
Auf einen Blick
Die Schweiz verdankt ihren wirtschaftlichen Erfolg zu grossen Teilen ihrer Innovationsfähigkeit im MINT-Bereich. Doch seit Jahren zeichnen sich gerade hier grosse Nachwuchsprobleme ab. Bereits in der Volksschule gilt Mathematik als unbeliebt, und nach wie vor gibt es kaum Frauen, die sich für eine Karriere als Ingenieurin, Technikerin oder Informatikerin entscheiden. Mit dem Lehrplan 21 bietet sich eine Chance, Verbesserungen zu erreichen. Doch um das Problem grundsätzlich zu lösen, braucht es ein breites gesellschaftliches Umdenken.
Das Wichtigste in Kürze
Innovation ist der Schlüssel zum Fortschritt. Und Innovation ist elementar für die Schweiz, wenn sie ihren Wohlstand und ihre herausragende Rolle als wettbewerbsfähiges Land erhalten will. Sie braucht Offenheit gegenüber Forschung und technischen Neuerungen und eine ausreichende Zahl an Nachwuchskräften in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT). Letzteres ist heute nicht sichergestellt, und durch die geplante Zuwanderungsbeschränkung könnte sich die Situation bald noch weiter verschärfen. Damit mehr junge Menschen eine entsprechende Ausbildung in Angriff nehmen, muss ein breites Umdenken stattfinden. Künftige Lehrerinnen und Lehrer sollten selbst durch einen guten MINT-Unterricht motiviert werden, später einmal dasselbe zu tun: MINT muss Spass machen. Ein wichtiges Feld für die MINT-Förderung ist die Volksschule, insbesondere die Attraktivität des Unterrichts in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Der neue Lehrplan 21 bietet hierzu viele Ansatzpunkte. Und schliesslich kommt auch dem Gymnasium eine Schlüsselrolle zu.
Position economiesuisse
- Der MINT-Unterricht in den Schulen muss auf allen Schulstufen konsequent gestärkt und so ausgestaltet werden, dass er für alle Kinder und Jugendliche attraktiv ist.
- Schlüsselelemente sind ein motivierender Mathematikunterricht, das Heranführen an naturwissenschaftliche Phänomene und das spielerische Experimentieren auf allen Schulstufen.
- Der Selektion und der Aus- und Weiterbildung von motivierten Lehrkräften muss in Zukunft noch grössere Bedeutung zukommen.
- Der Lehrplan 21 ist zu unterstützen. Er bringt deutliche Verbesserungen im MINT-Bereich. Den grossen «Gendergraben» in diesem Themenfeld gilt es zu verkleinern.
- Politik und Wirtschaft sind aufgefordert, erfolgreiche MINT-Förderprojekte weiter zu unterstützen und noch bekannter zu machen – trotz knapper werdender öffentlicher Mittel.

Mensch und Technik: ein kompliziertes Verhältnis
Vom Faustkeil zum «Maschinensturm»
Das Streben nach Verbesserung seiner Lebensumstände durch den Einsatz von Technik begleitet den Menschen, seit er vor etwa 2,6 Millionen Jahren die ersten Werkzeuge hergestellt hat. Viele der grossen Entwicklungssprünge unserer Zivilisation lassen sich auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse und neue technische Errungenschaften zurückführen: Viehzucht, Ackerbau, Architektur, das Rad, die Schrift, Bewässerungstechnik, die Schifffahrt – ohne sie wären die antiken Hochkulturen undenkbar. Zwar wurde dieser Vorwärtsdrang über die Jahrtausende immer mal wieder gebremst, insbesondere durch religiöse Verbote. Doch grundsätzlich blieb das Verhältnis vieler Menschen zur Technik bis ins Zeitalter der Industrialisierung geprägt von der Hoffnung auf ein besseres Leben.
Ein erster Rückschlag kam mit der Ausbreitung von rauchenden Fabrikschloten und der «Fliessbandarbeit» im frühen 19. Jahrhundert. Es ist kein Zufall, dass die frühe Industrialisierung und das Zeitalter der Romantik zeitlich zusammenfallen. Es wurde ein Gegensatz geschaffen zwischen einer vermeintlich ursprünglichen Natur und der zerstörerischen Technologie des Menschen. Goethe brachte in Wilhelm Meisters Wanderjahre1821 zu Papier, was wohl viele seiner Zeitgenossen beschäftigte: «Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich, es wälzt sich heran wie ein Gewitter (…).» Die Angst vor der existenzbedrohenden Technik konnte auch in Gewalt umschlagen, wie der «Maschinensturm» in diversen europäischen Ländern zeigte. In der Schweiz zerstörten Heimarbeiter aus dem Zürcher Oberland 1832 die Mechanische Spinnerei und Weberei Corrodi & Pfister in Oberuster.
Fortschrittseuphorie und Technologiefeindlichkeit
Gegen die Jahrhundertwende hin änderte sich die Stimmung radikal. Weite Kreise der europäischen Bevölkerung wurden von einer Technikeuphorie erfasst. Man bejubelte die immer schnelleren Eisbahnen, die ersten Automobile, die Erschliessung der Alpen durch kühne Bergbahnen und die grossen Ozeandampfer. Diese Aufbruchstimmung erhielt einen ersten Knick, als 1912 die Titanic einen Eisberg rammte. Mit ihr versank ein Schiff, das wie kein anderes den Triumph des Maschinenzeitalters symbolisiert hatte. Noch viel einschneidender aber waren die traumatischen Ereignisse der beiden Weltkriege, als technische Errungenschaften erstmals zur millionenfachen Vernichtung von Menschenleben eingesetzt wurden. Die vor allem von europäischen Autoren geäusserte Technologiekritik der Nachkriegszeit steht denn auch in scharfem Kontrast zum Tempo, mit denen sich neue Erfindungen wie Kühlschränke oder das Fernsehen in den 1950er-Jahren ausbreiteten.
