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Wasserstoff und erneuerbare Gase: Der Energieträger der Zukunft

27.06.2024

Auf einen Blick

Wasserstoff, das häufigste Element im Universum, bietet viele Vorteile für die klimaneutrale Energieversorgung. Es kann als Brennstoff, Energiespeicher oder zur Stromerzeugung verwendet werden. Seine Nutzung verursacht keine Treibhausgasemissionen. Doch die Herstellung und der Transport sind mit Herausforderungen verbunden. Der Weg zu einer Wasserstoffwirtschaft führt über andere erneuerbare Gase und erfordert einen iterativen Aufbau von Infrastruktur und Märkten. Dabei müssen bestehende Infrastrukturen wie das Gasnetz genutzt werden.

Das Wichtigste in Kürze

Sicher, sauber, günstig – so muss die Energieversorgung der Zukunft sein. Energie in Molekülform, insbesondere Wasserstoff oder andere erneuerbare Gase, werden dabei eine wichtige Rolle spielen – dort wo die Elektrifizierung technisch oder ökonomisch an Grenzen stösst. Politisch fristen diese alternativen Energieträger noch ein Nischendasein. Ihre Marktdurchdringung muss jedoch in den nächsten Jahren umsichtig begleitet und ermöglicht werden.

Position economiesuisse

Wasserstoff und erneuerbare Gase diversifizieren und stärken unsere Versorgungssicherheit – sie sind quasi das Sackmesser der Schweizer Energiewende. Um die Chancen zu nutzen, müssen wir aber aktiv werden:

Kurzfristig erforderliche Massnahmen:

  1. Wasserstoffstrategie etablieren und regelmässig überprüfen: Die Strategie dient als Rahmen für alle Aktivitäten des Bundes, mit rollender, iterativer Planung.
  2. Schweiz an den European Hydrogen Backbone anschliessen: Frühzeitige Institutionalisierung der europäischen Zusammenarbeit sorgt für Versorgungssicherheit.
  3. Marktwirtschaftliche regulatorische Erfassung von Wasserstoff und erneuerbaren Gasen: Einführung von EU-kompatiblen Standards und Herkunftsnachweisen, um schnelle Marktdurchdringung zu fördern.

Mittel- bis langfristige Massnahmen:

  1. Energie- und Aussenpolitik zusammendenken: Verlässliche und diversifizierte Beschaffung von Wasserstoff und erneuerbaren Gasen durch zwischenstaatliche Vereinbarungen.
  2. Marktordnung im Gasbereich schaffen: Rechtsgrundlage für Netzzugang und Förderung von Wasserstoff, erneuerbaren Gasen und CO2 etablieren.
  3. Infrastruktur ergänzen: Aufbau von Infrastrukturen für industrielle Versorgung mit erneuerbaren Gasen und den CO2-Abtransport für Carbon Capture, Use and Storage (CCS).
Damm

Wasserstoff – Zahlen und Fakten

Von Grau zu Grün – die Transformation der Wasserstoffproduktion und -nachfrage

Die weltweite Wasserstoffproduktion basiert heute fast ausschliesslich auf fossilen Brennstoffen, was hohe Emissionen verursacht. Ausserdem wird Wasserstoff fast nur als industrieller Grundstoff eingesetzt. Soll er künftig als Energieträger eingesetzt werden, muss die Produktion von klimaneutralem Wasserstoff massiv ausgebaut werden. Dafür braucht es viel günstigen erneuerbaren Strom. In der Schweiz ist eine eigene Produktion, insbesondere im grösseren Ausmass, aus heutiger Sicht nicht wirtschaftlich möglich. Die Herstellung wird also künftig eher in sonnenreichen Ländern erfolgen, zum Beispiel im Nahen und Mittleren Osten.

Ein Konsum, der steigen und sich diversifizieren wird

Die Nachfrage nach Wasserstoff und erneuerbaren Gasen dürfte sich bis 2050 vervielfachen. Wasserstoff kann fossile Brennstoffe in der Industrie, Stromspeicherung und im Transport ersetzen. Die Nutzung anderer erneuerbarer Gase, wie Biomethan und synthetische Kraftstoffe, erweitert den Fächer der Energiespeicher und erhöht die Versorgungssicherheit. Vor allem ermöglichen aber andere erneuerbare Gase die Nutzung bestehender Infrastrukturen.

Die Europäische Union setzt auf Wasserstoff

Die EU strebt an, bis 2050 den Anteil von Wasserstoff am Energieverbrauch von praktisch 0 auf 20 Prozent zu erhöhen. Dies erfordert eine klimaneutrale Wasserstoffproduktion von 20 Millionen Tonnen bis 2030 – etwa das Zwanzigfache des heutigen Schweizer Gasverbrauchs. Die EU-Strategie umfasst Investitionen, Förderung der Nachfrage und Infrastrukturentwicklung. Ein europäisches Wasserstofftransportnetz soll bis 2040 entstehen, wobei die Schweiz beteiligt sein könnte.

