Successful businesswoman in the office. - Stock-Fotografie

Erfolgreicher Arbeitsmarkt: Flexibilität sichern, Staatswachstum bremsen

09.10.2025

Das Wichtigste in Kürze

Wie viele Stellen sind durch die künstliche Intelligenz gefährdet? Werden wir alle bald keine Arbeit mehr haben? Diese Fragen bereiten vielen Arbeitnehmenden in der Schweiz Sorgen. Doch während man sich vielerorts vor Massenarbeitslosigkeit fürchtet, schafft die Schweizer Wirtschaft Jahr für Jahr neue Stellen. Damit kompensiert die Schweiz den Wegfall von Stellen, die beispielsweise aufgrund des technischen Fortschritts obsolet werden. Dank eines liberalen und flexiblen Arbeitsmarkts kann die Schweiz erfolgreich mit neuen Technologien umgehen. Nur während dem Corona-Jahr wurden mehr Stellen abgebaut als aufgebaut wurden. Das Folgejahr konnte diese Entwicklung aber bereits wieder kompensieren. Nicht alle Branchen sind von den globalen Megatrends gleichmässig betroffen. In der Telekommunikation oder den Finanzdienstleistungen wurden in den letzten Jahren eher Stellen abgebaut. Die meisten Branchen bauen Stellen auf und nutzen gleichzeitig erfolgreich digitale Tools und KI. Eine Branche wächst in der Schweiz aber unaufhaltsam: der Staat. Hält das vergangene Beschäftigungswachstum an, zahlt der öffentliche Sektor in 25 Jahren den Lohn jeder Dritten Person in der Schweiz. Damit wären wir europaweit Spitzenklasse – aber im falschen Ranking. Diese Entwicklung gilt es zu korrigieren, damit der Arbeitsmarkt sein volles Potenzial entfalten kann.

Position economiesuisse

  • Rund 10 Prozent aller Stellen fallen in der Schweiz jedes Jahr weg. Doch es werden ebenfalls rund 10 Prozent neue Stellen geschaffen. 
  • In einem einzigen Jahr fallen mehr Stellen weg als aufgrund der künstlichen Intelligenz in 10 Jahren erwartet wird.
  • Der liberale Arbeitsmarkt macht es möglich, dass sich die Schweizer Wirtschaft laufend anpassen kann.
  • Einzig während der Pandemie wurden systematisch mehr Stellen gestrichen als neue aufgebaut. Dies wurde in den Folgejahren aber wieder überkompensiert. 
  • Ein wichtiger Wehrmutstropfen verbleibt: Der Staat und staatsnahe Sektoren sind für 40 Prozent des Stellenwachstums in der Schweiz verantwortlich, obwohl sie nur einen Fünftel der Wertschöpfung ausmachen.
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Einleitung

Die Welt dreht sich schnell. Neue Technologien durchbrechen Routinen und erzwingen Veränderungen. Viele Menschen sind skeptisch gegenüber technologischer Innovation. Sie fürchten sich beispielsweise davor, dass ihr Job bald von einem Roboter oder ChatGPT ausgeführt werden könnte. Man fragt sich, ob es in Zukunft überhaupt noch genügend Arbeit geben wird. Doch diese Angst ist unbegründet. 
In diesem Dossier zeigen wir, wie dynamisch und widerstandsfähig der Schweizer Arbeitsmarkt ist. Mit Ausnahme des Pandemiejahrs wurden in der Schweiz jedes Jahr mehr Stellen geschaffen als abgebaut. Der Strukturwandel findet stetig statt. Jedes Jahr werden rund 10 Prozent aller Stellen in der Schweiz abgebaut, doch es werden auch rund 10 Prozent neue Stellen geschaffen. Möglich macht dies ein relativ liberaler Arbeitsmarkt, der den Strukturwandel nicht unnötig behindert. Im Hochlohnland Schweiz müssen Unternehmen grossen Handlungsspielraum haben, damit sie agil auf eine sich rasch ändernde Welt reagieren können. Nur so lassen sich nachhaltige Arbeitsplätze und das Wohlstandsniveau sichern. Allerdings findet eine schleichende Verdrängung des privaten Sektors durch den Staat statt. Fast die Hälfte der neu geschaffenen Stellen entfallen auf den öffentlichen Sektor, eine ganz und gar nicht nachhaltige Entwicklung.

