Die Vollgeldinitiative erprobt Experimente auf dem Buckel der Bevölkerung

Die Vollgeld-Initiative bringt einen radikalen Umsturz des historisch gewachsenen Geldsystems, das in der modernen, international vernetzten Wirtschaft ein zentrales Nervensystem darstellt.

In der vergangenen Herbstsession begannen die parlamentarischen Beratungen zur Vollgeld-Initiative. Sie will die heutigen Kontokorrent-, Lohn- und Transaktionskonti (Sichtguthaben) verbieten. Stattdessen würden die Banken verpflichtet, für den Zahlungsverkehr ausschliesslich sogenannte Vollgeldkonten anzubieten. Im Gegensatz zu heute müssten die Finanzinstitute diese Gelder ausserhalb der Bilanz führen, analog einem Kundendepot, das Aktien oder andere Wertschriften enthält.

Die Initianten versprechen sich vom Vollgeld eine höhere Stabilität des Bankensektors, weil die Konten auch im Falle eines Bankenkonkurses sicher seien. Zusätzlich könne die SNB jedes Jahr zusätzliches Geld in Milliardenhöhe an die Bevölkerung und den Staat verteilen, da die «ungerechtfertigte Subventionierung der Banken» gestoppt und ihnen die Geldschöpfung verboten würde.

Wie bei Initiativen üblich, malen die Urheber die Zukunft nach einem Ja in den rosigsten Farben. Die für die Schweizer Volkswirtschaft potenziell desaströsen Auswirkungen werden konsequent ausgeblendet. Denn die Schweiz würde mit der Vollgeldinitiative völlig unbekanntes Terrain betreten. Kein Land hat Vollgeld in der vorgeschlagenen Form jemals ausprobiert, noch existierten ähnliche Geldsysteme. In einer Art Sandkastenspiel verändern die Initianten gedanklich einige Elemente des heutigen Geldsystems, buchen über Nacht Hunderte von Milliarden Franken um und zeigen scheinbar einfache Lösungen auf. Diese Sichtweise ist aber falsch. Die Konsequenzen der Vollgeldidee gehen weit über das Bankensystem hinaus.

SNB

Die Initiative bringt einen radikale Umsturz des historisch gewachsenen Geldsystems, welches in der modernen, international vernetzten Wirtschaft ein zentrales Nervensystem darstellt: die günstige und effiziente Allokation von Kapital. Banken transferieren Beträge, Risiken und Fristen und üben damit eine unverzichtbare Vermittlerfunktion aus zwischen denjenigen, die sparen und denjenigen, die investieren. Gerade für KMU und Hausbesitzer ist eine günstige und effiziente Kreditvergabe durch die Banken essenziell, um ihre Investitionen finanzieren zu können.

Im Vollgeldsystem aber könnten Banken aus eigener Kraft heraus nur noch so viel Kredit vergeben, wie sie auch an Sparguthaben in der Bilanz haben. Was theoretisch gut klingt, hat aber einen grossen Haken: Die Spargelder reichen schlicht nicht aus für die Kreditnachfrage. Darum ist vorgesehen, dass die Schweizerische Nationalbank Kredite an Banken zur Verfügung stellen soll.

Die SNB würde neu also die Kreditvergabe in der Schweiz zwischen Genf und Martina exakt steuern. Dies bringt zwei Probleme mit sich. Zum einen wäre die SNB damit überfordert, die Kreditvergabe in allen Landesteilen den Bedürfnissen der Wirtschaft und der Bevölkerung entsprechend korrekt zu ermitteln. Zum anderen würde der politische Druck auf die SNB steigen. Oder was würde passieren, wenn einige KMU keine Kredite mehr erhalten würden und den Betrieb einstellen müssten?

Damit die SNB die Kontrolle über das Preisniveau nicht verliert, müsste der Bund noch mehr in die Gewerbefreiheit eingreifen.

Die Befürworter der Vollgeldinitiative blenden auch die Reaktion der Marktteilnehmer komplett aus. Heute können Banken Sichtguthaben zinsbringend weiterverleihen, im Vollgeldsystem nicht. Die Finanzinstitute wären gezwungen, die Kosten für Kontoverwaltung und Zahlungsverkehr weiterzuverrechnen, beispielsweise durch Gebühren. Und wenn die Kunden heute zufrieden sind mit den Annehmlichkeiten der günstigen Sichtkonten: Warum sollten sie ähnliche Produkte nicht auch im Vollgeldsystem nachfragen?

Hier bieten sich ausländische Währungen, Anteile an Wertpapieren oder sich im Ausland befindende Frankenkonti an, mit deren Hilfe sich ein paralleler Zahlungsverkehr ausserhalb des Vollgeldsystems etablieren könnte. Damit die SNB die Kontrolle über das Preisniveau nicht verliert, müsste der Bund noch mehr in die Gewerbefreiheit eingreifen und solche Produkte verbieten. Solche Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit sieht der Initiativtext sogar explizit vor. Im Extremfall ginge dies soweit, dass der Bund den Zahlungsverkehr zwischen dem In- und Ausland einschränken müsste. Mit fatalen Folgen für die international stark vernetzte Schweizer Wirtschaft.

Die Initianten gehen mit missionarischem Eifer davon aus, dass das Vorbild Schweiz alle anderen Länder zu ähnlichen Schritten bewegen würde. Viel realistischer ist hingegen, dass die Schweiz fortan als Abschreckungsbeispiel dienen würde. Übrigens wurde die Schweiz von der internationalen Vollgeld-Bewegung deshalb als Versuchskaninchen auserkoren, weil nur hier das direktdemokratische Instrument der Initiative zur Verfügung steht. Ein derart folgenschweres volkswirtschaftliches Experiment auf dem Buckel der Schweizer Bevölkerung auszutragen ist aber mehr als fahrlässig.

Dieser Beitrag erschien am 24.11.2017 erstmals als Gastkommentar in der NZZ.