Verschwunden ist die Fortschrittsskepsis seither nie ganz. Dem Siegeszug von Computern und Smartphones zum Trotz wurde sie immer wieder aufs Neue befeuert – beispielsweise durch die Katastrophe von Tschernobyl (1986). Dies hat dazu geführt, dass viele Menschen heute in einem ausgesprochen ambivalenten Verhältnis zu Naturwissenschaft und Technik leben: Fasziniert von der neusten Entdeckung im Weltraum oder den Möglichkeiten des aktuellsten Tablet-Computers, und gleichzeitig unsicher, welche Auswirkungen Gentechnik, künstliche Intelligenz oder Nanotechnologie auf uns haben.
Sich selbst auf diesen Wissensgebieten zu profilieren, scheint für junge Menschen heute weniger naheliegend zu sein als in früheren Generationen. Das ist bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass die Digitalisierung und Automatisierung Gesellschaft und Arbeitswelt fundamental verändern. Einer der Gründe ist, wie die internationale Rose-Studie («The Relevance of Science Education») belegte, der zunehmende Wohlstand: Ist eine Gesellschaft materiell abgesichert, sinkt die Bereitschaft, tendenziell anstrengende Ausbildungswege auf sich zu nehmen. Das spiegelt sich auch in der vergleichsweise niedrigen Popularität von MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) in der Schule.
Mangelnder Nachwuchs für MINT-Berufe
Für eine Volkswirtschaft wie die Schweiz, deren Erfolg zu grossen Teilen auf Innovation und technischem Fortschritt gründet, ist diese Skepsis oder Gleichgültigkeit gegenüber MINT höchst problematisch. Seit längerer Zeit besteht in nahezu allen technischen Berufen ein Mangel an Arbeitskräften – der im Inland ausgebildete Nachwuchs reicht bei Weitem nicht aus, um die grosse Nachfrage abzudecken. Im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie wird das Phänomen seit einigen Jahren systematisch untersucht. Die Zahl der Berufstätigen in diesem Feld ist in den letzten 25 Jahren viermal so schnell gewachsen wie die Zahl aller Beschäftigten in der Schweiz. Gemäss jüngsten Schätzungen werden für ICT-Stellen bis 2022 über 80’000 Fachkräfte benötigt, insbesondere Software-Entwickler. Zwar konnte die Zahl der entsprechenden Bildungsabschlüsse zuletzt gesteigert werden. Doch das reicht nicht einmal annähernd, um die Lücke zu schliessen, die sich bei einer politisch gewollten Zuwanderungsbeschränkung öffnen wird. Bis 2022 muss mit einem Mangel von 30’000 Berufsleuten im Bereich ICT gerechnet werden. Eine exakte Abschätzung für den gesamten MINT-Bereich ist schwierig. Doch mit welchen Indikatoren man auch misst: Die Indizien weisen eindeutig darauf hin, dass sich das Problem laufend verschärft. Bereits 2011 hat der Bundesrat deshalb eine Fachkräfteinitiative lanciert.
Eine 2014 im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) erstellte Studie kommt zu deutlichen Ergebnissen für drei dem MINT-Bereich zugeordnete Berufsgruppen (der Bereich Naturwissenschaften wurde nicht als separate Berufsgruppe ausgewiesen).
Tabelle 1
Insbesondere beim Anteil der Frauen in klassischen MINT-Berufen liegt noch grosses Potenzial.
Fachkräftemangel in MINT-Berufsfeldern
Quelle: B, S, S. Volkswirtschaftliche Beratung: Fachkräftemangel in der Schweiz – Ein Indikatorensystem zur Beurteilung der Fachkräftenachfrage in verschiedenen Berufsfeldern. Basel, 2014.

Diese Darstellung verdeutlicht einerseits, dass es in allen drei Sparten ein gravierendes Nachwuchsproblem gibt. Andererseits zeigt sie auch auf, wo noch grosses Potenzial brachliegt: bei den Frauen. Ein Blick in die Bildungsstatistik zeigt, dass sich daran so rasch nichts ändern wird. Zwar hat der Frauenanteil in den MINT-Fächern von universitären Hochschulen und Fachhochschulen von 2002 bis 2010 von 24 auf 30 Prozent zugenommen, stagniert seither aber auf diesem Niveau.
Bundesamt für Statistik: Anteil Frauen in MINT-Fächern. Neuenburg, 2015.
Dieser «Gendergraben» ist allerdings nicht in Stein gemeisselt. So sind die Frauenanteile in den MINT-Fächern etwa in Italien oder Frankreich deutlich höher als in der Schweiz. Es kann also etwas dagegen unternommen werden.
Technik: eine Männerdomäne?
Die Gründe für die mangelnde Präsenz weiblicher Fachkräfte in technischen Berufen sind vielfältig. Die meisten Handwerksberufe sind in westlichen Ländern seit Jahrhunderten hauptsächlich von Männern ausgeübt worden. Entsprechend galten auch das Ingenieurwesen und der technische Fortschritt (mit seiner häufigen Nähe zur Rüstungsindustrie) in der breiten Öffentlichkeit bis vor Kurzem als klassische Männerdomäne. Die Identifikationsfiguren aus diesen Bereichen sind fast ausnahmslos männlich. Diese gesellschaftlichen Rahmenbedingungen waren für den Zugang von Frauen zu MINT-Ausbildungen und -Berufen nicht förderlich und wirken bis heute nach.
Eindrücklich zeigte sich dies bei der breit angelegten Befragung für den «MINT-Nachwuchsbarometer» im Sommer 2012. 64 Prozent der Schüler, aber nur 40 Prozent der Schülerinnen gaben an, in ihrem Interesse an Technik innerhalb der Familie gefördert worden zu sein. Als Vorbilder in diesem Bereich wurden durchgehend die Väter und Grossväter genannt. Besonders kam der Geschlechterunterschied bei der Einschätzung der eigenen technischen Fähigkeiten zum Vorschein.
Ins Bild passt auch die Beliebtheit der MINT-Fächer an den Gymnasien. Bei den Knaben finden sich insbesondere Physik und Naturwissenschaften in den vorderen Rängen. Bei den Mädchen hingegen landet die Physik abgeschlagen auf dem letzten Platz. Nur geringe Unterschiede gibt es bei der Einschätzung des Fachs Mathematik: Es ist im Durchschnitt bei beiden Geschlechtern gleichermassen unbeliebt. An dieser Einstufung hat sich in den letzten 30 Jahren kaum etwas geändert, und sie spiegelt sich auch in den Leistungen: In keinem Fach gibt es so viele ungenügende Noten wie in der Mathematik.
