# 11 / 2021
16.09.2021

Post: Welche Rahmenbedingungen braucht es für die Versorgung der Zukunft?

Zukünftige Marktorganisation und «neue» Grundversorgung

Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen dringend nötig

Ende der 1990er-Jahre entstanden sowohl in der Schweiz als auch in der EU Bestrebungen, die Monopolmärkte im Telekommunikations- und Postbereich zu öffnen und so ein wirtschaftliches Wachstumspotenzial zu schaffen. In der Schweiz begann diese Entwicklung mit der Aufsplittung der PTT und der Vollliberalisierung des Telekommunikationsmarktes. Der Postmarkt wurde hingegen nur zögerlich liberalisiert. Das Paketmonopol fiel erst im Jahr 2004, das Briefmonopol wurde zwar reduziert, aber nie ganz abgeschafft. Seit der letzten umfassenden Revision des Postgesetzes Ende der Nullerjahre wurden keine weiteren Öffnungsschritte unternommen.

Der Bundesrat hat sich letztmals 2015 in einem Evaluationsbericht zu den Folgen der Marktöffnung geäussert und sich damals gegen die Abschaffung des Restmonopols ausgesprochen. Zwar wurde eingeräumt, dass die Teilliberalisierung keine negativen Auswirkungen auf die Angebotsqualität und -verfügbarkeit habe, dass jedoch eine Abschaffung des Restmonopols die «eigenwirtschaftliche» Erbringung der Grundversorgung verunmögliche. Damit wog der Bundesrat die Interessen der Post und der bestehenden Strukturen höher als die Entwicklungsperspektiven eines vollständig geöffneten Postmarktes.

Die Politik hat es nicht geschafft, die letzten Schritte in Richtung einer nachhaltigen, offenen Marktordnung zu gehen. Vielmehr wurde die regulatorische Schraube in den letzten Jahren sogar noch angezogen. Der Bundesrat verabschiedete 2018 eine Revision der Postverordnung, die verschärfte Zugangskriterien zu Grundversorgungsinfrastrukturen und Grunddienstleistungen beinhaltet.

Die vollständige Marktöffnung muss endlich umgesetzt werden.

Aus Sicht der Wirtschaft sind die heutigen regulatorischen Rahmenbedingungen nicht mehr geeignet, die zukünftigen Herausforderungen im Postmarkt zu bewältigen. Es braucht deshalb eine Grundsatzdiskussion über den «Service public» und darauf aufbauend eine neue Marktordnung, die in der Tradition der bisherigen Öffnungsschritte steht.

Für die Vollendung einer solchen Marktordnung sind vier Fragen zu beantworten:

  1. Was kann der Markt leisten und wo besteht künftig noch Bedarf für staatlich garantierte Leistungen?
  2. Nach welcher Mechanik soll der Staat diese gewährleisten?
  3. Wie werden die Staatseingriffe finanziert?

Was kann der Markt leisten?

Grundsätzlich handelt es sich beim «Service public» um die staatliche Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen, denen ein spezielles öffentliches Interesse zukommt und die nicht in gewünschter Menge oder Qualität vom Markt bereitgestellt werden (meritorische Güter für Wirtschaft und Gesellschaft). Der «Service public» ist somit kein Instrument der Finanz-, Struktur-, Regional-, Arbeitnehmer- oder Umweltpolitik. Er dient vorliegend auch nicht der Korrektur eines Marktversagens. Die Marktmechanismen versagen weder im Postmarkt noch im Markt für Zahlungsverkehrsdienstleistungen. Er dient einzig der Bereitstellung eines politisch definierten Niveaus bei wirtschaftlich und gesellschaftlich wichtigen Basisdienstleistungen, wo der Markt dieses Niveau nicht im gewünschten Ausmass bereitstellt.

Im Falle des Postmarktes hat sich dieser Bedarf über den Lauf der Zeit gewandelt und vor allem stark reduziert. Insbesondere werden heute die meisten Dienstleistungen der Grundversorgung (inkl. Zahlungsverkehr) auch so in allen Landesregionen von Unternehmen im freien Markt angeboten.

Die nachfolgende Tabelle stellt den Versuch dar, anhand der heute gängigen Dienstleistungen der Grundversorgung den restlichen Bedarf für staatlich garantierte Leistungen bei Post- und Zahlungsverkehrsdienstleistungen zu ermitteln. Die Einordnung erfolgt anhand von drei geografischen Zonen, welche die Schweizerische Post heute für die Erbringung der Grundversorgung verwendet.

Die Leistungsfähigkeit des Marktes wird zu wenig anerkannt und genutzt.

