# 02 / 2018
09.02.2018

Digitalisierung – Herausforderungen und Chancen für die Schule

Welche Konsequenzen hat die Digitalisierung für die Schule?

Bei den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Schule sind grob drei Stossrichtungen zu unterscheiden: Erstens die Folgen für die Didaktik und den Einsatz von digitalen Unterrichtseinheiten, beispielsweise in Form von Onlinekursen. Zweitens die Veränderung der Lerninhalte und drittens der Einfluss auf die Pädagogik. Es stellen sich dabei Fragen wie: Welchen Platz soll nun die Digitalisierung in der Bildung einnehmen? Welche grundlegenden Kompetenzen sollten gestärkt und wie soll die digitale Welt sinnvollerweise ins Klassenzimmer eingebunden werden?

Verändert die Digitalisierung die Lerninhalte der obligatorischen Schule?

  1. Gerade weil wir nicht wissen, welches Fachwissen künftig gefragt sein wird, hat die Schule zuallererst die Vermittlung der wichtigen Grundlagen sicherzustellen. Unabdingbar ist dabei die Konzentration auf die Schulsprache und die Mathematik. Keine anderen Fächer und Inhalte rechtfertigen es, bei diesen für den weiteren Lernfortschritt essenziellen Kompetenzen Kompromisse einzugehen. Gerade in der Mathematik, aber auch in der Schulsprache sollte der Unterricht individualisiert mit Softwareunterstützung erfolgen.
  2. Programmieren für alle. Aber nicht jeder Schulabgänger muss ein Informatiker sein. Und dennoch: Die Informatik ist aus fast keinem Beruf mehr wegzudenken und jede und jeder muss die Grundzüge der Informatik verstehen. Deshalb muss die Schule Grundkenntnisse in der Informatik für alle vermitteln. Der Lehrplan 21 sieht richtigerweise vor, dass bereits in der obligatorischen Schule programmiert werden soll. Ebenso ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, einen bestimmten Sachverhalt in einem Modell abstrahiert darzustellen, um ihn danach mithilfe von Algorithmen und Daten abzubilden («computational thinking»). Diese Fähigkeit ist entscheidend, um die Funktionsweise von Computern und digitalisierten Prozessen zu verstehen. Entscheidend ist dabei, dass all dies den Schülerinnen und Schülern Spass macht und stufengerecht unterrichtet wird. Eine Programmiersprache lernt man am besten, indem Probleme gelöst und nicht indem vorgefertigte Problemlösungen nachgebaut werden. Der eine oder andere Jugendliche wird dann motiviert sein, sich zu vertiefen oder sich vielleicht einer Robotics-Gruppe anzuschliessen. Der Lehrplan 21 ist konsequent umzusetzen.
  3. Schwimmen muss man im Wasser. Alltagsanwendungen, vor allem der Umgang mit der Office-Software, sind nicht zu unterrichten. Das Erlernen soll in eine Problemstellung wie das Schreiben eines Textes, das Halten einer Präsentation oder die Auswertung von Daten eingebettet sein. Unsere Schülerinnen und Schüler haben auch nie einen Kurs besucht, um ihr Smartphone bedienen zu können. Informatik ist als Querschnittskompetenz zu betrachten, die in verschiedenen Fächern erlernt und eingesetzt wird.
  4. Der zweckmässige Umgang mit der Digitalisierung im Unterricht erfordert von den Lehrpersonen ein Umdenken. Sie müssen und können nicht länger überall bessere Kenntnisse haben als die Lernenden. Denn wenn Jugendliche Spass haben und motiviert werden, sich auch in der Freizeit mit Informatik zu beschäftigen, werden sie in Kürze in vielen Informatikfragen mehr wissen und auch besser programmieren können als die Lehrperson. Der Lehrer sollte diese eigenständigen Fortschritte unterstützen und gezielt im Unterricht einsetzen.
  5. Die Schulzimmer öffnen! Eine Lehrperson muss nicht alleine alle Ziele des Lehrplans abdecken. Entscheidend ist, dass die Lehrpersonen motiviert sind, Informatik zu unterrichten. Zwang ist kontraproduktiv. Lehrpersonen müssen Spass am Informatikunterricht haben. Auch eine Öffnung der Klassenzimmer ist in Betracht zu ziehen: Unterrichtseinheiten zur Informatik könnten Verwandte oder Bekannte der Lehrpersonen oder der Schülerinnen und Schüler in Zusammenarbeit mit der Lernperson anbieten. Wieso nicht zusammen mit einem Informatikerlehrling das Logo-Programmieren unterrichten oder mit einer Gymnasiastin aus dem Lego-Robotics-Team eine Lerneinheit bestreiten? Wenn die Lehrperson den Enthusiasmus der Schülerinnen und Schüler sieht, wird sie sich auch gerne weiterbilden und die Lehreinheit später selbst durchführen. Auch sollte die Volksschule Public Private Partnership offener gegenüberstehen. Damit der Einzug der Informatik in den Unterricht nicht zu viel Zeit benötigt, können Kooperationen zwischen privaten Unternehmen und den Schulen zweckmässig sein.
  6. Die Pädagogischen Hochschulen sind gefordert, dass alle Lehrkräfte die erforderlichen Kompetenzen im Bereich der Digitalisierung mitbringen. Dies betrifft nicht nur die Lehrkräfte in Ausbildung. Auch die bereits aktiven Lehrkräfte müssen für die Digitalisierung fit gemacht werden.
  7. Trotz Digitalisierung: «Soft Skills» nicht vergessen! Damit die Jungen ein selbstbestimmtes Leben gestalten können, braucht es ein hohes Mass an Handlungs-, Selbst- und Sozialkompetenz. Zudem ist der Mensch auf der sozialen Ebene und in kontextabhängigen Fragestellung den Computern überlegen. Deshalb: Ein Skilager, das Theaterspielen oder eine Musikwoche mit anschliessender Aufführung sind genauso wichtig wie die Vermittlung von Fachwissen. Und im Lager darf die digitale Welt durchaus auch mal ausgeblendet werden.