Grafik 1
Selbstkonzept Schweizer Schülerinnen und Schüler
7. bis 9. Schuljahr, in Bezug auf Technik, 2012
Quelle: «MINT-Nachwuchsbarometer»


MINT-Förderung ist unabdingbar
PISA-Tests als Weckruf
Lange Zeit hat man die geschilderte Situation mehr oder weniger gleichgültig zur Kenntnis genommen. Ein Wecksignal waren die im Jahr 2000 erstmals durchgeführten PISA-Tests (Programme for International Student Assessment). Die Leistungen der Schweizer Schülerinnen und Schüler wurden damals sogar schlechter eingestuft als der Durchschnitt der OECD-Staaten, insbesondere in den Bereichen Lesen und Naturwissenschaften. Dieser Befund war für ein Hochlohnland mit grossem Stolz auf sein Bildungssystem ein herber Dämpfer. Zwar gibt PISA nur einen beschränkten Einblick in die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler, doch der Handlungsbedarf war offensichtlich. Ein Land wie die Schweiz, das wirtschaftlich so stark auf Innovation und technisches Know-how angewiesen ist, muss sich langfristig sehr deutlich vom OECD-Mittelwert abheben und an der Weltspitze orientieren. Die Bildungspolitik nahm das Thema auf und misst diesen Fächern heute wieder mehr Gewicht bei. Mit Erfolg: Die Mittelwerte der Schweizer PISA-Erhebungen liegen seit 2003 in jedem der getesteten Kompetenzbereiche immerhin statistisch signifikant über dem Mittelwert der OECD, auch wenn noch Luft nach oben vorhanden ist. Erfreulich sind die Leistungen in Mathematik, wo die Schweiz in der vorderen Ländergruppe zu finden ist.
Grafik 2
PISA-Durchschnittswerte der Schweiz und der OECD-Länder (15-jährige Schülerinnen und Schüler)
Werte, die signifikant über dem OECD-Durchschnitt liegen, sind fett markiert
Quelle: Pisa-Erhebungen 2000 bis 2012

Berufliche Anforderungen stiegen
Neben den PISA-Zahlen haben auch die zahlreichen Aufrufe und Initiativen aus der Wirtschaft ihre Wirkung nicht verfehlt. Dass die MINT-Kompetenzen und die entsprechende Berufsbildung gestärkt werden müssen, gilt heute weitherum als unbestritten. Der Staat hat sie sich auf seine Fahnen geschrieben, die Universitäten und Fachhochschulen haben reagiert, und nicht zuletzt wird die Problematik auch immer wieder in den Medien thematisiert. Der allgegenwärtige technologische Wandel und insbesondere die Digitalisierung machen augenfällig, dass es sich die Schweiz nicht leisten kann, ihre Nachwuchsförderung in diesem Bereich zu verschlafen. Auf dem Spiel steht nicht weniger als langfristige Sicherung des Werk- und Innovationsplatzes Schweiz. Und es reicht nicht aus, den Status quo zu verteidigen, denn die Anforderungen an MINT-Fachkräfte in der Wirtschaft steigen permanent. Heute wird in fast allen entsprechenden Berufen ein deutlich höheres Kompetenzniveau verlangt als noch vor zehn Jahren. Tätigkeiten in der Industrie – zum Beispiel Polymechanikerin, Automatiker, Elektronikerin, Laborant oder Softwareentwickler – sind anspruchsvoller geworden, weil die Aufgaben heute vielseitiger und komplexer sind. Die jungen Menschen benötigen deshalb hohe Kompetenzen in den MINT-Fächern, um eine anspruchsvolle Lehre erfolgreich abschliessen zu können. Und diese Anforderungen sind längst nicht mehr nur auf die industriellen Berufe beschränkt. Heute wird auch von kaufmännischen Angestellten erwartet, dass sie eine Homepage selbstständig bewirtschaften können, und in vielen handwerklichen Berufen kommen informatische Anwendungen zum Einsatz.
Die Tendenz ist eindeutig: MINT-Fächer werden in Zukunft für immer mehr Berufe an Bedeutung zulegen. Da sich das Interesse an naturwissenschaftlich-technischen Themen aber in den seltensten Fällen erst im Erwachsenenalter entwickelt, muss es bereits in der Volksschule geweckt werden. Und die Voraussetzungen dafür sind durchaus vorhanden. Denn diese Behauptung sei hier gewagt: Nahezu alle Erstklässler finden ihre ersten Rechenoperationen spannend, sind von einfachen physikalischen Experimenten fasziniert oder lösen gerne ein Problem mithilfe des Computers. Von Skepsis oder Technikfeindlichkeit ist diesen jungen Menschen noch nichts anzumerken. Die Herausforderung auf Stufe Volksschule und später auch auf der Sekundarstufe besteht also darin, diese anfängliche Entdeckerfreude zu erhalten und das Interesse an MINT-Themen bis ins Erwachsenenalter zu verankern.

Beispiele erfolgreicher MINT-Förderung
In der Schweiz gibt es mittlerweile eine Vielzahl an Initiativen, die das Ziel verfolgen, die MINT-Ausbildungen populärer zu machen (hier finden Sie eine Übersicht). Mehrere Kantone haben sich die MINT-Förderung mittlerweile auf ihre Fahnen geschrieben, und auch die Fachhochschulen und Universitäten ziehen mit. Der Bund unterstützt diese Bestrebungen seit 2014 via Akademien der Wissenschaften Schweiz (vor allem SATW und SCNAT) mit dem Förderprogramm «MINT Schweiz», welches diverse Projekte fördert und Netzwerkanlässe organisiert. Science et Cité, eine mit den Akademien verbundene Stiftung, bietet unter anderem Wissenschaftsferien, Schülerforen und -labore sowie Ausstellungen an. Die ETH unterstützt mit ihrem Ausbildungs- und Beratungszentrum für Informatikunterricht oder dem MINT-Zentrum das schulische Lernangebot mit eigenen Initiativen. Aber vor allem auch seitens der Wirtschaft wurden diverse Programme angestossen und unterstützt. Nachfolgend werden einige erfolgreiche MINT-Projekte kurz vorgestellt.
