
Plattformregulierung – ein pragmatischer Ansatz für die Schweiz
17.04.2025
Auf einen Blick
Internetplattformen prägen unseren Alltag. Sie verändern dabei Marktstrukturen und die Wertschöpfung grundlegend, schaffen die Basis für Innovation und Effizienz, stellen jedoch auch Herausforderungen für Wettbewerb und Gültigkeit unseres Rechtssystems dar. Während die EU weitgehende regulatorische Massnahmen ergriffen hat, sollte die Schweiz gerade auch von den negativen Erfahrungen dieser engmaschigen Regeln lernen und stattdessen mit einem international abgestimmten und pragmatischen Ansatz auf punktuelle Anpassungen setzen. Damit werden die Schutzmechanismen unseres Rechtssystems gestärkt und die Rolle der Schweiz als innovativer Wirtschaftsstandort gesichert.
Das Wichtigste in Kürze
Digitale Plattformen wie Temu, Shein, Meta oder X sind heute fester Bestandteil unseres Alltags. Sie bieten innovative Dienstleistungen und erleichtern den Zugang zu Informationen, Märkten und Vertragspartnern. Diese Technologien bringen Effizienzgewinne und Innovation, sie werfen aber auch Fragen auf. Die Politik sucht nach Antworten, wie unsere Gesetze auf solche neuen Formen internationaler Vertragsbeziehungen angewandt werden können.
In der EU und auch anderen Regionen wurden vor diesem Hintergrund bereits regulatorische Massnahmen ergriffen. Auch die Wirtschaft anerkennt angesichts aktueller Herausforderungen – etwa bei Handelsplattformen – punktuellen Handlungsbedarf, insbesondere bei der Rechtsdurchsetzung. Bei regulatorischen Eingriffen gilt es aber höchste Vorsicht walten zu lassen. Ungeeignete Regulierung beeinträchtigt die Innovationskraft und schadet dem Standort und damit gerade auch den Konsumenten. Ziel muss es sein, bestehende Schutzmechanismen gezielt zu stärken. Denn während eine übermässig restriktive Regulierung negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben kann, brauchen innovative Unternehmen stabile und klare rechtliche Rahmenbedingungen, um investieren und wachsen zu können. Punktuelle, sorgfältig abgestimmte Anpassungen können dazu beitragen, Vertrauen zu schaffen und die Funktionsfähigkeit des Rechtsrahmens auch in der digitalen Ökonomie zu sichern.
Position economiesuisse
Die Schweiz verfügt bereits über eine differenzierte Regulierung, die durch gezielte Anpassungen geschärft werden muss, um internationale Sachverhalte besser zu erfassen. Es geht dabei nicht um zusätzlichen Schutz durch neue Vorschriften – das bestehende Recht ist ausreichend. Vielmehr muss sichergestellt werden, dass Schweizer Recht auch in der digitalen Welt effektiv angewandt und durchgesetzt werden kann.
Zentrale Punkte:
- Bestehendes Recht durchsetzen: Die zentrale Herausforderung liegt weniger in fehlenden Rechtsgrundlagen, sondern vielmehr in der effektiven Durchsetzung des bestehenden Schweizer Rechts gegenüber internationalen Plattformen. Gezielte Anpassungen des Rechts können jedoch im Einzelfall erforderlich sein, um spezifische Vollzugsprobleme zu lösen. Diese Anpassungen sollen rasch und pragmatisch umgesetzt werden, damit die Gesetze möglichst breit und schnell anwendbar sind.
- Gezielte Anpassungen statt starrer Übernahme: Damit Schweizer Recht besser durchgesetzt werden kann, braucht es gezielte Anpassungen – etwa durch verbindliche Zustelldomizile in der Schweiz und klarere Regelungen zur Plattformverantwortlichkeit. Dabei sollen internationale Entwicklungen berücksichtigt, aber nicht unreflektiert übernommen werden.
- Schweizer Sonderwege sind innovationshemmend, standortschädlich und kostenintensiv. Eine direkte Übernahme der strikten und detaillierten EU-Vorgaben ist ebenfalls keine Lösung.
- Kein «Swiss Finish»: Angesichts der bereits engen und komplexen EU-Regulierung muss insbesondere vermieden werden, dass die Schweiz darüber hinaus zusätzliche Auflagen einführt.
- Pragmatischer, technologieneutraler Ansatz: Die Regulierung muss mit der Schweizer Rechtstradition kompatibel sein, bewährte internationale Standards berücksichtigen und gleichzeitig die effektive Durchsetzung des bestehenden Rechts sicherstellen. Wo nötig, sind die Vorschriften gezielt weiterzuentwickeln – mit Blick auf künftige Herausforderungen und zur Schliessung identifizierter Lücken.
Der Fokus liegt somit auf einer praktikablen, international anschlussfähigen Lösung, die den Schutz sicherstellt, ohne unnötige regulatorische Hürden zu schaffen.

Die Plattformökonomie – Innovationstreiber und regulatorische Herausforderung
Digitale Plattformen sind zentrale Treiber des digitalen Wandels. Laut dem Marktforschungsunternehmen Gartner gehören sie zu den prägendsten Technologietrends des vergangenen Jahres. Schätzungen zufolge wird bereits ein Zehntel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts über Plattformen erwirtschaftet.
Ein Blick auf die wertvollsten börsennotierten Unternehmen zeigt die Relevanz dieses Geschäftsmodells: Apple, Alphabet, Amazon, Alibaba und Tencent haben sich nicht nur durch technologische Innovation, sondern auch durch ihre Rolle als Plattformbetreiber an die Spitze des globalen Marktes gesetzt.