Die Realität des lebenslangen Lernens muss bereits in der obligatorischen Schulzeit berücksichtigt werden. Die Lehrpersonen müssen den Schülern eine positive Einstellung gegenüber Veränderungen vermitteln und die natürliche Neugierde der Lernenden fördern. Die Schüler müssen auch lernen, wie man selbstständig lernt und sich aus eigenem Antrieb weiterentwickelt. Dabei sind die Lehrpersonen als Vorbilder speziell gefragt: Diese Einstellung sollte täglich vorgelebt werden.

Individualisierung des Unterrichts dank digitaler Organisationshilfen

In den vergangenen Jahren setzten viele Schulen Onlineplattformen ein, um die gesamten Unterrichtshilfen zentral den Lernenden zur Verfügung zu stellen. Mittlerweile werden die Plattformen etwas intelligenter eingesetzt und umfassen zum Beispiel Chats mit Fragen zum Unterricht, Organisationsinformationen, Onlinetests oder Lerngruppenforen. Ähnliches gilt es über Klassenzüge zu berichten, die alle Informationen vollständig auf iPad erhalten und das Arbeitsgerät entsprechend häufig einsetzen.

Wirklich bedeutend wird der Einsatz digitaler Unterrichtshilfen, wenn sich dadurch Didaktik und Pädagogik verändern. Das Potenzial der Digitalisierung für den Unterricht ist riesig: Erstmals ermöglicht es den Lehrpersonen, einen vollständig individualisierten Unterricht organisatorisch zu bewältigen. Die Individualisierung wird unter anderem durch das Vorhandensein von Echtzeitdaten über das Verhalten, die Lernfortschritte und die Lösungsstrategien der Lernenden ermöglicht.