Die Schweiz kann und muss aufholen

Die Schweiz strebt Klimaneutralität bis 2050 an, wobei Wasserstoff in der aktuellen Planung eine marginale Rolle spielt. Prognosen variieren, aber eine signifikante Nutzung von Wasserstoff ist sehr wahrscheinlich. Die Schweiz muss ihre Wasserstoffstrategie schnell zu Boden bringen und an der europäischen Entwicklung dranbleiben.

Forderungen der Wirtschaft

Kurzfristig muss die Wasserstoffstrategie klar definierte Ziele setzen und die Schweiz an den European Hydrogen Backbone anschliessen. Regulatorische Standards und Herkunftsnachweise für erneuerbare Gase sind notwendig, ebenso wie Investitionsanreize für die Gasnetzinfrastruktur. Mittel- bis langfristig sind internationale Beschaffungsvereinbarungen und eine Marktordnung für den Gasbereich erforderlich. Um den Kohlenstoffkreislauf langfristig zu schliessen, muss ausserdem die Infrastruktur für die industrielle Nutzung und den CO2-Abtransport mitgedacht und bereitgestellt werden.

Damm

Wasserstoff und erneuerbare Gase diversifizieren und stärken 

unsere Versorgungssicherheit

Das Sackmesser der Schweizer Energiewende

Wasserstoff ist so etwas wie ein Energie-Lego-Baustein. Das häufigste Element in unserem Universum scheint ideal für die klimaneutrale Gestaltung unseres Energieverbrauchs zu sein, da es so viele bemerkenswerte Eigenschaften aufweist:

  • Es ist sehr vielseitig einsetzbar. Man kann es direkt als Brennstoff verwenden, es lagern, zu Methan oder anderen synthetischen Brennstoffen weiterverarbeiten oder in Strom umwandeln.
  • Bei seiner direkten Verbrennung werden keine Treibhausgase freigesetzt und bei seiner Verwendung in einer Brennstoffzelle entsteht nur Wasser als Nebenprodukt.

Wie jede Energiequelle ist Wasserstoff jedoch keine Wunderlösung, da seine Herstellung und Nutzung mit erheblichen Einschränkungen verbunden sind:

  • Er muss aktiv produziert werden, was kostspielig sein kann und mit den derzeitig gängigen Verfahren zu erheblichen Treibhausgasemissionen führt. Über 90 Prozent des Wasserstoffs werden heute noch als industrieller Rohstoff genutzt und aus Erdgas oder Kohle hergestellt. Dies könnte sich durch die Produktion von «grünem» Wasserstoff und durch die Erschliessung von natürlichen Wasserstoffvorkommen in der Erdkruste («weisser» Wasserstoff) ändern. Es besteht auch die Möglichkeit, weiterhin aus Brennstoffen Wasserstoff zu produzieren, allerdings verbunden mit der Einlagerung des resultierenden CO2 («blauer» Wasserstoff).
  • Ein Kilogramm Wasserstoff enthält dreimal so viel Energie wie ein Kilogramm Erdöl, nimmt aber bei atmosphärischem Umgebungsdruck ein Volumen von etwa elf Kubikmeter ein. Er lässt sich gut durch Pipelines transportieren, aber aufgrund seiner geringen Dichte muss er sehr stark komprimiert oder verflüssigt werden, um ihn in einem vernünftigen Volumen transportieren zu können.

Speichervolumen für ein Kilogramm Wasserstoff

DE_Energieversorgung_Speichervolumen

Von Grau zu Grün – die Transformation der Wasserstoffproduktion und -nachfrage

Im Jahr 2022 erreichte die weltweite Wasserstoffproduktion 95 Millionen Tonnen. Praktisch 99 Prozent stammen aus fossilen Brennstoffen, was zu erheblichen Treibhausgasemissionen führt. China ist der grösste Wasserstoffproduzent. Zusammen mit den USA, Indien, Russland und den Ländern des Nahen Ostens stellen sie 70 Prozent des globalen Wasserstoffs her. Dieser Wasserstoff wird fast ausschliesslich in industriellen Prozessen verwendet, nicht als Energieträger.

