
Auf einen Blick
Die Kündigungsinitiative II fordert, die ständige Bevölkerung in der Schweiz bis 2050 auf zehn Millionen Menschen zu begrenzen. Wird diese Schwelle vorher überschritten, muss das Personenfreizügigkeitsabkommen gekündigt werden. Dies bedeutet das Ende des bewährten bilateralen Wegs mit der EU. Die Initiative ignoriert die demografische Entwicklung und gefährdet unseren Wohlstand, da die Schweiz auch in Zukunft auf die Zuwanderung von Arbeitskräften angewiesen sein wird. Eine starre Bevölkerungsobergrenze ist kein sinnvolles Instrument. Die Kündigungsinitiative II löst keine Probleme, schafft aber zahlreiche neue.
Das Wichtigste in Kürze
Die Kündigungsinitiative II der SVP verlangt, die ständige Wohnbevölkerung in der Schweiz bis zum Jahr 2050 auf zehn Millionen Personen zu begrenzen. Wird diese Schwelle vorher überschritten, muss das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU gekündigt werden. Aufgrund der Guillotine-Klausel führt dies automatisch zum Wegfall aller sieben Verträge der Bilateralen I. Eine Annahme der Initiative bedeutet somit das Ende des bewährten bilateralen Erfolgswegs mit der EU und bringt negative Folgen für Wohlstand, Wirtschaft und Sicherheit in der Schweiz mit sich. Zudem verschliesst die Initiative die Augen vor den gewaltigen Herausforderungen des demografischen Wandels: Die Schweiz ist heute wie künftig auf eine Arbeitskräftezuwanderung angewiesen. Ohne Nettozuwanderung würde die Erwerbsbevölkerung bereits heute schrumpfen. Dank der Personenfreizügigkeit mit der EU erhält die Schweiz auf unbürokratische Weise diejenigen Arbeitskräfte, die sie benötigt, wenn sie im Inland nicht genügend Personal findet. Gleichwohl braucht es wirksame Massnahmen gegen die unerwünschten Folgen der Zuwanderung sowie konkrete Lösungen in der Arbeitsmarkt-, Asyl-, Wohn- und Infrastrukturpolitik. Eine starre Bevölkerungsobergrenze ist hingegen ein schädlicher Bumerang, der auf die Schweiz zurückfallen wird. Die Kündigungsinitiative II löst keine Probleme, schafft aber zahlreiche neue.
Dieses Papier wurde gemeinsam mit dem Schweizerischen Arbeitgeberverband veröffentlicht.
Position economiesuisse
Die Kündigungsinitiative II der SVP ist aus mehreren Gründen klar abzulehnen:
- Die Initiative beabsichtigt, die Personenfreizügigkeit zu kündigen und zerstört damit den bilateralen Erfolgsweg der Schweiz mit der EU.
- Die EU ist und bleibt die mit Abstand wichtigste Handelspartnerin der Schweiz. Der bilaterale Weg hat sich bewährt und unseren Wohlstand begünstigt. Die Initianten schlagen keine gleichwertige Alternative zu den Bilateralen vor.
- Es gehen bereits heute mehr Arbeitskräfte in Pension, als Junge ins Berufsleben eintreten. Dieser demografische Wandel spitzt sich immer weiter zu: Ohne die dringend benötigten Arbeitskräfte aus dem EU-Raum drohen Firmenwegzüge, der Verlust von Steuereinnahmen, weniger Innovation, eine schlechtere Versorgung und ein abnehmendes Serviceniveau. Dies führt letztlich zu einem Wohlstandsverlust für alle.
- Ohne Arbeitskräftezuwanderung gerät die AHV schneller in Schieflage. Zudem stützen ausländische Arbeitskräfte unsere Altersvorsorge auch langfristig.
- Ein teures und ineffizientes Kontingentsystem senkt die Zuwanderung nicht, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt. Es bleibt zudem unklar, wer künftig auf die dringend benötigten ausländischen Arbeitskräfte verzichten soll.
- Die Sorgen der Bevölkerung hinsichtlich der Zuwanderung müssen ernst genommen werden. Es braucht zweckmässige Massnahmen zur Erhöhung der Produktivität, eine bessere Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials sowie gezielte Massnahmen in der Asyl-, Wohn- und Infrastrukturpolitik.

Die Kündigungsinitiative II der SVP ist ein Etikettenschwindel
Am 3. April 2024 hat die SVP bei der Bundeskanzlei die Unterschriften für die Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz! (Nachhaltigkeitsinitiative)» eingereicht. Diese ist am 10. Mai 2024 formell zustande gekommen.
Der Bundesrat lehnt die Initiative gemäss seiner Medienmitteilung vom 26. Juni 2024 ab. Seiner Ansicht nach gefährdet sie den Wohlstand, die Wirtschaftsentwicklung und die Sicherheit in der Schweiz. economiesuisse begrüsst diesen Entscheid des Bundesrats und unterstützt die Bemühungen, zweckmässige und gezielte Massnahmen gegen die unerwünschten Folgen der Zuwanderung zu ergreifen.
Obwohl die SVP ihre Initiative offiziell Nachhaltigkeitsinitiative nennt, ist die Nachhaltigkeit nur ein irreführender Begriff zur Verschleierung der wahren Absicht. Wie bereits bei der Abstimmung über die Kündigungsinitiative I im Jahr 2020 zielt die SVP auch mit der Kündigungsinitiative II auf die Beendigung der Personenfreizügigkeit ab. Zudem will sie in der Verfassung festschreiben, dass die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz vor dem Jahr 2050 die starre Obergrenze von zehn Millionen Menschen nicht überschreiten darf (siehe Initiativtext).
Das vorliegende Dossier zeigt die negativen Folgen der Kündigungsinitiative II der SVP auf und erklärt, welche Massnahmen stattdessen ergriffen werden sollen. Es geht dabei auf die vier nachfolgenden Leitfragen ein:
- Weshalb beendet eine Annahme der Initiative den bilateralen Weg?
- Weshalb sind die bilateralen Verträge für uns so wichtig?
- Warum brauchen wir auch weiterhin eine Arbeitskräftezuwanderung?
