# 17 / 2019
09.12.2019

Initiative «für mehr bezahlbare Wohnungen»: unnötig und kontraproduktiv

Mehr Bürokratie anstatt bezahlbare Wohnungen

Wohnraumversorgung ist keine Staatsaufgabe

Aus Sicht von economiesuisse zielt die Initiative in die falsche Richtung. Sie stellt einen massiven Eingriff des Staats in den Immobilienmarkt dar. Die Wohnraumversorgung sollte primär durch die Privatwirtschaft über marktwirtschaftliche Kriterien erfolgen, während die öffentliche Hand über gute Rahmenbedingungen sicherstellt, dass sich das Wohnangebot ausreichend schnell anpassen kann.

Eine Quote zugunsten des gemeinnützigen Wohnungsbaus würde den Immobilienmarkt erheblich verzerren. Dies aus zwei Gründen: Erstens befürchtet der Bundesrat zu Recht, dass nicht genügend Bauträger zu finden wären und der Bund, Kantone und Gemeinden gezwungen wären, selbst gemeinnützige Wohnungen zu erstellen. Eine solche Konkurrenzierung von privaten Investoren durch die öffentliche Hand ist abzulehnen. Zweitens würde die öffentliche Hand durch das Vorkaufsrecht gegenüber den anderen Marktteilnehmern ungebührlich bevorteilt. Diese marktverzerrenden Effekte der Initiative sind nicht zuletzt deshalb schädlich, weil sie private Investitionen verdrängen.

Teure Umsetzung

Der Bundesrat schätzt, dass die Initiative zu einer Verdreifachung des gemeinnützigen Wohnungsbaus führen würde. Dies würde den Einsatz umfangreicher zusätzlicher Finanzmittel von Bund und Kantonen erfordern. Schätzungen des Bundes gehen davon aus, dass der Bund pro Jahr rund 120 Millionen Franken zusätzlich zur Unterstützung des gemeinnützigen Wohnungsbaus ausgeben müsste. Zudem würde der Verwaltungsaufwand steigen, da die Umsetzung der Quote auf kantonaler und kommunaler Ebene kontrolliert werden müsste. Schliesslich müsste der Staat mit eigenem Geld Wohnungen bauen, falls nicht genügend investitionswillige Bauherrschaften vorhanden wären.

Kein Eingriff in die Vertragsfreiheit

Der Staat greift mit dem Vorkaufsrecht in die Vertragsfreiheit ein. Bisher können private Besitzer selbst bestimmen, wem sie ihr Bauland oder ihre Immobilie verkaufen wollen. In Zukunft würde die neue Verfassungsbestimmung die freie Vertragspartnerwahl erheblich einschränken. Ausserdem ist das Vorkaufsrecht der Rechtssicherheit abträglich. Die Privaten müssten jederzeit damit rechnen, dass Kantone und Gemeinden die Übertragung einer Liegenschaft verhindern.

Kein Eingriff in die kantonale Aufgabenhoheit

Die Förderung von gemeinnützigem Wohnen ist keine Bundesaufgabe, sondern Sache der Kantone und Gemeinden. Auf eine sinnvolle soziale Durchmischung in einzelnen Regionen oder Quartieren zu achten, ist eine Aufgabe, die auf kantonaler und kommunaler Ebene gelöst werden soll. Dass die Schweiz diesbezüglich im Vergleich mit umliegenden Ländern deutlich weniger Probleme hat, zeigt, dass das heutige System funktioniert. Die Wohnsituation der wirtschaftlich und sozial schwächeren Haushalte können die Kantone und Gemeinden am besten beeinflussen. Sie kennen die lokalen Verhältnisse aus erster Hand und verfügen über das notwendige Wissen und die Mittel, um den Betroffenen zu helfen.

