Der Wechselkurs bremst die Wirtschaft – «gefühlte Rezession» bei tiefem Wachstum

Nach der Aufgabe der Wechselkursuntergrenze durch die Schweizerische Nationalbank (SNB)hat der Wirtschaftsdachverband economiesuisse seine Konjunkturprognosen revidiert. DerEntscheid vom 15. Januar hinterlässt deutliche Bremsspuren. Die Unternehmen sind gezwungen, durch einen Mix von Massnahmen ihre Kosten zu senken, vor allem durch Produktivitätssteigerungen und Innovation. Allerdings dämpft die wachsende Weltwirtschaft den Wechselkursschock. Zudem weiten sich staatsnahe Sektoren wie das Gesundheitswesen weiter aus und die höhere Kaufkraft stützt den Konsum. Insgesamt geht economiesuisse von einer im Jahresdurchschnitt 2015 auf 3.7 Prozent steigenden Arbeitslosenquote aus. Das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) wächst um 0.6 Prozent bei einer deutlich negativen Inflationsrate von -0.8 Prozent.

Die SNB überraschte die Märkte, als sie am 15. Januar 2015 die sofortige Aufgabe der Wechselkursuntergrenze von 1.20 Franken zum Euro bekannt gab. Die rasche und anhaltende Aufwertung des Frankens zwingt nun viele Unternehmen zu erheblichen Kostensenkungsmassnahmen. Neben den Warenexporten haben sich auch die Dienstleistungsexporte relativ zur ausländischen Konkurrenz über Nacht stark verteuert. Insbesondere der Tourismus, aber auch der Finanzplatz kämpfen mit ihren hohen Kostenanteilen in Franken um die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Die Exporteure suchen unterschiedliche Möglichkeiten zur Kostenreduktion: Etwas im Gegensatz zur medial stark beachteten Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland, konzentriert sich das Gros der Firmen in erster Linie auf Kostensenkungsmassnahmen bzw. Produktivitätssteigerungen im Inland. Die Arbeitsabläufe werden optimiert, Vorleistungsverträge neu verhandelt und die Betriebsstrukturen angepasst. Die Massnahmen führen entweder zu einer Reduktion der Beschäftigung bei gleichem Output oder zu einem höheren Output pro Beschäftigtem. Da die internationale Nachfrage nach Schweizer Produkten und Dienstleistungen vorhanden ist, muss generell die Produktion nicht gedrosselt werden. 

Innovationsleistung entscheidend 

Erst in zweiter Linie werden Massnahmen wie Lohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerungen oder eben die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland ergriffen. Bei letzterer sind dies vor allem Tätigkeiten mit einer geringen Wertschöpfung, die ansonsten mit dem starken Franken durch Tätigkeiten mit einer hohen Wertschöpfung intern quersubventioniert werden müssten. Mit der Verlagerung von solchen Arbeitsplätzen sichern die Unternehmen entsprechend attraktive Jobs im Inland. Parallel zur Kostensenkungsinitiative reagieren die Unternehmen auf die Frankenstärke durch die Forcierung der Innovation, denn wer in einem Hochkostenumfeld überleben will, muss einzigartig, besser, verlässlicher oder schneller sein als die ausländischen Konkurrenten. 

Binnenwirtschaft schwächelt

Die Frankenstärke macht auch vor dem Binnenmarkt nicht halt. Erstens sind die Zulieferer der Exportindustrie zu Kostensenkungen gezwungen, um im Markt zu bleiben. Dies betrifft nicht nur Vorleistungsprodukte wie Komponenten, Halbfabrikate oder Energie, sondern auch Dienstleistungen wie Informatik, Reinigung oder Werbung. Zweitens hat die Bautätigkeit ihren Höhepunkt überschritten. Die konjunkturelle Abkühlung bremst den industriellen Bau, Wohneigentumsbauten stagnieren und lediglich das Negativzinsumfeld stützt den Bau von Mietwohnungen. Zudem wirkt sich die Zweitwohnungsinitiative negativ auf die Branche aus. Insgesamt ist mit einem leichten Rückgang der Bautätigkeit in der Schweiz (auf hohem Niveau) zur rechnen. Drittens ist der Handel gefordert, dass der Einkaufstourismus und Parallelimporte nicht zu stark zunehmen. Im Gegensatz zur raschen Aufwertung des Frankens im Jahr 2011 erfolgen die Preissenkungen 2015 sehr viel schneller, selbst wenn die Firmen eine erhebliche Abschreibung auf dem Lagerbestand verkraften müssen. Viertens wird es im Zuge der konjunkturellen Abschwächung zu einer Reduktion der Zuwanderung kommen, so dass von dieser Seite der Wachstumsimpuls der letzten Jahre ins Negative dreht. Schliesslich wird auch die Erhöhung der Arbeitslosenquote das Wirtschaftswachstum im Inland etwas schwächen. Trotzdem ist nicht mit einem Einbruch der Binnenwirtschaft zu rechnen. So führen die sinkenden Preisezu einer kräftigen Erhöhung der Kaufkraft der Konsumentinnen und Konsumenten. Dies stützt unter anderem die Versicherungsindustrie, das Ausbaugewerbe, aber auch den Detailhandel. Zudem wächst das Gesundheitswesen ungebremst und Beratungsdienstleistungen sind im schwierigen wirtschaftlichenUmfeld gefragt.