- Welche konkreten Massnahmen schlägt die Wirtschaft vor, um die Sorgen der Bevölkerung hinsichtlich der Zuwanderung zu adressieren?

Annahme der Kündigungsinitiative II bedeutet das Ende des bilateralen Erfolgswegs
Kündigung der Personenfreizügigkeit wird im Initiativtext explizit gefordert
- Die Kündigung der Personenfreizügigkeit ist das eigentliche Ziel der Initiative. Im Initiativtext heisst es unmissverständlich, dass das Freizügigkeitsabkommen zwei Jahre nach der erstmaligen Überschreitung des Grenzwerts von zehn Millionen Menschen auf den nächstmöglichen Termin gekündigt werden muss.
- Als Folge davon fällt das gesamte Paket der Bilateralen I mit der EU weg; also auch die Abkommen über Land- und Luftverkehr, Landwirtschaft, Forschung, öffentliches Beschaffungswesen und Abbau technischer Handelshemmnisse.
- Denn gemäss der «Guillotine-Klausel» sind alle sieben Abkommen der Bilateralen I untrennbar miteinander verbunden. Wird eines der Abkommen gekündigt, fallen die anderen sechs automatisch auch weg.
- Eine Annahme der Kündigungsinitiative II bedeutet somit das Ende des bilateralen Erfolgswegs der Schweiz mit der EU.

Die Initiative gefährdet auch die Abkommen von Schengen/Dublin
- Von einer Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens sind auch die Verträge von Schengen/Dublin (Teil der Bilateralen II) betroffen. Denn bei den Verhandlungen über die Teilnahme der Schweiz am Schengen-Raum hatte die EU die Personenfreizügigkeit vorausgesetzt.
- Ein Wegfall der Schengen/Dublin-Assoziierung hätte negative Auswirkungen auf die Reisefreiheit, den Tourismus und die Sicherheit in der Schweiz.
- Eine Kündigung des Dublin-Abkommens gäbe beispielsweise jedem Migranten die Möglichkeit, nach einem abgewiesenen Asylgesuch in Europa in der Schweiz ein Zweitgesuch zu stellen.
Die Initianten haben keine gleichwertige Alternative zu den Bilateralen parat
- Eine der grössten Schwachstellen der Initianten ist, dass sie keine gleichwertige Alternative zum Wegfall der Bilateralen vorschlagen. Das ist unverantwortlich.
- Der bilaterale Weg hat sich für die Schweiz als massgeschneiderte Lösung jenseits von EU-Mitgliedschaft, EWR-Beitritt und der Isolation erwiesen. Er bietet der Schweiz die Möglichkeit, in ausgewählten Bereichen sektoriell am europäischen Binnenmarkt teilzunehmen.
- Dank der Bilateralen können wir unsere Souveränität, unsere direkte Demokratie und unseren Föderalismus bewahren und dennoch von den wirtschaftlichen Vorteilen des europäischen Binnenmarkts profitieren.
Die Binnenmarktteilnahme geht weit über ein Freihandelsabkommen hinaus
- Eine Modernisierung des Freihandelsabkommens Schweiz-EU von 1972 kann einen Wegfall der bilateralen Verträge bei Weitem nicht kompensieren.
- Fallen die Bilateralen I weg, würden zum Beispiel keine technischen Handelshemmnisse für Industrieprodukte mehr abgebaut, Luftverkehrsrechte wären nicht abgedeckt, Schweizer Früchte und Gemüse bräuchten eine zusätzliche Zertifizierung für den Export in den EU-Raum, Schweizer Spediteure könnten nicht von zusätzlichen Aufträgen aus der EU profitieren, Schweizer Firmen könnten nicht mehr gleichberechtigt an öffentlichen Ausschreibungen in Städten und Regionen in der EU teilnehmen und es wäre viel bürokratischer, Arbeitskräfte aus der EU zu rekrutieren. Zudem verliert die Schweizer Bevölkerung das Recht, überall im EU-Raum zu leben, zu arbeiten und zu studieren. Das ist nur eine kleine Auswahl an Beispielen.
Die Kündigungsinitiative II ist eine politische Zwängerei
- Erst im September 2020 wurde die erste SVP-Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit (Kündigungsinitiative I) mit 61,7 Prozent Nein-Stimmen klar abgelehnt. Dass die SVP das gleiche Anliegen in neuer Verpackung innerhalb kurzer Zeit erneut an die Urne bringt, zeugt von einer Geringschätzung des Volkswillens.
- Insgesamt hat die Schweizer Stimmbevölkerung den bilateralen Weg seit dem Jahr 2000 in elf Volksabstimmungen immer wieder bestätigt.
- Zudem zeigen Umfragen, dass eine klare Mehrheit der Schweizer Bevölkerung von den Vorteilen der Bilateralen überzeugt ist (siehe aktuellste Europabefragung von Interpharma von 2024).
Massnahmen beim Familiennachzug gefährden die EMRK
Die Kündigungsinitiative II fordert, dass der Bundesrat Massnahmen beim Familiennachzug treffen muss, sollte die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz vor dem Jahr 2050 neuneinhalb Millionen Menschen überschreiten. Damit stellt die SVP das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens infrage, das in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert ist, welche die Schweiz 1974 ratifiziert hat. Diese zentrale Errungenschaft, die auch Schweizer Staatsangehörigen den Familiennachzug aus dem Ausland ermöglicht, sollte durch die Schweiz nicht gebrochen werden. Die Wiedereinführung des unmenschlichen Saisonnier-Statuts, das in der Schweiz von 1930 bis zur Einführung der Personenfreizügigkeit im Jahr 2002 herrschte, ist keine Option. Ein solcher Verstoss oder gar eine Kündigung der EMRK würde für die Schweiz zu einem massiven Reputationsschaden im Ausland führen.

Die Bilateralen mit der EU sind ein zentraler Wohlstandsfaktor für die Schweiz
Die EU ist die mit Abstand wichtigste Handelspartnerin der Schweiz
- Die rund 450 Millionen Konsumierenden und 32 Millionen Unternehmen im europäischen Binnenmarkt nehmen heute rund 50 Prozent unserer exportierten Waren ab. Gleichzeitig stammen rund 70 Prozent unserer Importe aus der EU – und das aufgrund der Bilateralen zu bestmöglichen Bedingungen.