Quellen für die Wasserstoffproduktion im Jahr 2022

DE_Energieversorgung_QuellenWasserstoff

Um die Nutzung von Wasserstoff vor allem als Energieträger auszubauen, muss seine Produktion klimaneutral gestaltet werden. Das bedeutet, dass mit dekarbonisiertem Strom betriebene Elektrolyseanlagen, die dieses Gas aus Wasser gewinnen, massiv ausgebaut werden müssen. Die Kosten für diese Produktionsmethode sind derzeit etwa zwei- bis dreimal so hoch wie bei herkömmlichen Methoden und hängen stark vom Strompreis ab. Um die Produktion wettbewerbsfähig zu machen, ist der vielversprechendste Weg, sie in sonnenreichen Ländern, wie den Maghreb-Staaten oder den Mittleren Osten, zu lokalisieren, wo Fotovoltaikstrom sehr billig ist. Denkbar ist auch die Nutzung von Überschüssen aus der erneuerbaren Stromproduktion in Europa. Es ist jedoch kaum damit zu rechnen, dass diese Option im grossen Stil in der Schweiz wirtschaftlich sein wird.

DE_Energieversorgung_FarbenWasserstoff

Ein Konsum, der steigen und sich diversifizieren wird

Heute wird Wasserstoff in der überwiegenden Mehrheit als Rohstoff in industriellen Prozessen verwendet (bspw. zur Herstellung von Ammoniak). Seine Verwendung als Energieträger, entweder für Wärme, in der Mobilität oder zur Stromerzeugung, ist noch sehr marginal.

In der Zukunft wird die Nutzung von Wasserstoff voraussichtlich zunehmen und sich diversifizieren. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass die Nachfrage bis 2035 auf 215 Millionen Tonnen und bis 2050 auf 430 Millionen Tonnen ansteigen wird. Dies wird einen deutlichen Ausbau der Anlagen zur Herstellung von «sauberem» Wasserstoff, der Transportnetze und der Speicherung mit sich bringen. Mit Wasserstoff lassen sich unter anderem folgende Bedürfnisse befriedigen:

  • Fossile Brennstoffe in bestimmten Bereichen ersetzen, zum Beispiel bei industriellen Prozessen, die hohe Temperaturen erfordern, oder zur Versorgung von Kraftwerken, WKK-Anlagen und Anlagen zur Spitzenlastabdeckung von thermischen Netzen.
  • Speicherung von überschüssigem erneuerbarem Strom, der durch Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt und dann als Gas genutzt oder in weitere Derivate (bspw. Erdgas, Ammoniak) verarbeitet wird.
  • Betrieb von Nutzfahrzeugen und Schiffen, wenn die Verwendung von batterieelektrischen Antrieben technisch oder wirtschaftlich nicht umsetzbar ist.
DE_Energieversorgung_Prognose

Die «Familie» der erneuerbaren Gase ist viel grösser

Der «grüne» Wasserstoff steht oft im Zentrum des Interesses. Auch andere erneuerbare Gase können jedoch eine bedeutende Rolle für die klimaneutrale Energiezukunft spielen. So ist etwa Biomethan bereits heute in nicht unbedeutenden Mengen am Markt verfügbar, das mit Energie aus der Zersetzung von organischem Material gewonnen wird. Methan kann aber auch aus Wasserstoff hergestellt werden, unter der Verwendung von CO2. Auf die grundsätzlich gleiche Weise können auch flüssige Kraftstoffe (Synfuels) produziert werden. Im Bereich Biomethan hat die Schweiz Pionierarbeit geleistet. Derzeit besteht das in unserem Land verbrauchte Erdgas zu beinahe zehn Prozent aus Biogas, von dem ein erheblicher Teil importiert wird, da das Produktionspotenzial in der Schweiz begrenzt ist. Ein anderes vielversprechendes Wasserstoffderivat ist Ammoniak: Dieses wird via Haber-Bosch-Verfahren in Kombination mit Stickstoff hergestellt. Diese übrigen erneuerbaren Gase und Flüssigtreibstoffe diversifizieren unsere Energiequellen und haben gegenüber reinem Wasserstoff den gewichtigen Vorteil, dass sie über eine höhere volumetrische Energiedichte verfügen und problemlos in der bestehenden Infrastruktur transportiert werden können. Dadurch erhöhen sie potenziell schnell die Versorgungssicherheit und sind mindestens ein Zwischenschritt zu einer vollständigen Wasserstoffwirtschaft. Dies ist ein weiterer Grund, warum der Anschluss an europäische Märkte für die Schweiz so wichtig ist (bspw. European Hydrogen Backbone). Der grösste Nachteil der übrigen erneuerbaren Gase und Kraftstoffe ist der noch tiefere Gesamtwirkungsgrad im Vergleich zu Wasserstoff. Für die Herstellung braucht es folglich noch mehr erneuerbare Energie.