RobOlympics
Seit mittlerweile 14 Jahren finden an der Hochschule für Technik Rapperswil (HSR) dieRobOlympics statt: Ein Wochenende, an welchem sich Lernende der Sekundarstufen I und II aus der Schweiz und Deutschland spielerisch mit Robotern auseinandersetzen und Wettkämpfe austragen können. Aus einheitlichen Lego-Bausätzen werden durch die Teams Roboter gebaut und eigenhändig programmiert, um anschliessend in verschiedenen Kategorien die gestellten Aufgaben je nachdem schnell oder effizient zu bewältigen. Für die unterschiedlichen Disziplinen muss der Roboter immer wieder umprogrammiert und an neue Umgebungen angepasst werden. Im Vordergrund steht eindeutig der Spassfaktor und nicht unbedingt die Konkurrenz. Die Organisatoren legen grossen Wert darauf, dass sich die Teilnehmenden über die gewonnenen Erkenntnisse austauschen und einander mit Tipps weiterhelfen. Die HSR will mit der beliebten Veranstaltung die Freude an der Technik unter Jugendlichen fördern und dazu beitragen, den Nachwuchs an Ingenieuren sicherzustellen. Unterstützt wird der Anlass auch von «MINT Schweiz».
explore-it
Gegründet wurde explore-it vor mehr als zehn Jahren als Forschungs- und Entwicklungsprojekt der Pädagogischen Hochschule Wallis (PHVS) und der PH der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Die Idee: Lehrerinnen und Lehrer werden mit Materialien ausgestattet, die für Kinderhände (ab der 4. Klasse) geeignet sind und es erlauben, technische Grundprinzipien individuell zu erkunden. Die Bausätze können zu einem günstigen Preis beim Verein bestellt werden. Ausgangspunkt ist jeweils die Konstruktion eines einfachen Objekts, so zum Beispiel einer Anlage zur Erzeugung von Strom aus Windkraft oder eines Flugzeugs mit unterschiedlichen Antrieben. Spezielle Bausätze bestehen für Aktionstage oder ausserschulische Schnupperprojekte. Ergänzend dazu werden in Schulen oder in Unternehmen Lehrerweiterbildungen angeboten. Das Ziel von explore-it ist die Förderung der Technikbegeisterung von 9- bis 12-Jährigen. Das Projekt wird unter anderem vom Verein «Jugend und Wirtschaft» unterstützt.
SimplyScience
SimplyScience ist eine Stiftung, die Kindern und Jugendlichen von 8 bis 18 Jahren die faszinierende Welt der Naturwissenschaft und Technik näherbringt. Altersstufengerecht werden auf der Internetplattform witzige Geschichten, Spiele, Wettbewerbe und Experimente angeboten, die sich mit Technik und Naturphänomenen auseinandersetzen. Kinder und Jugendliche erfahren zum Beispiel, warum Eisbären nicht frieren, wie man eine E-Gitarre baut, was eine Fata Morgana ist oder wie sich die moderne Robotertechnik von der Tierwelt inspirieren lässt. Für Teenager werden zudem MINT-Berufe vorgestellt und ein Kalender gibt Auskunft über Schnuppertage und Informationsveranstaltungen. Für den praxisorientierten naturwissenschaftlichen Schulunterricht werden für Lehrpersonen verschiedene Lehrmittel angeboten. SimplyScience arbeitet eng mit Berufsverbänden und Hochschulen, aber auch mit Jugendzeitschriften und Museen zusammen. Die 2008 durch den Wirtschaftsverband scienceindustries gegründete Initiative wird auch vom Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement unterstützt.
tunSchweiz
Die Stiftung tunSchweiz koordiniert die Aktivitäten der Verbände Swissmem und swissT.net sowie vieler regionaler Partner, um Kinder und Jugendliche für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern. Sie unterstützt ein- oder mehrmals jährlich eine grosse Werkstatt, eine sogenannte «tun» an einer Publikumsmesse in Bern, Zürich, Basel oder in der Ostschweiz. Hier können Schulklassen oder auch einzelne Kinder mit ihren Eltern spannende Erfahrungen in verschiedensten MINT-Bereichen sammeln. Das Angebot besteht jeweils aus diversen Workshops und Experimenten, die in Zusammenarbeit mit Hochschulen und Forschungsinstituten oder von Unternehmen organisiert werden. Für Lehrpersonen und Interessierte werden ergänzend Weiterbildungen und Forumsveranstaltungen organisiert.
NaTech Education
Dieser Verein setzt sich für die Förderung der Naturwissenschaften und des Technikverständnisses auf der Primar- und Sekundarstufe I ein, fördert die Schaffung von entsprechenden Lehrmitteln in der Volksschule und engagiert sich, damit die Bildungsziele, die zum Verständnis von Technik und Naturwissenschaften führen, im Lehrplan verankert sind. Besonders erfolgreich sind bei NaTech Education die Techniktage für die Primarstufe, die Technikwochen an den Pädagogischen Hochschulen sowie die Wanderausstellung «Achtung Technik Los!» für Schulen der Sekundarstufe I in Kooperation mit Fachhochschulen, Technikerschulen und Lehrzentren.
IngCH: Engineers Shape our Future
Der 1987 gegründete Verband IngCH will die Öffentlichkeit für die zentrale Bedeutung der Technik in Wirtschaft, Kultur und Politik sensibilisieren und bei Jugendlichen das Interesse an einer Ingenieursausbildung wecken. Um dies zu erreichen, werden pro Jahr rund 40 Technik- und Informatikwochen in Gymnasien in der ganzen Schweiz mit insgesamt rund 1500 teilnehmenden Schülerinnen und Schülern, «Meitli-Technik-Tage» für Sekundarschülerinnen sowie – in Kooperation mit NaTech Education – die Wanderausstellung «Achtung Technik Los!» durchgeführt. IngCH unterstützt die interaktive Sendung «The Ing Thing» des Jugend-TV-Senders Joiz und führt zudem Informationsveranstaltungen für Berufsberatende durch.
i-factory
Das Verkehrshaus Luzern bietet in der permanenten Ausstellung «i-factory» für private Besucher und für Schulklassen eine spielerische Annäherung ans Berufsfeld der Informatik an. Grundtechniken wie Codieren, Sortieren oder Prozessplanung können mittels einfacher Experimente erforscht werden, Filmbeiträge und Computeranimationen schlagen jeweils eine Brücke zu konkreten Anwendungen in der realen Welt, insbesondere im Bereich Verkehr.