Es ist schon lange bekannt, dass die jährlichen Unterrichtsziele in der Primar- und Sekundarschule nur von einem kleinen Teil der Schülerinnen und Schüler vollständig erreicht werden. Die Heterogenität bzw. die Unterschiede in den Kompetenzen der Lernenden sind zu gross, als dass jeder oder jede am Ende des Schuljahres auf demselben Wissensstand sein kann. Es wäre dementsprechend wichtig, dass der Unterricht diese Heterogenität angemessen berücksichtigt. Die dazu notwendige Individualisierung des Unterrichts scheiterte aber in der Vergangenheit daran, dass der Arbeitsaufwand für die Lehrpersonen explodierte. Sie mussten für jede Schülerin und für jeden Schüler ein individuelles Lernprogramm zusammenstellen, den Lernerfolg kontrollieren und dokumentieren. Zudem war die Übergabe der Informationen über den unterschiedlichen Wissensstand der Schülerinnen und Schüler an die nächste Lehrperson kaum zweckmässig sicherzustellen.

Wenn etwa Dräger und Müller-Eiselt (2015) von einer digitalen Bildungsrevolution sprechen, geht es um die Möglichkeit des individualisierten Unterrichts: Dies bedeutet ein massgeschneidertes Lernen, das am eigenen Lerntempo ausgerichtet ist und welches elektronisch dokumentiert wird. Dadurch kennt die Lehrperson jederzeit den Lernfortschritt einer Schülerin und wo ein Schüler Hilfe braucht. Die Autoren beschreiben dazu die Initiative des «New Classroom» in New York. Für jedes Thema werden unterschiedliche Hilfsmittel bereitgestellt. Zum Abschluss der Unterrichtseinheit füllt das Kind eine kurze Onlineprüfung aus. Das System checkt dann, wer noch weiter üben muss und wer schon zum nächsten Thema schreiten kann. Die Lehrpersonen sehen jeweils, wer an bestimmten Stellen Schwierigkeiten hat und können entsprechend unterstützend eingreifen – sei dies mit einer zusätzlichen Übung, einer Erklärung der Lernperson oder einer Mitschülerin. Man muss allerdings nicht nach New York reisen, um den digitalisierten, individualisierten Unterricht zu beobachten: Die private Schule für individuelles Lernen (SIL) setzt bereits seit einigen Jahren eine gemeinsam mit IBM Schweiz entwickelte Software ein. Diese Software ermöglicht den vollständig individualisierten Unterricht, weil die Lernfortschritte der einzelnen Schülerinnen und Schüler erfasst und gespeichert werden.

Wie könnte der Schulalltag konkret organisiert werden? Ist ein vollständig individualisierter Unterricht in allen Fächern angezeigt? Vorstellbar wäre es, dass sich jedes Kind im Schulhaus einen Platz zum Arbeiten sucht, dort an seinen Aufgaben arbeitet und sich bei Bedarf bei der Lehrperson Hilfe holt. Doch gegen eine solche Schule sprechen wichtige Argumente: Erstens lernen Kinder und Jugendliche auch voneinander und in der Gruppe. Zweitens sind die Lerntypen unterschiedlich, sodass einige etwa bei einem Frontalunterricht bessere Fortschritte erzielen. Drittens werden in Jahrgangsklassen wichtige Sozialkompetenzen erlernt. Wenn jedes Kind nur noch seinen Aufträgen nachgeht, dann vernachlässigen wir gerade Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Kommunikation, Austragen von Meinungsunterschieden usw. Und viertens: Trotz Digitalisierung braucht es weiterhin den persönlichen Beitrag der Lehrperson, welche die Schüler durch das Thema führt und sie dafür begeistert.

Fragen wir deshalb andersrum: In welchen Fächern bremsen Leistungsunterschiede den Lernerfolg besonders? Hier schälen sich zwei Fächer heraus: Schulsprache und Mathematik. In beiden Fächern baut sich das Wissen über die Jahre hinweg auf. Daher sind einige Kinder unter-, andere wieder überfordert, wenn in einer Jahrgangsklasse ein Thema unterrichtet wird. Leistungsunterschiede in den anderen Fächern (Natur/Mensch/Gesellschaft, Sport, Musik, Gestalten, Informatik) können demgegenüber mit pädagogischem Geschick deutlich einfacher auch innerhalb einer Jahrgangsklasse aufgefangen werden. Da bei den Fremdsprachen in der Regel alle mehr oder weniger bei Null beginnen, sind auch hier zumindest auf Primarschulstufe Leistungszüge nicht zwingend nötig.