Die Bundesverfassung sieht vor, dass der Bund nur jene Aufgaben übernimmt, welche die Kraft der Kantone übersteigen oder einer einheitlichen Regelung durch den Bund bedürfen. Beides ist hier nicht der Fall. Eine weitere Verlagerung der Förderung von gemeinnützigem Wohnen auf die nationale Ebene ist weder notwendig noch zweckmässig und deshalb abzulehnen.

Entspannung auf dem Wohnungsmarkt

In den letzten Jahren hat sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt deutlich entspannt. Es stehen mehr Wohnungen zur Verfügung und die Angebotsmieten sind seit 2015 um 5,8 Prozent gesunken. Die Immobilienberater von Wüest und Partner gehen davon aus, dass die Mieten auch 2020 weiter zurückgehen werden. Denn der Leerwohnungsbestand ist so hoch wie noch nie in den letzten 20 Jahren. Am 1. Juni 2019 standen gemäss Bundesamt für Statistik in der Schweiz 75’323 Wohnungen leer (bzw. 1,66 Prozent aller Wohnungen in der Schweiz). Dies ist der höchste Wert seit 1999, und er dürfte aufgrund der regen Bautätigkeit noch weiter ansteigen. Ebenso haben die Insertionszeiten von Mietwohnungen auf Internetplattformen zugenommen. Lagen sie 2009 im Schnitt bei 27 Tagen, so sind es heute 41 Tage. Dies zeigt, dass es heute schwieriger ist, eine Wohnung zu vermieten. Ein weiteres Anzeichen für die Entspannung ist, dass einige Vermieter bereits mit Gratismonaten oder anderen Zusatzangeboten Mieter anzulocken versuchen. Einzig in gewissen städtischen Grosszentren wie Basel, Genf oder Zürich ist der Leerwohnungsbestand deutlich tiefer. Es gilt aber zu beachten, dass Wohnungen, die ohne Unterbruch weitervermietet werden, nicht in der Leerwohnungsstatistik auftauchen. So sind allein innerhalb der Stadt Zürich im vergangenen Jahr rund 47’000 Haushalte umgezogen; das entspricht etwas mehr als jedem fünften Haushalt. Es gab also deutlich mehr verfügbare Wohnungen für Umzugswillige, als dies die Statistik vermuten lässt.

Trotzdem ist unbestritten, dass in diesen Städten das Angebot an Wohnungen mit der Nachfrage nicht Schritt halten kann. Es liegt im Trend, in Städten zu wohnen. Deshalb wäre es wichtig, dass vor allem dort mehr Wohnraum gebaut werden kann. Die Bautätigkeit kann aber insbesondere wegen regulatorischer Hindernisse mit der Nachfrage nicht mithalten. Wenn diese Hindernisse mit der Annahme der Initiative noch zusätzlich erhöht würden, würde das Missverhältnis zwischen Nachfrage und Angebot noch grösser. Die effektivste Massnahme, um das Wohnungsangebot zu erhöhen und die Wohnungspreise für alle zu senken, wäre der Abbau von regulatorischen Hürden, damit private Bauherrschaften mehr Wohnungen erstellen können.

Starre Quote löst lokale Probleme nicht

Die Einführung einer starren Quote von zehn Prozent aller Neubauten würde dazu führen, dass gemeinnützige Wohnungen am falschen Ort erstellt würden. Die in den städtischen Grosszentren bestehende Knappheit des Wohnangebots würde hingegen nicht gelöst. Eine Quotenregelung bedeutete, dass der Bund die Vorgaben auf die Kantone und die Kantone die Vorgaben wiederum auf Gemeinden, Städte und Regionen verteilen müssten. Es drohten Vorgaben, die dem tatsächlichen lokalen Bedarf widersprächen, da es für den Bund schwierig ist, diesen in allen Regionen vorherzusagen. Diese Form von Planwirtschaft widerspricht der liberalen Schweizer Wirtschaftsordnung, war in der Wirtschaftsgeschichte sehr selten erfolgreich, und der sozialpolitisch erwünschte Effekt würde erst noch mehrheitlich ausbleiben. Denn bereits heute kommt ein grosser Anteil der gemeinnützigen Wohnungen nicht denjenigen Bevölkerungsgruppen zugute, die eine vergünstigte Wohnung am nötigsten hätten. Dies zeigt eine Studie des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO).