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Kapitel 1: Stellenauf- und abbau in der Schweiz

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam es in vielen englischen Orten zu Maschinenzerstörungen in der Textilindustrie. Verantwortlich war eine Bewegung der sogenannten «Ludditen». Mit diesen Angriffen demonstrierten die Ludditen ihren Unmut über die Verdrängung der Industriearbeiter durch Maschinen. Auch in der Schweiz ist ein solcher Maschinensturm in den Geschichtsbüchern festgehalten. In Uster wurde 1832 eine Spinnerei und Weberei von einer Gruppe Textilarbeiter zerstört. Obschon die Ludditen nicht per se gegen Fortschritt waren, finden sich im Verlauf der Zeit immer wieder Beispiele für Widerstand gegen technologischen Wandel. So waren beispielsweise Kerzenmacher gegen die Weiterentwicklung der Elektrizität. Dem Auto wurde ursprünglich nachgesagt, dass es das Pferd niemals ablösen würde. Auch die Einführung von Computern in Büros hatte weitreichende Konsequenzen für die Arbeitswelt. Es ist also nicht verwunderlich, dass sich auch heute noch «Ludditen» oder Skeptiker der Digitalisierung und künstlichen Intelligenz finden lassen.

Obschon riesiges Potenzial für Fortschritt besteht, ist das Vertrauen in künstliche Intelligenz gering. International ist fast jede zweite Person skeptisch, was die Verwendung von KI im Privatsektor angeht. In der Schweiz befürchten fast sechs von zehn Personen ihre Arbeit wegen KI zu verlieren. Konkrete Schätzungen gehen von etwa 8 Prozent, oder 400'000 Arbeitsstellen aus, bei welchen KI grosse Teile der Tätigkeit übernehmen könnte. KI wird ein wichtiger Bestandteil des künftigen Schweizer Strukturwandels, aber nicht der einzige. Unsere Untersuchung zeigt, wie sich dieser seit 2016 zusammengesetzt und wie er die Schweizer Wirtschaft verändert hat.

Abbildung 1: Stellenaufbau vs Stellenabbau

Abbildung 1

Abbildung 1 zeigt den jährlichen absoluten Stellenauf- und -abbau in der Schweiz. Ein Sterben der Arbeit ist keineswegs zu beobachten. Stattdessen wurden in der Schweiz in jedem Jahr mehr Arbeitsstellen geschaffen als abgebaut. Die einzige Ausnahme ist das Corona-Jahr 2020. Während des Lockdowns wurden überdurchschnittlich viele Stellen abgebaut. Zwar wurden etwa gleich viele Stellen geschaffen wie in anderen Jahren – trotzdem resultierte für das Jahr ein Netto-Stellenabbau. Dieses schlechte Jahr wurde aber bereits 2021 mehr als kompensiert. Das Gesamtbild spricht eine deutliche Sprache. Die Schweizer Wirtschaft baut grundsätzlich Stellen auf: Im Schnitt 70’262 pro Jahr, 5’855 pro Monat oder 193 jeden Tag. 
Aber wie sieht es in den einzelnen Branchen aus?

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Kapitel 2: Strukturwandel in der Schweiz?

Grosse Sprachmodelle wie ChatGPT sind eine neue Erscheinung. Sie werden die Arbeitswelt verändern. Wie diese Veränderung aussehen wird, wissen wir heute noch nicht. Die Digitalisierung wirkt sich aber seit längerer Zeit auf die Arbeitswelt aus und hat ihre Spuren bereits hinterlassen. Gerade Sektoren, welche grosse Teile ihrer Dienste digital anbieten können, konnten in den letzten Jahren Effizienzgewinne erzielen. zeigt, dass in der Telekommunikation und bei den Finanzdienstleitern in den letzten Jahren vor der Pandemie Stellen abgebaut wurden. Die Qualität hat aber in beiden Sektoren nicht abgenommen. Netzwerke wurden effizienter und besser. Einige Dienste konnten besser zentralisiert werden und erfordern nun weniger intensive Instandhaltungsarbeiten. Auch die Konsumenten profitieren – etwa in Form günstigerer Mobilabos oder effizientem e-Banking.