DE_Energieversorgung_Diagramm

«Weisser» Wasserstoff könnte die Lage verändern

Unter unseren Füssen soll es genügend Wasserstoff geben, um den Bedarf der Menschheit für Hunderte von Jahren zu decken. Diese Information schlug wie eine Bombe ein, nachdem Anfang 2024 ein Bericht der amerikanischen Geologen des USGS veröffentlicht wurde.

Bis Anfang der 2000er-Jahre herrschte Einigkeit darüber, dass es keine Wasserstoffvorkommen gibt, die mit Gas- oder Ölvorkommen vergleichbar wären, obwohl es zahlreiche Hinweise auf das Gegenteil gab. Das änderte sich ab 2012, als in Mali eine Wasserstoffquelle erschlossen wurde. Zehn Jahre später ist sie immer noch aktiv und lässt nicht nach. Seitdem häufen sich die Hinweise auf Wasserstoffvorkommen. Mehr noch: Es gibt gute Chancen, dass dieses Gas in bestimmten geologischen Schichten kontinuierlich produziert wird. In Europa wurde bereits ein grosses potenzielles Vorkommen in Nordfrankreich entdeckt. Überall gibt es Start-ups, die sich mit der Erforschung und Nutzung dieser neuen Ressourcen beschäftigen, auch in der Schweiz. Es müssen jedoch noch viele Schritte unternommen werden, bevor wir sicher sein können, dass uns mit natürlichem Wasserstoff eine neue, saubere Energiequelle zur Verfügung steht. Es bestehen noch grosse Zweifel an den verfügbaren Mengen, an der Art und Weise, wie das Gas aufgefangen und transportiert werden kann, sowie an den Kosten dieser Energie. Sollten sich diese Entdeckungen jedoch bestätigen, könnte dies die Aussichten für die globale und schweizerische Energieversorgung grundlegend verändern.

Damm

Die Europäische Union 

setzt auf Wasserstoff

Wasserstoff ist ein integraler Bestandteil des zukünftigen europäischen Energiemixes
Die Europäische Union treibt die Entwicklung der Nutzung von Wasserstoff voran. Mit diesem Bestreben verfolgt sie zwei Ziele: die Dekarbonisierung der Energieversorgung bis 2050 und die Diversifizierung der Energiequellen. Die russische Invasion in der Ukraine hat diesem Vorhaben einen Schub verliehen.

Derzeit hat Wasserstoff einen Anteil von knapp zwei Prozent am europäischen Energieverbrauch. Bis 2050 könnte dieser Anteil auf 20 Prozent steigen, wobei bis zur Hälfte des Verkehrsbedarfs und fünf bis 20 Prozent des Bedarfs der Industrie gedeckt werden könnten. Die klimaneutrale Wasserstoffproduktion soll bis 2030 zehn Millionen Tonnen erreichen, zu denen noch zehn Millionen Tonnen importiert werden sollen. Um diese Ziele zu erreichen, hat die EU eine 4-Punkte-Strategie entwickelt, die derzeit umgesetzt wird:

  • Entwicklung einer Investitionsagenda, unter anderem durch die Unterstützung von Projekten zur Herstellung von «sauberem» Wasserstoff.
  • Steigerung der Nachfrage und der Produktion, speziell in den Bereichen Transport und Industrie.
  • Gestaltung eines günstigen und stimulierenden Rahmens, insbesondere zur Entwicklung der Infrastruktur für Transport, Lagerung und Verteilung.
  • Stärkung der internationalen Dimension durch engere Verbindungen zu den Nachbarländern in Süd- und Osteuropa. Beitragen zur Entwicklung internationaler Regeln und Standards.
    Zusätzlich zu den Massnahmen, die auf EU-Ebene eingeführt werden, verabschieden immer mehr Länder eine Wasserstoffstrategie. Dies ist bereits der Fall in Portugal, Spanien, Frankreich, Italien, Österreich, Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Norwegen, Finnland, dem Vereinigten Königreich und weiteren Staaten.

Europäische Netzbetreiber haben ausserdem das Projekt eines europäischen Wasserstofftransportnetzes (European Backbone) ins Leben gerufen, das bis 2040 erstellt werden soll. Die Schweiz ist via die Firma Transitgas an diesem privaten Konsortium beteiligt. Ihr Anschluss wäre bis spätestens im Jahr 2040 möglich, sofern sich die Finanzierungs- und Risikogarantiefragen innert nützlicher Frist klären lassen.

