# 7 / 2016
14.07.2016

Erfolgsmodell Zahnmedizin braucht kein Obligatorium

Ungleichheit im Gesundheitsbereich

Je ärmer, desto ungesünder

Untersuchungen zur öffentlichen Gesundheit (Public Health) liefern stets die gleichen Resultate: Je weniger Einkommen, Vermögen und Bildung eine Person hat, desto kränker ist sie. Es existiert ein sogenannter sozialer Gradient. Die Kausalität ist gegenseitig: Kranke Personen können weniger Einkommen generieren und sind deshalb ärmer. Armut macht aber auch krank und ist assoziiert mit einem Verhalten, dass eher krank macht (vor allem schlechtere Ernährung und weniger Bewegung). Der soziale Gradient betrifft sowohl den allgemeinen Gesundheitszustand wie auch die Zahngesundheit. Eine amerikanische Studie hat den Zusammenhang zwischen der Gesundheit und dem sozialen Status von Erwachsenen analysiert. Als Datenquelle wurde eine grosse amerikanische Erhebung (NHANES III) benutzt. Dabei konnte sowohl für den allgemeinen als auch für den oralen Gesundheitszustand ein deutlicher sozialer Gradient ermittelt werden. Je geringer das Einkommen und die Bildung, desto schlechter ist nicht nur die persönlich empfundene, sondern auch die klinisch ermittelte Gesundheit. Zudem unterscheiden sich die sozialen Gradienten nicht: Einkommen und Bildung haben in gleichem Masse Einfluss auf beide Aspekte der Gesundheit.Interessant ist dieses Ergebnis, weil in den USA die zahnmedizinischen Leistungen viel schlechter vergütet werden als die humanmedizinischen. Medicare bezahlt gar nichts an die Zahnmedizin und Medicaid nur an Zahnarztbesuche der Kinder. Die Versicherungsdeckung variiert zudem von Staat zu Staat. Der soziale Gradient scheint somit unabhängig von der Versicherungsdeckung zu sein.

Sozialer Gradient trotz Sozialversicherung

Der innereuropäische Vergleich bestätigt diese Erkenntnis. In Deutschland ist der Zahnarztbesuch in der Sozialversicherung enthalten. Menschen mit tiefem Haushaltseinkommen werden also nicht wegen hoher Rechnungskosten abgeschreckt. Trotzdem beobachtet man auch hier einen starken sozialen Gradienten. Diverse Publikationen, z.B. Micheelis, Wolfgang: Zur Dynamik des sozialen Gradienten in der Mundgesundheit: Befunde aus 1997 und 2005. In: Prävention und Gesundheitsförderung, Vol. 4, Bd. 2/2009. S. 113-118. Eine Metaanalyse kommt zum selben Schluss. Als Verbesserung verlangt ein Experte die Genehmigung von fluoridiertem Speisesalz, eine bessere Aufklärung von Schwangeren, sowie ein Beginn der Kontrolluntersuchungen bereits im Säuglingsalter. Der gute finanzielle Zugang zu zahnärztlichen Leistungen in Deutschland vermag den sozialen Gradienten also nicht zu brechen. Es braucht andere Massnahmen.

Auch in der Schweiz lässt sich ein sozialer Gradient bei der Gesundheit der Bevölkerung beobachten.

In der Zahngesundheit wird er von Zitzmann et al. (2008) allerdings als eher schwach eingestuft.Die Autoren beobachteten zudem einen Rückgang der sozialen Ungleichheit bezüglich Zahngesundheit zwischen 1992 und 2002. In der Humangesundheit hingegen ist der soziale Gradient stärker ausgeprägt. Das Gesundheitsverhalten trägt rund ein Drittel zur Ungleichheit bei, und zwei Drittel rühren von materiellen oder strukturellen Eigenschaften her. Der Einfluss des Einkommens wird etwas höher geschätzt als jener der Bildung. An den unteren Rändern ist der Einfluss am grössten: ganz tiefe Einkommen und ganz tiefe Bildung können unterschiedliche Gesundheit also am besten erklären. Je weiter man in die Mitte der Einkommensverteilung geht, desto weniger Erklärungswert hat das Einkommen für die Unterschiede.

Grafik 5

In der Schweiz sind die sozial bedingten Unterschiede punkto Zahnhygiene vergleichsweise schwach ausgeprägt.

Differenz in der Häufigkeit des mehrmals täglichen Zähneputzens

HSBC

Zudem handelt es sich beim Zähneputzen um einen Inputfaktor. Bei Outputfaktoren, wie beispielsweise der DMFT-Index, wird leider nicht nach Wohlstandsniveau unterschieden. Deshalb lässt sich kein direkter internationaler Vergleich anstellen, wie stark der soziale Gradient ausgeprägt ist. Die Daten legen aber den Schluss nahe, dass der soziale Gradient in der Schweiz tief ist. Denn Input- und Outputfaktoren sind in der Zahngesundheit eng miteinander verknüpft, und beim Inputfaktor steht die Schweiz sehr gut da.

Drittes Zwischenfazit: Ungleichheit in Zahnmedizin nicht grösser

Gemäss Schweizer Studien ist der soziale Gradient in der Zahngesundheit tiefer als in der Humanmedizin. Analysen der Inputfaktoren (Zähneputzen) legen den Schluss nahe, dass auch im internationalen Vergleich der soziale Gradient in der Zahngesundheit bei uns tief ist. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in der Schweiz also vergleichsweise gering. Die Art der Finanzierung der zahnmedizinischen Leistungen spielt für den sozialen Gradienten offenbar kaum keine Rolle.