Von Seerosen und Denkfehlern

«Jedes Jahr mit zwei Prozent zu wachsen, ist für eine Volkswirtschaft gar nicht möglich. Wir sollten endlich einmal Mass halten. Die Werbung verführt uns zu unnötigem Konsum.» Solche Aussagen von Wachstumskritikern sind derzeit hoch im Kurs. Sie unterliegen jedoch häufig grundlegenden Denkfehlern.

Exponentielles Wachstum ist in der Wirtschaft, im Unterschied zur unmittelbaren Intuition, kein Problem. Während beispielsweise ein See durch ein exponentielles Wachstum von Seerosen in kürzester Zeit bedeckt ist – was zum Problem von Flora und Fauna werden kann –, verhält es sich beim Wirtschaftswachstum grundlegend anders. Langfristig wächst die Wirtschaft mittels Ideen und technologischem Fortschritt. Diese wiederum entstehen auf der Grundlage von bereits bestehenden Ideen, womit der Ideenpool kontinuierlich anwächst. Ein jährliches Wachstum von beispielsweise zwei Prozent bezieht sich somit auf eine immer grösser werdende Grundgesamtheit – im Unterschied zum beliebten Seerosenbeispiel mit dem See als fester Grösse.

Noch einen weiteren Denkfehler gilt es zu korrigieren: Wirtschaftswachstum entspricht nicht dem Wachstum der Anzahl konsumierter Güter. Vielmehr fliesst deren Wert in das Bruttoinlandsprodukt ein. Wir kaufen nicht per se mehr Kühlschränke, sondern effizientere bzw. qualitativ bessere. Diese verbrauchen weniger Energie, sind besser isoliert und leichter – und anspruchsvoller in der Herstellung. Auch essen wir nicht von einem Tag auf den anderen doppelt so viele Äpfel. Allerdings achten wir vielleicht auf bessere Qualität oder essen Bioobst. Die Produktionskosten dieser neuen und besseren Angebote, ihr Preis und der Beitrag ans Bruttoinlandsprodukt steigen. Denn beim Wirtschaftswachstum geht es in weitentwickelten Ländern vor allem um Qualität, nicht um Quantität. Solange Menschen nach einer Verbesserung oder Vereinfachung ihres Lebens streben, solange wird es wirtschaftliches Wachstum geben. Und das ist gut so – für Mensch und Umwelt.