Plattformen verändern grundlegend, wie wir konsumieren, kommunizieren und wirtschaften. Sie schaffen neue Märkte, senken Transaktionskosten und treiben Innovation voran. Gleichzeitig stellen sie bestehende regulatorische Konzepte vor Herausforderungen: Wie kann fairer Wettbewerb gesichert werden? Welche Verantwortung tragen globale Plattformen innerhalb der Rechtssysteme, in denen sie operieren? Welche Rolle spielt die nationale Regulierung in einer globalisierten Digitalwirtschaft?
Plattformen als Marktplätze der Moderne
Das Konzept der Plattformen ist nicht neu – historisch erfüllten bereits Messen, Börsen und Handelsplätze eine ähnliche Funktion: sie brachten Anbieter und Nachfrager in effizienter Weise zusammen. Die Digitalisierung hat diese Rolle jedoch grundlegend verändert. Das Internet als globales Kommunikationsnetzwerk hat die Reichweite und den Einfluss der Plattformen überhaupt erst ermöglicht und damit völlig neue Marktstrukturen geschaffen sowie Konsumentenerwartungen und regulatorische Rahmenbedingungen tiefgreifend verändert.
Regulierungsdruck wächst – wie soll die Schweiz reagieren?
Die EU und einzelne Staaten haben angesichts dieser Entwicklungen teils sehr weitreichende Vorschriften erlassen. Für die Schweiz stellt sich die Frage, wie sie reagieren soll.
Dieses Positionspapier zeigt auf, wie die Schweiz eine innovationsfreundliche Plattformstrategie entwickeln kann – effizient, wettbewerbsfähig und ohne regulatorische Sonderwege.

Charakteristik und Bedeutung der Plattformökonomie
Was sind Plattformen?
Plattformen vernetzen verschiedene Marktseiten. Sie schaffen damit als Intermediäre Mehrwert durch effiziente Koordination und Optimierung von Transaktionen. Gesamthaft sind sie mehr als blosse Vermittler. Sie bilden die strukturelle Grundlage moderner Geschäftsmodelle.
Das Besondere an Plattformen liegt in ihrem «Regelwert», der die Rahmenbedingungen für Interaktionen zwischen Nutzern festlegt. Dieser geht über die blosse Bereitstellung einer technischen Infrastruktur hinaus: Er koordiniert Transaktionen, definiert Qualitätsstandards (etwa durch Zugangs- und Rankingentscheidungen) und ermöglicht durch den Einsatz datenbasierter Mechanismen eine dynamische Marktsteuerung. In vielen Fällen fungieren Plattformen damit nicht nur als passive Marktplätze, sondern gestalten aktiv die Marktbedingungen und Wettbewerbsstrukturen.
Plattformtypen: Differenzierung und hybride Geschäftsmodelle
Die Vielfalt der Plattformmodelle macht eine präzise Kategorisierung schwierig. Dennoch lassen sich in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur einige grundlegende Typen unterscheiden. Ein verbreiteter Ansatz stammt von Evans und Gawer, die vier zentrale Plattformkategorien identifizieren:
- Transaktionsplattformen: Sie ermöglichen den Austausch von Waren und Dienstleistungen (z.B. Online-Marktplätze wie Amazon Marketplace, Airbnb, ebay oder Temu, oder digitale Vermittlungsdienste wie Uber).
- Innovationsplattformen: Sie dienen als Grundlage, auf der andere Unternehmen (lose organisiert oder in einem innovativen Ökosystem) komplementäre Technologien, Produkte oder Dienstleistungen entwickeln (z.B. Microsoft Windows, Google Android, iOS).
- Integrationsplattformen: Sie vereinen verschiedene Funktionen und Dienste innerhalb eines einheitlichen Ökosystems und kombinieren Elemente von Transaktions- und Innovationsplattformen. Diese Plattformen bieten sowohl eine technologische Infrastruktur als auch einen Marktplatz für Drittanbieter. Ein typisches Beispiel sind App Stores, die Entwicklern eine Plattform zur Distribution von Anwendungen bereitstellen (Innovationsplattform), während sie gleichzeitig als Marktplatz für den Kauf und Verkauf dieser Apps fungieren (Transaktionsplattform).
- Investmentplattformen: Diese Plattformen dienen als Kapitalgeber und fördern Start-ups oder Innovationsprojekte, indem sie als Holdinggesellschaften für mehrere Plattformunternehmen agieren oder gezielt in Plattformunternehmen investieren, ohne selbst eine bedeutende Plattform zu betreiben (z.B. SoftBank Vision Fund, Rocket Internet).
In der Praxis verschwimmen die Grenzen dieser Kategorien zunehmend. Unternehmen wie Amazon, Alibaba oder Apple kombinieren verschiedene Plattformmodelle in einem umfassenden Ökosystem. Dies ermöglicht Skaleneffekte, stärkere Kundenbindung und Kontrolle über Wertschöpfungsstufen.
Plattformen als dynamische Gebilde sind in der Lage, sich stetig an technologische Entwicklungen, Marktbedingungen, aber auch regulatorische Rahmenbedingungen anzupassen. Ihr hybrider Charakter erfordert eine differenzierte Betrachtung in regulatorischen und wettbewerbsökonomischen Diskussionen.
Gemeinsamkeiten von Plattformen: Ein Blick aus ökonomischer Perspektive
Bei aller Vielfalt an Geschäftsmodellen weisen Plattformen aus ökonomischer Sicht zentrale Gemeinsamkeiten auf, die ihre Funktionsweise prägen.