Negativzinsen belasten den Bankensektor

Vielschichtige Auswirkungen haben die von der SNB eingeführten Negativzinsen. Sie verstärken den Anlagenotstand und lassen die Vermögenserträge für Private, Unternehmen aber auch der Pensionskassen und Lebensversicherungen sinken. Aufgrund der höheren Absicherungskosten der Banken für langfristige Kredite sind die festverzinslichen Hypothekarzinsen zudem nicht gesunken, sondern sogar leicht angestiegen. Da die Hypothekarzinsen aber auf sehr tiefem Niveau verharren, sind die Auswirkungen auf Investitionen und Konsum beschränkt. Das eine oder andere Unternehmen wird davon Gebrauch machen, dass Anleihen nun sehr günstig platziert werden können. Insgesamt werden die konjunkturellen Auswirkungen im Nichtbankensektor beschränkt bleiben. Grösseren Einfluss werden die Negativzinsen auf die Banken haben, weil diese die Zinsmarge reduzieren und entsprechend die Wertschöpfung sinken lassen. Hinzu kommen die tieferen Erträge aus dem – vor allem in Fremdwährung erzielten – Vermögensverwaltungsgeschäft. Die Banken sind entsprechend gefordert und werden zusätzliche Kostensenkungsmassnahmen einleiten müssen. 

Konjunkturaussichten 2015 und 2016

Der starke Franken belastet die Schweizer Konjunktur 2015 erheblich. Die gesamte Wirtschaft muss sich an die neuen Gegebenheiten anpassen. Lohnkürzungen, Einstellungsstopp, Stellenabbau, Stellenverlagerung ins Ausland, Preiskonzessionen, Margenerosion und Neuinvestitionen im Ausland statt im Inland haben erstens zur Folge, dass in mehreren Branchen die Wertschöpfung in der Schweiz kurzfristig sinkt. Die hohe Zahl an Meldungen über Anpassungsmassnahmen vermittelt darüber hinaus den Eindruck, dass die Schweiz gesamthaft in einer Rezession steckt. Dies ist zumindest übers laufende Jahr hinweg nicht der Fall. Während die Entwicklung auf dem Bau und im Aussenhandel ins Negative dreht, stützen der private und der öffentliche Konsum, die von der Negativteuerung profitieren, die Konjunktur. Insgesamt nimmt die Wertschöpfung übers Jahr 2015 mit 0.6 Prozent doch leicht zu. Zweitens sinkt die Beschäftigung vor allem im zweiten Sektor, aber auch teilweise im dritten Sektor: Die Arbeitslosenquote steigt auf 3.7 Prozent im Jahresdurchschnitt. Unter der Voraussetzung einer weiteren Stabilisierung im Euro-Raum und einer leichten Abschwächung des Frankens wird ab der zweiten Jahreshälfte wieder optimistischer in die Zukunft geblickt, die Auftragseingänge werden steigen. Entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung ist aber, ob die Weltwirtschaft – insbesondere Europa – stabil wächst.

Konjunkturelle Risiken

Die Schweizer Wirtschaft hat ein herausforderndes Jahr 2015 vor sich. Zu den Abwärtsrisiken zählt erstens eine weitere Aufwertung des Frankens. Bei einem Paritätskurs potenzieren sich die negativen Auswirkungen einer starken Währung im Vergleich zu einem Kurs von 1.07. Ein solches Szenario könnte mit dem zweiten Abwärtsrisiko – ein wirtschaftlicher Abschwung in der Euro-Zone – einhergehen. Diese Kombination würde viele Unternehmen zu noch drastischeren Massnahmen zwingen, was eine Rezession in der Schweiz zur Folge hätte. Drittens wächst die Weltwirtschaft zwar mit einer Rate um die drei Prozent, von einer wirklich robusten Entwicklung kann jedoch nicht gesprochen werden. Die Volkswirtschaften China und USA expandieren zwar kräftig, aber Rückschläge sind leider nicht auszuschliessen. Allerdings könnte die wirtschaftliche Entwicklung auch besser verlaufen als angenommen. Erste positive Wachstumsanzeichen sind beispielsweise in Italien auszumachen. Auch der schwache Euro und die tiefen Erdölpreise stimulieren das Wachstum in der Euro-Zone. Findet die Euro-Zone schneller und kräftiger auf den Wachstumspfad zurück, wird die Konjunktur in der Schweiz deutlich besser sein als in den Prognosen formuliert.

Prognosen Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung

Veränderung gegenüber Vorjahr (%)

Prognosen Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
Veränderung gegenüber Vorjahr (%)
20112012201320142015P2016P
Bruttoinlandprodukt, real1.81.11.920.61.2
Privater Konsum0.82.82.211.21
Öffentlicher Konsum2.12.91.41.11.71.3
Bauinvestitionen2.52.91.20.9-0.80.4
Ausrüstungsinvestitionen5.32.121.8-12
Exporte (Total)13.52.603.9-0.52
Importe (Total)14.741.41.601.7
 
1Ohne nicht monetäres Gold und Wertsachen

Prognosen Preise und Arbeitsmarkt

 
Inflationsrate0.2-0.7-0.20.1-0.8-0.2
Arbeitslosenquote2.82.93.23.23.73.8

Exogene Annahmen*

20152016
Wechselkurs CHF/Euro1.071.1
Wechselkurs CHF/$0.971.02
Ölpreis in $6080
Wachstumsrate U.S.3.13
Wachstumsrate Euro-Zone1.31.7
Wachstumsrate China76.5
Kurzfristige Zinsen-0.8-0.25
Rendite Bundesobligationen-0.30.2
   
* Inputgrössen für die Schätzung der Konjunkturprognosen