Hinzu kommt, dass die grossen Schweizer Städte bereits eine eigenständige Wohnungspolitik betreiben, um preisgünstige Wohnungen zur Verfügung zu stellen. In Zürich sind bereits 27 Prozent der Wohnungen im Besitz gemeinnütziger Wohnbauträger, und gemäss dem Willen der Stadtbevölkerung soll diese Quote bis zum Jahr 2050 auf 33,3 Prozent angehoben werden. – Eine nationale Quote von zehn Prozent wäre hier also längst übererfüllt. Dort, wo es am ehesten nötig wäre, würde die Initiative also gar nichts bringen, falls eine national starre Quote verfügt würde. Alternativ könnten die Quoten regional und über die Zeit variieren. In diesem Fall müssten unter der Ägide des Bundes regional spezifische Quoten ausgehandelt werden. Dies wäre ein schwieriges, langwieriges Verfahren, das viele Fragen offenlässt. Wie müsste der Bund zum Beispiel reagieren, wenn er feststellt, dass die nationale Quote nicht eingehalten wird, weil einige Regionen oder Kantone ihre Vorgaben nicht umsetzen? Müsste der Bund dann alle privaten Bauvorhaben in allen Kantonen stoppen, damit die Quote eingehalten werden kann? Zudem müssten die Quoten regelmässig an die sich ändernden Situationen auf den regionalen Wohnungsmärkten angepasst werden. Nach welchen Kriterien müsste dies erfolgen? Solche Unsicherheiten sind Gift für das rasche Bauen von benötigtem Wohnraum in Zentren.

Genf ist ein Beispiel, das zeigt, dass eine Überregulierung des Wohnungsmarkts schädlich ist. Der Leerwohnungsbestand ist mit 0,54 Prozent der tiefste der Schweiz. Die Rhonestadt hat wohl das dichteste Regelwerk in Bezug auf den Wohnungsmarkt. In Genf gibt es unter anderem sogenannte «Zones de développement», in denen der Staat die Preise festlegt und kontrolliert. Es gilt ein Vorkaufsrecht für die öffentliche Hand, und Genf möchte Mieterinnen und Mieter davor schützen, nach Renovationsarbeiten mit Mietzinserhöhungen konfrontiert zu werden. Zudem gibt der Kanton Genf jährlich über 90 Millionen Franken in diesem Bereich aus. Das Resultat ist ernüchternd: Die Vielzahl von Regulierungen verhindert Neubauten und Renovationen, und sie führt dazu, dass es zu wenig Wohnraum gibt. Neuzuzüger in der boomenden Region haben grosse Probleme, eine Wohnung zu einem vertretbaren Preis zu finden.

Wohnkosten sind im grössten Teil der Schweiz für die Mehrheit der Bevölkerung kein Problem

Die Schweizer Bevölkerung hat grossmehrheitlich keine Probleme, ihre Wohnkosten zu tragen. Die durchschnittliche Monatsmiete beträgt gemäss dem Bundesamt für Statistik 1329 Franken, eine 4-Zimmer-Wohnung wird im Schnitt für 1519 Franken vermietet. Im Durchschnitt betragen die Wohnkosten in der Schweiz knapp 15 Prozent des Bruttohaushaltseinkommens. Bei den Mietern beträgt dieser Anteil gemäss ASLOCA 18 Prozent. Der Anteil der Wohnkosten ist zudem seit 1950 gesunken. Die Ausnahme sind die Haushalte mit tiefen Einkommen. Bei den 20 Prozent der Haushalte, die am wenigsten verdienen, liegt der Wohnkostenanteil mit 31 Prozent an oder über der Grenze des Tragbaren. Sinnvoller als die Unterstützung des gemeinnützigen Wohnungsbaus wäre deshalb eine zielgerichtete Unterstützung nottragender Personen (vgl. Box).

