
Auf einen Blick
Über das Thema Schulnoten wird in der Schweiz heftig diskutiert. Dabei wird aber um das Falsche gestritten. Die relevanten Fragen wären: Wie wird bei den Übertritten in eine nächste Schulstufe selektioniert? Braucht es Prüfungen und falls ja, welche Art von Prüfungen und welche Art von Bewertungen? Und wie können die Kinder während der gesamten Schullaufbahn optimal gefördert werden? Anstatt also über Schulnoten zu diskutieren, sollten wir über vergleichbare Beurteilungen reden.
Das Wichtigste in Kürze
Sollen Schulnoten abgeschafft werden oder sind sie unverzichtbar? Dies ist ein heiss diskutiertes Thema, sei es am Familientisch oder unter den Spezialisten der Bildungspolitik. Doch die Diskussion dreht sich um die falschen Fragen.
Hauptaufgabe der Schulen ist es, jede Schülerin und jeden Schüler bestmöglich zu fördern. Dabei spielen Beurteilungen eine unverzichtbare Rolle. Eine faire und vergleichbare Beurteilung ermöglicht nicht nur die optimale Förderung während der Schulzeit, sondern gewährleistet auch eine auf die Person zugeschnittene Wahl der schulischen und beruflichen Karriere.
Die Wirtschaft beurteilt das heutige Notensystem als ungenügend. Eigentlich sollten die Schulnoten ein erster Orientierungspunkt für Betriebe, die Lernende einstellen möchten, darstellen. Sie erhalten aber in den Zeugnissen oftmals zu wenig aussagekräftige Informationen, um geeignete Jugendliche zu finden.
Daher ruft die Wirtschaft dazu auf, in den Schulen faire Selektionsprozesse zu schaffen, mit aussagekräftigen und national vergleichbaren Beurteilungen. Dies gilt insbesondere an den Übergängen zu den nächsten Stufen, wie zum Beispiel zur Berufslehre. Ob mit oder ohne Schulnoten beurteilt wird, ist hingegen eine zweitrangige Frage.
Dieses Papier wurde in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Arbeitgeberverband verfasst. Verantwortlich sind Dr. Roger Wehrli, Stv. Bereichsleiter allgemeine Wirtschaftspolitik & Bildung bei economiesuisse, und Nicole Meier, Ressortleiterin Bildung und berufliche Aus- und Weiterbildung beim Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV).
Position economiesuisse
- Hauptaufgabe der Schulen ist es, jede Schülerin und jeden Schüler optimal zu fördern. Die Beurteilung ist ein integraler und unverzichtbarer Bestandteil der Förderung. Die Art der Beurteilungen muss mit Bedacht und abhängig vom Zeitpunkt in der schulischen Laufbahn ausgewählt werden.
- Es braucht an den schulischen Übergängen faire Selektionsprozesse mit vergleichbaren und aussagekräftigen Beurteilungen. Dies gilt nicht nur für die Schnittstelle zur Berufsbildung, sondern an allen Übergängen im Bildungssystem. Die Selektion muss anhand einer standardisierten und vergleichbaren Beurteilungsmethodik erfolgen und in den Zeugnissen so ausgewiesen werden, dass die zukünftigen Ausbildungsbetriebe die für sie relevanten Informationen selbsterklärend und auf einfach interpretierbare Art erhalten.
- Die Beurteilungen müssen national harmonisiert werden und in Zusammenarbeit mit allen relevanten Akteuren (EDK, SBFI, Arbeitgeberverbände und Berufsverbände der Bildung) erstellt werden. Dabei sollten diejenigen Kompetenzen im Vordergrund stehen, die für das Erwerbsleben bzw. die weiterführenden Schulen zentral sind. Damit können unter anderem auch die Belastung durch weiterführende Tests und deren Kosten reduziert werden.
- Mit welchen Messwerten (Noten, Kreuzchen oder Ähnlichem) die Beurteilung erfolgt, ist für die Wirtschaft nicht relevant, solange die Angaben für die Arbeitgebenden verständlich und die obigen Bedingungen erfüllt sind.