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Die Schweiz kann und muss aufholen

Die Schweizer Wasserstoffstrategie ist in Arbeit

Mit der Verabschiedung des Klimagesetzes im Jahr 2023 strebt die Schweiz bis 2050 die Klimaneutralität an. Diese Entscheidung beeinflusst vor allem die Energiepolitik. Fossile Energien müssen konsequent durch klimaneutrale Energien ersetzt werden. Elektrizität ist der bevorzugte Weg, um dies zu erreichen, aber angesichts der Grösse der Herausforderung, der Vielfalt der Bedürfnisse und der Notwendigkeit, die Versorgung zu diversifizieren, müssen wir auf alle klimaneutralen Energien setzen. Wasserstoff ist Teil der Lösungen, zusammen mit anderen erneuerbaren Gasen oder flüssigen Brenn- und Treibstoffen.

Dennoch spielen diese Energieformen in den Plänen und Prognosen des Bundes derzeit nur eine marginale Rolle. Die Energieperspektive des Bundes geht davon aus, dass diese Energie bis 2050 etwa drei Prozent des Bedarfs der Schweiz decken wird (etwa fünf Terawattstunden pro Jahr ). Andere Prognosen räumen ihr einen deutlich höheren Stellenwert ein:

  • In den Szenarien des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) und der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) könnte der Verbrauch von Wasserstoff und erneuerbaren Gasen auf 27 TWh steigen, wobei der grösste Teil davon zur Stromerzeugung im Winter genutzt werden würde.
  • Eine Polynomics/E-bridge/EPFL-Studie , die im Auftrag von VSG und VSE erstellt wurde, geht von einem Bedarf von 9 TWh aus, der jedoch auf 40 TWh steigen könnte, wenn das Gas zur Stromerzeugung genutzt wird.
  • Auf europäischer Ebene sind die Schätzungen nochmals deutlich weniger konservativ: Ein Whitepaper des deutschen Forschungsprojekts «TransHyDe» geht davon aus, dass Europa 2050 jährlich 700 TWh Wasserstoff benötigt.
    Die Schweizer Prognosen nehmen an, dass Wasserstoff zunächst nur in geringen Mengen lokal hergestellt und verbraucht wird, da es an einem internationalen Transportnetz mangelt. Erst später wird er aus Kostengründen, wegen der Transportinfrastruktur und wegen komparativer Vorteile anderer Länder überwiegend importiert.

Während die EU und ihre Nachbarländer bereits Massnahmen ergreifen, um die Einführung von Wasserstoff zu erleichtern, lässt sich die Schweiz Zeit. Eine Strategie wurde für 2024 angekündigt, doch ihre Umsetzung wird Jahre dauern. Diese Unsicherheiten verleiten zum Stillstand, denn die betroffenen Akteure warten auf klare Rahmenbedingungen, bevor sie Investitionsentscheidungen über substanzielle Beträge und Zeiträume treffen. Die derzeitige Zurückhaltung der Politik ist auch ein Handicap für den Anschluss der Schweiz an das europäische Wasserstoffsystem, das sich in unseren Nachbarländern entwickelt. Die Schweiz muss ihre Bemühungen intensivieren, mit folgenden Eckpunkten:

  • Wasserstoff und erneuerbare Gase Schritt für Schritt in den künftigen Energiemix der Schweiz integrieren, indem die Arbeiten an der Wasserstoffstrategie beschleunigt werden.
  • Regeln schaffen, die es ermöglichen, die notwendige Infrastruktur aufzubauen, um Wasserstoff und seine Derivate zu vermarkten, zu transportieren und zu nutzen.
  • Teilnahme am entstehenden europäischen Wasserstoffmarkt, insbesondere durch die Schaffung eines Systems von Herkunftsnachweisen.

Insgesamt nehmen die Eckpunkte der Schweizer Wasserstoffstrategie gemäss Postulatsbericht Candinas diese Forderungen auf. Massgebend für die Strategie sind allerdings vor allem heutige Nachfrageabschätzungen. Da die Marktentwicklung noch in den Kinderschuhen steckt, sind diese aber naturgemäss zurückhaltend. Beispielsweise können grosse Industriefirmen aufgrund der bestehenden Unsicherheiten heute keine eindeutigen Aussagen über ihren Wasserstoffverbrauch im Jahr 2050 machen. Die Nachfrageentwicklung als Grundvoraussetzung ist deshalb zu statisch gedacht. Wir müssen Infrastrukturen und Systeme bereitstellen, damit das Wasserstoff-Ökosystem entstehen kann. Die Nachfrage wird vorhanden sein, auch wenn das genaue Ausmass heute nicht abschliessend beurteilt werden kann.

