Schweizer CO₂-Grenzausgleich: Jetzt bloss kein Eigentor schiessen

Die Einführung eines CO2-Grenzausgleichs der Schweiz gegenüber gewissen Importen aus Drittstaaten ist für den hiesigen Produktionsstandort derzeit nicht zielführend. Drohende Wettbewerbsnachteile, handelsrechtliche Risiken und ein erheblicher Bürokratieaufwand stehen einem unklaren klimapolitischen Nutzen gegenüber. Was es braucht, sind ein international abgestimmtes Vorgehen und die Förderung von klimapolitischen Massnahmen mit grosser Hebelwirkung.

Die EU tritt bei der Dekarbonisierung aufs Gaspedal. Für Firmen, die am europäischen Emissionshandelssystem (EU EHS) teilnehmen, bedeutet dies strengere klimapolitische Auflagen und steigende Produktionskosten. Damit diese Unternehmen nicht in Länder mit weniger strengen Klimavorgaben abwandern (sog. «Carbon Leakage»), setzt Brüssel seit dem 1. Oktober ein weltweit neues Instrument um: den Carbon Border Adjustment Mechanism (EU-CBAM). Zu Deutsch: CO2-Grenzausgleichsmechanismus. Zement, Eisen und Stahl, Aluminium, Dünger, Elektrizität und Wasserstoff werden bei der Einfuhr in die EU mit einem CO2-Preisaufschlag belegt. Der Geltungsbereich soll bald auf weitere Güter ausgeweitet werden.

In Anlehnung an den EU-CBAM werden nun auch hierzulande Forderungen zur Einführung eines CO2-Grenzausgleichs der Schweiz gegenüber Drittstaaten (CH-CBAM) laut. Mit einer CO2-Abgabe auf emissionsintensive Importe soll die Schweizer Industrie vor Ökodumping-Preisen geschützt werden.

Was auf den ersten Blick als plausible Massnahme durchgehen könnte, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung jedoch als kontraproduktiv für den hiesigen Produktionsstandort. Zunächst würde die Einführung eines CH-CBAM einem grossen und wertschöpfungsstarken Teil der Schweizer Wirtschaft international erhebliche Wettbewerbsnachteile bringen: Vorleistungen würden durch die CBAM-Abgabe teurer. Und weil eine Rückerstattung derselben beim Export nicht vorgesehen ist, würden Wettbewerbsnachteile von Schweizer Exporteuren auf dem Weltmarkt nicht kompensiert. Vor dem Hintergrund derzeitiger Rohstoffknappheit und steigender Energiepreise wäre eine zusätzliche finanzielle Belastung durch CH-CBAM daher alles andere als hilfreich.

Ferner ist die Vereinbarkeit von CO2-Grenzausgleichsmechanismen mit WTO-Recht derzeit noch völlig unklar – nicht zuletzt aufgrund deren potenziell diskriminierender Wirkung. Gegenüber EU-CBAM haben denn auch wichtige Handelspartner der EU bereits scharfe Kritik geäussert und die Massnahme als protektionistisch verurteilt. Umso mehr bestünde bei Einführung eines CH-CBAM durch die Schweiz das Risiko von Klagen und Gegenmassnahmen wichtiger Handelspartner. Denn die Schweiz als Exportnation ist leichter angreifbar als die EU mit ihrem grossen Binnenmarkt.

Ein CH-CBAM hätte schliesslich auch neue und komplexe administrative Hürden für Schweizer Exportfirmen zur Folge. Dazu gehört insbesondere die Berechnung von Emissionen oder die Beschaffung und Einreichung diverser Dokumente (u.a. für den Ursprungsnachweis oder die Beschaffung der CO2-Nachweise). Ein Blick in die EU zeigt, dass die dortigen Firmen derzeit mit grossen Schwierigkeiten und Unsicherheiten hinsichtlich der Umsetzung von EU-CBAM konfrontiert sind. Vor diesem Hintergrund wäre ein Vorpreschen der Schweiz unüberlegt – zu dieser Einschätzung kommt auch der Bundesrat. Vielmehr soll Mitte 2026 basierend auf der Zwischenbilanz der EU der Handlungsbedarf für die Schweiz neu überprüft werden.

Soll die Schweiz bis dahin untätig bleiben? Die Antwort lautet: Nein. Für die Wirtschaft ist klar, dass die Dekarbonisierung nur gelingt, wenn die in der Schweiz ansässigen Unternehmen keinen wesentlichen Kostennachteil gegenüber dem Ausland erleiden. Der wirksamste Weg dahin führt über die Unterstützung internationaler Bestrebungen in Richtung eines Klimaklubs (z.B. im Rahmen der G7 oder G20) bis hin zu einer einheitlichen CO2-Bepreisung. Denn: International vergleichbare CO2-Abgaben machen Klimazölle obsolet.

Flankierend dazu sollen ab 2025 die Einnahmen des Bundes aus dem Verkauf von Emissionsrechten an Schweizer EHS-Firmen zurückfliessen – als gezielte Beiträge für die Dekarbonisierung und zum Erhalt deren internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig sollen verschiedene klimapolitische Massnahmen vorangetrieben werden, die unbürokratisch umgesetzt werden können und eine grosse Hebelwirkung entfalten. Dazu gehört beispielsweise die Festlegung wissenschaftsbasierter Klimaziele im Rahmen der Science Based Targets initiative (SBTi), aber auch die Umsetzung von CO2-Reduktionsmassnahmen in der eigenen Lieferkette durch «Carbon-Insetting»

 

Die Erstpublikation dieses Beitrags erfolgte am 1. November 2023 in Finanz und Wirtschaft.

 

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