Die Stellvertreterdebatte Schulnoten: Worum geht es wirklich?
Über das Thema Schulnoten wird in der Schweiz heftig und oftmals dogmatisch diskutiert. Für die einen sind Ziffernoten in den Schulzeugnissen sakrosankt. Für sie wäre eine Schule ohne Noten gleichzusetzen mit einem Verzicht auf eine gesunde Leistungskultur. Für die anderen sind Schulnoten ein Ärgernis, das die Kinder in ihrer Entwicklung hemmt.
Fehlgeleitete Diskussion um Noten
Es stellt sich aber die Frage, wieso überhaupt so viel Aufregung um das Thema Schulnoten herrscht. Denn das Scheinwerferlicht fällt damit auf das Falsche. In diesem Papier wird der Nebel dieser Stellvertreterdiskussion gelichtet und das Scheinwerferlicht auf die eigentlich relevanten Fragen gelenkt: Wie wird bei den Übertritten in eine nächste Schulstufe selektioniert? Braucht es Prüfungen und falls ja, welche Art von Prüfungen? Und wie können die Kinder während der gesamten Schullaufbahn optimal gefördert werden?
Aus Sicht der Wirtschaft ist dabei insbesondere von Interesse, welche Art der Information an der Schnittstelle von der Sekundarschule in eine berufliche Grundbildung bzw. ins Gymnasium relevant ist. Oder im Fachjargon: Welche Informationen werden benötigt, um den Selektionsentscheid von der Sekundarstufe I in die Sekundarstufe II optimal vornehmen zu können?
Unterschiedliche Handhabung in den Kantonen
In der gesamten Diskussion darf nicht vergessen werden, dass Schulnoten nur eine der vielen Messarten sind, wie Leistungen der Schülerinnen und Schüler beurteilt werden können. Nicht überall wird dementsprechend deren Leistung auf die gleiche Art beurteilt. Gewisse Kantone halten im Gesetz fest, dass an Schulen Noten vergeben werden müssen. So hat zum Beispiel der Kantonsrat im Kanton Zürich im Juni 2023 beschlossen, dass in der Primarschule ab der 2. Klasse zwingend Noten gegeben werden müssen. In Zürich darf somit nicht ausschliesslich auf alternative Bewertungssysteme gesetzt werden. In anderen Kantonen steht es Schulen teilweise frei, auf Noten zu verzichten. Im Kanton Basel-Stadt werden Zeugnisnoten erst ab der fünften Klasse vergeben; davor wird einzig ein Lernbericht verfasst, der mit den Eltern besprochen wird. Die Stadt Luzern geht nochmals einen anderen Weg: Sie verzichtet in der Primarschule auf Prüfungsnoten, vergibt aber weiterhin Zeugnisnoten.
Keine Förderung ohne Beurteilung
Während um die Sinnhaftigkeit von Schulnoten debattiert wird, ist es absolut unbestritten, dass die Leistung der Schülerinnen und Schüler beurteilt werden muss. Die Beurteilung ist ein integraler und unverzichtbarer Bestandteil der Förderung. Nur wenn die Lehrpersonen wissen, wo die Schülerinnen und Schüler stehen, können sie sie wirklich fördern. Dementsprechend beurteilen Lehrpersonen ihre Schülerinnen und Schüler tagtäglich in unterschiedlichen Dimensionen bewusst oder unbewusst. Es gibt dabei unterschiedliche Formen der Beurteilung:
- Die formative Beurteilung dient der Unterstützung des Lernprozesses. Die Rückmeldungen der Lehrpersonen sollen dabei helfen, das Lernen der Schülerinnen und Schüler zu lenken und sie optimal zu fördern.
