# 7 / 2018
02.05.2018

Nein zu Netzsperren und digitaler Abschottung

Bedenken aus rechtlicher Perspektive

Staatlicher Eingriff

Netzsperren sind aus juristischer Perspektive in vielen Fällen als unverhältnismässiger rechtsstaatlicher Eingriff zu klassifizieren, weil sie ungeeignet und unzumutbar sind. Folgende Punkte spielen in der Beurteilung eine Rolle:

  • die technischen Möglichkeiten und die damit verbundenen Umgehungsmöglichkeiten; - die indirekte Wirkung von Netzsperren auf Endnutzer und Internetanbieter statt auf die -verletzer (Webseiten-Betreiber);
  • die potenzielle Bedrohung oder teilweise Verletzung von bedeutend wichtigeren Rechtsgütern (Grundrechte);
  • der kaum rechtsstaatlich einwandfrei ausgestaltbare Rechtsschutz (rechtliches Gehör).

Gewisse Experten sehen in Netzsperren einen schweren Eingriff in die grundrechtlich geschützte freie Kommunikation. Folglich brauchen Netzsperren in jedem Fall eine gesetzliche Grundlage. Für eine entsprechende Regelung ist deshalb eine Grundlage im formellen Gesetz zwingend (Art. 36 Abs. 1 Bundesverfassung).

Grundrechte tangiert

Aufgrund des Overblocking-Risikos und der Zulässigkeit von beispielsweise Geldspiel auf ausländischen Plattformen müssen Netzsperren auch für diejenigen Betroffenen rechtfertigbar sein, die als rechtmässig handelnde Drittpersonen von der Sperre tangiert sind.

Je nachdem können die Informationsfreiheit, die Wirtschaftsfreiheit oder – soweit Netzsperren mit der Untersuchung von Datenpaketen verbunden sind – auch die persönliche Freiheit in verschiedener Intensität betroffen sein. Im Vordergrund steht dabei das Recht auf Privatsphäre und auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 BV).

Zu beachten sind zudem verschiedene Verfahrensgarantien, so die allgemeine Verfahrensgarantie einschliesslich des rechtlichen Gehörs (Art. 29 BV), die Möglichkeit der Anrufung einer richterlichen Behörde (Art. 29a BV) sowie minimale Standards eines gerichtlichen Verfahrens (Art. 30 BV): Namentlich beim Einsatz von Sperrlisten, die von den Internetanbietern umgesetzt werden müssen, steht die Wahrung des rechtlichen Gehörs zur Debatte. Denn die Eröffnung der Verfügung von Netzsperren erfolgt oft im Bundesblatt und nicht durch direkte Mitteilung an alle Betroffenen. Die Internetanbieter müssen demnach selbstständig die Sperrlisten überprüfen, auf welchen die zu sperrenden Webseiten aufgeführt sind. Werden solche Sperrlisten ohne Anhörung der Betreiber der zu sperrenden Webseiten erlassen, ist deren Anspruch auf rechtliches Gehör betroffen. Dasselbe gilt für diejenigen Rechteinhaber, die den Erlass einer Netzsperre nicht selbst verlangt haben.

Noch ungeklärt ist auch die Vereinbarkeit von schweizerischen Netzsperren für legale Angebote im Ausland unter dem Aspekt von internationalen Handelsabkommen.

Widersprüchliche Gesetzgebung

Eine besondere Problematik weisen Netzsperren auf, die grundsätzlich legales Verhalten von Endnutzern erschweren wollen. Steht das mit Netzsperren zu blockierende Verhalten nicht unter Strafe, so sind Sperren widersprüchlich. Ein an sich für die Bürger zulässiges Verhalten darf nicht unterbunden oder erschwert werden. Der Gesetzgeber darf nicht an der (rechtlichen) Zulässigkeit eines Verhaltens festhalten (so z.B. das Spielen von ausländischen Geldspielen im Internet) und gleichzeitig eine Regelung einführen, um den Zugriff auf solche Seiten im Internet (tatsächlich) zu verhindern. Eine geeignete Analogie wäre es, dass der Staat das Befahren einer Strasse nicht verbieten will, dafür aber aktiv darauf hinwirkt, dass die Strasse vereist oder Nägel auf der Strasse ausschüttet. Will sich der Gesetzgeber nicht dem Vorwurf des widersprüchlichen Verhaltens aussetzen, bleiben nur zwei Möglichkeiten: Er kann entweder an der heutigen Rechtslage festhalten und auf die Einführung von Netzsperren verzichten, oder er muss Farbe bekennen und mit der Einführung von Netzsperren auch gleichzeitig das Spielen auf ausländischen Geldspielplattformen verbieten. Ein Mittelweg zwischen diesen beiden Positionen ist in sich widersprüchlich. 

Freiwillige Zusammenarbeit als effizientes Instrument

Es gibt Bereiche des Alltags, in denen wir aus guten Gründen keine absolute Freiheit im Internet zulassen können. So z.B. wenn es um die Bekämpfung von Terrorismus oder der Kinderpornografie geht. Die Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (KOBIK) arbeitet beispielsweise eng mit den Internetanbietern zusammen. Seit 2007 besteht zwischen der KOBIK und den grössten Schweizer Internetanbietern ein Abkommen über die Blockade von Internetseiten mit verbotenen kinderpornografischen Inhalten. Die Sperre richtet sich dabei ausschliesslich gegen ausländische Internetseiten, die verbotene Pornografie mit Kindern gemäss Art. 197 Abs. 4 und 5 StGB zum Download anbieten. Die Internetanbieter blockieren aufgrund ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen und ethischen Grundsätzen den Zugang zu strafrelevanten Seiten und leiten den Benutzer auf eine «Stopp Seite» weiter. KOBIK erstellt und unterhält diesbezüglich eine laufend aktualisierte Liste, die zwischen 700 bis 1000 Webseiten enthält. Im Rahmen dieses Projekts arbeitet KOBIK eng mit Interpol zusammen. Die in der Schweiz erstellte Liste alimentiert zu einem grossen Teil die Interpol-«Worst of»-Liste von Webseiten, die kinderpornografische Inhalte anbieten. KOBIK sucht täglich proaktiv neue Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten und ergänzt laufend die Interpol-Liste, die in Zusammenarbeit mit mehreren Ländern unterhalten wird. Es ist fragwürdig, ob man mit der gesetzlichen Verankerung dieser Zusammenarbeit einen Mehrwert schaffen würde. Die Liste müsste – da sie dann eine staatliche Zwangsmassnahme auslösen würde – einer rechtsstaatlichen Kontrolle durch eine Behörde oder ein Gericht unterstehen. Es ist aber nicht im Interesse der Allgemeinheit, dass solche Listen der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.