- Die Beendigung der sektoriellen Teilnahme am EU-Binnenmarkt führt zu erheblichen Nachteilen für die Exportnation Schweiz (siehe vorheriges Kapitel).
- Die EU würde eine Verschlechterung der Handelsbeziehungen mit der Schweiz besser verkraften als umgekehrt: Pro Einwohner verdienen wir mit Güterexporten in die EU rund 15'400 Franken, die EU umgekehrt aber nur 350 Franken.
Nachbarregionen sind für die Exportnation Schweiz von grosser Bedeutung
- Pro Arbeitstag werden Waren im Wert von über einer Milliarde Schweizer Franken zwischen der Schweiz und der EU ausgetauscht.
- Speziell die Regionen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Schweiz nehmen einen gewichtigen Stellenwert in unserem Aussenhandel ein.
- Betrachtet man unser Handelsvolumen, dann sind Baden-Württemberg und Bayern beinahe so wichtig wie China, unsere französischen Grenzregionen wichtiger als Japan und die italienischen Grenzregionen wichtiger als Indien.


Die EU bleibt auch in Zukunft unsere wichtigste Handelspartnerin
- Das Handelsvolumen mit der EU ist so gross, dass es in absoluten Zahlen noch immer stärker zunimmt als jenes mit den zweit- und drittwichtigsten Märkten USA und China zusammen.
- Bei den heutigen Wachstumszahlen wird die EU auch 2050 noch immer die grösste Handelspartnerin der Schweiz sein und das Handelsvolumen mit den USA und China übertreffen.
- In unsicheren Zeiten mit Krieg vor den Toren Europas, zunehmenden geopolitischen Spannungen, Handelsstreitigkeiten, Abschottungstendenzen und einem schwächelnden Multilateralismus sind stabile und funktionierende vertragliche Beziehungen zur wichtigsten Handelspartnerin EU für den Wohlstand und die Sicherheit in der Schweiz absolut unverzichtbar.
Schweiz profitiert stärker vom europäischen Binnenmarkt als die EU-Mitglieder
- Eine Studie der renommierten deutschen Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2019 hat gezeigt, dass kein Land so stark von der Teilnahme am europäischen Binnenmarkt profitiert hat wie die Schweiz – und das als Nicht-EU-Mitglied!
- Im ganzen Land ist das Pro-Kopf-Einkommen dank der Binnenmarktteilnahme um 2914 Euro pro Person und Jahr höher. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Wert nur bei 1046 Euro.

Wohlstand pro Kopf hat seit Abschluss der Bilateralen klar zugenommen
- Produktivität, Wohlstand und Freizeit pro Kopf haben in der Schweiz in den letzten Jahren stetig zugenommen (siehe Dossierpolitik vom März 2023). Diese positive Entwicklung wurde durch die bilateralen Verträge und die Personenfreizügigkeit begünstigt.
- Seit Unterzeichnung der Bilateralen I im Jahr 1999 ist das reale (inflationsbereinigte) BIP pro Kopf in der Schweiz um 25 Prozent gewachsen. In absoluten Zahlen ist die Bevölkerung pro Kopf im Durchschnitt um 18'123 US-Dollar reicher geworden. Diese Wohlstandszunahme ist fast doppelt so hoch wie in Deutschland und beinahe drei Mal so hoch wie in Frankreich.
Reallöhne sind in den letzten 20 Jahren stärker gestiegen als in den 1990er-Jahren
- Auch die Löhne haben sich seit Einführung der Bilateralen I positiv entwickelt. Der durchschnittliche Schweizer Reallohn ist von 2002 bis 2022 um 0,5 Prozent pro Jahr gestiegen (19. Observatoriumsbericht zum FZA, 2023).
- In den zehn Jahren vor Inkrafttreten der Bilateralen I stiegen die Reallöhne hingegen nur um 0,2 Prozent pro Jahr.
- Die hiesigen Durchschnittslöhne nehmen auch kaufkraftbereinigt in Europa seit Jahren einen Spitzenplatz ein. Nur in Norwegen und Luxemburg kann man sich mit dem Lohn mehr leisten als in der Schweiz. Auch für Niedrigverdienende sind die Löhne im Vergleich zum Ausland viel höher.
Die Arbeitslosigkeit verharrt auf sehr tiefem Niveau
- Die Statistiken des Bundes zeigen, dass es um den Schweizer Arbeitsmarkt sehr gut bestellt ist. So verzeichnete die Schweiz im Jahr 2023 mit 2,0 Prozent die tiefste Arbeitslosenquote seit über 20 Jahren.
- Die Erwerbsbeteiligung aller 15- bis 64-Jährigen ist von 2002 bis 2023 von 81,3 Prozent auf 84,1 Prozent angestiegen. Und auch die Erwerbsquote der 55- bis 64-Jährigen ist überdurchschnittlich stark angestiegen.
Die bilateralen Verträge sind insbesondere für viele KMU sehr wichtig
Gerade die exportorientierten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) brauchen für ihre Planung und künftige Investitionen in den Wirtschaftsstandort Schweiz stabile und funktionierende Beziehungen mit der EU. Dies zeigt auch der neuste KMU-Barometer der «NZZ». 46 Prozent der 303 befragten KMU-Führungskräfte nennen das ungeklärte Verhältnis zur EU als eine ihrer drei grössten geopolitischen und makroökonomischen Sorgen, rund zehn Prozent mehr als noch 2023. 57 Prozent der Firmen bezeichnen die Personenfreizügigkeit als für sie zentral.
Brexit: Rekordhohe Migration und keine wirtschaftlichen Vorteile
- Im Juni 2016 hat sich das britische Stimmvolk im Brexit-Referendum mit 51,89 Prozent Ja-Stimmen dafür entschieden, aus der EU auszutreten. Als Folge davon verlor Grossbritannien im Dezember 2020 die Personenfreizügigkeit sowie die Teilnahme am EU-Binnenmarkt.