Konkreter Vorschlag: Die beiden Kernfächer Mathematik und Schulsprache sind an der Volksschule in Zukunft individualisiert zu unterrichten. In diesen Fächern sollten die Schülerinnen und Schüler nicht gemäss dem Alter in Klassen eingeteilt werden, sondern gemäss ihren Fähigkeiten in Lerngruppen. Beispielsweise würden die Schüler zwischen 8 und 10 Uhr in Lerngruppen unterrichtet werden, um anschliessend wieder in die Jahrgangsklasse zurückzukehren. Die Schüler können so weiterhin lernen, in einer über längere Zeit bestehenden Gruppe ihre Rolle zu finden und wahrzunehmen. Eine Lehrperson könnte beispielsweise die zweite Klasse unterrichten und die Lerngruppe B in Mathematik, in der Schülerinnen und Schüler aus der ersten, zweiten und dritten Klasse beisammen sind. In diesem Setting ist individualisierter Unterricht kombinierbar mit gemeinsamen Einführungslektionen oder Gruppenarbeiten. Die digitalen Lernmittel und der persönliche Unterricht durch die Lehrperson sollen also geschickt kombiniert werden. Da alles dokumentiert bleibt, können Lerngruppen auch innerhalb eines Jahres gewechselt werden, ohne dass ein Schüler aus seiner vertrauten Jahrgangsklasse herausgerissen wird. Die schulischen Heilpädagogen würden entsprechend die Lerngruppen von Kindern übernehmen, welche eine besondere Unterstützung benötigen. Im Unterschied zum Modell der integrierten Kleinklasse aber würden alle Kinder in Lerngruppen unterrichtet und nicht bloss die schwächeren. Wichtig ist zudem, dass nicht alle Leistungsgruppen auf das gleiche Lernziel hinarbeiten, da sonst die Besseren zum Beispiel relativ schnell die Ziele der Primarstufe erreicht haben und ihre Lernfreude und Leistungsbereitschaft mangels Zielen verlieren. Schliesslich könnte ein individualisierter Mathematikunterricht auch die Mathematikleistungen der Mädchen steigern. Studien zeigen, dass sich die Mädchen oft aus der Mathematik zurückziehen, weil sie den Mathematikunterricht als zu kompetitiv wahrnehmen. Durch den individualisierten Unterricht stünden sie nicht mehr im direkten Wettbewerb mit anderen und könnten dadurch mehr Freude an der Mathematik erleben.

Der digitalisierte Unterricht

Etwas vorschnell wurde das Ende der Klassenzimmer ausgerufen, als erste Erfolge mit E-Learning-Tools erzielt wurden und Tophochschulen damit begannen, im Rahmen von reinen Onlinekursen Ausbildungen für Millionen von Menschen anzubieten. Die Euphorie ist längst verflogen. Bald schon musste festgestellt werden, dass der grosse Erfolg von einzelnen Modulen den Unterricht in der Klasse keineswegs obsolet macht. Es zeigten sich rasch Probleme in Form von hohen Abbruchquoten bei Online-Hochschulen und mässigem Lernerfolg bei nicht angeleitetem E-Learning. Es wurde allgemein unterschätzt, wie stark der langfristige Lernerfolg von der sozialen Interaktion abhängig ist.

Der Einsatz von digitalen Hilfsmitteln in der Schule hat sich aber dennoch durchgesetzt, und das Ausbaupotenzial bleibt riesig. «Blended Learning», also die Kombination von Präsenzunterricht und E-Learning, verspricht dabei deutlich bessere Lernerfolge als isoliertes E-Learning. Gemeint ist also der zweckmässige Einsatz von digitalen Hilfsmitteln zur Unterrichtsgestaltung, wobei die Lernenden aber von einer Lehrperson begleitet werden. Ein vielfältiges Angebot steht zur Verfügung und wird dauernd weiterentwickelt: einzelne Unterrichtseinheiten bis hin zu ganzen Modulen, Spielen, Suchaufträgen im Internet, Simulationsmodellen, Sprachtrainer usw. Doch auch Youtube-Vorzeigevideos, Fernsehsendungen oder Filmsequenzen lassen sich mit Lernaufträgen einfach und zweckmässig einsetzen.