Gemeinsamkeit: Experimentieren und spielerisch lernen
Es ist sinnvoll, diese bestehenden Instrumente noch bekannter zu machen und wo möglich zu koordinieren. Alle Ansätze sind vielversprechend und bauen darauf, junge Menschen spielerisch für die MINT-Thematik zu begeistern. Dies ist eine zwingende Voraussetzung: In einigen MINT-Fächern, insbesondere aber in der Mathematik, nimmt die Freude am Unterricht erfahrungsgemäss dann drastisch ab, wenn das spielerische Experimentieren durch einzuübenden Prüfungsstoff ersetzt wird. Statt Neues zu entdecken, gibt es ein klares Richtig oder Falsch, zementiert durch die Benotung der erbrachten Leistung. Wer Mathematik nicht mehr als neugieriges Entdecken, sondern nur noch als mühsames Nachvollziehen fremder Gedankengänge erlebt, verliert rasch die Lust am Mit- und Weiterdenken. Deshalb ist es wichtig, dass der Experimentierfreude durch entsprechend offene Aufgabenstellungen und Lernformen (praktisches oder kooperatives Arbeiten anstelle von reinem Frontalunterricht) auch auf den höheren Schulstufen ausreichend Platz eingeräumt wird. Gerade im Mathematikunterricht haben die angewandten Lernformen und die Motivation offenbar eine klar höhere Bedeutung für den schulischen Erfolg als die individuelle Intelligenz, wie eine Langzeitstudie der Universität München kürzlich aufzeigen konnte. Nicht überraschend ist es daher, dass wenn im Folgenden weitere Ansatzpunkte für eine erfolgreiche MINT-Förderung diskutiert werden, dem Mathematikunterricht auf allen Schulstufen ein besonderer Stellenwert zugemessen wird.
Vermittlung einer MINT-Denkweise
Ein zentraler Bestandteil jeder MINT-Förderung muss es sein, den Jugendlichen die diesen Fächern zugrunde liegende Denkweise zu vermitteln. Dazu gehören erstens das Erkennen und Definieren von Problemen und Fragestellungen. Es geht also darum, eine zugrunde liegende Problematik genau zu formulieren. Darauf aufbauend muss – zweitens – mittels Experimentieren und dem Anwenden von wissenschaftlichen Instrumenten und Methoden eine Lösung gesucht werden. Diese Lösung muss – drittens – überprüft und wenn nötig korrigiert werden. Zu guter Letzt ist es wichtig, dass die erarbeitete Lösung auch verständlich kommuniziert wird – und zwar so, dass ein Gegenüber von der Eignung dieser Lösung überzeugt wird.

Ansatzpunkte für die verstärkte MINT-Förderung
Grundlagen im Lehrplan 21
Trotz aller Bemühungen von Politik und Wirtschaft zur Stärkung der MINT-Ausbildung und beachtlichen Erfolgen bestehen nach wie vor grosse Ziellücken: Weder zeichnet sich ein klar wachsender Frauenanteil in den MINT-Studiengängen ab, noch besteht Aussicht, dass der MINT-Fachkräftemangel durch steigende Ausbildungszahlen wirklich gemildert werden kann. Was sollte daher getan werden, um die MINT-Förderung weiter zu stärken?
Gerade im Hinblick auf die MINT-Themen bietet die aktuelle Lehrplan-Reform grosse Chancen, die es zu nutzen gilt. Der Lehrplan 21, der erste gemeinsame Lehrplan für die Volksschulen aller deutsch- und mehrsprachigen Kantone, orientiert sich grundsätzlich an Kompetenzen, welche die Schülerinnen und Schüler erwerben sollen. Wissen soll also nicht nur erlernt, sondern vor allem auch fächerübergreifend angewendet werden können. Dieses Konzept ist gerade für die Vermittlung von MINT-Themen gut geeignet.
Fachbereich Mathematik
Der neue Lehrplan setzt auf einen zeitgemässen Mathematikunterricht, der dem Alltagsbezug und dem eigenen Erforschen mathematischer und geometrischer Zusammenhänge viel Platz einräumt: «Im Mathematikunterricht werden die Fähigkeiten zum Erkennen von Zusammenhängen und Regelmässigkeiten, zum Transfer, zur Umkehrung der Gedankengänge, zur Abstraktion, zur Logik und zum folgerichtigen Denken gefördert. Dies setzt ein auf Verstehen ausgerichtetes Lernen und Lehren von Mathematik voraus, welches zu eigenen Einsichten führt und die Denk- und Urteilsfähigkeit für die Auseinandersetzung mit künftig auftretenden Problemen stärkt.» Für nahezu jede Berufsausbildung, insbesondere aber für MINT-Berufe sind diese Fähigkeiten elementar. Guter Mathematikunterricht zeichnet sich aber auch dadurch aus, dass er den Schülerinnen und Schülern die Verknüpfung der Inhalte mit ihrem Alltag ermöglicht und sie auf ihrem jeweiligen Erkenntnisstand und Leistungsniveau abholt. Die in den letzten Jahren neu erarbeiteten Lehrmittel setzen deshalb auf sogenannt «substanzielle Mathematikaufgaben»: Aufgaben, die eine Bearbeitung auf unterschiedlichen Leistungsniveaus zulassen. So kann verhindert werden, dass Schülerinnen und Schüler entweder aus Über- oder Unterforderung im Unterricht die Motivation verlieren. Sie werden im Gegenteil dazu motiviert, eigenständig weiterzudenken, Muster zu erkennen und neue Lösungswege zu suchen. Auf dieser Basis ist für die Lernenden ein intensiver Austausch über mathematische Fragestellungen und Erkenntnisse möglich, der über das rein Abstrakte der Zahlenwelt hinausgeht. Oder anders gesagt: Die Schülerinnen und Schüler sollen in der Mathematik eine sinnvolle und fürs Leben nützliche Disziplin erkennen können. Hilfreich könnte es beispielsweise sein, den Nutzen der angewandten Mathematik und das Verständnis über wirtschaftliche Zusammenhänge zu verbinden. So zeigt die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf, wie gross die Chance eines Lotteriegewinns ist und ob die knappen Mittel dort sinnvoll investiert sind.
