Wirtschaftspolitik: Schaffen wir die Wende?

Die Wirtschaftspolitik sollte es so machen wie die Unternehmen: Erst die Hausaufgaben lösen, dann die Vorteile geniessen. Welche Hausaufgaben das sind, erklärt unser Chefökonom Rudolf Minsch in der Handelszeitung vom 18. Januar 2018.

Die Schweizer Wirtschaft startet optimistisch ins neue Jahr. Die Auftragslage ist gut und die Nachfrage entwickelt sich positiv. Natürlich trägt auch der etwas schwächere Franken zur guten Stimmung bei. Davon profitieren Branchen wie Tourismus oder Exportindustrie. Doch viel bedeutender als der Wechselkurs ist die Erholung der internationalen Märkte, allen voran die erfreuliche Entwicklung in Europa: Unsere Nachbarländer Frankreich und Italien wachsen wieder, Deutschland boomt und auch im Norden sind die Aussichten rosig. Während die steigende internationale Nachfrage die treibende Kraft hinter dem Wachstum der Schweizer Exporte ist, sorgt die Währungssituation für steigende Margen, die es den Unternehmen ermöglichen, wieder verstärkt in den Standort Schweiz zu investieren. Offensichtlich machen sich die grossen Anstrengungen der Unternehmen nach dem Frankenschock bezahlt. Die Unternehmen profitieren nun, weil sie ihre Hausaufgaben rechtzeitig gemacht haben.

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Das kann man von der Wirtschaftspolitik leider nicht behaupten. Weder ist die Schieflage bei der Altersvorsorge nachhaltig korrigiert, noch sind die Unternehmenssteuern international akzeptiert. Und die Europafrage bleibt offen. Während Letztere nicht im Alleingang gelöst werden kann, sind bei den anderen Baustellen der Wirtschaftspolitik alleine wir verantwortlich. Warum kommen wir in der Wirtschaftspolitik kaum voran?

Wir treten an Ort, weil uns der Kompass abhandengekommen ist

Der wesentliche Grund für das Treten an Ort liegt meines Erachtens darin, dass der Schweizer Wirtschaftspolitik der Kompass abhandengekommen ist. Natürlich hatten auch frühere Generationen unterschiedliche Interessen. Doch es bestand aus meiner – vielleicht etwas nostalgisch gefärbten – Sicht ein parteiübergreifender Konsens darüber, dass gut für die Schweiz ist, was gut für die Wirtschaft ist. Die Parteien haben sich oft zu einem Kompromiss durchgerungen, der zwar nicht perfekt war, aber doch die Interessen der Wirtschaft weitgehend unterstützte. Diese pragmatische Sichtweise brachte uns Wohlstand, weil sie gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und ein hohes Mass an politischer Verlässlichkeit förderte. Kurz: Sie schuf gute Bedingungen, damit Unternehmen in der Schweiz investieren.

Das provokative Politmarketing der Parteien macht es komplizierter

Wohin steuert die Wirtschaftspolitik heute? Die Präferenzen sind unterschiedlich: Manche wollen eine stärkere Abschottung unseres Landes, andere wünschen sich die Schweiz weltoffener, wieder andere grüner oder etatistischer. Es ist komplizierter geworden. Das provokative Politmarketing der Parteien hemmt deren Bereitschaft, tragfähige Kompromisse zu schmieden. Einige schrecken auch nicht davor zurück, ihren permanenten Wahlkampf mit wirtschaftsfeindlichen Initiativen zu betreiben. Aktuelle Beispiele dafür gibt es von links und rechts: Selbstbestimmungs-, Fairfood- oder Unternehmensverantwortungsinitiative. Für die eigene Profilierung werden wirtschaftliche Kollateralschäden bewusst in Kauf genommen, die parteipolitische Positionierung wird zum höchsten Gut.

Die Schweizer Unternehmen haben ihre Hausaufgaben gemacht. Das kann man von der Wirtschaftspolitik nicht behaupten.

Gefragt ist aber eine umsichtige und verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik, die dem Standort Schweiz Sorge trägt. So muss sich der Gesetzgeber nun rasch zu einer tragfähigen Kompromisslösung bei der Unternehmensbesteuerung durchringen, die Altersvorsorge nachhaltig sichern und mit Augenmass vernünftige Lösungen in der Klimapolitik aufgleisen. Die Wirtschaftspolitik sollte es so machen wie die Unternehmen: Erst die Hausaufgaben lösen, dann die Vorteile geniessen.