Externe Wertschöpfung statt interner Produktion
Plattformen agieren primär als Intermediäre und nicht als klassische Produzenten. Sie schaffen Strukturen für den Austausch zwischen Marktteilnehmern, statt selbst Waren oder Dienstleistungen anzubieten. So vernetzt Amazon Käufer und Verkäufer, während Airbnb Wohnraumanbieter mit Gästen zusammenbringt und Temu Vertragsabschlüsse zwischen dem Konsumenten in der Schweiz und dem Produzenten im Ausland vermittelt. Das Geschäftsmodell vieler Plattformen beruht dabei auf der Nutzung externer Ressourcen, die nicht in ihrem Eigentum stehen – etwa Wohnungen, Fahrzeuge oder persönliche Dienstleistungen. Sie ermöglichen die wirtschaftliche Verwertung dieser Vermögenswerte, koordinieren Angebot und Nachfrage und erzielen ihre Erlöse durch Transaktionsgebühren. Dies kann zu Effizienzgewinnen, einer besseren Ressourcennutzung und zusätzlichem Einkommen für private Anbieter führen. Kritisch wird vereinzelt angemerkt, dass Plattformen dabei Wert abschöpfen, ohne selbst in die Produktionsmittel oder soziale Absicherung der Leistungserbringenden zu investieren.
Daten als wichtiger Inputfaktor
Daten bilden damit das Fundament digitaler Plattformen. Jede Interaktion generiert Informationen, die für Nutzeroptimierung, Markterweiterung und Monetarisierung genutzt werden. Gerade grosse Plattformen haben Zugriff auf grosse Datenmengen und gewinnen durch den systematischen Einsatz von Daten Wettbewerbsvorteile und stärken ihre Marktmacht.
Netzwerkeffekte als Wachstumsmotor
Netzwerkeffekte sind einer der stärksten Wachstumstreiber von Plattformen: Je mehr Nutzer eine Plattform hat, desto wertvoller wird sie für andere. Dabei unterscheidet man:
- Direkte Netzwerkeffekte: Der Wert eines Netzwerks steigt mit der Anzahl an Nutzer (z.B. soziale Netzwerke wie Facebook oder X).
- Indirekte Netzwerkeffekte: Mehr Teilnehmer einer Gruppe erhöhen den Nutzen für eine andere Gruppe (z.B. mehr Käufer auf Amazon ziehen mehr Verkäufer an).
Diese Effekte können exponentielles Wachstum fördern, aber auch Marktzutritte von Wettbewerbern beeinflussen. Einige Plattformen setzen gezielt auf Preisstrategien, die ihre Netzwerkeffekte stärken – beispielsweise indem sie Konsumentinnen und Konsumenten kostenlose oder vergünstigte Dienste anbieten, deren Kosten durch Einnahmen von Werbetreibenden oder Händlern gedeckt werden.
Skalierbarkeit
Digitale Plattformen sind hoch skalierbar: Während klassische Geschäftsmodelle mit steigenden Kosten für Infrastruktur und Personal wachsen, können Plattformen grenzenlose Reichweite mit geringerem Mehraufwand erzielen. Sie expandieren dadurch global und verbinden Nutzer über Grenzen hinweg. Diese Skaleneffekte verschaffen ihnen strukturelle Vorteile gegenüber traditionellen Unternehmen.
Effizienzsteigerung durch reduzierte Transaktionskosten
Plattformen optimieren Märkte, indem sie Transaktionskosten senken:
- Minimierung von Suchkosten: Bessere Marktübersicht durch intelligente Suchalgorithmen und kuratierte Angebote.
- Abbau von Informationsasymmetrien: Nutzerbewertungen, Rezensionen und algorithmische Empfehlungen steigern die Transparenz und erleichtern Kaufentscheidungen. Gleichwohl ist zu beachten, dass die Darstellung der Informationen – etwa durch Such- und Ranking-Algorithmen – nicht immer vollständig nachvollziehbar ist. Dies kann die Vergleichbarkeit der Angebote beeinträchtigen.
- Vereinfachte Zahlungs- und Vertragsabwicklung: Plattformen übernehmen Treuhandfunktionen, standardisieren Verträge und reduzieren Unsicherheiten für Marktteilnehmer.
Diese Effizienzgewinne können jedoch dazu führen, dass Plattformen einen überproportionalen Anteil der Wertschöpfung abschöpfen.
Plattformen sind dynamische Strukturen, die sich kontinuierlich weiterentwickeln und unterschiedliche Funktionen erfüllen.


Ausgangslage Schweiz: Handlungsbedarf und Grenzen der Regulierung
Der Schweizer Weg
Während die EU, die USA und China unterschiedliche Strategien zur Plattformregulierung verfolgen, muss die Schweiz eine kluge und international anschlussfähige Strategie wählen. Immer wieder gab es Forderungen, Regulierungsmodelle wie den Digital Markets Act (DMA) oder den Digital Services Act (DSA) in der EU zu übernehmen. Die pauschale Übernahme dieser Instrumente, schlimmstenfalls noch mit einem «Swiss Finish», birgt jedoch erhebliche Risiken für den Wirtschaftsstandort und ist daher keine Antwort auf die Herausforderungen. Plattformen sind keine homogene Kategorie – sie reichen von Handelsplattformen über soziale Netzwerke bis hin zu Software-Ökosystemen. Eine starre Regulierung, die alle Plattformtypen erfasst, wird dieser Vielfalt nicht gerecht.
Es gibt zwei Ebenen, bei denen Anpassungen, soweit nötig, geprüft werden sollen. Einerseits beim materiellen Recht, andererseits bei der Durchsetzung des nationalen Rechts.
Statt pauschaler Eingriffe oder nationaler Sonderlösungen sollte die Schweiz zunächst bestehende internationale Standards (z.B. EU-Vorgaben) eingehend analysieren und darauf aufbauend nur dort gezielte Anpassungen an ihren Gesetzen vornehmen, wo ein tatsächlicher Handlungsbedarf besteht. Diese Anpassungen müssen prinzipienbasiert und technologieneutral erfolgen, damit sie einerseits zukunftssicher sind und gleichzeitig flexibel auf die rasanten Entwicklungen im digitalen Umfeld reagieren können.
