Sigvaris Gruppe

Sigvaris Gruppe: Gut im Strumpf dank Schweizer Qualität

Die Sigvaris Gruppe, ein Fa­mili­enbetrieb mit Hauptsitz in Win­­terthur, blickt auf ei­ne über 150-jähr­ige bewegte Un­ternehmensge­­schich­te zurück. Heu­te ist sie Welt­­­marktfüh­­rerin für medi­­zini­­sche Kom­­pressi­ons­strümpfe. Dass das Un­ternehmen auch in der Schweiz pro­­duzie­ren lässt, gilt in der Textilbran­che als Aus­­nah­me, spricht aber für die Qualität und Be­liebt­heit der Strümpfe.

 

Wissen Sie, wie das Blut aus den Beinen zum Herzen zurückgelangt? In der Tat eine Frage, die nicht einfach zu beantworten ist. «Es gibt eine sogenannte Wadenmuskelpumpe, einen Muskelmechanismus in den Beinen, der dafür sorgt, dass das Blut durch die Venen zum Herzen zurückgepumpt wird», erklärt Urs Toedtli, Geschäftsführer der Sigvaris Gruppe. Ihr Geschäftsmodell verdankt die Firma dem Umstand, dass etwa jeder sechste Mensch an ungenügend funktionierenden Beinvenen leidet und diese mit Kompressionsstrümpfen beim Rücktransport des Blutes unterstützen kann.

Seit über 150 Jah­ren in Fa­mili­enhand
Die Grün­de für den Erfolg des 1864 ge­gründe­ten Fa­mili­enbetriebs, aus de­s­sen Pro­dukti­ons­stät­ten etwa jeder vier­te heu­te verkaufte Kom­pressi­ons­strumpf auf der Welt stammt, sind viel­schichtig. Fundamen­tal wichtig für den Erhalt des Betriebs über viele Jahrzehnte sei die Hingabe der Eign­erfa­milie Ganzo­ni ge­wesen, betont Toedtli. Ein stark aus­gepräg­ter Sinn für Tra­diti­on und Pf­lichtbewusst­sein habe dafür gesorgt, dass alle Ge­ne­rationen der Fa­milie das Un­ternehmen stets hal­ten und weiter­entwickeln woll­ten.

Dank des starken Rückhalts über­stand Sigvaris erfolg­los verlau­fen­de Pro­duktlancierun­gen ebenso wie die Welt­wirt­schafts­krise der 1930er-Jah­re oder die Wirren der bei­den Welt­kriege. Toedtli ist sich dar­über im Kla­ren, dass die­se Hingabe al­les an­de­re als selbstverständlich ist. Das Un­ternehmen pro­fitiert heu­te von ei­ner besonde­ren Besitz­struktur. Sigvaris wird von nur zwei Aktionären der Fa­milie ge­hal­ten. In ei­ner schnelllebigen Zeit, in der ver­schiede­ne An­spruchs­gruppen oft un­ter­schiedli­che Vor­stellun­gen über die stra­tegi­sche Aus­rich­tung des Ge­schäfts ha­ben, stellt die­se Einheit ei­nen nicht zu un­ter­schätzen­den Vor­teil dar. Von die­ser Basis aus kann ra­scher und flexi­bler als in an­de­ren Firmen auf Trends und Marktverände­run­gen rea­giert wer­den.

Nach Jah­ren, in denen – noch un­ter dem ur­sprüngl­i­chen Firmen­namen Ganzo­ni – ver­schiede­ne gummi-elas­ti­sche Pro­dukte wie Gummibän­der, Korsetts oder Hosen­trä­ger das Sortiment präg­ten, gelang im Jahr 1961 schliesslich der Durch­bruch. In Zu­sammenarbeit mit Dr. Karl Sigg, ei­nem Spezia­lis­ten für Ve­nen­erkrankun­gen, präsentier­te das Un­ternehmen ei­nen medi­zini­schen Kom­pressi­ons­strumpf auf Kau­t­schukbasis un­ter dem Marken­namen «Sigvaris». Dana­ch verla­ger­te sich der Fokus des Un­ternehmens schliesslich rasch auf Kom­pressi­ons­strümpfe – ei­ne Ein-Pro­dukt-Stra­tegie, von der trotz mehrfa­cher Diversifizierungs­be­strebun­gen in den vergan­genen Jahrzehn­ten nicht abgerückt wurde. Die zen­trale Bedeu­tung die­ser Innovati­on zeigte sich dar­in, dass der Pro­dukt­na­me in den folgen­den Jahrzehn­ten schrittweise zum neuen Firmen­namen wurde. Dies bot zwar die Chance zur Kon­so­lidierung, be­inhalte­te aber auch Risiken. Weil medi­zini­sche Kom­pressi­ons­strümpfe ein an­ge­staubtes Image hat­ten, musste die Funktio­nalität mit Ästhe­tik ver­bun­den wer­den, um den Kun­den ne­ben dem medi­zini­schen auch ei­nen prakti­schen Mehrwert zu bie­ten. 2001 lancier­te Sigvaris den DIAPHANE-Strumpf in Frank­reich, bei dem nicht mehr erkennbar ist, dass es sich um ei­nen Kom­pressi­ons­strumpf und damit um ein medi­zini­sches Pro­dukt handelt.