Einen eigentlichen Knackpunkt stellt der Übergang vom einfachen Rechnen zur abstrakten Mathematik dar. Damit die Kinder an diesem Punkt nicht abgehängt werden, muss dieser Phase besondere Beachtung geschenkt werden.
Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG)
Naturwissenschaften und Technik werden im Lehrplan 21 diesem sehr umfassenden Fachbereich zugeordnet. Dabei gelten vergleichbare didaktische Grundsätze wie im Fachbereich Mathematik: «Durch den naturwissenschaftlichen Unterricht sollen Phänomene aus Alltag und Technik besser verstanden und eigene Erfahrungen mit der Umwelt erklärt werden können.» Gerade die Bedeutung des spielerischen Experimentierens kann nicht genug betont werden, wenn es darum geht, mit Naturwissenschaft und Technik in Kontakt zu treten. Guter Unterricht sollte aber über das reine Analysieren, Verstehen und Verknüpfen hinausgehen, indem er es schafft, bei den Schülerinnen und Schülern eine Faszination für diese Themen zu wecken. Oder sie dort, wo sie bereits vorhanden ist, zu stärken. Der neue Lehrplan lässt die Möglichkeit zu, naturwissenschaftliche und technische Themen auch fächerübergreifend zu vermitteln. Dies erhöht deren Attraktivität für die Schülerinnen und Schüler ungemein.
Fachbereich Gestalten
Gestalten gehört zwar nicht in den traditionellen MINT-Fächerkanon, ist für die MINT-Förderung aber dennoch wichtig. In den gestalterischen Fächern erproben Kinder im Idealfall verschiedenste Materialien und Werkzeuge und setzen sich mit konkreten Fragen der Produktgestaltung und Technik auseinander. Im Teilbereich Bildnerisches Gestalten beinhaltet der neue Lehrplan zahlreiche Kompetenzen im Bereich Bauen und Konstruieren, Fähigkeiten im Umgang mit konstruktiven Materialien und Werkzeugen. Im Teilbereich Textiles und Technisches Gestalten finden sich Kompetenzen wie das Entwickeln von Produktideen, deren Umsetzung mittels Plänen und Modellen, das Verstehen von Bautechniken, mechanischen Antrieben oder die Auseinandersetzung mit Formen der Energieherstellung.
Modul «Medien und Informatik»
Im Gegensatz zu den ersten Fassungen des Lehrplans 21 ist die Informatik nun im Modul «Medien und Informatik» angemessen berücksichtigt. Der Lehrplan sieht vor, dass die Schülerinnen und Schüler die Grundkonzepte der Informatik verstehen und gezielt zur Problemlösung einsetzen können. Als Anwender sollen sie Informatik auch als Unterstützung für die eigenen Lernprozesse in verschiedenen Fächern einsetzen und als Kommunikationsinstrument nutzen können – auch im Hinblick auf den späteren Berufsalltag. Denn die «digitale Fitness» wird in Zukunft eine noch wichtigere Grundvoraussetzung für Studium, Forschung und Innovation. Im Zuge von «big data» werden auch statistisches Wissen und die Fähigkeit zur Versuchsplanung immer bedeutsamer. Wichtig ist aber, dass dieses Modul auch tatsächlich in die Lehrpläne der Kantone Eingang findet und entsprechend mit Lektionen dotiert wird. Ein entscheidender Schritt ist der Perspektivenwechsel vom reinen Konsumieren (zum Beispiel von Spielen oder dem Internet) zum eigenen Produzieren und Gestalten. Damit wertet der Lehrplan 21 die Informatik auf und schreibt vor, dass sie separat und nicht als ein mehr oder weniger freiwilliger Teil der Medienschulung zu unterrichten ist. Ziel ist es, die Problemlösungskompetenz zu schulen. Bereits mit einfachen Übungen kann im Schulunterricht vermittelt werden, dass das Programmieren kein Buch mit sieben Siegeln ist und man auch mit Anfängerkenntnissen Erfolgserlebnisse haben kann.
Modul «Berufliche Orientierung»
Die Schülerinnen und Schüler sollen nicht nur einen persönlichen Bezug zur Arbeitswelt herstellen, sondern sich auch einen Überblick über das schweizerische Bildungssystem verschaffen können. Wer sich bewusst mit seinen eigenen Interessen und Fähigkeiten auseinandergesetzt hat und über die vielfältigen Möglichkeiten – auch der späteren Weiterbildung – umfassend informiert ist, der entscheidet sich nicht unmotiviert fürs Gymnasium oder die erstbeste Lehrstelle. Anstatt den «Weg des geringsten Widerstands» einzuschlagen, nimmt die eine oder der andere so wohl eher eine als herausfordernd geltende MINT-Ausbildung in Angriff. Auch das Modul Berufsorientierung muss deshalb in den Kantonen mit einer angemessenen Zahl an Lektionen versehen werden.
Massnahmen zur MINT-Förderung auf allen Schulstufen
2012 wurde die separate Benotung der naturwissenschaftlichen Fächer (Physik, Chemie, Biologie) für die Matura wieder eingeführt und deren Stellenwert am Gymnasium somit wieder erhöht. An manchen Gymnasien werden mittlerweile auch eigentliche MINT-Klassen geführt(beispielsweise in Köniz). In der Volksschule war in den letzten Jahrzehnten hingegen eine andere Tendenz zu beobachten. Die Lektionentafel wurde mit etlichen neuen Inhalten befrachtet, allen voran mit dem Unterricht für eine zweite Fremdsprache. Gekürzt wurde andernorts, beispielsweise bei der Mathematik. Einige Kantone wie zum Beispiel Bern wollen auch im Hinblick auf die Einführung des Lehrplans 21 bei der Mathematik Zeit einsparen, um für die neuen Module Platz zu schaffen. Dies darf nicht sein. Die Mathematik liefert die unentbehrlichen Grundlagen für die anderen MINT-Fächer. Es muss auf allen Schulstufen von der Volksschule bis zum Gymnasium sichergestellt werden, dass der MINT-Unterricht tendenziell aus- und sicher nicht abgebaut wird. Die Attraktivität des Unterrichts auf allen Schulstufen hängt ausserdem stark von den eingesetzten Lehrmitteln ab. Auch diese sollten den spielerischen Zugang zu MINT-Themen noch stärker betonen und Bezüge zum Alltag aufzeigen. Im Zuge der aktuellen Lehrplanrevision müssen ohnehin viele Lehrmittel neu konzipiert werden – diese Gelegenheit gilt es zu nutzen. Gleichzeitig müssen auch die Aus- und Weiterbildungen an den Pädagogischen Hochschulen auf eine fokussierte und fachkompetente Umsetzung des LP 21 abzielen.