- Die summative Beurteilung beurteilt die Leistung der Schülerin oder des Schülers zu einem bestimmten Zeitpunkt. Dabei wird also zum Beispiel der Leistungsstand am Ende eines Semesters oder am Ende einer Lerneinheit gemessen. Es wird Bilanz über das bisher Erreichte gezogen. Die Beurteilung ist rückwärtsgewandt.
- Die prognostische Beurteilung ist vorwärtsgewandt. Darin wird eine Prognose erstellt, welches der beste Weg für die Schülerin oder den Schüler ist. Besonders relevant ist die prognostische Beurteilung beim Übertritt in eine nächste Stufe, also beispielsweise beim Übertritt in die Oberstufe (Sekundarstufe I) oder in eine berufliche Grundbildung oder ein Gymnasium (Sekundarstufe II). Hier muss nicht nur der momentane Stand beurteilt werden, sondern auch das weitere Entwicklungspotenzial.
All diese drei Formen der Beurteilung können mit unterschiedlichen Messinstrumenten erfolgen, das heisst nicht nur mit Noten. Die summative Bewertung erfolgt in den Schweizer Schulen, ausser im Kindergarten und teilweise in den untersten Klassen der Primarschule, mit Ziffernoten. Sie dienen einerseits der Selektion für die nächste Schulstufe. Andererseits sind sie ein Mittel, um das Informationsbedürfnis über die schulische Leistung von Eltern, zukünftigen Ausbildungsbetrieben, den Schülerinnen und Schülern usw. abzudecken. Zudem können Noten anspornen, gleich gut oder besser zu sein als die Klassenkameraden. Diesen Vorteilen steht hingegen unter anderem der Nachteil gegenüber, dass die Lernmotivation von schlechter beurteilten Kindern abnehmen kann.
Die Schulen leben in einem Dilemma zwischen der individuellen Förderung und einer Selektion, basierend auf vergleichbaren Kriterien. Ersteres bedarf einer formativen Beurteilung. Sie wird durch summative Bewertungen, beispielsweise durch Noten, teilweise gehemmt, Zweiteres bedingt ebendiese. Dieses Dilemma zeigt die Komplexität der täglichen Arbeit an den Schulen: Lehrpersonen müssen in Bezug auf die Beurteilung oftmals gleichzeitig verschiedenen Ansprüchen genügen: Einerseits möchten sie jede Schülerin und jeden Schüler individuell fördern und möglichst weit bringen. Andererseits müssen sie insbesondere vor den Stufenübertritten eine Beurteilung vornehmen, die eine faire Selektion ermöglicht. Es gilt einen geeigneten Weg zu finden, um beiden Ansprüchen gerecht zu werden.

Informationsbedürfnisse der Ausbildungsbetriebe berücksichtigen
Das Thema kann jedoch nicht allein innerhalb der Volksschule abgehandelt werden. Die meisten Kinder beginnen nach Abschluss der obligatorischen Schule eine berufliche Grundbildung. Daher gilt es auch das Informationsbedürfnis der Unternehmen, die Lernende aufnehmen, zu berücksichtigen. Die Unternehmen möchten für die Lehrstelle geeignete Jugendliche finden, welche über die für die entsprechende Ausbildung notwendigen Voraussetzungen verfügen. Dieser Aspekt, das Informationsbedürfnis der Betriebe, wird in der gesamten Debatte noch zu wenig beachtet und steht daher im Folgenden im Zentrum.
