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Nummer 1 in Europa, doch ewig rufen die Kosten

Das Schweizer Gesundheitswesen ist das beste in Europa. Das ist keine simple Behauptung, sondern das Resultat einer Analyse des Health Consumer Powerhouse, eines spezialisierten Unternehmens für Ländervergleiche. Doch die Sache hat einen Haken: Die Kosten wurden nicht berücksichtigt. Aber genau hier liegt eine Schwäche des Schweizer Systems: In einer Wahlumfrage wurden die Gesundheitskosten nämlich jüngst als drängendstes Problem identifiziert. Wieso steigen sie so unerbittlich, und können wir überhaupt etwas dagegen tun?

Eine Erklärung für die hohen Gesundheitskosten bietet das europäische Ranking gleich selbst: Die Schweiz ist spitze beim Zugang zu Gesundheitsleistungen. Dafür braucht es genügend grosse Kapazitäten, sprich Spitalbetten und Arztpraxen. Genau das aber kostet sehr viel Geld. Der Krankenversicherungsverband santésuisse hat vorgerechnet, dass jede zusätzliche Arztpraxis die Prämien über eine halbe Million Franken belastet. Die Spitalinfrastruktur ist noch teurer: 44 Prozent der Krankenversicherungskosten fallen in den Spitälern an. Ein guter Zugang ist teuer. Wer die Kosten senken will, der nimmt längere Wartezeiten in Kauf.

Die Schweiz ist ein wohlhabendes Land mit hohen Löhnen. Der Zusammenhang zwischen Wohlstand und Ausgaben im Gesundheitswesen ist mehrfach belegt. Wenn die Menschen gesättigt sind mit Essen, Kleidern, Wohnen und anderen Gütern, dann fehlt ihnen meist nur noch eine gute Gesundheit. «Ich wünsche mir nichts als gute Gesundheit», ist der Spruch aller über 50-Jährigen an ihrem Geburtstag. Nur: In die Gesundheit kann man unendlich viel investieren, ohne gesättigt zu werden. Grund dafür ist der Sisyphuseffekt. Weil wir ohnehin sterben müssen, gewährt uns jede Therapie im besten Fall einen Aufschub. Mit dem Alter kommen neue Gebrechen hinzu, die wieder behandelt werden müssen. Wenn ein Krebskranker geheilt wird, hat er vielleicht später einen Herzinfarkt. Diesen behandelt man nur, weil die Krebstherapie erfolgreich war. Jeder Behandlungserfolg hat somit künftige Kosten zur Folge. Ein funktionierendes Gesundheitswesen kann also durchaus steigende Kosten aufweisen. Diese müssen nicht ein Indikator für Fehlbehandlungen sein.

Auch die hohen Schweizer Löhne wirken sich stark aufs Gesundheitswesen aus. Man spricht von der sogenannten «Baumolschen Kostenkrankheit». Personalintensive Dienstleistungen werden teurer im Vergleich zu materiellen Gütern. Grund dafür ist die steigende Arbeitsproduktivität in Sektoren, in denen menschliche Arbeit durch Maschinen ersetzt werden kann. In diesen Sektoren steigen deshalb die Löhne und heben das allgemeine Lohnniveau auch in personalintensiven Branchen. Gesundheitsleistungen sind schlecht automatisierbar. Lohnsteigerungen wirken sich also besonders stark aus. Gut ein Drittel der Kostenentwicklung kann auf diesen Effekt zurückgeführt werden.

Je höher der Wohlstand und je höher die Löhne, desto höher sind also auch die Gesundheitskosten. Daher kann man die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen auch nicht stoppen, ohne Abstriche beim Lebensstandard zu machen. Der Fokus der Gesundheitspolitik muss daher darauf gerichtet sein, ein gutes Kosten-Leistungs-Verhältnis zu erreichen. Das Thema der Kosten wird uns noch lange erhalten bleiben.

Übrigens: Schon 1992 gab es eine Volksinitiative «Für eine finanziell tragbare Krankenversicherung (Krankenkasseninitiative)». Sie wurde mit 60,7 Prozent der Stimmen abgelehnt.