Mathematikunterricht im Gymnasium hinterfragen
Viele Gymnasiasten erzielen eine ungenügende Mathematiknote in der Matura. Sie werden unterrichtet von Lehrkräften, die ihrerseits in Mathematik während ihrer gesamten Schulzeit keinerlei Verständnisprobleme erlebt und später erfolgreich ein Mathematikstudium abgeschlossen haben. Diese Personen benötigten für das Verständnis des Mathematikstoffes weder didaktisch gut aufbereitete Lektionen noch mussten sie durch konkrete Anwendungen motiviert werden. Kann dies ein Grund dafür sein, dass trotz der doch recht scharfen Selektion an unseren Gymnasien viele junge Menschen ungenügende Mathematiknoten schreiben? Fakt ist jedenfalls, dass bei einem guten Matheunterricht, in dem auch der Sinn des Faches aufgezeigt wird, die allermeisten folgen können. Daher stellt sich die Frage: Wieso unterrichten am Gymnasium nicht Informatikerinnen, Ingenieure oder Ökonomen Mathematik? Würden solche Lehrerinnen und Lehrer nicht eher den Praxisbezug herstellen und Mathe verständlicher unterrichten?Gerade von angehenden Lehrerinnen und Lehrern sollte die Mathematik nicht als Frustfach erlebt werden, denn sie sollen das Fach ja dereinst mit Freude unterrichten.
Motivierte Lehrerinnen und Lehrer
Dreh- und Angelpunkt für einen guten MINT-Unterricht sind motivierte und fähige Lehrkräfte. Deshalb ist es einerseits eine Frage der richtigen Selektion und andererseits einer entsprechenden Ausbildung, motivierende Lehrkräfte in die Klassenzimmer zu bringen. Falsch wäre es allerdings, die Aufwertung des MINT-Unterrichts über die obligatorische Einführung bestimmter Lernformen und -instrumente erzwingen zu wollen. Die Methodenfreiheit muss gewährleistet bleiben – es führen viele Wege zum Ziel. Ein Erfolg versprechender Ansatz ist der Fokus auf attraktiven MINT-Unterricht innerhalb von Weiterbildungsangeboten für erfahrene Lehrkräfte. Der Kanton Bern hat mit solchen Angeboten im Rahmen seines Pilotprojekts «Bildung und Technik» von 2013 bis 2015 sehr positive Erfahrungen gesammelt. Wer sich weiterbildet, sollte entsprechend honoriert werden – über das Salär oder mehr Freiheiten bei der Unterrichtsgestaltung.
Öffnen der Klassenzimmer
Niemandem käme es in den Sinn zu behaupten, dass Kindern der Schulzahnarzt nicht zugemutet werden könne, weil dieser keine pädagogische Ausbildung besitze. Niemand protestiert, wenn auf einer Exkursion der Bienenzüchter, die Bäuerin, der Tierpfleger oder die Leiterin der Abwasserreinigungsanlage den Schülerinnen und Schülern Sachverhalte erklären, auch wenn sie keine pädagogische Ausbildung vorweisen können. Die konkrete Erfahrung und der direkte Bezug zu Beruf und Lebensumfeld legitimieren ausreichend, dass diese Expertinnen und Experten im Unterricht zu Bezugspersonen werden können. Es stellt sich deshalb die Frage, weshalb Gleiches nicht vermehrt auch für Informatiker, Ingenieurinnen oder Forschende gelten soll. Fachpersonen, welche die Erkenntnisse der Mathematik im Alltag bzw. in ihrem wirtschaftlichen Umfeld anwenden, könnten einen sehr nützlichen Beitrag leisten, um die Sinnhaftigkeit des Mathematikunterrichts zu verbessern. Solche Experten finden sich wahrscheinlich im Umfeld nahezu jeder Schule. Die anstehende Pensionierungswelle unter MINT-Fachkräften kann so auch zur Chance werden. Aber auch Eltern, Personen aus dem Bekanntenkreis der Kinder oder der Lehrkraft können mit ihrem Know-how den Unterricht auf allen Schulstufen bereichern, falls sie bereit sind, ihr Wissen und die Begeisterung für ihren Beruf mit anderen zu teilen; beispielsweise auf einer Exkursion, in einer Projektwoche, als Mentoren für eine Semesterarbeit oder indem sie eine Klasse in einem Thema über längere Zeit begleiten. Die Schule kann nur gewinnen, wenn sie diese Ressourcen künftig noch besser einbindet. Klar ist, dass die pädagogische Verantwortung bei der Lehrperson bleiben muss und die Einbindung externer Fachpersonen für diese nicht zu einer noch grösseren bürokratischen Belastung führen darf.
Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Schule
Eine weitere Möglichkeit, Hemmschwellen gegenüber MINT-Berufen abzubauen, sind praxisbezogene Einsätze von Schülerinnen und Schülern in einem entsprechenden Unternehmen. Im Kanton Graubünden wird diese Idee unter dem Titel MINT-CAMPS GRseit 2014 erfolgreich umgesetzt. In Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule Graubünden (PHGR) bieten Unternehmen aus der Region jeweils eine Woche lang über 120 Plätze für Dritt- bis Sechstklässler an. Durch zielstufengerechte, interessante und didaktisch optimierte Aktivitäten werden die Kinder einerseits für MINT begeistert und sehen andererseits, wie ihr in der Schule erlerntes Wissen im Alltag zur Anwendung kommt. Vor Ort betreut werden sie von Studierenden der PHGR sowie den Lernenden aus der betreffenden Firma. Obwohl MINT-CAMPS GR während der Schulferien stattfindet, ist der Andrang jeweils riesig. Solche Projekte müssten auch in anderen Regionen der Schweiz möglich sein.
