# 11 / 2019
11.06.2019

Grosse Dynamik im Jobmarkt: Jede zehnte Stelle verschwindet – und noch mehr kommen dazu

Einseitiger medialer Fokus auf Stellenabbau

Erwerbslosenquote wird deutlich überschätzt

Wie eine Umfrage des European Social Survey aufzeigt, wird die Erwerbslosigkeitsquote in der Schweiz deutlich überschätzt. Sie lag im Jahr 2016 bei 5,1 Prozentpunkten. Geschätzt wurde sie aber von den Umfrageteilnehmerinnen und Umfrageteilnehmern auf 11,3 Prozent. Somit liegt die wahrgenommene Arbeitslosigkeit in der Schweiz doppelt so hoch, als dass sie tatsächlich ist.

Abbildung 4

Im vorangehenden Abschnitt wurde aufgezeigt, dass die Arbeitsmarktzahlen keinen Hinweis auf eine breitflächige Verdrängung von Arbeit liefern. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wieso die Angst vor der Arbeitslosigkeit ein derart dominantes Thema ist bzw. weshalb sie von der Bevölkerung so deutlich überschätzt und wahrgenommen wird.

Eine mögliche Erklärung ist die Konfrontation mit der Erwerbslosigkeit, sei dies persönlich oder durch jemanden im näheren Umfeld. Die Erwerbslosigkeit trifft in der Schweiz vergleichsweise wenige Personen, doch für jeden Einzelnen kann die Betroffenheit finanziell gravierend sein und zu einer überproportionalen Wahrnehmung von Arbeitslosigkeit und Angst führen. Eine weitere Erklärung liefert die Dominanz dieser Thematik im öffentlichen Diskurs. Medien, Politiker und Wissenschaftler beschäftigen sich vermehrt mit dem Thema Arbeitslosigkeit, insbesondere im Kontext des technologischen Fortschritts und spezifisch im Zusammenhang mit der Digitalisierung.

Grossflächige Entlassungen verfälschen das Gesamtbild

Wir möchten uns an dieser Stelle insbesondere mit letzterer Erklärung auseinandersetzen und die Berichterstattung in den Medien etwas genauer unter die Lupe nehmen. Dazu analysieren wir die Ausgaben von fünf Deutschschweizer Tageszeitungen: «Neue Zürcher Zeitung», «Tages-Anzeiger», «Aargauer Zeitung», «Blick» und «20 Minuten». Dabei untersuchen wir, wie häufig die genannten Medien über abgebaute und aufgebaute Stellen berichteten.

Die Analyse bringt zutage, dass im Jahr 2016 397 Berichte erschienen sind, die von abgebauten oder aufgebauten Stellen handelten. 296 davon berichteten von einem Stellenabbau, während lediglich 101 Artikel zu aufgebauten Stellen publiziert wurden. Es wurde also dreimal so häufig über Stellenabbau berichtet wie über Stellenaufbau. Interessant ist das Ergebnis, wenn man sich vergegenwärtigt, dass im Untersuchungszeitraum auf dem Schweizer Arbeitsmarkt rund 40'000 Stellen mehr entstanden als zerstört wurden.

Es wurde aber nicht nur viel häufiger über Stellenabbau berichtet, sondern auch viel prominenter. Von den 296 Publikationen zum Stellenabbau waren 127 grössere Berichte, das entspricht 43 Prozent. Bei den Meldungen zu aufgebauten Stellen schafften es hingegen nur 19 Prozent prominent in die Medien. Ein weiterer Untersuchungsgegenstand war die Häufigkeit, mit der es ein Abbau oder Aufbau in die Zeitungen schaffte. Hier stellen wir fest, dass ein Stellenabbau im Schnitt viel häufiger von diversen Medien gleichzeitig aufgenommen oder auch über mehrere Tage in derselben Zeitung thematisiert wurde. Mit Abstand Rekordhalter in dieser Kategorie ist der Abbau von 1300 Stellen bei Alstom, der im Januar 2016 angekündigt wurde. In Form von diversen Berichten fand sich dieser Abbau ganze 25 Mal in den untersuchten Medien.

Tabelle 1

Was lässt sich aus dieser Medienanalyse schlussfolgern? Obwohl im Untersuchungszeitraum auf dem Schweizer Arbeitsmarkt über 40’000 zusätzliche Stellen entstanden sind, berichteten die untersuchten Zeitungen dreimal so häufig über abgebaute Stellen. Berichte zum Stellenabbau waren fast zur Hälfte prominent und fanden ihren Weg häufig gleichzeitig und mehrmals in diverse Zeitungen. Sind also die Medien an der Verbreitung der Angst vor Arbeitslosigkeit schuld? Es wäre falsch, ihnen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Ein wichtiger Grund, weshalb Medien viel häufiger über Stellenabbau berichten, liegt auf der Hand: Stellen werden vielfach in grossem Umfang abgebaut, wenn es zu einer Firmenschliessung oder einer Restrukturierung kommt. Stellenaufbau hingegen geschieht in den meisten Fällen nur schleichend und entgeht daher der öffentlichen Wahrnehmung. Nichtsdestotrotz spielen die Medien eine wichtige Rolle in der Wahrnehmung der Arbeitslosigkeit in der Schweizer Bevölkerung.