- Acht Jahre nach dem Brexit sehen viele Briten den EU-Austritt als Misserfolg. Eine repräsentative Umfrage von Anfang 2024 zeigt, dass 57 Prozent der Briten den Brexit negativ bewerten und 70 Prozent glauben, dass er die Lage der Wirtschaft verschlechtert hat.
- Entgegen dem Versprechen, die Migration zu reduzieren, hat Grossbritannien seit dem Brexit eine Rekordzuwanderung erlebt. Die Nettozuwanderung liegt weit über dem Niveau vor dem Referendum, wobei insbesondere Migranten aus Ländern ausserhalb der EU, wie Indien, Nigeria und China, nach Grossbritannien kommen.
- Wirtschaftlich hat Grossbritannien durch den Brexit nicht profitiert. Trotz neuer Freihandelsabkommen mit Australien und Neuseeland konnte der Verlust der EU-Binnenmarktteilnahme nicht annähernd kompensiert werden.
- Gemäss einem neuen Bericht der Aston University leidet der britische Aussenhandel mit der EU immer stärker unter dem Brexit: Zwischen 2021 und 2023 – den Jahren unmittelbar nach dem britischen Austritt aus der EU-Zollunion und dem Binnenmarkt – sank der Wert der britischen Warenexporte in die EU demnach um 27 Prozent, der Wert der Importe um 32 Prozent.
- Von den 120'000 britischen KMU, die ihre Produkte vor dem Brexit in die EU exportierten, haben seit Abschluss des Kooperationsabkommens mit der EU rund 20'000 KMU ihre Exporte eingestellt. Als Grund gaben sie den höheren Aufwand an, weshalb sich die Exporte schlicht nicht mehr lohnen würden.


Wir sind heute wie auch in Zukunft auf Arbeitskräftezuwanderung angewiesen
Eine starre Bevölkerungsobergrenze schadet der Schweiz massiv
Das starre Festhalten an einer fixen Bevölkerungsobergrenze von zehn Millionen Menschen ist aus wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht gravierend. Falls aufgrund des überschrittenen Grenzwerts innert kürzester Zeit plötzlich keine oder fast keine Zuwanderung mehr möglich sein sollte, wird dies spürbare negative Konsequenzen für alle Menschen in der Schweiz haben:
- Viele Unternehmen werden in der Schweiz keine Arbeitskräfte mehr finden und ins Ausland abwandern;
- die Steuereinnahmen werden dadurch sinken, es werden weniger hochwertige Arbeitsstellen angeboten und die Innovation wird anderswo stattfinden;
- die Altersvorsorge wird noch schneller und stärker in Schieflage geraten;
- das Gesundheitssystem wird aufgrund fehlender Ärzte und Pflegefachkräfte rascher an seine Belastungsgrenzen stossen und die Gesundheitsversorgung dadurch verschlechtert;
- der öffentliche Verkehr müsste wegen Personalmangel ausgedünnt werden;
- Handwerker für Reparaturen wären kaum mehr zu finden;
- viele Restaurants, Hotels und Geschäfte müssten ihre Öffnungszeiten verkürzen oder den Betrieb saisonal ganz einstellen;
- die Landwirtschaft hätte Mühe, genügend Arbeitskräfte zu finden, was die Lebensmittelversorgung beeinträchtigen könnte;
- und der Infrastruktur- und Wohnungsbau würde erschwert, was die Wohnungsknappheit in den urbanen Zentren weiter verschärft.
Kurzum: Die Schweizer Bevölkerung bezahlt nebst dem Verlust der Bilateralen auch für den Verzicht auf Arbeitskräftezuwanderung einen hohen Preis. Die Kündigungsinitiative II ist unverantwortlich, weil sie die demografische Entwicklung und den Nutzen der Arbeitskräftezuwanderung total ausblendet und den Wohlstand unserer Nachkommen auf diese Weise fahrlässig aufs Spiel setzt.
Ein teures und ineffizientes Kontingentsystem senkt die Zuwanderung nicht
- Die Kündigungsinitiative II lässt offen, wie die Zuwanderung nach einer Überschreitung des Grenzwerts gesteuert werden soll. Eine wiederkehrende Forderung ist die Wiedereinführung des Kontingentsystems.
- Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch, dass das Kontingentsystem in der Schweiz zu einer hohen Zuwanderung von mehrheitlich tiefqualifizierten Arbeitskräften führte. So wanderten in den Rekordjahren von 1961 bis 1964 jeweils rund 200'000 Menschen pro Jahr in die Schweiz ein.
- Ein Systemwechsel führt also nicht automatisch zu weniger Zuwanderung, wie auch das Brexit-Beispiel im vorangehenden Kapitel zeigt. Es sind die wirtschaftliche Lage und die Arbeitsmarktsituation, welche den Bedarf an ausländischen Arbeitskräften bestimmen.
- Mit einem Kontingentsystem wird ein riesiges Bürokratiemonster beim Bund und den Kantonen geschaffen und die Rekrutierung von Personal durch die Unternehmen massiv verteuert. Diese werden wohl keine andere Wahl haben, als die Kosten auf ihre Kunden abzuwälzen.
Raphael Tobler, Präsident der Swiss Startup Association
«Die Kündigungsinitiative II der SVP ist eine komplette Schnapsidee. Sie führt nicht nur zur Kündigung der Bilateralen, sondern wird den Arbeitskräftemangel in der Schweiz massiv verschärfen. Wir Start-ups sind auf gut qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen. Die Zuwanderung über die Personenfreizügigkeit, die zu rund 70 Prozent direkt in den Arbeitsmarkt erfolgt, ist für uns essenziell. Ich will mir die Verteilkämpfe nach Erreichung der von der Initiative fixierten Obergrenze gar nicht ausmalen. Eines weiss ich aber leider jetzt schon: Wir Start-ups werden garantiert zu kurz kommen.»
Es bleibt unklar, wer künftig auf ausländische Arbeitskräfte verzichten soll
- Die Kündigungsinitiative II gibt nicht vor, welche Branchen künftig auf ausländische Arbeitskräfte verzichten und wie die negativen Folgen davon aufgefangen werden sollen.