Subjektförderung statt Objektförderung

Eigentlich wäre eine direkte finanzielle Unterstützung von Haushalten mit tiefem Einkommen, die sich keine Wohnung leisten können, effizienter und gerechter. Es liesse sich damit genauer steuern, dass nur die richtigen Haushalte Wohngelder erhalten. Damit könnte der Missstand behoben werden, dass heute viele nicht Bedürftige in subventionierten Wohnungen wohnen. Eine Studie des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO) von 2017 zeigt nämlich, dass in den gemeinnützigen Wohnliegenschaften der Schweiz 68 Prozent der Bewohner über ein mittleres oder hohes Einkommen verfügen und somit eigentlich keine Berechtigung haben, staatlich gefördert zu wohnen.

Die Subjektförderung wäre nicht nur zielgenauer, sondern auch kostengünstiger. Eine Masterarbeit am Center for Urban Real Estate Management (Curem) der Universität Zürich zeigt dies am Beispiel der Siedlung Hornbach in Zürich. Dank der Unterstützung der Stadt für die Siedlung können dort 400 Bewohner vergünstigt wohnen. Mit dem gleichen Geld könnten aber 900 Stadtbewohner unterstützt werden, indem die Stadt die Hälfte ihrer Miete, die sie auf dem Markt zahlen, übernehmen würde. Wenn man diese Rechnungen auf alle gemeinnützigen Liegenschaften, die von der Stadt Zürich Vergünstigungen (z. B. nicht marktgerechte Landpreise oder Baurechtszinsen) erhalten, ausdehnt, dann könnten alle momentanen Bewohner unterstützt werden, und es würden am Schluss immer noch 63 Millionen Franken pro Jahr übrig bleiben, mit denen für weitere Haushalte die Mieten vergünstigt werden könnten.

 

Wohnungsbau würde verlangsamt und Mieten würden verteuert

Es ist nicht klar, wie die Initiative konkret umgesetzt werden soll. Wie kann jedes Jahr eine Quote von zehn Prozent eingehalten werden? Es ist davon auszugehen, dass der Bund diese Vorgabe den Kantonen aufbürden würde und diese danach sicherstellen müssten, dass zehn Prozent der Neubauten gemeinnützig sind. Dabei ist aber nicht sicher, ob es ausreichend gemeinnützige Bauträger gäbe, die Projekte einreichten. Wenn nicht genügend gemeinnützige Wohnungen erstellt werden, aber private Investoren gerne mehr bauen würden, dann wäre zu befürchten, dass Baubeschränkungen für «normale» Wohnungen erlassen würden, um die Quote zu erreichen. Dies hätte zur Folge, dass weniger Wohnungen erstellt würden als heute. Dadurch würde das Angebot knapper und die Mieten würden steigen, was kaum im Interesse der Mieter sein kann.

Die Initiative würde den Wohnungsbau ganz allgemein verlangsamen. Einerseits würden Baubewilligungen komplizierter und länger dauern, da sich die Behörden bei jedem Baugesuch versichern müssten, dass im Moment der Bewilligung die Quote erfüllt ist. Andererseits dürfte das Vorkaufsrecht den Prozess massiv verlangsamen. Bauherrschaften müssten jeweils zuerst abwarten, ob der Staat nicht davon Gebrauch machen möchte. Dies dürfte zu mehreren Monaten Verzögerung führen, da zum Beispiel die Gemeindeversammlung über einen allfälligen Kauf entscheiden müsste.

Von günstigen, subventionierten Wohnungen profitieren nur wenige. Wenn die Idee des gemeinnützigen Wohnungsbaus ernst genommen würde, müssten bei einem zehnprozentigen Anteil des gemeinnützigen Wohnungsbaus auch die ärmsten zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung oder die ärmsten zehn Prozent einer spezifischen Region in den Genuss einer gemeinnützigen Wohnung kommen. Alle anderen hätten unter höheren Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt zu leiden.