Gute Voraussetzungen bei der Infrastruktur nutzen

Die Schweiz verfügt über ein flächendeckendes und hochwertiges Netz für den Erdgastransport. Im Inland erstreckt es sich vor allem auf der dicht besiedelten Ost-West-Achse, mit Importkapazitäten aus allen Nachbarländern (siehe Karte). Von Norden nach Süden durchquert unser Land ausserdem eine wichtige europäische Transitleitung. Sie dient einerseits der Gasversorgung der Schweiz und andererseits dem Handel zwischen Deutschland und Italien. Die Gesamtlänge der (Hochdruck-)Transportnetze auf Schweizer Boden beträgt rund 2300 Kilometer, jene der Verteilnetze sogar etwa 17'000 Kilometer. Dank dieses Netzes ist die Energie jederzeit nahe bei den Kunden, seien es Haushalte, Dienstleistungs- oder Industriebetriebe.

DE_Energieversorgung_Gasnetz

Bereits 2019 zeigte eine gesamteuropäische Studie, dass dieses Gasnetz für die Schweiz auf dem Weg zu Netto-Null 2050 ein enormes Asset ist. Demnach führt die Nutzung der bestehenden Infrastruktur zu Einsparungen von jährlich etwa 1,3 bis 1,9 Milliarden Franken beim Umbau des Energiesystems. Dies vor allem, weil der Ausbau des Stromnetzes besser abgefedert werden kann und die Umrüstungskosten je nach transportiertem erneuerbarem Gas gering sind.

Wasserstoff kann entweder rein, beigemischt zu Erdgas oder methanisiert und beigemischt zu Erdgas transportiert werden. Methanisiert oder rein mit tiefen Beimischquoten von bis zu zehn Prozent ist in der bestehenden Infrastruktur heute schon möglich. Höhere Beimischquoten von reinem Wasserstoff bedingen gewisse Aufrüstungen der Leitungen, zum Beispiel Beschichtungen, Ventilarmaturen, Messgeräte oder neue Kompressoren. Diese Investitionen lassen sich wirtschaftlich realisieren, sofern die Nachfrage nach erneuerbaren Gasen oder Wasserstoff vorhanden ist (bspw. bei grossen Industrieverbrauchern). Ist sie noch nicht vorhanden, kann der Staat mit gezielten Massnahmen die nötige Investitionssicherheit schaffen.

Die Transitleitung ist als Verbindung zu Europa derweil unverzichtbar, und zwar für die Schweiz als auch für Europa und speziell die Nachbarländer. Dies belegt das zustande gekommene Solidaritätsabkommen zwischen Deutschland, Italien und dem Nicht-EU-Mitglied Schweiz eindrücklich. Die EU-Kommission will bis 2030 mindestens 65 GW an Elektrolyse-Kapazitäten bereitstellen. Damit sollen jährlich zehn Megatonnen Wasserstoff produziert werden. Weitere zehn Megatonnen sollen aussereuropäisch hergestellt und importiert werden. Ein Ausbau von Produktionskapazitäten in einem ähnlichen Ausmass ist in diesem Zeitraum unrealistisch. Eine schnelle Versorgung der Wirtschaft und Gesellschaft mit erneuerbaren Gasen steht und fällt deshalb mit der Anbindung an Europa und an den «European Hydrogen Backbone».

Unternehmen und Forschungsinstitute haben die Führung übernommen

Während die Schweizer Wasserstoffpolitik nur langsam in Gang kommt, haben Unternehmen, Verbände und Forschungszentren die Initiative ergriffen. Dazu gehören unter anderem die wasserstoffbetriebene LKW-Flotte von Hyundai Hydrogen Mobility, der Verband der Wasserstoffproduzenten, der Verband der Schweizerischen Gasindustrie mit ihrem H2-Barometer, mehrere Elektrounternehmen oder Forschungsinstitute wie die EMPA, die EPFL und die ETH Zürich.

Damm

Wo brauchen wir wie viel Wasserstoff und erneuerbare Gase?

Ergänzung und Alternative zur Elektrifizierung

Wasserstoff und erneuerbare Gase können grundsätzlich in fast allen Bereichen einen Beitrag zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft leisten, sei es für die Stromspeicherung und -produktion im Winter, in der Mobilität oder bei der Prozesswärme in der Industrie bzw. bei der zentralen Wärmebereitstellung für Areale oder thermische Netze. Entscheidend ist die technische und wirtschaftliche Sinnhaftigkeit im Vergleich zur Elektrifizierung. Aktuell zeichnen sich folgende Anwendungsbereiche und Potenziale ab:

