# 1 / 2022
25.01.2022

Die Schweiz und das Vereinigte Königreich: gemeinsam fit für die Zukunft

Weitere Vertiefung der Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich gefordert

Wie bereits erwähnt, konfrontierte der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU sowohl die britische wie auch die Schweizer Wirtschaft mit einer Vielzahl von Herausforderungen. Nun gilt es, sich schwerpunktmässig auf eine weitere Vertiefung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu fokussieren. Konkrete Schritte in diese Richtung sind bereits erfolgt.

Bilaterales Finanzdienstleistungsabkommen mit Pioniercharakter

Die Schweiz und das Vereinigte Königreich zählen zu den stärksten Finanzplätzen und grössten Exporteuren von Finanzdienstleistungen weltweit (siehe nächste Grafik). Angesichts dieser Stärken und der Tatsache, dass insbesondere in diesem Sektor die bilaterale vertragliche Basis noch beträchtliche Lücken aufweist, hat sich die Finanz- und Assekuranzindustrie beider Länder schon seit Längerem für ein umfassendes Abkommen starkgemacht. Die diesbezüglichen Eckpunkte und Prioritäten haben economiesuisse und TheCityUK mit massgeblicher Unterstützung der relevanten Branchenverbände in einem umfassenden Positionspapier erarbeitet.

Die Schweiz und das Vereinigte Königreich verfügen über die stärksten Finanzplätze Europas und sind auch weltweit ganz vorne dabei. Ein bilaterales Finanzdienstleistungsabkommen wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit beider Länder weiter stärken.

Das Prinzip der einseitigen Äquivalenzanerkennung von Finanzdienstleistungen, wie es bisher von der EU angewandt wird, ist für die Schweiz und das Vereinigte Königreich nicht ausreichend. Dies aufgrund der vergleichbaren Ansätze zur Finanzmarktregulierung und ähnlicher allgemeiner Aufsichtsregelungen. Stattdessen sollte der gegenseitige Marktzugang ausgeweitet werden – insbesondere für Banking- und Investment-Dienstleistungen, Asset Management, Versicherungen und die Finanzmarktinfrastruktur. Das Schlüsselprinzip soll dabei die möglichst weitgehende gegenseitige Anerkennung der jeweiligen relevanten nationalen regulatorischen Vorgaben sein (mutual recognition). Zudem soll dies aus Sicht der Wirtschaft auf der Grundlage vergleichbarer Ergebnisse, anstatt identischer Regulierungen erfolgen. Ebenso zentral ist dabei eine vertiefte regulatorische Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden beider Länder. Zusätzlich sollten Themenbereiche wie etwa die Daten- und Cybersicherheit abgedeckt und auch die stärkere Kooperation mit Blick auf globale Regulierungsstandards und künftige Liberalisierungen im Finanzbereich angestrebt werden. Hierfür sind allenfalls separate Abkommen erforderlich.

Auf politischer Ebene haben die Finanzminister Ueli Maurer und Rishi Sunak am 30. Juni 2020 in einer gemeinsamen Erklärung ihre Absicht für eine Vertiefung der Finanzbeziehungen unterstrichen. Seit Anfang 2021 laufen nun intensive Verhandlungen unter engem Einbezug der relevanten Industriesektoren beider Länder. Die Aufgabenstellung ist komplex, Präzedenzfälle gibt es keine. In den letzten Monaten konnten jedoch bereits wichtige Grundsatzfragen geklärt werden. Anlässlich eines Treffens am 8. Dezember 2021 äusserten die beiden Finanzminister die Erwartung, dass die Verhandlungen bis Ende 2022 abgeschlossen werden könnten. Nun geht es darum, die sektorspezifischen Marktzugangsaspekte und die betroffenen Regulierungsbereiche zu konkretisieren. Parallel dazu werden auch die Assessments der Aufsichtsbehörden für die identifizierten Regelungsbereiche aufgegleist, welche als gleichwertig anerkannt werden sollen. Für die Wirtschaft ist wichtig, dass Verhandlungsdynamik, inhaltliches und zeitliches Ambitionsniveau sowie der enge Einbezug sämtlicher relevanter Sektoren bis zum Schluss aufrechterhalten werden.

Gelingt dies, würden die Schweiz und das Vereinigte Königreich das weltweit umfassendste Marktzugangsabkommen im Finanzbereich zweier souveräner Staaten vorlegen. Zusammen mit einer innenpolitisch zügigen Ratifikation wäre dies auch ein starkes Zeichen gegen internationale Fragmentierung und Marktabschottung.

Bilaterales Handelsabkommen ins 21. Jahrhundert hieven

Das Handelsabkommen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich sichert primär bisher Erreichtes. Es bedarf deshalb einer umfassenden Vertiefung. Hierfür sind inzwischen Gespräche auf politischer Ebene angelaufen. Die Schweizer Wirtschaft sieht diesbezüglich unter anderen folgende Handlungsfelder:

Das bilaterale Handelsabkommen sichert primär bisher Erreichtes. Seine umfassende Vertiefung und die stärkere Zusammenarbeit bei wichtigen Zukunftsthemen bringt nachhaltig Vorteile für beide Seiten.