Ein KMU als «Global Player»
Als Urs Toedtli 2010 sei­nen Dienst antrat, war er der erste Ge­schäftsfüh­rer, der nicht dem Hause Ganzo­ni ent­stammt. Die Fokus­sierung auf Kom­pressi­ons­strümpfe ist für ihn ein An­sporn, im­mer bes­ser zu wer­den und nie stehen­zublei­ben. Wenn man sich auf ei­ne Pro­duktkategorie fest­lege, müsse man auch die beste auf dem Markt verfügbare Qualität anbie­ten. Und die­se selbstverständlich auch an den Mann oder die Frau brin­gen. Dar­um sind auch Kom­pressi­ons­strümpfe in den Spar­ten Medi­cal, Well Being und Sports verfügbar.

Früher und kon­sequen­ter als an­de­re Her­stel­ler der Bran­che schielte Sigvaris de­shalb auf neue Märkte in Übersee. Ein ge­wis­ses kosmopoliti­sches Flair und ei­nen Drang hin­aus in die Welt hat­ten die Ganzonis schon im­mer bewiesen: Be­reits in den 1870er-Jah­ren reich­te das Vertriebsnetz bis nach Nordafri­ka und Argenti­ni­en, 1895 wurde ei­ne erste Zweig­stel­le im Aus­land (Öst­erreich) eröffnet, ab 1924 dann die französi­sche Schwesterfirma auf­ge­baut. Heu­te ist das Un­ternehmen ein typi­scher Vertre­ter der soge­nann­ten «Hidden Champi­ons»: Ein klei­ner bis mit­tel­gros­ser Betrieb, der in sei­nem Be­reich häufig Welt­marktfüh­rer und stark in­ternatio­nal aus­gerich­tet ist. Sigvaris be­schäftigt heu­te rund 1400 Mit­arbeiten­de in so un­ter­schiedli­chen Ländern wie Frank­reich, Brasili­en, den Ver­einig­ten Staa­ten, Deutsch­land, Öst­erreich, Eng­land, Ka­na­da, China, Aus­trali­en und Mexiko.

Die Vorreiterrolle beim Gang nach Übersee erweist sich in­zwi­schen als kluge Ent­scheidung, weil der Welt­markt jährlich um rund fünf Prozent zulegt und junge, auf­streben­de Mit­tel­schich­ten in den Schwel­len­ländern vielver­spre­chen­de Ab­satz­möglichkei­ten bie­ten. In China kommt den Schwei­zern ent­gegen, dass die Blutzirku­lati­on in der tra­ditionel­len chinesi­schen Medi­zin von je her ei­ne wichtige Rolle spielte. Das Angebot an Kom­pressi­ons­strümpfen fällt zwi­schen Peking und Kanton de­shalb auf fruchtba­ren Boden und Sigvaris wächst mit zwei­stelligen Jah­res­ra­ten – allerdings von sehr niedrigem Niveau aus. Auch Brasili­en hat sich zu ei­nem wichtigen Ab­satz­markt gemausert. Im gröss­ten Land Südamerikas hat sich in den letz­ten Jah­ren ei­ne Mit­tel­schicht mit neuen Bedürfnis­sen und ei­nem Sinn für Gesundheits­vorsorge gebildet.

In ei­nem Schanghai­er Sanitätshaus lässt sich ei­ne Kundin die Bei­ne für die An­fertigung massgefertig­ter Kom­pressi­ons­strümpfe von Sigvaris vermes­sen.

