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Wo ist denn der Pragmatismus der Schweiz hingekommen?
Auf einen Blick
- Politische und wirtschaftliche Themen wie der US-Zolldeal oder die Bilateralen III werden oft vorschnell zerredet, was den konstruktiven Kompromiss erschwert.
- Der Pragmatismus der Schweiz scheint ziemlich verloren gegangen zu sein. Es wird zunehmend ideologisch diskutiert, statt pragmatische Lösungen zu suchen.
- Der Wohlstand der Schweiz basiert auf einer starken Exportwirtschaft und dem Zugang zu internationalen Märkten. Geregelte Beziehungen zu wichtigen Handelspartnern wie der EU und den USA sind dafür essenziell.
Eine kurze Erleichterungswelle durchströmte das Land, als der Zolldeal mit den USA bekannt wurde. Doch statt mal zuzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln, wurde der Deal von gewissen Kreisen sofort schlechtgeredet. Das Haar in der Suppe: Man hätte vor den USA gekuscht, Arbeitsplätze in der Schweiz seien gefährdet, Chlorhühner würden sofort zugelassen, die Investitionszusagen seien nicht realistisch und eine ausgeglichene Handelsbilanz illusorisch.
In derselben Gemütslage werden von anderen Kreisen die Bilateralen III zerredet. Die Demokratie der Schweiz würde zerstört, der wirtschaftliche Nutzen sei klein, das Streitschlichtungsverfahren würde sowieso nie funktionieren und der EUGH hätte immer das letzte Wort. Ausverkauf der Heimat, sozusagen. Übrigens: Der wirtschaftliche Nutzen der bilateralen Verträge ist sehr gross, so sehr man das auch kleinredet.
Die derzeitige Kakophonie in der Schweiz zeigt zwei Dinge. Zunächst das Positive: Wir sind ein Land der selbsternannten Experten. Wir diskutieren, kritisieren, streiten und sind mit Lob gegenüber dem politischem Führungspersonal sehr zurückhaltend. Das ist gut, weil wir nie ganz zufrieden sind und immer noch etwas mehr wollen. Den «Füüfer» und das «Weggli» halt. Das war auch die Stärke der Schweiz in der guten alten Zeit, wo Lösungen, die eine mittlere Unzufriedenheit hervorriefen, schliesslich murrend und knurrend akzeptiert wurden.
Aber: Der Pragmatismus der Schweiz ist ziemlich verloren gegangen. Und das hat mit dem zweiten Punkt zu tun: Es werden nicht mehr Lösungen gesucht, sondern Probleme aus der Sicht von Parteien und Ideologien bewirtschaftet. Dies sieht man besonders eindrücklich auf der linken Seite. Das Brasilien unter dem rechten Präsidenten Bolsonaro wurde noch als Teufel und das Argentinien unter dem linken Präsidenten Perón als soziale Wohlfühloase, aber Opfer des Kapitalismus betrachtet. Die Sichtweise der Linken hat sich in jüngerer Zeit um 180 Grad gewandelt. Das Brasilien unter dem linken Präsidenten Lula wird als Vorkämpfer gegen den Klimawandel und seinerseits Opfer des Kapitalismus betrachtet, während Argentinien unter dem libertären Präsidenten Milei zum beliebten Prügelknaben der Linken geworden ist (obwohl er die riesige Inflation unter Kontrolle gebracht hat). Auch die Sicht der Linken auf Amerika fokussiert sich derzeit ausschliesslich auf die Probleme der Trump-Regierung und verklärt die Regierungszeit unter den Präsidenten Biden oder Obama zur Phase der Hochkultur, die nun in die Barbarei abzugleiten versucht. Schwarz-weiss. Gut oder Böse. Je nachdem, ob ein Gesinnungsgenosse an der Macht ist oder nicht.
Genauso einfach ist die Sichtweise der Rechten. Immer dort, wo eine flüchtige Spur eines Zusammenhangs mit der EU gesehen wird, wird Teufelswerk vermutet. Die Beamten in Bern wollten alle in die EU und seien bereit, die Schweiz zu verkaufen. Nur wegen der EU habe Deutschland die wirtschaftlichen Probleme. Nur wegen der EU steige die Bürokratie. Kurzum: Die EU sei an allem, was schiefläuft, Schuld. Und die Schweiz solle sich gefälligst abseits halten.
Es ist höchste Zeit, etwas innezuhalten und sich die Fakten vor Augen zu halten: Die Schweiz verdankt ihren Wohlstand florierenden Exportunternehmen. Wir verdienen rund 40 Prozent Netto im Ausland. Netto bedeutet, dass dabei alle Importe, die für den Export benötigt werden wie Erdöl, Metalle oder Vorprodukte schon abgezogen sind. Ohne unserer Exportwirtschaft wären wir so arm wie eine Kirchenmaus. Damit auf dem teuren Pflaster Schweiz nach wie vor geforscht, entwickelt, verwaltet und produziert werden kann für den Export, brauchen unsere Unternehmen den bestmöglichen Zugang zu den internationalen Märkten.
Die Wirtschaft braucht geregelte Verhältnisse mit dem wichtigsten Handelspartner, der EU. Wir brauchen Zugang zum amerikanischen Markt und wir brauchen künftig auch Zugang zum südamerikanischen Markt, den Mercosur-Staaten, ob jetzt ein Linker oder ein Rechter dort an der Macht ist.
Wo ist der Schweizer Pragmatismus geblieben? Können wir noch das «Füüfi-la-grad-si»? Ich wünsche mir eine Schweiz, die wild diskutiert; aber mit Akteuren, die sich nicht allein von Ideologie leiten lassen, sondern mit fundierten Argumenten um die besten Lösungen kämpfen. Die am Schluss einen Kompromiss mittragen, auch wenn man nicht zu 100 Prozent einverstanden ist. Die eine Lösung wollen, und nicht nur Probleme bewirtschaften, die auf die nächsten Wahlen einzahlen. Angesichts der riesigen Herausforderungen der Schweiz durch die neue Geopolitik ist es entscheidend, ob wir dazu in der Lage sind. Ich bin Optimist. Wir schaffen das.
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