Zum Geburtstag der bilateralen Abkommen
Nächsten Montag gibt es etwas zu feiern. Dann nämlich ist es genau 18 Jahre her, dass die Bilateralen I in Kraft gesetzt wurden. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr werden sie an der Urne einmal mehr auf den Prüfstand gestellt. Der ideale Zeitpunkt also, in sich zu gehen und zurückzublicken. Denn für die Schweiz war der Vertragsabschluss eine grosse Erleichterung. Ohne ihn wären wir ins Abseits geraten. Kein anderes Land hat von der Teilnahme am europäischen Binnenmarkt einen derart grossen Nutzen gezogen wie unseres. Das soll auch in Zukunft so bleiben.
Wer kennt diese Situation nicht. Solange man denken kann, träumt man vom 18. Geburtstag – ein grosser Tag im eigenen Leben. Dann nämlich wird man volljährig und auf einen Schlag erhält man automatisch mehr Rechte und Freiheiten. Es erstaunt daher nicht, dass gerade dieser Geburtstag speziell gefeiert wird.
Die nächste grosse Feier steht nun am Pfingstmontag vor der Tür. Am 1. Juni dieses Jahres feiern die Bilateralen I zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) ihr 18-Jahr-Jubiläum. Das Vertragspaket umfasst insgesamt sieben Abkommen (Personenfreizügigkeit, Luft- und Landverkehr, Forschung, Landwirtschaft, technische Handelshemmnisse, öffentliches Beschaffungswesen) und ist am 1. Juni 2002 in Kraft getreten. Die Bilateralen sind quasi volljährig. Doch obwohl sie sich über die Jahre hinweg in mehrfacher Hinsicht bewährt haben, werden sie auch in diesem Jahr einmal mehr Gegenstand einer Volksabstimmung sein. Höchste Zeit also, sich das Leben der Bilateralen I näher unter die Lupe zu nehmen.
Alle Bundesratsparteien befürworteten die Bilateralen I bei ihrem Inkrafttreten. Auch das Volk hat den bilateralen Weg an der Urne mehrmals mit deutlicher Mehrheit bestätigt.
Erlauben Sie mir drei Gedanken zur Volljährigkeit der Bilateralen I: Erstens waren wir Schweizerinnen und Schweizer damals heilfroh, dass wir die Verhandlungen mit der EU erfolgreich abschliessen konnten. So froh, dass sich sämtliche Bundesratsparteien in der eidgenössischen Volksabstimmung über die Bilateralen I überzeugt auf der Seite der Befürworter befanden. Denn nach dem Volksnein zum Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR herrschte in unserem Land eine grosse Unklarheit, ob und wie die Schweiz dennoch am europäischen Binnenmarkt teilnehmen kann. Die Frage war insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen sehr wichtig. Ein Abseitsstehen wäre schlecht gewesen für die Exportnation Schweiz. Die Bilateralen I waren also quasi ein Wunschkind.
Die sieben Abkommen der Bilateralen I bedeuteten für die Schweiz einen europapolitischen Durchbruch.
Zweitens blickte die Schweiz vor 18 Jahren auf eine magere Wirtschaftsentwicklung zurück. Die 1990er-Jahre gelten als ein Jahrzehnt der wirtschaftlichen Stagnation. Die Reformen im Inland und die Sicherung der Teilnahme am Binnenmarkt änderten dies. Die Reallöhne stiegen und die Arbeitslosigkeit ging wieder zurück. Wir hatten aus dieser Zeit gelernt und die Weichen richtig gestellt. Ich gehe davon aus, dass die Schweiz ohne Bilaterale I Mühe gehabt hätte, ihre starke Wettbewerbsfähigkeit sowie ihre erstklassige Position als Produktions-, Dienstleistungs- und Forschungsstandort zu erreichen.
Drittens sind die Bilateralen I auch in Zukunft wichtig für unser Land: Die sieben Abkommen über Personenfreizügigkeit, Forschung, Anerkennung Technischer Normen, Landwirtschaft, Luft- und Landverkehr sowie das öffentliche Beschaffungswesen haben sich als sehr wertvoll erwiesen. Sie sorgen dafür, dass unsere Firmen auf dem internationalen Handelsspielfeld als erfolgreiche Player mitwirken können. Gemäss Studien ist die Schweiz gar dasjenige Land, das den grössten Nutzen aus der Teilnahme am Binnenmarkt zieht – und das ganz ohne EU-Beitritt. Die Bilateralen stärken in diesem Sinne auch unsere Souveränität und Selbstbestimmung.
Ein Ja zur Kündigungsinitiative am 27. September bedeutet faktisch das Ende des bilateralen Wegs.
Das alles ist aber nicht in Stein gemeisselt. Mit der Kündigungsinitiative – über die wir am 27. September abstimmen werden – geht es um die Frage, ob wir den bewährten bilateralen Weg weiterführen oder innert kürzester Frist beenden wollen. Die Initianten wollen die Personenfreizügigkeit kündigen. Da diese durch die «Guillotine-Klausel» aber mit allen anderen sechs Verträgen verknüpft ist, würde im Falle einer Annahme das gesamte Vertragspaket wegfallen. Das hätte weitreichende Konsequenzen, weshalb das Vorhaben ein überzeugtes Nein braucht. Unsere Direktdemokratie ist so lebendig und voller Ideen wie ein Mensch im Alter von 18 Jahren.
Wie bei jedem Geburtstag darf gemeckert werden, aber an den Fakten ändert das nichts.