- Vermeidung doppelter Vorschriften: So wird sichergestellt, dass Unternehmen, die bereits EU-Vorgaben erfüllen, in der Schweiz keine überflüssigen administrativen Hürden vorfinden.
- Abgleich mit Schweizer Recht: Dort, wo Schweizer Recht besondere Ziele verfolgt, werden punktuelle Ergänzungen eingeführt (siehe dazu unten Produktsicherheit und Rechtsdurchsetzung), anstatt eine komplett neue Regulierung zu schaffen. Diese Ergänzungen fokussieren sich auf übergeordnete Prinzipien und sind damit langfristig anwendbar.
- Praxisorientierte Umsetzung: Durch die Ausrichtung auf Prinzipien und Technologieneutralität wird eine kohärente und effiziente Regulierung geschaffen, die sich nicht an einzelnen Technologien festbeisst, sondern zeitlose Grundsätze vorgibt.
Plattformen agieren bereits heute nicht im rechtsfreien Raum
Ein wirksamer Regulierungsansatz soll dort ansetzen, wo die heute schon bestehenden Vorschriften nicht ausreichen. Die Schweizer Rechtsordnung bietet eine hohe Flexibilität, um auch plattformspezifische Sachverhalte angemessen zu erfassen. Vielerorts fehlt nur eine gefestigte Praxis, um bestehende Normen konsequent anzuwenden. Statt vorschneller neuer Vorschriften ist eine praxisnahe Weiterentwicklung bestehender Regelungen zielführender. Sie sichert Rechtssicherheit und verhindert unnötige Belastungen für Unternehmen und Innovationen.
Plattformhaftung aufgrund einer Mitwirkung an Persönlichkeitsverletzungen (Art. 28 ZGB)
Gemäss Art. 28 Abs. 1 ZGB kann sich eine Haftung für Persönlichkeitsverletzungen auch gegen Personen richten, die daran mitwirken, selbst wenn sie nicht selbst Urheber der Handlung sind. Dieses Mitwirken kann sowohl in einem aktiven Tun als auch in einem Unterlassen bestehen.
Negatorische Ansprüche – also der Anspruch auf Löschung verletzender Inhalte – bestehen dabei verschuldensunabhängig. Nutzerinnen und Nutzer können daher bereits heute gegen persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalte auf Plattformen vorgehen. Gerichte haben hierzu Entscheide getroffen. Die bestehende Rechtsordnung bietet somit schon heute Instrumente, um Plattformen zur Löschung entsprechender Inhalte zu verpflichten.
Die gerichtliche Praxis zeigt, dass bestehende Normen eine differenzierte und wirksame Rechtsdurchsetzung ermöglichen:
- Fall Glarner (2023): Das Basler Zivilgericht verurteilte Nationalrat Andreas Glarner zur Zahlung einer Geldsumme, nachdem er ein mit künstlicher Intelligenz manipuliertes Video veröffentlicht hatte, das der Grünen-Politikerin Sibel Arslan falsche Aussagen zuschrieb. Bereits im Vorfeld war Glarner per superprovisorischer Verfügung verpflichtet worden, das Video zu löschen und nicht weiterzuverbreiten. Der Entscheid zeigt, dass auch digitale Verleumdung effektiv geahndet werden kann.
- Fall Fifa vs. Google (2024): Die Fifa klagte gegen Google, weil eine rufschädigende Website in den Suchergebnissen erschien. Das Zürcher Handelsgericht prüfte, ob Google durch das Indexieren der Seite eine Persönlichkeitsverletzung mitverantwortete.
Trotz der bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zeigt sich in der Praxis, dass die Durchsetzung von Ansprüchen gegen rechtsverletzende Inhalte mitunter anspruchsvoll sein kann – insbesondere, wenn Inhalte anonym veröffentlicht werden oder die Verantwortlichen schwer greifbar sind.
AGB – Kontrolle
Das Vertragsverhältnis zwischen Plattform und Nutzerinnen und Nutzern wird massgeblich durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) geregelt. Diese sind rechtlich überprüfbar und unterliegen in der Schweiz etablierten Grundsätzen:
- Konsenskontrolle: AGB sind nur verbindlich, wenn Nutzer angemessen darauf hingewiesen wurden. Überraschende Klauseln gelten nicht (Ungewöhnlichkeitsregel).
Auslegungskontrolle: Unklare Formulierungen werden zum Nachteil des Plattformbetreibers ausgelegt (Unklarheitenregel). - Inhaltskontrolle: Klauseln dürfen nicht gegen zwingendes Recht oder Treu und Glauben verstossen. Art. 8 UWG bietet eine flexible Handhabe, um missbräuchliche Klauseln für nichtig zu erklären.
Die Privatautonomie bleibt dabei gewahrt, da Plattformbetreiber innerhalb dieser Schranken Vertragsfreiheit geniessen. Zu beachten ist jedoch, dass Dritte, die durch Inhalte auf Plattformen betroffen sind, regelmässig keine direkte vertragliche Beziehung zu diesen haben. Entsprechend können sie sich in der Regel nicht unmittelbar auf die AGB der Plattformen stützen, wenn es um die Entfernung strittiger Inhalte geht. Vielmehr kommen hier die allgemeinen zivilrechtlichen Schutzmechanismen zum Tragen.