Das Fazit ist klar:

  1. Nur ein Bruchteil der heutigen Grundversorgungsleistungen könnten nicht eigenwirtschaftlich mithilfe von Drittanbietern erbracht werden. Dabei handelt es sich um rund zehn Prozent der etwa 500'000 Adressen in den sogenannten «C-Gebieten» (nach heutiger Definition der Post). Dies sind lediglich etwa ein Prozent aller zu versorgenden Adressen in der Schweiz.
  2. Die Versorgungslage ist regional sehr unterschiedlich. Die geltende Regulierung trägt diesem Umstand nicht Rechnung und schlägt alles über den gleichen Leist.

Im Vergleich zur heutigen Situation braucht es einen differenzierten Ansatz mit angepassten Rahmenbedingungen:

  • Abschaffung des Briefmonopols: Seine Bedeutung für die Finanzierung der Versorgung ist bereits heute schwindend und der Briefmarkt ist funktional mit dem Paketmarkt verschmolzen. Eine Aufrechterhaltung des Monopols lässt sich daher nicht rechtfertigen. Es verhindert nicht zuletzt in eigentlich gut erschlossenen Gebieten eine nachfragegerechte Versorgung.
  • Entbündelung von Leistungen: Zwischen Dienstleistungen des Zahlungsverkehrs und postalischen Dienstleistungen ist in Zukunft zu unterscheiden. In beiden Bereichen gibt es spezialisierte Leistungserbringer und es bestehen grundsätzlich wenig Synergien. Das Marktdesign muss diese Bereiche folglich trennen.
  • Neue Grundlagen: Es braucht rechtliche Rahmenbedingungen für den Einbezug privater Dienstleister und neue Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsanforderungen für die zu erbringenden Leistungen ausserhalb des Wettbewerbs. Wo nötig sollen Ausschreibungen und Abgeltungen zum Einsatz kommen anstatt der heutigen Mechanik mit Monopolleistungen der Post und «eigenwirtschaftlicher» Finanzierung.
  • Neues Finanzierungsmodell: Eine direkte staatliche Finanzierung der Leistungen ausserhalb des Wettbewerbs ist transparent und bringt die richtigen Anreize. Die Post wäre nicht mehr gezwungen, den Wettbewerb zu verzerren, um die Grundversorgung finanzieren zu können.

Ausschreibungen und staatliche Leistungsgarantien

Grundlage für die zukünftige Versorgung ist ein geografisch differenziertes Vorgehen, das auf den Bedürfnissen der Konsumentinnen und Konsumenten basiert. So können die Leistungen des Wettbewerbs besser genutzt und der Bedarf für staatlich garantierte Leistungen gezielter adressiert werden. Es gilt:

  1. Wo der Wettbewerb spielt und die Versorgungsqualität deshalb stimmt, soll der Staat nicht eingreifen.
  2. Wo vereinzelte Lücken bestehen und nach klar definierten Kriterien durch die Endnutzenden geltend gemacht werden, sollen einzelne Marktakteure in die Bresche springen (entweder freiwillig oder auf staatliche Anweisung).
  3. Wo eine Unterversorgung herrscht und durch Konsumenten geltend gemacht wird, soll der Staat eingreifen und die am besten geeigneten Marktakteure zur Leistungserbringung verpflichten. Das soll nicht nur die Post sein, sondern auch Drittunternehmen. Die Leistungen werden vom Staat abgegolten. Der Staat regelt das «Was», überlässt das «Wie» allerdings den beauftragten Akteuren.

"Smarte" Leistungsaufträge berücksichtigen die regionalen und lokalen Verhältnisse.

Zugang zur Versorgung: Es braucht einen Paradigmenwechsel

Waren in einer analogen Welt die physischen Zugangspunkte (Poststellen) Dreh- und Angelpunkt der Postdienstleistungen, muss in der zunehmend digitalisierten Welt der Brief-/Milchkasten bzw. die zu versorgende Person zum Mittelpunkt werden. Es braucht einen Paradigmenwechsel von «Konsument sucht Poststelle» zur «Poststelle bei der Konsumentin». Der Zustellort des Kunden muss zum neuen Dienstleistungszentrum werden. Dabei muss beispielsweise die bereits vorhandene vorbildliche Zustellinfrastruktur in Form des Brief-/Milchkastens zum Dreh- und Angelpunkt werden. Digitalisierung bedeutet nicht, dass der Kunde digital agieren muss, sondern dass der entsprechend verantwortliche Versorger (der auch nicht zwingend ein Postmitarbeitender sein muss) mit digitalen Mitteln alle notwendigen Grundversorgungsaufgaben sicherstellen kann. Dies kann durch die Digitalisierung des Brief-/Milchkastens erfolgen, über smarte digitale Dienstleistungsangebote, Daueraufträge oder einen telefonischen Support geschehen.

Nicht die Poststellen, sondern die Nutzenden sind der Kern, um den sich die Versorgung drehen sollte.