Den richtigen Beruf finden
Grundsätzlich steht die individuelle Förderung in den Schulen auch für die Wirtschaft im Vordergrund (vgl. https://www.economiesuisse.ch/de/dossier-politik/welche-konsequenzen-hat-die-digitalisierung-fuer-die-schule), damit jede und jeder ihr bzw. sein Potential optimal entfalten kann. Schliesslich gehen die Kinder in erster Linie in die Schule, um zu lernen. Je weiter das Kind bzw. der Jugendliche allerdings in der schulischen Laufbahn ist, desto mehr werden die Weichen für die berufliche Zukunft gestellt. Dabei ist es äusserst wichtig, dass die Jugendlichen einen Beruf finden, der ihnen entspricht und der es ihnen erlaubt, ein selbständiges Erwachsenenleben zu führen. Dazu müssen sie einen realistischen Berufswunsch entwickeln können, der ihren Fähigkeiten entspricht und dessen Ausübung sowohl ihre Neugierde als auch Motivation weckt. Wenn es um den Schritt in die nächste Schulstufe bzw. in die Berufswelt geht, steht dementsprechend die leistungsorientierte Selektion im Vordergrund, die klar aufzeigt, welche Wege für die Schülerin oder den Schüler geeignet sind. Gerade die Selektion in eine schulisch leistungsstarke Klasse sollte dabei nicht ausschliesslich auf den akademischen Bildungsweg vorbereiten, sondern bewusst auch den Weg für kognitiv anspruchsvolle berufliche Grundbildungen legen. Dank des durchlässigen Systems sind die Wege nach dieser ersten Wahl vielseitig. Der Erstkontakt mit der Wirtschaft hat aber einen entscheidenden Einfluss darauf, wie Jugendliche motiviert bleiben, sich mittel- und langfristig im Arbeitsmarkt zu bewegen.
Die Berufswahl ist eine gemeinsame Aufgabe der Jugendlichen mit den Eltern, den abgebenden Schulen, den Berufsberatungen und den Betrieben, die alle ihre Informationsbedürfnisse haben. Zum einen brauchen die Jugendlichen, Eltern, Lehrpersonen und Berufsberatungen realistische Informationen bezüglich der Anforderungen in einem Berufsfeld. Dies erlaubt eine Beurteilung, welche Ausbildungswege für den Jugendlichen aufgrund der bisherigen schulischen Leistungen und den persönlichen Stärken geeignet sind und in Betracht gezogen werden können. Zum anderen benötigen die Betriebe verlässliche Informationen über die Fähigkeiten der Schulabgängerinnen und -abgänger, um die Eignung für eine spezifische Ausbildung beurteilen zu können. Zudem ist es hilfreich, wenn allfällige Kompetenzlücken bei den Bewerbenden frühzeitig identifiziert werden können. Damit können einerseits die Jugendlichen motiviert werden, im letzten Schuljahr vor dem Eintritt in die Berufslehre diese Lücken möglichst zu schliessen, und andererseits wissen die Betriebe, in welchen Bereichen sie die Jugendlichen während der Ausbildung speziell unterstützen sollten.

Schulnoten reichen Unternehmen für die Erstbeurteilung oftmals nicht aus
Eigentlich sollten die Schulnoten ein erster Orientierungspunkt für Betriebe darstellen, anhand dessen sie geeignete Jugendliche für die Besetzung von Lehrstellen finden können. Den Ausbildungsbetrieben reichen die Schulnoten dafür leider oftmals nicht aus. Dies gilt insbesondere für Betriebe, die überkantonal rekrutieren, da zwischen den Schulstandorten und insbesondere zwischen den Kantonen die Vergleichbarkeit der Noten schwierig ist. Die Noten sind aber oftmals nicht einmal innerhalb einer Schulgemeinde vergleichbar. Dies ist eine Unterlassungssünde der letzten Schulreform: Im Rahmen der Arbeiten am Lehrplan 21 wurde darauf verzichtet, Zeugnisse und Beurteilungsmethoden zu harmonisieren. Entsprechend überrascht es nicht, dass immer mehr Betriebe Bewerbende zusätzliche Tests (wie z.B. Stellwerk, Multicheck oder eigene Assessments) machen lassen, was wiederum von den Schulen und der öffentlichen Hand gerne kritisiert wird.
Trotz der mangelhaften Vergleichbarkeit setzen aber viele Betriebe weiterhin auf die Schulnoten als ersten Orientierungspunkt. Insbesondere regional verankerte KMU können die unterschiedlichen Notengebungen in den Schulhäusern in ihrer Region oftmals einschätzen. Sie wissen, was eine spezifische Note in einem Schulhaus oder bei einer spezifischen Lehrperson bedeutet.