Lauterkeitsrecht
Plattformen nutzen zum Teil gezielt psychologische Mechanismen, um Kaufentscheidungen zu beeinflussen, etwa durch künstliche Knappheit, Gamification-Elemente oder sogenannte Dark Patterns, also Gestaltungsmuster, die Nutzerinnen und Nutzer zu bestimmten Handlungen drängen. Da Konsumentensouveränität eine zentrale Bedingung für funktionierenden Wettbewerb ist, sind manipulative Praktiken problematisch. Die offenen Tatbestände des Lauterkeitsrechts flankieren diese Anwendungen bereits heute. Die entsprechende Praxis der Gerichte ist zwar zurückhaltend, dies kann sich aber angesichts aggressiver neuer Verkaufsmethoden, so beispielsweise die stark getriebene «Gamification» auf Handelsplattformen wie Temu, ändern. Sollte sich herausstellen, dass systematisch Verhaltensweisen auftreten, die aus Sicht des fairen Wettbewerbs unerwünscht sind, so könnte der Gesetzgeber diese auch im Rahmen einer Anpassung des Lauterkeitsrechts gezielt adressieren.
Kartellrecht
Digitale Plattformen weisen spezifische ökonomische Besonderheiten auf, die neue kartellrechtliche Fragen aufwerfen. Das Schweizer Kartellrecht bietet jedoch bereits heute eine ausreichend flexible Grundlage, um digitale Märkte sachgerecht zu erfassen.
Viele der durch den DMA in der EU adressierten Verhaltensweisen lassen sich in der Schweiz bereits heute unter der Missbrauchskontrolle (Art. 7 KG) prüfen. Fragestellungen wie die Marktabgrenzung bei kostenlosen Diensten oder mehrseitigen Märkten müssen in der rechtsanwendenden Praxis weiterentwickelt werden. Das bestehende Gesetz bietet viel Spielraum; problematisch ist in der Praxis regelmässig nicht das materielle Recht, sondern die Geschwindigkeit der Entwicklungen im digitalen Raum. Bei tatsächlichen regulatorischen Lücken kann der Gesetzgeber mit gezielten Anpassungen, etwa im Bereich der Fusionskontrolle, reagieren.
Sozialversicherungsrecht
Auch im Sozialversicherungsrecht wirft die Plattformökonomie neue Fragen auf, insbesondere zur Abgrenzung von selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit. Das Bundesgericht hat im Fall Uber jedoch gezeigt, dass die bestehenden Regelungen ausreichend flexibel sind, um diese Fragen zu beantworten. Weitere Fälle sind vor dem Hintergrund dieses Entscheides abzuwarten.
Gezielter Regulierungsbedarf statt umfassender Eingriffe
Zusammengefasst kann man festhalten, dass die bestehende Rechtsordnung bereits umfassende Mechanismen zur Regulierung von Plattformen bietet. Dennoch gibt es Bereiche, in denen spezifische Anpassungen erforderlich sein könnten – insbesondere, weil Plattformen nicht als klassische Anbieter, sondern als Vermittler zwischen Nutzenden und Drittanbietern agieren. Die zunehmende Bedeutung digitaler Plattformen erfordert eine präzisere Zuweisung regulatorischer Pflichten. Es geht jedoch nicht darum, Plattformen pauschal haftbar zu machen, sondern ihren Beitrag zur Verantwortlichkeit neu auszutarieren.
Produktsicherheit auf Plattformen
Ein Beispiel ist die Produktsicherheit: Plattformen wie Temu oder Shein verkaufen die über sie angebotenen Produkte nicht selbst, sondern vermitteln diese lediglich. Während klassische Händler gesetzlich verpflichtet sind, nationale Sicherheitsstandards einzuhalten, argumentieren diese Plattformen, dass die Verantwortung allein bei den Herstellern oder Drittanbietern im Ausland liege.
Untersuchungen zeigen, dass zahlreiche Produkte auf diesen Plattformen nicht den schweizerischen Sicherheitsanforderungen genügen. Eine Analyse im Spielwarenbereich ergab etwa, dass 15 von 18 getesteten Produkten auf Temu im regulären Handel nicht zulässig wären. Diese regulatorischen Unterschiede schaffen nicht nur ungleiche Wettbewerbsbedingungen, sondern bergen auch erhebliche Risiken für Konsumentinnen und Konsumenten.
Während die bestehende Rechtsordnung in vielen Bereichen flexibel genug ist, um Plattformgeschäftsmodelle sachgerecht zu erfassen, sind gezielte Anpassungen in einzelnen Sektoren notwendig. Dies sollte jedoch nicht in einer umfassenden Plattformregulierung münden, sondern durch präzise, sektorale Lösungen erfolgen, da jeder Sektor seine eigenen Herausforderungen hat, was sich auch in den divergierenden Sicherheitsstandards zeigt. Hier ist die Schweiz innenpolitisch gefordert, genügend Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit neben dem stationären Handel auch stärker Kontrollen von Waren der Onlineplattformen durchführbar sind. Die grosse Menge an Paketen von diesen überfordern den Zoll und die kantonalen Kontrollorgane, sodass die Sicherheitsstandards ohne Weiteres umgangen werden können.
Rechtsdurchsetzung
Die Rechtsordnung bietet bereits heute Schutzmechanismen, doch deren Durchsetzung stellt in der Praxis oft eine Hürde dar. Zwar können Rechtsansprüche – etwa in Haftungsfragen – vor Schweizer Gerichten geltend gemacht werden, doch bleibt die tatsächliche Durchsetzung gegenüber Anbietern ohne physische Präsenz in der Schweiz häufig ineffizient. Dies führt dazu, dass viele Nutzerinnen und Nutzer angesichts der Kosten-Nutzen-Abwägung von berechtigten Rechtsansprüchen Abstand nehmen. Der Gesetzgeber muss sich dieser Problematik mit gezielten Massnahmen annehmen. Hierbei spielt die Benennung eines Zustelldomizils in der Schweiz für Plattformen einer gewissen Grösse eine wichtige Rolle. Eine solche Pflicht verbessert die Durchsetzbarkeit von Rechtsansprüchen und dient als Anlaufpunkt bei Unklarheiten, ohne dass unnötige bürokratische Hürden geschaffen werden. Ein solches Zustelldomizil würde auch in der Zukunft hilfreich sein, um in anderen Bereichen die Durchsetzung zu verbessern. Zugleich zeigt der internationale Vergleich, dass neue Instrumente wie der «Trusted Flagger»-Status zur effizienteren Inhaltsmoderation beitragen können. In der Schweiz fehlt dafür bislang die gesetzliche Grundlage.