Vorgaben an Poststellen/Postagenturen eliminieren

Eine gesetzlich geregelte Maximaldistanz eines Gebäudes zu einem Kunden macht in Zukunft keinen Sinn mehr. Das Betreiben eines dicht gefächerten Poststellennetzes darf keine Anforderung mehr an die Post oder andere Dienstleistungserbringer sein. Die Anforderungen an die Versorgung müssen umgekehrt formuliert werden: Jeder Kunde in einer Region X hat Anspruch auf eine tägliche (oder anderer Rhythmus) Versorgung aller Grundversorgungsdienstleistungen gemäss Katalog Y.

Der Brief-/Paketkasten wird zum Dreh- und Angelpunkt

Wie es die bereits praktizierten Modelle der Post beweisen: Der Hausservice funktioniert bestens, die Kundenzufriedenheit mit dem Angebot steigt kontinuierlich an, die möglichen Services können dank Digitalisierung laufend ausgebaut werden. Entsprechend ist dieses Modell dahingehend auszubauen, dass Regionen ohne oder mit beschränkter «natürlicher Grundversorgung» eine «Post zu Kunde»-Grundversorgung zugesichert erhalten.

Die Leistungsfähigkeit privater Dienstleister für eine sichere Versorgung nutzen

Eine breit abgestützte Versorgung führt zu verlässlicheren Dienstleistungen, insbesondere bei unvorhergesehenen Entwicklungen. Nicht zuletzt die Covid-Pandemie hat klar aufgezeigt, dass Monopolstrukturen zum «Klumpenrisiko» werden und Innovation behindern. Damit private Akteure ihren Beitrag für die Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft leisten können, braucht es tiefere Marktzugangshürden. Wichtig wäre insbesondere der Zugang zu Teilleistungen und Infrastrukturen der Post. Dasselbe ist auch umgekehrt machbar.

Zukünftiger Bedarf für staatliche Garantien und Finanzierung

Grundsätzlich müssen in allen Landesteilen tägliche Auslieferungen und Aufgabemöglichkeiten für Briefe, Zeitungen und Pakete vorhanden sein. Wie in der obigen Matrix sichtbar, wären diese Dienstleistungen in vielen Gebieten auch ohne staatliche Garantie oder Finanzierung zugänglich. Vereinzelt sind staatliche Leistungsaufträge (via Ausschreibung) sowie eine direkte Finanzierung durch den Staat (Abgeltungen an beauftragte Unternehmen) notwendig.

  • Prinzipiell sollten heutige Laufzeiten und Zustellfrequenzen demnach weiter gewährleistet werden können dank einer stärkeren Aufgabenteilung zwischen Post und Privaten sowie dank einer gezielten staatlichen Finanzierung. Der Wettbewerb wird als Mittel für eine bessere Versorgung genutzt, anstatt dass er untergraben wird.
  • Auch Dienstleistungen des Zahlungsverkehrs müssen grundsätzlich allen zugänglich sein, diese werden jedoch flächendeckend vom Markt bereitgesellt. Hier ist in Zukunft allerhöchstens eine punktuelle staatliche Garantie notwendig, jedoch sicher keine staatliche Finanzierung.
  • Bei der Art der Erbringung muss mehr Flexibilität geschaffen werden, so dass Poststellen, Agenturen der Post und von Drittanbietern, Hausservice und digitale Kanäle optimal eingesetzt werden können. Eine Kombination von Hausservice und (offenen) Postagenturen. Dabei sind die bereits vorhandenen und wirklich lebensnotwendigen Zugangspunkte (Detailhandel) insbesondere in den peripheren Regionen (sogenannte «C-Gebiete» im Jargon der Post) als echte Grundversorger mit regelmässiger Kundenfrequenz in den Mittelpunkt zu stellen. Die Erbringungsarten aller Dienstleistungen sollen grundsätzlich gleichwertig behandelt werden, also zum Beispiel kein Ausschreibungskriterium darstellen. Aus Kundensicht stellt die Agentur neben dem Hausservice die einfachste Lösung dar: Ein «single point of contact» für verschiedene Leistungserbringer bedeutet für die Nutzer einen echten Mehrwert. Die steigenden Frequenzen in den Postagenturen gegenüber sinkenden Frequenzen in Poststellen (gemäss Jahresbericht der Postcom) sind weiterer Teilbeweis für eine Weiterentwicklung in diese Richtung. Die Post nutzt ihren rechtlichen Spielraum im Umbau der Zugangspunkte zu Agenturen oder hin zum Hausservice zurzeit nicht aus. Insbesondere kommen interessiere KMU zu wenig als Partner zum Zug.
  • In der Peripherie kann durch Agenturen eine weiterhin hohe Dienstleistungsqualität sichergestellt werden. Dort wird insbesondere ein offenes Agenturmodell zu einer Belebung der Zugangsmöglichkeiten führen – Postdienstleistungen können an Orten mit hoher Anziehungskraft (z.B. Supermärkte) einfacher angeboten werden. In den Zentren und Agglomerationen wird derweil dank der Marktöffnung und (noch) mehr Agenturen das heutige Unterangebot an Zugangspunkten aller Art korrigiert werden.