Beispiel Hotel Krone Unterstrass: Schulnoten dienen der Vorselektion
Bei der Suche nach Lernenden setzt das Hotel Krone Unterstrass in einem ersten Schritt auf die Zeugnisse der Kandidatinnen und Kandidaten. Eine grobe Vorselektion findet anhand der Schulnoten statt. Damit kann eine Annahme über das Grundwissen der betreffenden Person getroffen werden. Da die Noten aber aufgrund von unterschiedlich angewandten Massstäben nicht vollständig vergleichbar sind, wird in den Zeugnissen auf weitere Faktoren geschaut. So zum Beispiel auf die Angaben zum Verhalten oder den Absenzen. Nach Erfahrung des Hotels Krone Unterstrass deuten Aussagen in diesen Kategorien auch auf das spätere Verhalten im Lehrbetrieb hin. Weiter setzt das Zürcher Unternehmen auf interne Tests zur finalen Auswahl der Lernenden – eben auch, weil das vollständige Vertrauen in die Schulnoten aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit fehlt. Externe Analysen verwendet das Hotel Krone Unterstrass hingegen nicht.
Neben der summativen Beurteilung über den aktuellen Stand der Kompetenzen in den für die berufliche Grundbildung relevanten Fächern sind für die Unternehmen auch Beurteilungen der Schule über die Sozialkompetenzen (Zusammenarbeit mit anderen, «hält sich an die Regeln» usw.) und Selbstkompetenzen (Arbeits- und Lernverhalten, Pünktlichkeit, Konzentrationsvermögen, Sorgfalt, Reflektionsfähigkeit usw.) speziell wichtig, um einzuschätzen, ob die Ausbildung erfolgreich absolviert werden kann. Zusätzlich werden oftmals auch die Absenzen und das ausserschulische Engagement als prognostische Indikatoren mitberücksichtigt.
Das Beispiel des Hotels Krone Unterstrass zeigt, wie KMU neben der ersten Beurteilung anhand der Informationen aus der Schule eigene Beurteilungen vornehmen. Sie stützen sich dabei unter anderem auf Gespräche mit den Interessenten und auf Schnupperlehren. Zusätzlich ist es dienlich, mit der Lehrperson Kontakt aufzunehmen, um ihre prognostische Einschätzung zu erhalten, ob die Lehre zu den Kompetenzen und Interessen der Schülerin oder des Schülers passt. Oftmals verzichten kleinere Unternehmen auf zusätzliche standardisierte Tests, wie beispielsweise Stellwerk-Tests, da diese für sie teilweise schwierig interpretierbar sind. Grössere Unternehmen stützen sich jedoch typischerweise stark auf solche zusätzlichen, standardisierten Tests ab, da es ihnen einen firmeninternen Vergleich aller Bewerbenden an unterschiedlichen Standorten und in unterschiedlichen Abteilungen ermöglicht.
Beispiel Roche: Zusätzliche vergleichbare Tests während des Bewerbungsprozesses
Für das Pharmaunternehmen Roche sind bei der Auswahl der passenden Lernenden immer mehrere Kriterien relevant – unter anderem weiterhin auch die Schulnoten. Zusätzlich ist für Roche von Interesse, welche Schnupperlehren oder weitere Aktivitäten im Rahmen des Berufswahlunterrichts die Kandidatinnen und Kandidaten gewählt haben und wie viel sie bereits über den von ihnen gewählten Beruf wissen.
Neben den Schulnoten werden alle Bewerberinnen und Bewerber von Roche zur Multicheck-Eignungsanalyse in einem Testcenter ihrer Wahl von gateway.one eingeladen. Der Multicheck ist ein computerbasierter Test, welcher das berufsspezifische Schulwissen und Fähigkeiten wie logisches Denken, Merkfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit und räumliches Vorstellungsvermögen auf die Probe stellt. Die Kosten für den Test werden – unabhängig von einer späteren Einstellung – von Roche übernommen. Das Unternehmen hat sich für diesen Anbieter entschieden, da sich dieser Test an den Anforderungsprofilen der unterschiedlichen Berufe orientiert und die Voraussetzungen für alle Kandidatinnen und Kandidaten dank Standardisierung identisch sind. Diese einheitliche Analyse ermöglicht einen kantons- und gar länderübergreifenden Vergleich der Resultate.