  • Mobilität: Im Schwerverkehr auf langen Strecken, auf der Schiene oder auf dem Wasser könnte Wasserstoff als Energieträger in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Die Potenziale werden sehr unterschiedlich eingeschätzt. Im Landverkehr dürfte der Endenergieverbrauch 2050 bei rund 36,4 TWh liegen. Davon könnten bis zu 19,5 TWh aus Wasserstoff und erneuerbaren Gasen stammen. In der Luftfahrt sind wasserstoffbasierte, synthetische Treibstoffe eine zentrale Innovation. Das neue CO2-Gesetz sieht im Gleichschritt mit der EU steigende Beimischquoten vor (beginnend mit zwei Prozent ab 2025). Das Marktvolumen dürfte ab 2030 exponentiell steigen.
  • Komfortwärme: Im Wärmebereich werden erneuerbare Gase dort eingesetzt, wo Wärmepumpen oder thermische Netze technisch oder wirtschaftlich nicht einsetzbar sind. Gleichzeitig werden sie andere erneuerbare Wärmequellen unterstützen und ergänzen (Spitzenlastabdeckung, WKK).
  • Strom: Wasserstoff, erneuerbare Gase und die Grosswasserkraft sind entscheidend für die saisonale Stromspeicherung der Zukunft. Die Schweiz verfügt zwar gegenwärtig über keine eigenen Gasspeicher für einen «Wintervorrat». Dennoch ist der Zugang zu europäischen Reserven künftig für die Stromversorgungssicherheit im Winter entscheidend.
  • Industriewärme: Die Industrie benötigt fossile Brennstoffe heute vor allem zur Wärmeerzeugung. Im tiefen und mittleren Temperaturbereich (200 bis 300 Grad) sind die Prozesse wahrscheinlich weitgehend mit Strom betreibbar. Im hohen Temperaturbereich (ab 700 Grad) ist dies nicht der Fall. Dort braucht es Wasserstoff und erneuerbare Gase künftig als klimaneutrale Brennstoffe. Eine aktuelle Studie besagt, dass rund 73 Prozent der heutigen industriellen Energienachfrage technisch gesehen elektrifizierbar seien. Unter dieser Annahme brauchen wir folglich etwa 27 Prozent der heutigen Energienachfrage in Form von Wasserstoff und erneuerbaren Gasen, eher 30 Prozent, um sicher zu sein. Die Schweizer Industrie verbraucht aktuell etwa 46 TWh Endenergie. Es braucht also mindestens 15 TWh erneuerbare Energie in Molekülform pro Jahr. Das wären etwa 50 Prozent der gesamten Schweizer Gasnachfrage (circa 30 TWh) und etwa ein Drittel mehr als die heutige Gasnachfrage der Industrie (rund 10 TWh).

Woher kommen Wasserstoff und erneuerbare Gase in Zukunft?

Wasserstoff und seine Derivate sind heute sehr teuer. Dies hat vor allem mit der noch ungenügenden Skalierung zu tun. Für eine kostengünstige Produktion wird es in Zukunft viel günstigen erneuerbaren Strom und viel günstiges CO2 brauchen. Doch auch skaliert wird Wasserstoff preislich nicht mit fossilem Erdgas konkurrenzieren können. Aktuelle Schätzungen gehen für das Jahr 2050 von Preisen für grünen Wasserstoff in der Grössenordnung von 0,3 bis 1 USD/kWh aus. Dies entspricht etwa dem Dreifachen des heutigen Gaspreises.

Diese wirtschaftlichen Faktoren machen eine skalierte Produktion in der Schweiz oder in Mitteleuropa unwahrscheinlich. Vielmehr dürften bei uns künftig geringe Mengen an Wasserstoff hergestellt werden, während der Grossteil des Bedarfs aus Regionen mit konstant hoher Sonneneinstrahlung oder Wind kommt. Pläne für grosse Produktionsanlagen existieren an vielen Orten, in Nordafrika, im Mittleren Osten oder in Australien. Die Schweiz sollte sich frühzeitig mit langfristig orientierten Investitions- und Beschaffungsoptionen auseinandersetzen.

Begrenztes Produktionspotenzial in der Schweiz

Die Idee, überschüssigen erneuerbaren Strom im Sommer zur Herstellung von Wasserstoff zu nutzen, wird oft diskutiert. Sie stösst jedoch auf erhebliche Hindernisse:

  • Die Stromüberschüsse in der Schweiz werden begrenzt sein. Laut einer aktuellen Studie könnten damit im Jahr 2030 zwei TWh und bis 2050 fünf TWh Wasserstoff produziert werden.
  • Um wettbewerbsfähige Preise gewährleisten zu können, müssen die Kosten für den Strom, der zur Herstellung von Wasserstoff verwendet wird, so niedrig wie möglich sein. Sie machen nämlich den grössten Teil der gesamten Produktionskosten aus.
  • Die zur Herstellung von Wasserstoff verwendeten Elektrolyseure müssen laut dem Bund mindestens 3000 Stunden pro Jahr laufen, um eine rentable Produktion zu gewährleisten. Für AXPO muss der Nutzungsgrad sogar mindestens 85 Prozent betragen.