Die aufgelisteten Bereiche können auch im Rahmen separater Vereinbarungen angegangen werden.

Wichtige Handelspartner in ausgewählten Bereichen einbeziehen

Auch mit einer umfassenden Vertiefung des Handelsabkommens zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich bleiben Probleme bestehen. Diese können nicht im Rahmen der bilateralen Beziehungen CH-UK gelöst werden, sondern nur unter Berücksichtigung aller betroffenen Parteien:

Im Warenhandel wäre im Bereich der Ursprungskumulation der Beitritt des Vereinigten Königreichs zur PEM-Konvention für die Schweiz von Nutzen. In Kombination mit einer Anpassung der Ursprungsregeln im HKA EU-UK könnten damit die noch bestehenden Kumulationslücken für Schweizer Unternehmen in Europa geschlossen werden. Darüber hinaus ist eine zumindest kontinentale Harmonisierung beim Datenschutz für grenzüberschreitende Wirtschaftsnetzwerke wichtig.

Ebenfalls begrüssenswert wäre ein Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Lugano-Übereinkommen. Das Abkommen zwischen der Schweiz, Norwegen, Island und der EU stellt sicher, dass Urteile in Zivil- und Handelssachen von Gerichten der unterzeichnenden Mitgliedstaaten gegenseitig anerkannt und vollstreckt werden können. Es erhöht damit die Rechtssicherheit für die Vertragspartner. Bis jetzt spricht sich die EU, ebenfalls Vertragspartnerin des Übereinkommens, gegen einen solchen Beitritt aus.

Kooperation bei Zukunftsthemen bilateral vertiefen

Die Schweiz und das Vereinigte Königreich gehören zu den innovativsten Volkswirtschaften, verfügen über die stärksten Finanz- und Forschungsplätze Europas und sind auch in der verarbeitenden Industrie in vielen Branchen führend. Es liegt deshalb auf der Hand, dass sich für zwei souveräne Staaten auch jenseits der klassischen Handelspolitik interessante Kooperationspotenziale ergeben.

Eine verstärkte bilaterale Kooperation zwischen britischen und Schweizer Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist dabei ebenso zu nennen, wie eine Reihe von Zukunftsthemen im Finanzbereich (z.B. Fintech, Sustainable Finance) oder der Digitalisierung (z.B. Künstliche Intelligenz, Blockchain). Auch bei der globalen Entwicklung von technischen Standards vermögen beide Länder wertvolle Impulse zu setzen. Im Rahmen ihrer Aktivitäten in internationalen Organisationen (u.a. WTO, OECD) besteht darüber hinaus ebenfalls die Chance, durch eine stärkere Koordination ihrer Aktivitäten gemeinsamen Anliegen noch besser Geltung zu verschaffen. Dies kann Handels-, Klima- und Nachhaltigkeitsfragen betreffen, aber auch weitere wirtschaftspolitische Themen von europäischer oder globaler Bedeutung.

Eine weitere Besonderheit der bilateralen Beziehungen CH-UK ist schliesslich die Tatsache, dass sich seit dem Brexit-Entscheid 2016 nicht nur der Austausch auf Regierungs- und Verwaltungsebene deutlich vertieft hat. Auch zwischen den Wirtschaftsakteuren beider Länder ist es auf verschiedenen Ebenen seither zu einer Vielzahl von Kontakten und Gesprächen gekommen. Diese Intensität ist auch im Vergleich zu anderen Wirtschaftspartnern der Schweiz ausserordentlich und hat das gegenseitige Verständnis und Vertrauen nachhaltig gestärkt.

Wirtschaft lanciert Bilateral Trade and Investment Council

Trotz des grossen Zukunftspotenzials in den bilateralen Beziehungen fehlt aktuell eine Plattform, welche den stetigen Austausch zwischen Politik und Privatwirtschaft beider Länder über alle relevanten Sektoren und Regierungsstellen hinweg ermöglicht. Deshalb lanciert economiesuisse 2022 zusammen mit dem britischen Wirtschaftsdachverband Confederation of British Industry (CBI) einen Handels- und Investitionsrat («Bilateral Trade and Investment Council»), der diese Lücke füllen soll. Ziel ist, hochrangige Regierungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsvertreter beider Länder regelmässig zusammenzubringen.

Dabei sollen unter Beteiligung der Mitgliedverbände und -unternehmen gemeinsam aktuelle Herausforderungen im bilateralen Handel diskutiert, Chancen bei der weiteren Vertiefung der Beziehungen identifiziert oder auch Kooperationspotenziale bei wirtschaftlichen und politischen Trends ausgelotet werden. Damit trägt der Schweizer und britische Privatsektor aktiv dazu bei, dass das aktuelle Momentum in den bilateralen Beziehungen für beide Seiten erfolgreich genutzt werden kann.