Ebenso wichtig sind neben den schulischen Leistungen und dem Multicheck-Resultat die Beurteilung der Sozial- und Selbstkompetenzen der Bewerberinnen und Bewerber. Während des Rekrutierungsprozesses lösen die Kandidatinnen und Kandidaten zu Hause einen Persönlichkeitstest. Roche geht davon aus, dass gerade diese sogenannten «Soft Skills» bei der Rekrutierung von Lernenden in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen werden.
Gewisse Unternehmen gehen noch weiter und machen eigene Assessments oder Vergleichbares, da die Wichtigkeit der Passung (des Matchings) zwischen Betrieb und Jugendlichen zugenommen hat. Bei den erwähnten ergänzenden Beurteilungen werden oftmals auch junge Mitarbeitende einbezogen, um mehr über die Persönlichkeit der Bewerbenden zu erfahren. Denn Betriebe wollen eine Auflösung des Lehrverhältnisses während der Lehre möglichst vermeiden. Eine solche ist mit hohen Kosten verbunden, unter anderem wegen der Betreuung des unzufriedenen oder ungeeigneten Lernenden und allfälligen Neurekrutierungen.
Schliesslich gibt es Unternehmen, welche die Schulnoten überhaupt nicht berücksichtigen. Stattdessen stützen sie sich vollständig auf eigene Beurteilungsverfahren ab, mit dem Ziel, für die jeweilige Stelle passende Kandidatinnen und Kandidaten unabhängig ihrer schulischen Leistungen zu finden. Dabei werden die Kandidierenden in Interviews, Bewerbungstagen und/oder Schnupperlehren geprüft. Teilweise absolvieren sie dabei standardisierte Aufgaben, damit die Bewerbenden verglichen werden können. Die Motivation für die Nichtberücksichtigung der Noten ist meistens, dass diese nur bedingt vergleichbar sind. Zudem möchten diese Firmen, dass im Bewerbungsprozess die tatsächlichen Fähigkeiten und die Motivation der Jugendlichen im Vordergrund stehen.

Vergleichbare, leistungsorientierte Beurteilung an der Schnittstelle zur Sekundarstufe II ist zentral
Das vermeintliche Dilemma zwischen Fördern und Selektionieren bedarf einer Auflösung. Es erscheint sinnvoll, diese Phasen in der Schülerlaufbahn zu unterscheiden. An den Schnittstellen zu den nächsten Schulstufen bzw. in die Berufswelt muss die faire Selektion im Zentrum stehen. Während der ganzen Schullaufbahn sollte das Hauptziel jedoch sein, jedes Kind individuell möglichst optimal zu fördern. Selbstverständlich bedeutet Fördern nicht, dass keine Beurteilungen stattfinden sollen. Zur Orientierung und optimalen Förderung der Schülerinnen und Schüler braucht es auch zwischen den «offiziellen» Selektionsphasen aussagekräftige Standortbestimmungen. Diese sollen aber vor allem der formativen Beurteilung dienen, um den weiteren Lernweg zu definieren.