Abbildung 2: Die Digitalisierung beeinflusst die Wirtschaft 

Abbildung 2: Die Digitalisierung beeinflusst die Wirtschaft ^

Neben der Telekommunikation und den Finanzdienstleistern haben auch andere Wirtschaftssektoren in den vier Jahren von 2016 bis 2019 Stellen abgebaut. In der Herstellung elektrischer Ausrüstung (beispielsweise Batterien, Kabel oder Haushaltsgeräte) wurden jährlich knapp drei Prozent der Belegschaft abgebaut. Auch in der Holzwaren- sowie der Textil- und Schuhindustrie wurden kontinuierlich Stellen abgebaut. Auch der Detailhandel ist stark von der Digitalisierung betroffen, weil sich der Online-Handel gegenüber dem stationären Handel mehr und mehr durchsetzt.

Die grosse Mehrheit der Branchen entwickelt sich positiv. In zwei von drei Branchen wurden bis 2019 im Schnitt Stellen aufgebaut. Zu grossem Stellenzuwachs kam es vor der Pandemie etwa in der IT (+4.6 Prozent pro Jahr), der Forschung und Entwicklung (+4.0 Prozent pro Jahr) oder der Schiff- und Luftfahrt (+3.6 Prozent pro Jahr).

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Kapitel 3: Gewinner und Verlierer von Corona

Das Jahr 2020 war aussergewöhnlich. Zwischen März und Juni galt das Notrecht und zeitweise war der Lockdown angeordnet. Geschäfte, Restaurants und Hotels verloren für unabsehbare Zeit ihre Kundschaft. Büros und Schulen mussten von heute auf morgen so umgestaltet werden, dass die Arbeit resp. der Unterricht von zu Hause aus erledigt werden konnte. Reisen in oder aus der Schweiz waren zeitweise nicht möglich. Das war ein Erdbeben für den Schweizer Arbeitsmarkt. Trotz zahlreicher Unterstützungsmassnahmen und ausserordentlicher Flexibilität von Arbeitnehmenden und -gebenden mussten mehr Stellen abgebaut werden als neue geschaffen werden konnten.

Abbildung 3 zeigt die fünf Branchen mit dem höchsten Netto-Stellenaufbau bzw. -abbau im Jahr 2020. Vor allem Branchen, die an der Bekämpfung von Corona beteiligt waren, haben Stellen aufgebaut. Auf der Suche nach einer Impfung haben Forschung und Entwicklung sowie die Pharmaindustrie neues Personal angestellt. Das Gesundheitswesen hätte wohl am liebsten noch mehr Stellen geschaffen, war es doch zeitweise durch die hohen Fallzahlen überlastet. Ein Teil des Wachstums in der öffentlichen Verwaltung ist auf pandemiebedingte Zusatzaufgaben wie die Anstellung der «Contact-Tracer» oder die Zusammenstellung verschiedener Task Forces zurückzuführen. Schlussendlich nahm auch die Nachfrage nach IT-Dienstleistungen stark zu, da nun viel mehr von zu Hause ausgearbeitet wurde.

Abbildung 3

Die fünf grössten Stellenabbauer mussten massive Stellenstreichungen vornehmen. Die Freizeit- und Tourismusbranche war besonders betroffen. In der Beherbergung mussten insgesamt mehr als zehn Prozent des Personals entlassen werden. Auch die Bereiche Stellenvermittlung, Schiff- und Luftfahrt, Fahrzeugbau und Gastronomie mussten Stellen abbauen – und zwar jeweils mehr als sieben Prozent. Es war unvorhersehbar, dass sie sich im nächsten Jahr grösstenteils wieder erholt haben. Im Jahr 2021 konnten kompensierend neue Stellen geschaffen werden. Von den grössten Stellenabbauenden von 2020 musste nur noch die Schiff- und Luftfahrt 2021 weitere Stellen abbauen. Sonst konnten bereits über 83 Prozent der Sektoren wieder mehr Stellen aufbauen. Diese schnelle Reaktion demonstriert die hohe Resilienz der Schweizer Wirtschaft, ihrer Unternehmen und Beschäftigten. Vorteile, auf die wir dank einem flexiblen und liberalen Arbeitsmarkt zählen können.