Auch im Bereich der Immaterialgüterrechte stehen Unternehmen heute vor grossen Herausforderungen. Plattformen und soziale Netzwerke erleichtern den Zugang zu gefälschten Produkten. Die Durchsetzung von Immaterialgüterrechten gestaltet sich dabei oftmals herausfordernd: Der Aufwand seitens der Rechteinhaber – sowohl personell als auch finanziell – steht nicht immer im Verhältnis zur Leichtigkeit, mit der Anbieter entsprechender Produkte auftreten, häufig grenzüberschreitend und mit begrenzter Rückverfolgbarkeit. Der Schutz geistigen Eigentums bleibt daher ein wichtiger Aspekt, der im Rahmen bestehender oder gezielt weiterentwickelter Instrumente angemessen berücksichtigt werden sollte.
Verantwortung der Plattformen als Vermittler
Neben der territorialen Rechtsdurchsetzung stellt die hohe Anonymität auf Plattformen eine Herausforderung dar. Diese ermöglichen Transaktionen zwischen Parteien, die oft nur minimale Informationen preisgeben, was Missbrauch erleichtert und die Rechtsverfolgung erschwert. Plattformen sollten daher ihrer Rolle als zentrale Vermittler von Transaktionen gerecht werden. Insbesondere im Konfliktfall muss eine gewisse Transparenz hinsichtlich der beteiligten Akteure sichergestellt werden. Eine Mindestanforderung an Identifikationspflichten – ähnlich dem europäischen Digital Services Act – könnte hierbei unterstützend wirken und die Rechtsdurchsetzung verbessern. Gleichzeitig ist zu vermeiden, dass Plattformen, die solche Anforderungen erfüllen, in eine generelle Haftung genommen werden. Sie tragen Verantwortung für ihre Vermittlerrolle, sollten jedoch nicht pauschal für das Fehlverhalten Dritter haftbar gemacht werden. Falls eine Plattform de facto als Anbieter von eigenen Produkten fungiert, hat sie jedoch für diese die entsprechende Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass staatliche Durchsetzungsmöglichkeiten in einem globalisierten digitalen Umfeld natürlichen Grenzen unterliegen. Effektive Lösungen sollten daher in Abstimmung mit internationalen Entwicklungen erfolgen, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Rechtssicherheit, Innovation und wirtschaftlicher Dynamik zu wahren.
Natürliche Grenzen einer Schweizer Plattformregulierung
Die Regulierung digitaler Plattformen durch nationales Recht stösst auf faktische Grenzen. Nationale Gesetze sind territorial gebunden, während Plattformen global agieren.
Die Durchsetzung nationaler Vorschriften gegen Plattformbetreiber ohne physische Präsenz ist herausfordernd. Ein Beispiel sind ausländische Onlinehändler, die über Plattformen verkaufen, aber keine Vermögenswerte in der Schweiz besitzen. Selbst wenn gerichtliche Urteile erwirkt werden, bleibt die Vollstreckung in einer fremden Jurisdiktion oft schwierig und aufwendig.
Plattformen als Anknüpfungspunkt?
Manche fordern, Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen, da sie wirtschaftlich präsent und regulatorisch greifbar sind. Eine pauschale Verantwortungsübertragung birgt jedoch erhebliche Risiken:
- Sie würde das Vermittlermodell untergraben und Plattformen faktisch zu Anbietern machen.
- Plattformen könnten als Ersatzregulierer agieren müssen – eine Rolle, die sie weder effizient noch neutral erfüllen können.
- Übermässige regulatorische Anforderungen könnten Plattformen dazu veranlassen, sich aus kleineren Märkten wie der Schweiz zurückzuziehen – mit negativen Folgen für Konsumentinnen und Konsumenten.
Eigenverantwortung und bewusste Konsumentscheidungen
Angesichts dieser strukturellen Herausforderungen ist es unerlässlich, dass Konsumentinnen und Konsumenten sich der Grenzen staatlicher Regulierung bewusst sind. Die Vorteile globaler Plattformen – etwa günstigere Preise und eine grössere Produktauswahl – gehen mit gewissen Einschränkungen in der Rechtsdurchsetzung einher. Zudem kann die Nutzung persönlicher Daten für kommerzielle oder potenziell manipulative Zwecke problematisch sein – etwa wenn Algorithmen auf dieser Basis gezielt Einfluss auf das Konsumverhalten nehmen.
Konsumenten sind jedoch nicht die einzigen Betroffenen. Auch andere Marktteilnehmer – etwa stationäre Anbieter oder Inhaber von Immaterialgüterrechten – können von plattformbasierten Aktivitäten berührt sein, insbesondere wenn dort Inhalte erscheinen, die ihre Rechte potenziell verletzen.
Abschottung darf nicht die Antwort sein
Die Forderung nach der Abschaltung von Plattformen und einer damit verbundenen Abschottung der Schweiz von digitalen Diensten verkennt die Realität einer vernetzten Welt. Solche Massnahmen sind kostspielig, schwer durchsetzbar und leicht zu umgehen. In einer digitalisierten Wirtschaft wäre eine solche Regulierung nicht nur ineffektiv, sondern würde der Innovationskraft des Standorts Schweiz nachhaltig schaden.
Digitale Plattformen bieten grundlegende Vorteile für Wirtschaft und Gesellschaft. Sie erleichtern den Zugang zu Informationen, senken die Hürden für den Austausch und fördern eine Demokratisierung der Informationsverbreitung.