Wirtschaft braucht vergleichbare Beurteilungen
Für die Bewertung an der Schnittstelle zu den Lehrbetrieben braucht es aus Sicht der Wirtschaft an allen Schulen zwingend standardisierte, vergleichbare und aussagekräftige Beurteilungen, damit sich die Unternehmen auf die Angaben der Schulen verlassen können und nicht zu stark auf externe «Checks» ausweichen müssen. Die Beurteilungen müssen für die Unternehmen klar interpretierbar sein und es ihnen erlauben, die Passung für eine berufliche Grundbildung zu bestimmen. Sie müssen national harmonisiert werden und in Zusammenarbeit mit allen relevanten Akteuren (EDK, SBFI, Arbeitgeberverbände und Berufsverbände der Bildung) erstellt werden. Als erster Schritt bedingt dies eine Definition der zu prüfenden Kompetenzen. Besonders wichtig sind aus Sicht der Arbeitgebenden zumindest die Kernkompetenzen in den Fächern Mathematik und Schulsprache, da sie als Grundlage nicht nur für das Bestehen der meisten Berufslehren elementar sind, sondern auch für das lebenslange Lernen. Für diese und weitere Fächer hat die EDK 2011 in den nationalen Bildungszielen Grundkompetenzen, die alle erreichen sollten, definiert. Diese beziehen sich auf das Ende des 4., 8. und 11. Jahres der obligatorischen Schulzeit. Darauf sollte aufgebaut werden. Sie sollten so ausformuliert werden, dass sie in den Schulen standardisiert und regelmässig geprüft werden können. Die Berufsbildung und höhere Berufsbildung hat diesbezüglich mit ihren standardisierten Qualifikationsverfahren (u.a. Beurteilung mit externen Experten) gute Erfahrungen gemacht.
Die Einführung solcher standardisierten Tests ist aus drei weiteren Gründen wünschenswert. Erstens haben sie Gerechtigkeitsvorteile: Ein reiner Vergleich im Klassenverband ohne Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Klassen und Schulhäusern ist ungerecht, da der Massstab nicht eindeutig definiert ist oder die Beurteilung sogar von den impliziten oder expliziten Vorlieben der Lehrpersonen beeinflusst werden kann. Zweitens dienen sie der Identifikation von Lücken. Insbesondere im letzten Schuljahr kann dies aus Sicht der Unternehmen nützlich sein, um zu identifizieren, wo die Jugendlichen im Vergleich zu den Anforderungsprofilen für die entsprechende Lehre noch Lücken haben. Dies könnte die Jugendlichen motivieren, entsprechende Kompetenzen bis zum Lehrstart noch zu erwerben. Zudem ist der Betrieb dann von Anfang an sensibilisiert, wo sie den Jugendlichen speziell unterstützen sollten. Drittens bereiten Prüfungen generell aufs Erwachsenen- und Erwerbsleben vor, während dem es immer wieder zu Prüfungssituationen kommt, bei denen man zu einem bestimmten Zeitpunkt seine Leistung möglichst gut abrufen muss. Dieser Aspekt fliesst insbesondere bei der rein pädagogischen Beurteilung über Sinn und Unsinn von Prüfungen nicht ein. Ob es Autoprüfungen, Bewerbungsgespräche, Referate, Kundengespräche oder Verhandlungen sind: Prüfungssituationen sind ein Bestandteil des Erwerbslebens und des Alltags. Die Prüfungen an der Schule dienen dementsprechend auch der Sozialisation und sie führen die Kinder schrittweise an das Prinzip der Leistungsorientierung heran.