Abtransport von CO2 aus Punktquellen – den Wasserstoffkreislauf schliessen

Der Import von Wasserstoff und erneuerbaren Gasen könnte künftig nur die Hälfte eines Kreislaufs sein. Die andere Hälfte ist der Abtransport von CO2 aus industriellen Punktquellen (bspw. Zementwerke oder Kehrrichtverbrennungsanlagen) in der Schweiz und Europa. Dieses CO2 entsteht auch 2050 noch aus der Verbrennung von erneuerbaren Gasen und Treibstoffen. Um mit Netto-Null kompatibel zu sein, müssen diese Emissionen entweder eingefangen und langfristig eingelagert werden. Oder das CO2 wird stattdessen wieder der Produktion von erneuerbaren Brenn- und Treibstoffen zugeführt (CO2, das sonst teuer und aufwendig via «direct air capture» gewonnen werden müsste). Für den Abtransport von CO2 aus Europa gibt es bereits handfeste Projekte. In einer Schweizer Wasserstoffstrategie sollte diese «Schliessung des Kreislaufs» vollständig mitgedacht werden.

Damm

Forderungen der Wirtschaft

Eckpfeiler einer umfassenden erneuerbaren Energieversorgung

Die Wirtschaft braucht in Zukunft eine ausreichende, sichere und günstige Versorgung mit erneuerbarer Energie in Elektronen- und Molekülform. Erneuerbare Gase, Wasserstoff und Wasserstoffderivate spielen dabei neben dem Strom eine zentrale Rolle. Sie müssen dort zur Verfügung stehen, wo eine Elektrifizierung aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist. Wir brauchen grundsätzlich ein diversifiziertes Energieversorgungssystem, dies macht volkswirtschaftlich Sinn und erhöht die Versorgungssicherheit. Auf dem Weg dorthin braucht es kurzfristige sowie mittel- und langfristige Massnahmen.

 

Kurzfristig:

  • Die Wasserstoffstrategie muss allen Aktivitäten des Bundes einen Rahmen geben. Die Ziele und Massnahmen sollen im Sinne einer rollenden Planung regelmässig überprüft und nötigenfalls nachjustiert werden.
  • Der Anschluss der Schweiz an den European Hydrogen Backbone ist das Fundament für die Versorgungssicherheit mit Wasserstoff und erneuerbaren Gasen. Je früher dieser institutionalisiert werden kann, desto besser.
  • Wasserstoff und erneuerbare Gase regulatorisch erfassen: EU-kompatible technische Standards, sicherheitstechnische Anforderungen sowie Herkunftsnachweise für erneuerbare Gase und Strom machen diese handelbar und fördern damit die schnelle Marktdurchdringung. Es braucht insbesondere ein Regelwerk, dass die so importierte erneuerbare Energie auch angerechnet bzw. von der CO2-Abgabe befreit wird.
  • Infrastrukturinvestitionen erleichtern. Durch Planungssicherheit sollen klare Anreize für die Auf- und Umrüstungen bestehender Gasnetze gesetzt werden. Dies betrifft neben dem inländischen Übertragungs- und Verteilnetz vor allem die versorgungskritische Transitgasleitung. Ergänzend sind Investitionshilfen, insbesondere Bürgschaften zu prüfen.

Mittel- bis langfristig:

  • Energie- und Aussenpolitik zusammen denken – die Schweiz wird auf verlässliche Beschaffungsmöglichkeiten für Wasserstoff und erneuerbare Gase angewiesen sein. Wo sinnvoll und möglich, sollte die Beschaffung mit zwischenstaatlichen Vereinbarungen diversifiziert und abgesichert werden.
  • Marktordnung im Gasbereich schaffen. Die Schweiz verfügt nach wie vor über keine spezialgesetzlichen Regelungen, die Rechtssicherheit beim Netzzugang schaffen. Im Zuge der Dekarbonisierung wird der Stellenwert solcher Regelungen und klarer Spielregeln für den Markt nur zunehmen. Deshalb braucht es eine Rechtsgrundlage, die Wasserstoff, erneuerbare Gase und CO2 gleichermassen mitdenkt und einen Rahmen schafft, in dem sie eher gefördert als behindert werden.
  • Ergänzung der Infrastruktur, wo diese heute noch nicht besteht, insbesondere für die Versorgung von grossen Industriebetrieben sowie für den Abtransport von CO2. Diese Infrastrukturen müssen für die Nachfrageseite bereitstehen, sobald ausreichende Mengen an Wasserstoff und erneuerbaren Gasen auf dem Weltmarkt verfügbar sind.

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