Kommunikationsplattformen mögen regulatorische Herausforderungen mit sich bringen, doch ihre bedeutenden Vorteile für Wirtschaft und Nutzerinnen und Nutzer dürfen nicht übersehen werden. Die niedrige Schwelle für Informationsbeschaffung und -verbreitung stärkt nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch den Zugang zu Märkten und Wissen. Eine demokratische Gesellschaft sollte sich der Tragweite dieser Errungenschaften bewusst sein – sie dürfen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.
Marktmechanismen funktionieren
In einem offenen Markt haben Nutzerinnen und Nutzer jederzeit die Möglichkeit, sich von Plattformen abzuwenden. Da digitale Plattformen keine kostspielige Infrastruktur benötigen, können sich neue Marktteilnehmer rasch etablieren und als Alternative dienen. Diese potenzielle Konkurrenz diszipliniert bestehende Plattformen bereits heute und sorgt für eine kontinuierliche Anpassung an die Erwartungen der Nutzer.
Staatliche Eingriffe in digitale Märkte bergen Risiken. Eine Regulierung, die über gezielte Anpassungen hinausgeht, kann bestehende Marktmechanismen untergraben, ohne deren Funktionsweise zu verbessern. Plattformen entwickeln bereits heute Lösungen für Herausforderungen, die politisch gefordert werden – oft schneller und effizienter, als es eine schwerfällige Regulierung könnte. Die Schweiz sollte ihre digitale Offenheit bewahren, denn langfristig profitieren Wirtschaft und Gesellschaft von einem flexiblen, innovationsfreundlichen Umfeld, das Raum für Wettbewerb und technologische Entwicklung lässt.

Bestehende internationale Regulierungsansätze
Plattformregulierung in der EU: ein werteorientierter Regulierungsansatz
Die Europäische Union hat auch im Bereich der Plattformregulierung für sich in Anspruch genommen, Vorreiter in der Regulierung zu sein. Mit umfangreichen gesetzlichen Rahmenwerken sollen Nutzer geschützt, Marktstrukturen geordnet und Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden. Zu den zentralen Regulierungsinstrumenten gehören:
- Digital Services Act (DSA): Schaffung eines sicheren digitalen Umfelds durch klare Regeln zur Bekämpfung rechtswidriger Inhalte, Transparenzpflichten für Plattformen und stärkere Durchsetzungsmechanismen.
- Digital Markets Act (DMA): Förderung des Wettbewerbs durch spezifische Vorgaben für marktmächtige Plattformen («Gatekeeper»), um Monopolisierungstendenzen einzudämmen.
- General Data Protection Regulation (GDPR): Strenge Datenschutzvorgaben, die Unternehmen zu transparenter und sicherer Verarbeitung personenbezogener Daten verpflichten.
- Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit (2023): Verstärkte Verantwortung von Plattformen für die Sicherheit der über sie vertriebenen Produkte, insbesondere durch verpflichtende Kontroll- und Meldepflichten.
Die EU setzt damit auf einen werteorientierten Regulierungsansatz, der Verbraucherschutz, Datenhoheit und Markttransparenz ins Zentrum stellt. Mit einer Vielzahl von teils sehr detaillierten Vorgaben greift sie tief in digitale Geschäftsmodelle ein.
Die damit verbundene Regulierungsdichte stellt Unternehmen jedoch zunehmend vor Herausforderungen. Gerade aufgrund der oben erläuterten Skaleneffekte führen Compliance-Kosten insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sowie Start-ups zu unverhältnismässig hoher Belastung. Die sehr stark an den bestehenden Plattformen ausgerichtete Regulierung birgt darüber das Risiko, dass Innovation und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen beeinträchtigt werden. Die Regulierung sieht bereits gewisse Formen vor und lässt damit keinen Raum für neue Ideen. Solche engen Vorgaben bergen das Risiko, dass digitale Geschäftsmodelle verstärkt ausserhalb der EU entwickelt werden. Gleichzeitig geraten europäische Unternehmen durch regulatorische Unsicherheiten und hohe Kosten ins Hintertreffen.
Ob die umfassende Plattformregulierung der EU tatsächlich die angestrebten Ziele erreicht oder langfristig vor allem die digitale Innovationskraft Europas hemmt, bleibt ungewiss. In vielen Bereichen fehlt eine gefestigte Umsetzungspraxis, sodass die tatsächliche Wirksamkeit der neuen Regeln erst in den kommenden Jahren sichtbar wird. Innerhalb der EU wächst indessen die Erkenntnis, dass ein zu engmaschiger Regulierungsaktionismus den digitalen Binnenmarkt schwächen und neue Markteintrittsbarrieren schaffen könnte.
Plattformregulierung in den USA: eine Doppelstrategie zwischen Liberalismus und Sicherheitsinteressen
Die USA setzen traditionell auf marktgetriebene und innovationsfreundliche Plattformregulierung, wobei staatliche Eingriffe auf das Notwendige beschränkt bleiben. Wettbewerb und Selbstregulierung gelten als zentrale Steuerungsmechanismen, um technologische Innovation zu fördern und Unternehmen Flexibilität im Markt zu sichern.
Staatliche Eingriffe erfolgen vorrangig über das Kartellrecht. Die Federal Trade Commission (FTC) und das Justizministerium (DOJ) streben zum Teil aggressive Massnahmen gegen marktmächtige Plattformen an. Der Ausgang vieler Verfahren bleibt jedoch unter der neuen US-Administration ungewiss. Während einige politische Akteure für eine härtere Gangart gegenüber Tech-Konzernen plädieren, gibt es starke wirtschaftspolitische Stimmen, die Überregulierung als Innovationshemmnis betrachten.
Neben kartellrechtlichen Fragen gewinnt die Plattformregulierung in den USA zunehmend eine sicherheitspolitische Dimension.