Beispiel Bildungsraum Nordwestschweiz: «Checks» als Leistungstests
Beispiele für standardisierte Leistungstests mit hoher Vergleichbarkeit finden sich beispielsweise in den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Solothurn, wo sogenannte «Checks» zur schulischen Standortbestimmung durchgeführt werden. Es gibt vier obligatorische Checks, wovon zwei in der Primarstufe (3. und 5. Klasse) und zwei in der Sekundarstufe I (2. und 3. Klasse) absolviert werden. Die Tests heissen Check P3, P5, S2 und S3 und sind weder promotionswirksam noch haben sie eine schulische Selektionsfunktion. Allerdings geben sie nicht nur Aufschluss über die Leistung eines Schülers oder einer Schülerin innerhalb eines Kompetenzbereichs (in Form einer Punkteskala, die von 0 bis 1200 reicht), sondern ermöglichen auch den Vergleich mit anderen Schülerinnen und Schülern (in Form von grauen Balken, die die mittleren 90 Prozent bzw. 50 Prozent aller Ergebnisse markieren). Im Gegensatz zu Schulnoten können diese Leistungstests sowohl über die verschiedenen Klassen- und Leistungszüge hinaus als auch in einer zeitlichen Dimension verglichen werden, da bis zur 3. Sekundarklasse die gleiche Skala verwendet wird und die Fortschritte des Einzelnen auf diese Weise klar ersichtlich sind. Ein weiterer Vorteil der Checks S2 und S3 besteht darin, dass die Ergebnisse mit den Anforderungsprofilen verlinkt sind. So können Schülerinnen und Schüler ihre Leistung mit den Anforderungen eines spezifischen Berufs vergleichen und für die Berufswahl nutzen. Der Profilabgleich bedingt allerdings, dass die Anforderungsprofile stets aktuell sind.


Es ist irrelevant, ob die Beurteilung mit oder ohne Noten erfolgt
Die Art der leistungsorientierten Beurteilung, das heisst, ob sie mit oder ohne Noten erfolgt, ist aus Sicht der Wirtschaft hingegen nicht relevant, solange sie objektiv vergleichbar und für die Unternehmen einfach zu interpretieren ist. Daher kann diese sowohl in Form von Noten geschehen als auch mit anderen vergleichbaren Bewertungsformen, wie zum Beispiel Kreuzchen, die den Erreichungsgrad bei der jeweiligen Kompetenz abbilden. Es gilt jedoch auf die optimale Menge der Information zu achten: Zu umfangreiche und detaillierte Informationen sind für die Unternehmen beim ersten Auswahlschritt nicht verarbeitbar, zu wenig Informationen bilden nicht alle relevanten Kompetenzen ab. So sagt beispielsweise eine gute Note in Mathematik noch nichts zu den Fähigkeiten in Geometrie aus. Denn diese Note ist erreichbar, wenn jemand sehr gut in Algebra ist, obwohl Geometrie nicht verstanden wurde. Daher ist bei der Ausgestaltung des Beurteilungssystems darauf zu achten, dass die Unternehmen konkret wissen möchten, welche Kompetenzen sich hinter einer Note verbergen. Das erlaubt, den Anschluss an die Berufsfachschule sicherzustellen. Hier setzt das Projekt «anforderungsprofile.ch» an, das von den Kantonen geleitet wird und in dem schulische Instrumente für die Berufswahl und Berufsvorbereitung entwickelt werden. Diese Instrumente sollen den Schülerinnen und Schülern helfen, sich auf die Berufsfachschule vorzubereiten, indem sie eine gute Standortbestimmung im Hinblick auf die Anforderungen einer Lehre ermöglichen.
Abschliessend ist es wichtig festzuhalten, dass der Übergang an der Schnittstelle von der Schule in die Berufswelt eine geteilte Verantwortung zwischen den Schulen und den Betrieben ist. Die Schulen müssen nicht alle Informationen liefern. Sie sollen testen, was standardisiert getestet werden kann. Die Unternehmen werden immer einen Teil der Beurteilung übernehmen, sei dies durch Schnupperlehren, Bewerbungsgespräche, ergänzende Tests usw., auch um das Matching zwischen dem Jugendlichen und dem Betrieb zu überprüfen. Zudem ist der Austausch zwischen dem zukünftigen Ausbildungsbetrieb und der Lehrperson in der abgebenden Schule nicht zu vernachlässigen. Für den Betrieb ist die Beurteilung der Lehrperson zu den Entwicklungsmöglichkeiten des Jugendlichen (prognostische Beurteilung) eine wichtige Information. Betriebe sollten diese aktiv einholen und die Schulen sollten für Auskünfte bereitwillig zur Verfügung stehen. Denn das Voranbringen der jungen Menschen ist ein gemeinsames Anliegen der Schulen und der Unternehmen.
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