Abbildung 4

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Kapitel 4: Dauerbrenner Staatswachstum

Wenn man sich die Branchen vorstellt, welche in den letzten Jahren besonders robust gewachsen sind, würde man wohl zuerst an die Technologiebranche denken. Doch ein weiterer Sektor wächst in der Schweiz kontinuierlich und ohne Einbruch: der Staat. Die Verwaltung selbst sowie vier weitere staatsnahe Branchen (Erziehung und Unterricht, Gesundheit, Heime und Sozialwesen) wachsen seit 2016 ununterbrochen. Abbildung 5 zeigt, dass die staatsnahen Branchen unaufhaltsam um 2.3 Prozent pro Jahr wachsen. Obschon der Privatsektor ebenfalls robust wächst, kann er mit diesen Zahlen nicht mithalten. In den letzten Jahren nahm die Zahl der Stellen in der Schweizer Gesamtwirtschaft im Durchschnitt um 70’000 zu. 30'000 dieser Stellen wurden im öffentlichen Sektor geschaffen.  

Abbildung 5: Veränderung der Anzahl Stellen beim Staat und der Privatwirtschaft

Abbildung 5

Der Staat ist in der Schweiz gross. Gut jede vierte Person auf dem Schweizer Arbeitsmarkt arbeitet für staatsnahe Branchen. Doch wirklich besorgniserregend ist, dass der Staat kontinuierlich mehr Stellen aufbaut als der Privatsektor. Dadurch werden Arbeitsstellen im Privatsektor verdrängt. Bereits über die Beobachtungsperiode ist der Staatsanteil (gemessen an den Stellen der staatsnahen Branchen und der rein Privatwirtschaftlichen Branchen) von 25.5 Prozent auf 27.3 Prozent gestiegen. Der Wertschöpfungsanteil dieser Branchen liegt aber lediglich bei 18 Prozent. Würde man die beobachteten Wachstumsraten des Personals fortschreiben, wären 34 Prozent der Erwerbstätigen im Jahr 2050 in staatsnahen Branchen angestellt. Abgesehen von der Ukraine wäre dies der Höchstwert in Europa. Nach 75 Jahren würde sogar knapp die Hälfte der Beschäftigten beim Staat arbeiten. Diese Entwicklung ist nicht nachhaltig und kannibalisiert die Privatwirtschaft. Andere Länder funktionieren auch mit deutlich kleineren Staatsapparaten gut (Singapur, Japan, USA). Gemessen an ihnen sollte die Schweiz anstreben, dass der Anteil der Beschäftigten in staatsnahen Branchen langfristig bei 18 Prozent liegt. Dieses Ziel könnte bereits 2050 erreicht werden, wenn jährlich knapp ein Prozent des Personals abgebaut wird. Mit den richtigen Effizienzbestrebungen ist das durchaus realistisch.

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Zusammenfassung

Die Schweiz verfügt über einen robusten Arbeitsmarkt. Obschon sich viele Menschen im Zeitalter von ChatGPT um die Zukunft der Arbeit sorgen, wurden in der Schweiz kontinuierlich Stellen aufgebaut. Zwar hat die Pandemie den Trend der stabil wachsenden Stellen in der Privatwirtschaft kurzzeitig unterbrochen. Allerdings konnte dieser Rückstand im Folgejahr bereits wieder aufgeholt werden. Unser liberaler Arbeitsmarkt legt die Grundweichen dafür, dass man sich in der Schweiz keine Sorgen um das Verschwinden von Arbeitsplätzen machen muss. Schweizer Unternehmen bewegen sich am Puls der Zeit und schaffen mit ihrer Anpassungsfähigkeit kontinuierlich neue Möglichkeiten in der Arbeitswelt. 

Die Entwicklung des Stellenbestands in staatsnahen Branchen ist hingegen besorgniserregend. Über die beobachtete Periode sind diese Branchen im Schnitt fast doppelt so schnell gewachsen wie die Stellen in der Privatwirtschaft. Diese Entwicklung ist nicht nachhaltig. Der öffentliche Sektor muss effizienter werden. Er sollte jährlich etwas mehr als ein halbes Prozent seiner Beschäftigten abbauen, damit Personal für die Privatwirtschaft freigesetzt und der Bundeshaushalt entlastet werden kann.