Ein besonders umstrittenes Thema ist der Umgang mit chinesischen Handelsplattformen wie Shein und Temu, die durch Direktlieferungen und aggressive Preissetzung den US-Einzelhandel unter Druck setzen. Eine mögliche Senkung der Zollfreigrenzen könnte diese Anbieter gezielt treffen und als Markteintrittsbarriere interpretiert werden. Wie sich die US-Plattformregulierung unter der neuen Administration weiterentwickeln wird, bleibt damit ungewiss.
Plattformregulierung in China: ein staatspolitischer Regulierungsansatz
China verfolgt eine staatlich gesteuerte Plattformregulierung, die wirtschaftliche Kontrolle eng mit politischen Zielen verbindet. Während die Regierung zunächst ein wachstumsförderndes Umfeld für Unternehmen wie Alibaba, Tencent und ByteDance schuf, setzt sie mittlerweile verstärkt auf Regulierung und staatliche Kontrolle.
- Kartellrechtliche Massnahmen: Unternehmen wie Alibaba und Tencent wurden verpflichtet, ihre Marktpraktiken anzupassen. Beispielsweise wurde der Börsengang der FinTech-Tochter Ant Group gestoppt, und Tencent sah sich mit Beschränkungen im Bereich der Videospielindustrie konfrontiert.
- Politische Kontrolle: Plattformen sind verpflichtet, Nutzerdaten an staatliche Stellen weiterzugeben und Technologien zur Überwachung und Zensur zu entwickeln.
Dazu gehören strikte Datenspeichervorschriften und Algorithmen zur Inhaltsmoderation. Diese Eingriffe haben das Wachstum chinesischer Technologieunternehmen verlangsamt und das Vertrauen internationaler Investoren geschwächt. Gleichzeitig geraten chinesische Plattformen wie TikTok, Shein und Temu im Ausland zunehmend unter regulatorischen Druck. Auch in der Schweiz gibt es bereits politische Vorstösse, welche auf Temu fokussieren. Währenddessen verdichten sich Vermutungen, dass international tätige chinesische Plattformen teils von erheblicher staatlicher Unterstützung profitieren, was günstige Angebote ermöglicht und dadurch auch zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führt.
Chinas Plattformstrategie verdeutlicht die enge Verknüpfung von wirtschaftlicher Kontrolle, politischer Steuerung und geopolitischen Interessen. Digitale Plattformen sind dort nicht nur Marktakteure, sondern auch Instrumente staatlicher Einflussnahme gerade auch im Ausland.
Die EU setzt unter anderem mit DSA und DMA auf strenge Regulierung für Verbraucherschutz, Markttransparenz und fairen Wettbewerb. Doch hohe Compliance-Kosten könnten KMU und Start-ups belasten und Innovation bremsen. Ob die Regulierung den digitalen Binnenmarkt stärkt oder schwächt, bleibt offen.


Politische Handlungsoptionen und Position von economiesuisse
Digitale Plattformen treiben Innovation, neue Marktmechanismen und Effizienzsteigerungen voran, bringen aber auch regulatorische Herausforderungen mit sich. Eine gezielte, zurückhaltende Regulierung ist erforderlich – orientiert an internationalen Standards und ohne nationale Sonderwege.
Keine isolierte Schweizer Plattformregulierung
Die Schweiz profitiert als offener Wirtschaftsstandort von internationaler Anschlussfähigkeit. Ein «Swiss Finish» mit abweichenden Vorschriften schafft Doppelanforderungen und Wettbewerbsnachteile. Globale Plattformen reagieren auf regulatorische Fragmentierung mit Einschränkungen oder gar Rückzug.
Auch scheinbar vereinfachte nationale Regeln können höhere Compliance-Kosten verursachen, wenn sie von etablierten Standards abweichen. Eine unreflektierte Übernahme von EU-Regulierungen birgt zudem unerwartete Wechselwirkungen mit dem Schweizer Rechtsrahmen.
Bestehende Gesetze konsequent anwenden und gegebenenfalls weiterentwickeln
Die Schweiz verfügt bereits über wirksame gesetzliche Instrumente, um plattformbasierte Geschäftsmodelle zu regulieren. Anstatt umfassend neue Vorschriften zu erlassen, ist es zielführender, das bestehende Recht konsequent anzuwenden und bei konkreten Vollzugsproblemen punktuell nachzuschärfen.
Ein Beispiel dafür ist die Teilrevision des Mehrwertsteuergesetzes (MWSTG), mit der Plattformen bei der Einfuhr bestimmter Waren neu als Steuerpflichtige behandelt werden. Damit wird ein gleichwertiger Vollzug im Onlinehandel sichergestellt, ohne das Steuersystem grundlegend zu verändern. Dieses Vorgehen zeigt, wie gezielte Anpassungen bestehender Regelungen genutzt werden können, um Rechtsdurchsetzung in der Plattformökonomie zu verbessern.
Solche präzisen Eingriffe können das Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten stärken und gleichzeitig dafür sorgen, dass der Standort Schweiz für innovative Unternehmen attraktiv bleibt – ohne unnötige bürokratische Hürden zu schaffen.
Die Schweiz als innovationsfreundlicher Standort
Die Auswirkungen von DMA und DSA sind unklar. Eine voreilige Übernahme könnte sich als nachteilig erweisen, insbesondere wenn die EU nachjustieren muss. Für die Schweiz ist es von grundlegender Bedeutung, dass sie a) keine Detailregeln schafft, die von den Regeln der EU abweichen, aber auch b) dass sie durch einen differenzierten, international kompatiblen und möglichst prinzipienbasierten und technologieneutralen Regulierungsansatz sicherstellt, dass das Land die Chancen der Plattformökonomie nutzt, ohne die damit einhergehenden Möglichkeiten wie die wirtschaftliche Dynamik zu gefährden.
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