Kein Strumpf gleicht dem an­de­ren
Doch nicht nur die Struktur des Un­ternehmens – heu­te spricht nur noch ei­ne Minderheit der Mit­arbei­tenden Deutsch –, auch die Anforde­run­gen seitens der Kundinnen und Kun­den sind ei­nem ste­ten Wandel un­terworfen. «Der Trend in der Medi­zinbran­che geht in Rich­tung des soge­nann­ten Con­su­mer Shopping, also des Verkaufs medi­zini­scher Präpara­te und Pro­dukte im frei­en Detailhandel. Für Sigvaris könnte die­ser Trend, sollte er sich wei­terent­wickeln, noch viel Arbeit be­reit­hal­ten. Denn Kom­pressi­ons­strümpfe sind massgefertigte Textili­en, die an die individuel­len Bedürfnis­se ei­nes jeden Kun­den angepasst wer­den müs­sen. Von der Stange kau­fen kann man sie nicht. Zu Beginn des Pro­zes­ses steht dar­um die Vermessung der Bei­ne des Kun­den. Basierend auf den auf­genommenen Beinmas­sen kann ent­schieden wer­den, ob ei­ne Se­ri­en­grösse passt oder ob ei­ne Mas­san­fertigung benötigt wird, um den richtigen Druckverlauf am Bein si­cherzustel­len. Der ob­ligatori­sche Besuch bei ei­ner ärztli­chen Fach­person ist auch der Grund, wa­rum man Pro­dukte aus dem Hause Sigvaris nicht direkt im Onlinehandel erwer­ben kann. Immerhin las­sen sich Beinmasse heu­te schon in we­nigen Sekun­den mithilfe ei­nes Scan­ners ab­le­sen.

Ei­ne Mit­arbeite­rin im St. Gal­ler Pro­dukti­ons­betrieb prüft ei­ne Kom­pressi­ons­strumpfhose mit ge­schul­tem Blick.

Auf die ei­gene Stärke vertrau­en
Wer ei­nen Blick auf Etappen und Meilen­stei­ne der über 150-jähr­igen Fa­mili­en­ge­schich­te wirft, stellt schnell fest, dass Sigvaris schon viele Pro­bleme erfolg­reich überwun­den hat: Der vom Ers­ten Welt­krieg verursach­te Zu­sammenbruch des Exportge­schäfts konnte durch die Um­stellung auf den einheimi­schen Markt kom­pensiert wer­den. Nach dem Krieg erschwer­ten Schutzzölle, politi­sche Unruhen und ho­he Inflati­ons­ra­ten die Wiederbelebung der Aus­fuh­ren und die Welt­wirt­schafts­krise der 1930er-Jah­re zog ei­nen un­erbittli­chen Preis­kampf auf­grund extre­mer Überkapazitä­ten im Textilsek­tor nach sich. Gegen En­de des Zwei­ten Welt­kriegs fan­den sich die Ganzo­ni-Betriebe gar auf ei­ner «Schwar­zen Liste» der Alliier­ten wieder und un­terla­gen ei­nem Boykott. 1956 schliesslich ein schmerzhaf­ter Einschnitt: Ganzo­ni schliesst auf­grund stagnieren­der Verkaufszah­len sein Werk in Win­terthur. Die im Jah­re 1928 in St.Gal­len zugekaufte Fabrik hingegen blieb be­stehen und pro­duziert bis heu­te Kom­pressi­ons­strümpfe – ei­ne Rarität in der Schweizer Textilbran­che.

All die­se Rückschläge konn­ten überwun­den wer­den, weil die Eign­erfa­milie nie auf­gehört hat, an den Erfolg ih­res Un­ternehmens zu glau­ben – und dies bis heu­te tut. Auf die Aus­wirkun­gen des starken Frankens an­ge­spro­chen, betont Urs Toedtli, dass man jetzt eben noch pro­duktiver als ohnehin schon arbei­ten müsse, um die ent­stan­denen Schwie­rigkei­ten bestmöglich zu meistern. «Oft wird verges­sen, dass die Landeswährung vor dem Errei­chen der von der Natio­nalbank gesetz­ten Grenze von 1.20 Franken von ei­nem Niveau von etwa 1.60 Franken pro Eu­ro herun­ter­gekommen ist.» Gleichzeitig ist Sigvaris jedoch so auf­ge­stellt, dass die Mehrheit der Strümpfe aus­s­erhalb der Schweiz pro­duziert wird.

Es helfe nicht, in Selbstmitleid zu versinken. All die Jah­re hindurch habe in der Firma die Devise gegol­ten, dass auf die ei­genen Stärken vertraut und hart ge­arbeitet wer­den müsse, dann lies­sen sich auch grösste Schwie­rigkei­ten meistern. Un­ter diesem Motto fällt Toedtlis Pro­gnose zur Zukunft der Firma positiv aus: «Die fundamen­ta­len Prinzipi­en für un­se­ren Un­ternehmens­erfolg sind gege­ben. Es gibt im­mer mehr Men­schen auf der Welt und die­se wer­den im­mer äl­ter. Dazu kommt der Lebens­stil in den Indus­trie­nationen – nicht sel­ten geprägt durch Übergewicht und mangeln­de Bewegung –, der un­se­ren Kom­pressi­ons­strümpfen auch in Zukunft ei­nen Markt bie­ten wird. Wir müs­sen die Kundinnen und Kun­den mit un­se­ren Pro­duk­ten nur errei­chen.»