Sinnhaftigkeit von MINT-Studiengängen aufzeigen
Sind die Grundlagen gelegt und interessieren sich junge Menschen für die MINT-Thematik, gilt es, sie für die entsprechenden Studiengänge zu interessieren. Viele junge Menschen wollen zu einer besseren Welt beitragen und mithelfen, die heutigen Probleme zu lösen. Für die grossen Fragen der Menschheit wie die Lösung der Energieproblematik oder der Umweltverschmutzung, das Heilen von Krankheiten, die Ernährung der Weltbevölkerung braucht es ein umfassendes MINT-Know-how. Die ETH Zürich hat positive Erfahrungen gemacht, als sie ihre Studienbeschreibungen stärker auf die Sinnhaftigkeit ausgerichtet hat. Dadurch konnten auch vermehrt Frauen angesprochen werden, bei denen eine stark technisch geprägte Weltsicht oft auf Ablehnung stösst. Botschaften über die Sinnhaftigkeit können junge Menschen motivieren, den MINT-Weg einzuschlagen. Ganz nach dem Motto: «Save the planet with MINT!»
Weitere Sensibilisierung für das Thema
Gute Projekte zur MINT-Förderung sind vorhanden, und sie werden rege genutzt. Doch bis der Wert und die Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit MINT-Themen in der breiten Bevölkerung verankert sind, braucht es von allen Beteiligten Ausdauer und Geduld. Nur wenn grosse Teile der Bevölkerung für das Thema sensibilisiert werden können, werden Rollenbilder verändert. In der Familie, in der Kinderkrippe oder im Kindergarten kann dann der Nachwuchs auf spielerische Weise bereits in der frühkindlichen Phase für MINT-Themen begeistert werden. Eine erfolgreiche MINT-Förderung ist langfristig ausgerichtet. Die Wirtschaft und der gesamte Bildungssektor sind gleichermassen gefordert, das Verständnis für die MINT-Thematik in der Gesellschaft weiter zu fördern.

Fazit
Langfristiger Einsatz führt zum Erfolg
Menschen und Technik pflegen seit jeher ein ambivalentes Verhältnis. In der Geschichte haben sich Phasen der Fortschrittseuphorie und solche der Innovationsskepsis immer wieder abgewechselt. Auch in der Schweiz haben diese Entwicklungen und Denkweisen ihre Spuren hinterlassen. Und doch hat sie sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Innovationsland par excellence gemausert – nicht nur, aber vor allem im MINT-Bereich. Diesen erfolgreichen Weg kann das Land aber nur weiterverfolgen, wenn es seine Offenheit gegenüber der Forschung und technischen Neuerungen erhalten kann. Und dies bedeutet weit mehr als bloss die rasche Verbreitung neuer technischer Gadgets oder Onlinedienste. Auch das Wissen darum, dass junge Menschen mit guten MINT-Kenntnissen einfacher eine Arbeitsstelle finden, reicht für sich allein nicht aus. Gefragt ist vielmehr eine breite gesellschaftliche Anerkennung des Werts dieser Kompetenzen, der entsprechenden Ausbildungen und Berufe. Nur so wird es möglich sein, die Nachwuchsprobleme der betroffenen Branchen langfristig zu lösen.
Nur wenn sich die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber MINT weiter verbessert, wird auch in der Familie vermehrt ein Augenmerk darauf gerichtet, werden die Frauenanteile steigen, werden die Lehrkräfte sich für die MINT-Bildung verantwortlich fühlen und schliesslich den Fachkräftemangel lindern. In diesem Übergang kommt der Volksschule eine grosse Bedeutung zu. Der neue Lehrplan 21, der nun in den deutsch- und mehrsprachigen Kantonen eingeführt wird, bietet dafür zahlreiche ergiebige Anknüpfpunkte. Er kann seine Wirkung jedoch nur entfalten, wenn die Kantone auch bereit sind, den MINT-Fächern in ihren Lektionentafeln ausreichend Gewicht zu geben.
MINT-Förderung setzt aber nicht nur in der Volksschule an. Auch dem Gymnasium kommt eine Schlüsselrolle zu: Erstens muss das Interesse für MINT, das hoffentlich in der Volksschule geweckt wurde, aufrechterhalten werden. Zweitens absolvieren die meisten angehenden Lehrerinnen und Lehrer ein Gymnasium. Selbst für MINT-Fächer motivierte Lehrpersonen werden auch bei den Kindern das Interesse an technisch-natur¬wissen-schaft¬lichen Themen wecken oder verstärken. Schlechte Noten vor allem in Mathematik und für MINT nicht motivierte Gymnasiasten sollten daher als Problemfeld angesehen werden, das es zu lösen gilt. MINT muss unter anderem den angehenden Lehrpersonen Spass machen; sie sollten die Bedeutung und die Faszination dieser Lösungsansätze erkennen und allfällige Hemmungen den technischen Fächern gegenüber ablegen können.
Ein besonderes Augenmerk bei der MINT-Förderung ist auf den Gendergraben zu legen. Es kann nicht sein, dass die Schweiz im internationalen Vergleich bezüglich Frauenanteil in MINT-Ausbildungen so schlecht abschneidet.
Eine erfolgreiche MINT-Förderung muss langfristig ausgerichtet sein. Es geht nicht darum, kurzfristige «Hauruck-Übungen» zu veranstalten. Politik, Wirtschaft und die Schulen aller Stufen bis hin zu den Lehrerausbildungsinstitutionen sind aber gefordert, ihr Engagement weiterzuführen. Konkret bedeutet dies, die entsprechenden Informationen und Angebote bereitzustellen und die vielen sinnvollen Projekte zu fördern und noch bekannter zu machen, die in den letzten Jahren in diesem Bereich entstanden sind. Und nicht zuletzt gilt es in Zeiten, in denen die öffentlichen Mittel knapper werden, die Anliegen der MINT-Förderung vehement zu verteidigen.
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