- Auf Arbeitgeberseite drohen schwere Verteilkämpfe. Insbesondere KMU, Start-ups sowie die Gastronomie- und Hotelleriebranche drohen bei der Verteilung der dringend benötigten Arbeitskräfte auf der Strecke zu bleiben.
- Fällt die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen im Rahmen der Personenfreizügigkeit weg, drohen weniger Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Pflegepersonal, Hebammen und Architekten von der EU in die Schweiz zu kommen. Gleichzeitig wird die irreguläre Migration durch die Initiative nicht aufgehalten und folglich auch nicht zurückgehen.
Geburtenüberschüsse können Arbeitskräftezuwanderung nicht kompensieren
- Die Kündigungsinitiative II sieht vor, dass der Bundesrat den Grenzwert ab 2050 jährlich durch Verordnung um den Geburtenüberschuss anpassen kann.
- Es ist aber völlig unrealistisch zu erwarten, dass wir künftig dank höherer Geburtenüberschüsse auf eine Arbeitskräftezuwanderung verzichten können.
- So sank die Geburtenrate in der Schweiz 2023 auf ein neues Rekordtief von 1,33 Kinder pro Frau. Insgesamt verzeichnete die Schweiz letztes Jahr 71'666 Todesfälle bei 79'823 Lebendgeburten, was einen Geburtenüberschuss von noch knapp 8157 Menschen ergibt.
- Aufgrund der voraussichtlich sinkenden Anzahl Geburten und der zunehmenden Anzahl Todesfälle ist auf absehbare Zeit nicht von höheren Geburtenüberschüssen auszugehen.
Demografische Entwicklung: Die Pensionierungswelle reisst grosse Lücken auf
- Schon heute gehen mehr Arbeitskräfte in Pension, als Junge ins Berufsleben eintreten. In den nächsten Jahren wird die Generation der Babyboomer allmählich aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, und aufgrund der tieferen Geburtenrate werden zu wenige junge Menschen nachrücken.
- Der Arbeitskräftemangel wird sich also weiter zuspitzen. Nur dank der Nettozuwanderung wird die Erwerbsbevölkerung zumindest nicht schrumpfen. Deren Wachstum wird jedoch geringer ausfallen als bei der nichterwerbsfähigen Bevölkerung.
- economiesuisse hat die demografische Entwicklung und ihre Folgen für die Schweiz im Dossierpolitik vom Juni 2023 ausführlich dargelegt.
Arbeitskräftezuwanderung über die Personenfreizügigkeit ist Teil der Lösung
- In vielen Berufsfeldern kann das inländische Angebot an Arbeitskräften den Bedarf schon heute nicht mehr decken.
- Ein Blick auf die Entwicklung der Anzahl offener Stellen verdeutlicht, dass es in den letzten Jahren schwieriger geworden ist, geeignetes Personal zu finden.
- Der Arbeitsgeberverband und economiesuisse schätzen im Dossierpolitik vom November 2024, dass aufgrund der demografischen Entwicklung und zur Aufrechterhaltung unseres Wohlstandsniveaus in den zehn Jahren rund 460'000 Erwerbspersonen in Vollzeitäquivalenten (VZÄ) fehlen werden.
- Die Personenfreizügigkeit mit der EU ist Teil der Lösung: Sie hilft, die negativen Folgen der demografischen Entwicklung abzufedern.
Aus dem EU-Raum kommen hauptsächlich Arbeitskräfte in die Schweiz
- Die Zuwanderung via Personenfreizügigkeit ist stark arbeitsmarktorientiert. Sieben von zehn Personen, die über die Personenfreizügigkeit aus dem EU-Raum in die Schweiz kommen, wandern direkt in den Arbeitsmarkt ein (siehe jüngster Observatoriumsbericht des Seco).
- Zudem zeigen die Observatoriumsberichte, dass diese Personen ergänzend zu den einheimischen Arbeitskräften tätig sind. Sie füllen einerseits Lücken in Berufen mit einem geringen Qualifikationsniveau (z.B. Bau, Tourismus, Gastgewerbe, Landwirtschaft, Reinigung). Vor allem aber helfen sie, den Arbeitskräftemangel in spezialisierten Berufsfeldern zu lindern (z.B. Gesundheitswesen, Informatik, Ingenieurwesen, Industrie).
- Rund 56 Prozent aller EU-Staatsangehörigen, die mit der Personenfreizügigkeit in die Schweiz gekommen sind, verfügen über einen Hochschulabschluss.

Ohne Arbeitskräftezuwanderung gerät die AHV noch schneller in Schieflage
- Da die Zahl der Rentenbezügerinnen und -bezüger viel schneller wächst als die Zahl der erwerbstätigen Beitragszahlenden, wird die demografische Entwicklung auch für die Finanzierung der AHV zunehmend zum Problem.
- Gemäss den aktuellsten Zahlen tragen EU-Staatsangehörige 26,3 Prozent zur Finanzierung der 1. Säule (AHV, IV und Erwerbsersatzordnung EO) bei, beziehen aber lediglich 13,4 Prozent der ausbezahlten Leistungen.
- Fallen die Beiträge der Erwerbstätigen aus der EU weg, müsste die Schweizer Bevölkerung diese Lücke durch höhere Steuern oder Abgaben kompensieren.
Die Arbeitskräftezuwanderung stützt unsere Sozialwerke auch langfristig
- Eine neue Studie im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen zeigt zudem, dass sich die Zuwanderung auch in langfristiger Perspektive für die AHV, IV und EO positiv auswirkt, also auch unter Berücksichtigung des künftigen Leistungsbezugs der eingewanderten Beitragszahlenden.
- Hauptgrund dafür ist die durch die Zuwanderung verjüngte Bevölkerungsstruktur, die über Beitragszahlungen den ansteigenden Leistungsbezug kompensiert.
- Bei den EU-/EFTA-Staatsangehörigen ist das Leistungs-Beitrags-Verhältnis deutlich besser, weil sie im Vergleich zu anderen Zuwanderungsgruppen höhere Einkommen erzielen, ihre Erwerbsbeteiligung grösser ist und sie eine kürzere Zeit in der Schweiz verweilen (siehe Webnews vom 30. Mai 2024).
