxis und zum Markt aufweisen, werden durch Selbstregulierung auch pragmatische und fachkundige Lösungen ermöglicht.

Selbstregulierung: keine schweizerische Besonderheit

Die Regulierung durch Private hat in der Schweiz zwar Tradition und hat sich bewährt. Gerade auch weil die zahlreichen damit verbundenen Vorteile zu Recht als Ausfluss des verfassungsmässigen Verhältnismässigkeitsprinzips unserer Bundesverfassung gelten. Die Vorzüge der Effizienz und ausgewiesenen Fachkunde von Selbstregulierung werden dabei bei Weitem nicht nur in der Schweiz als solche anerkannt.

Hervorzuheben ist, dass auch zahlreiche andere Länder auf die bedeutsamen Vorteile setzen, die gute Selbstregulierung mit sich bringt. Lesenswert für Interessierte vor diesem Hintergrund auch die Erörterungen von Prof. Andrea Minto, welcher hierfür die verschiedenen Selbstregulierungskonzepte in der EU, den USA, in Singapur, Kanada, den UK oder auch Brasilien genauer unter die Lupe nimmt.

Selbstregulierung als Ausfluss des Subsidiaritätsprinzips

Selbstregulierung ist schliesslich eine Antwort auf die Anforderungen der zunehmenden Komplexität moderner gesellschaftlicher Organisationsformen. Es ist darauf zu achten, dass der Staat nur das regelt, was nicht ebenso gut und damit flexibler durch Selbstregulierung geregelt werden kann – gemäss dem sogenannten «Subsidiaritätsprinzip».

Im Lichte der zahlreichen Vorteile, welche Selbstregulierung bietet, der etablierten Tradition dieses Instruments in der Schweiz und der breiten Akzeptanz der Selbstregulierung weltweit ist es von grundlegender Bedeutung, dass auch die hiesigen Gesetzgeber und Regulatoren weiterhin an diesem Instrument festhalten und den Nutzen für die Regulierung im Land weiterhin anerkennen.