Ausländerinnen und Ausländer tragen überdurchschnittlich viel zur Innovationsentwicklung in der Schweiz bei
Eine neue Publikation von Avenir Suisse zeigt deutlich: In Relation zu ihrem Bevölkerungsanteil (26%) leisten Ausländerinnen und Ausländer einen überdurchschnittlich hohen Beitrag an die Schweizer Innovationsleistung.
37 Prozent aller Beschäftigten in den zehn wertschöpfungsstärksten Branchen der Schweiz verfügen über einen ausländischen Pass – in der Pharmabranche sind es sogar 56 Prozent. Bei einer drastischen Reduktion der Nettozuwanderung dürfte der Innovationsstandort Schweiz somit erheblich geschwächt werden.
Schrumpfende Nationen wie Japan stehen vor grossen Herausforderungen
Japans Bevölkerung schrumpft seit Jahren, was zur Entvölkerung ganzer Regionen führt. Zahlreiche Häuser stehen leer, und viele Verkehrsverbindungen werden stillgelegt, da sie unrentabel geworden sind. Da das Land auf Innovation und junge Arbeitskräfte angewiesen ist, stellt der demografische Wandel eine enorme Belastung für die Wirtschaft dar. Prognosen zufolge wird die Bevölkerung von heute 126 Millionen bis 2060 auf etwa 90 Millionen sinken, was den Alterungsprozess weiter beschleunigt und die gebärfähige Generation stark reduziert. Das Rentensystem leidet unter der sinkenden Zahl von Einzahlern, während ältere Menschen häufig schlecht bezahlte Jobs annehmen müssen. Japan verzeichnet im Vergleich zu anderen Industrienationen ein langsameres Wirtschaftswachstum, da immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.

Wohlstand sichern und echte Probleme nachhaltig lösen
- Wachstum ist kein Nullsummenspiel. Wenn wir wachsen, entstehen zusätzliche Arbeitsplätze, Einkommen, Lebensqualität, Freiheit und Chancen, von denen viele profitieren. Sollte die Bevölkerung in der Schweiz hingegen nicht mehr wachsen, wird es Verlierer geben. Beispielsweise lohnt es sich längerfristig nur, Verbindungen im öffentlichen Verkehr aufrechtzuerhalten, wenn diese auch nachgefragt werden.
- Zugleich ist aber auch klar: Die Sorgen der Bevölkerung hinsichtlich der Zuwanderung müssen ernst genommen werden. Es braucht wirksame Massnahmen, um die echten Probleme der Zuwanderung zu lösen und gleichzeitig die Lebensqualität in einer bevölkerungsmässig wachsenden Schweiz weiter zu verbessern.
- So müssen beispielsweise die Produktivität weiter gesteigert, das inländische Arbeitskräftepotenzial besser ausgeschöpft, das Asylrecht besser durchgesetzt, die Verfahren beim Wohnungsbau massiv vereinfacht und unsere Infrastruktur besser genutzt und gezielt ausgebaut werden.

Nachfolgend werden deshalb verschiedene Lösungsvorschläge in den Bereichen Produktivität, Arbeitsmarkt-, Asyl-, Wohn- und Infrastrukturpolitik präsentiert:
Die Schweiz muss ihre Produktivität weiter erhöhen
Die Politik ist gefordert, wirksame Massnahmen zu ergreifen, um ein höheres Produktivitätswachstum zu begünstigen. Um die Produktivität von Unternehmen und Erwerbstätigen weiter zu erhöhen, muss sie bestmögliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen schaffen, Regulierungen und Bürokratie abbauen, die Digitalisierung vorantreiben und den überproportionalen Stellenzuwachs der letzten Jahre beim Staat auf ein nachhaltiges Niveau reduzieren. Insbesondere muss die Schweiz die Chancen neuer Technologien wie beispielsweise der generativen Künstlichen Intelligenz (KI) nutzen können (siehe Webnews vom 31.08.2024). Auf diese Weise werden die Unternehmen in der Privatwirtschaft entlastet, die Produktivität steigt und der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften nimmt ab.
Die Schweiz muss das inländische Arbeitskräftepotenzial besser ausschöpfen
Der Schweizerische Arbeitgeberverband SAV hat in seinem 8-Punkte-Plan vom April 2023 eine Reihe von Massnahmen skizziert, um dem sich verschärfenden Arbeitskräftemangel zu begegnen. economiesuisse unterstützt diese Forderungen vollumfänglich:
- Die tatsächliche Arbeitszeit muss wieder erhöht werden.
- Mehr Arbeiten muss sich lohnen.
- Wir müssen länger arbeiten können.
- Wir müssen die Berufsbildung wertschätzen.
- Bildungsentscheide müssen bewusster gefällt und gesteuert werden.
- Wir müssen die Türe für die Zuwanderung von Arbeitskräften offenhalten.
- Wir müssen die Arbeitszeiten flexibler gestalten.
- Wir müssen mehr Menschen mit Beeinträchtigungen im Arbeitsmarkt halten.
Je mehr, je länger und je produktiver gearbeitet wird, desto stärker sinkt der Bedarf an Arbeitskräftezuwanderung (Punkt 6). Allerdings gilt hier anzufügen, dass die Erwerbsbeteiligung der Schweizerinnen und Schweizer im internationalen Vergleich bereits ausgesprochen hoch ist, weshalb die Schweiz auch künftig auf eine Arbeitskräftezuwanderung angewiesen sein wird.
Die Schweiz muss die Gesetze im Asylbereich konsequent umsetzen
Die aktuelle Migrationspolitik wird nebst den bestehenden Herausforderungen zusätzlich durch unvorhersehbare Krisen wie den Krieg in der Ukraine geprägt. economiesuisse steht vor diesem Hintergrund für eine Migrationspolitik ein, die der langjährigen humanitären Tradition der Schweiz gerecht wird. Die Schweiz soll im Asylbereich nur jenen Schutz gewähren, denen im Sinne der Asylgesetzgebung und der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 auch Schutz zusteht. economiesuisse fordert, dass die bestehenden Gesetze im Bereich des Asylrechts konsequent angewendet werden.
Schutz nur für Verfolgte, nicht für Wirtschaftsflüchtlinge
Verfolgte und schutzbedürftige Personen sollen in der Schweiz weiterhin Asyl erhalten. Asylsuchende, die nur infolge wirtschaftlicher Gründe auf der Flucht sind, sollen jedoch nicht in der Schweiz bleiben dürfen. Als Begleitmassnahme sollen die Kriterien für die Definition sicherer Herkunftsländer regelmässig überprüft werden. Kriminelle ausländische Staatsangehörige sind unter Berücksichtigung des Völkerrechts in ihre Herkunftsländer zurückzuführen.
Berücksichtigung der veränderten Ausgangslage in Europa
Die Entwicklung in Europa muss aufmerksam verfolgt werden. Verschiedene EU-Mitgliedsstaaten verschärfen derzeit die Asylgesetzgebung oder deren Umsetzung. Auch die EU konnte mit der Verabschiedung des EU-Migrations- und Asylpakts im Mai 2024 nach jahrelangen Verhandlungen eine Einigung über eine umfassende Reform des europäischen Migrations- und Asylsystems erreichen. Die Schweiz ist deshalb angehalten, sich im europäischen Verbund für eine konsequente Asylpolitik einzusetzen und diese auch im Inland umzusetzen. Ansonsten droht die Schweiz zum Auffangbecken für die unkontrollierte Zuwanderung zu werden.
Förderung des Rückkehrbereichs in stetiger Zusammenarbeit mit der EU
Es sind weitere Rücknahmeabkommen abzuschliessen und bestehende stets neu zu verhandeln. Die Förderung der freiwilligen Rückkehr muss vorangetrieben werden. Diesbezüglich ist eine enge Zusammenarbeit mit der EU erforderlich, speziell wo es für die Schweiz nützlich ist. Das beinhaltet auch, die Zusammenarbeit mit der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) zu verstärken.
Gleichbehandlung im Vollzug der Wegweisung
Alle Kantone sollen die Wegweisungsentscheide vollziehen, um eine Gleichbehandlung zwischen den abgewiesenen Asylbewerbern zu gewährleisten. Die Kantone, die Wegweisungsentscheide nicht vollziehen wollen, sollen die vollen finanziellen Konsequenzen tragen.
Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von anerkannten Flüchtlingen
Zunächst muss durch beschleunigte Asylverfahren möglichst schnell festgestellt werden, welche Personen die Kriterien für den Flüchtlingsstatus gemäss dem Schweizer Asylgesetz erfüllen. Anschliessend sind gezielte Massnahmen zur Stärkung der Arbeitsmarktfähigkeit von anerkannten Flüchtlingen notwendig. In diesem Zusammenhang sind die Bemühungen von Bund und Kantonen zu erwähnen, die bestehenden Sprachprogramme weiterzuführen und schrittweise zu verbessern. Zu begrüssen ist auch das bereits eingeführte Programm der «Integrationsvorlehre» (INVOL), das die Teilnehmenden darauf vorbereitet, eine Berufslehre zu absolvieren. Dreh- und Angelpunkt für eine erfolgreiche Integration stellt eine ausreichende Sprachkompetenz dar.
Aus Sicht von economiesuisse muss sich die Asylpolitik der Schweiz an diesen Leitplanken orientieren. Die Ausgestaltung konkreter Massnahmen liegt im Verantwortungsbereich von Bundesrat und Parlament.
Die Schweiz muss rasch mehr Wohnraum für die Bevölkerung schaffen
Insgesamt gibt es schweizweit nach wie vor genügend Wohnungen. In den gefragtesten städtischen Wohngegenden besteht jedoch Handlungsbedarf. Dort ist das Angebot an Wohnungen knapp.
Die aktuelle Wohnungsknappheit in den Ballungsgebieten hat viele Ursachen
Die steigende Nachfrage nach Wohnraum allein auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen, greift jedoch zu kurz. Es gibt viele Faktoren, welche die Nachfrage nach Wohnraum beeinflussen:
- Höhere Haushaltseinkommen führen zu einer höheren Nachfrage nach Wohnraum. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Bewohner bei Mehrfamilienhäusern ist gemäss dem Bundesamt für Statistik von 38,7 Quadratmetern im Jahr 1970 auf 46,8 Quadratmeter im Jahr 2022 angestiegen.
- Abnehmende Haushaltgrösse: Tendenziell wohnen immer weniger Leute im gleichen Haushalt. Die durchschnittliche Belegungsdichte ist von 2,9 Personen pro Wohnung im Jahr 1970 auf 2,2 Personen im Jahr 2021 gesunken. Deshalb braucht es mehr Wohnungen für die gleiche Anzahl Einwohner.
- Sinkende Wohnbautätigkeit: Die hohe Nachfrage nach Wohnraum an zentralen Lagen kann nicht befriedigt werden, weil es immer schwieriger wird, zu bauen. 2024 wurden gemäss Wüest Partner in der Schweiz lediglich 42'050 Wohnungen neu gebaut. So wenige, wie seit dem Jahr 2003 nicht mehr. Allem voran bremsen komplizierte Vorschriften, überlange Verfahren und zu viele Einsprachen die Behebung dieses Missstands. Kapital für die Erstellung von mehr Wohnraum wäre mehr als genug vorhanden.
- Schwierige und langwierige Baubewilligungsverfahren: Die Zürcher Kantonalbank hat aufgezeigt, dass es in der Schweiz im Schnitt 140 Tage dauert, bis ein Baugesuch bewilligt wird. In den Zentren, wo am dringendsten gebaut werden sollte, dauert es aber deutlich länger. So benötigt es in der Stadt Zürich 330 und in Genf sogar 500 Tage. Schweizweit dauern die Verfahren im Schnitt rund 67 Prozent länger als noch 2010.
Die Lösungen zur Entschärfung der Situation beim Wohnungsbau sind längst bekannt. economiesuisse fordert, dass in der Schweiz mehr und schneller gebaut wird (siehe Webnews vom 17.05.2023). Zudem fordert economiesuisse eine Vereinfachung der Baubewilligungsverfahren (siehe Webnews vom 27.09.2023).
Die Schweiz muss die Engpässe im Infrastrukturbereich dringend beheben
Die Infrastrukturnutzung in der Schweiz korreliert stark mit dem Wohlstand, nicht mit dem Bevölkerungswachstum. Die Nutzung des Konsumguts Mobilität hängt also hauptsächlich mit dem Einkommen zusammen. Je höher das Haushaltseinkommen, desto länger sind die mittleren Tagesdistanzen der Haushaltsmitglieder (siehe Mikrozensus Mobilität und Verkehr). Folgende Probleme im Infrastrukturbereich müssen endlich angegangen werden:
- Das Schweizer Strassennetz ist chronisch überlastet: Für 2023 meldete das Bundesamt für Strassen Rekordwerte für zurückgelegte Fahrzeugkilometer und Staustunden auf unseren Autobahnen. Rund 48'000 Stunden verbrachten Schweizerinnen und Schweizer 2023 im Stau.
- Die Nationalstrassen, das «Arbeitstier» des Schweizer Verkehrssystems, werden vernachlässigt: Gemäss den neuesten Zahlen des Bundes haben sie im Jahr 2023 rund 45 Prozent des Strassenverkehrs bewältigt, obwohl sie nur knapp drei Prozent des gesamten Strassennetzes ausmachen.
- Neuralgische Punkte sind besonders betroffen: Fast 90 Prozent dieser Staustunden sind auf Verkehrsüberlastungen zurückzuführen. Diese betreffen vor allem neuralgische Punkte in und um die Agglomerationen. Das System erreicht dort seine Kapazitätsgrenze – selbst ein geringes Verkehrswachstum führt zunehmend zu Stillstand. Das führt zu mehr Problemen auf dem untergeordneten Strassennetz, zum Beispiel in den Ortszentren.
- Investitionen sind überfällig: Der Verkehr in der Schweiz hat in den letzten Jahrzehnten um ein Vielfaches stärker zugenommen als die Strassenfläche. Die Bahn kann die zusätzliche Mobilitätsnachfrage nicht alleine decken – Menschen und Güter in unserem Land sind auf individuelle Mobilität angewiesen.
Investition in die Strasseninfrastruktur sind daher unverzichtbar. Bundesrat und Parlament müssen entsprechende Vorschläge ausarbeiten. Mit dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds NAF sowie dem Strategischen Ausbauprogramm Nationalstrassen stehen die notwendigen, vom Volk legitimierten Instrumente zur Verfügung.
Zusätzlich bergen die bestehenden Infrastrukturen noch viel Effizienzpotenzial:
- Bessere Auslastung des motorisierten Individualverkehrs (heute im Schnitt 1,6 Personen pro Fahrzeug, zu Stosszeiten sogar nur 1,1).
- Bessere Auslastung öffentlicher Verkehr (SBB-Züge sind heute über den Tagesverlauf zu weniger als 30 Prozent ausgelastet).
- Verbesserung Verkehrsmanagement (intelligente Systeme zur Optimierung der Auslastung sind heute fast inexistent).
- Verknüpfung und Vernetzung (Verkehrsträger und Verkehrsmittel funktionieren heute nur in ihren Silos).
- Weiterentwicklung Infrastrukturen (Instandhaltung, Aus- und Umbauten sind zu komplex und dauern zu lange).

Fazit: Die Kündigungsinitiative II löst kein einziges Problem, schafft aber zahlreiche neue
Eine hohe Lebensqualität in einer bevölkerungsmässig wachsenden Schweiz ist auch ohne Kündigungsinitiative II möglich. Eine starre Bevölkerungsobergrenze schadet der Schweiz hingegen massiv. Die Initiative löst kein einziges Problem in unserem Land, schafft aber zahlreiche neue. Zugleich gilt es, die Sorgen der Bevölkerung hinsichtlich der Zuwanderung ernst zu nehmen.
- Eine Annahme der Kündigungsinitiative II bedeutet das Ende des bilateralen Erfolgswegs der Schweiz mit der EU. Sie gefährdet zudem die Abkommen von Schengen/Dublin und den Verbleib der Schweiz in der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Die Initianten habe keine gleichwertige europapolitische Alternative zu den Bilateralen parat. Die Binnenmarktteilnahme mit den bilateralen Verträgen geht weit über ein gewöhnliches Freihandelsabkommen hinaus.
- Die Bilateralen mit der EU sind ein zentraler Wohlstandsfaktor für die Schweiz. Die EU ist und bleibt die mit Abstand wichtigste Handelspartnerin unseres Landes. Der Wohlstand pro Kopf hat seit Abschluss der Bilateralen klar zugenommen. Es gilt zudem, die richtigen Lehren aus dem Brexit zu ziehen: Grossbritannien hat dadurch wirtschaftlich nicht profitiert, gleichzeitig befindet sich die Nettozuwanderung auf einem rekordhohen Niveau.
- Wir sind heute wie auch in Zukunft auf Arbeitskräftezuwanderung angewiesen. Ohne Nettozuwanderung würde die Erwerbsbevölkerung bereits heute schrumpfen. Die Zuwanderung von Arbeitskräften über die Personenfreizügigkeit ist Teil der Lösung gegen den sich zuspitzenden Arbeitskräftemangel. Gleichzeitig senkt ein teures und ineffizientes Kontingentsystem die Zuwanderung nicht, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt. Es bleibt auch unklar, wer künftig auf ausländische Arbeitskräfte verzichten soll. Schliesslich gerät die AHV ohne Arbeitskräftezuwanderung noch schneller in Schieflage. Dabei stützen ausländische Arbeitskräfte unsere Altersvorsorgewerke auch langfristig.
- Es braucht wirksame Massnahmen, um die unerwünschten Folgen der Zuwanderung zu adressieren und die Lebensqualität in einer bevölkerungsmässig wachsenden Schweiz weiter zu verbessern. economiesuisse fordert daher gezielte Massnahmen zur Steigerung der Produktivität und zur besseren Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials. Im Asylbereich müssen die geltenden Gesetze konsequent umgesetzt werden, im Wohnungswesen müssen der Bau von Wohnungen attraktiver und die Dauer der Bewilligungsverfahren gekürzt werden und beim Verkehr braucht es einen Ausbau sowie eine bessere Ausnutzung der bestehenden Infrastruktur.
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