# 10 / 2016
08.10.2016

Unternehmensverantwortung: Lösungen statt Gerichtsprozesse

Tiefere juristische Analyse

Schwammige Basis

Die Initiative fordert, dass Unternehmen den Schutz «international anerkannter Menschenrechte» und «internationaler Umweltstandards» verbindlich in sämtliche Geschäftsabläufe einbauen. Im Bereich Menschenrechte gibt es eine Vielzahl an internationalen Standards und Vereinbarungen. Problematisch ist, dass diese – soweit sie sich überhaupt an Unternehmen richten – oft als Empfehlungen und somit nicht in einer juristischen Präzision formuliert sind. Im Bereich der Umweltstandards ist die juristische Unschärfe noch fundamentaler. Es ist nicht definiert, welche internationalen Standards mit der Initiative überhaupt gemeint sind.

Die Initiative verlangt im Weiteren, dass die Sorgfaltsprüfungspflicht auch für «durch sie kontrollierte Unternehmen» im In- und Ausland gilt. Wie weit eine solche Kontrolle beziehungsweise die Sorgfaltspflichten gehen, ist juristisch völlig unklar, auch aufgrund unterschiedlicher Formulierungen im Initiativtext. Faktisch führt diese Regelung zu einer automatischen Haftung der Muttergesellschaft für Vorfälle innerhalb der Lieferantenkette. Höchst problematisch ist, dass die Sorgfaltspflichten über die von der Muttergesellschaft kontrollierten Unternehmen hinaus bis zu ihr allenfalls sogar unbekannten Unterlieferanten reichen.

Die grosse Augenwischerei: Das Unternehmen haftet faktisch immer und für alles.

Extreme Haftung ohne Verschulden

Die Initiative fordert eine automatische Haftung ohne Verschulden des Unternehmens und führt zu neuen Klagerechten. Unternehmen sollen für den Schaden haften, den ein von ihnen kontrolliertes Unternehmen im Ausland «in Ausübung der geschäftlichen Verrichtung» verursacht. Eine Entlastung ist aber faktisch unmöglich, da kein Unternehmen beweisen kann, dass auch weit entfernte Zulieferer alle relevanten Standards einhalten. Die Kontrolle der ganzen Lieferantenkette bis hin zum entlegenen Zulieferer eines Zulieferers kann nicht gewährleistet werden. Ein solcher Ausbau der Haftung hätte weitreichende Konsequenzen und kommt einem Paradigmenwechsel im Haftungsrecht gleich. Das bewährte Aktienrecht sowie die eingangs erläuterte Konzernhaftung würden ausgehebelt.

Die Forderungen der Initiative könnten derart ausgelegt werden, dass sogar die einzelnen Verwaltungsratsmitglieder der Muttergesellschaft zu persönlich haftbaren Garanten eines ganzen Unternehmens werden. Bei dieser Auslegung bestünde eine Haftung, wenn es ausserhalb des konzerneigenen und kontrollierbaren Bereichs zu Menschenrechts- oder Umweltverstössen kommt.

Die Unternehmen haften nur dann nicht, wenn sie beweisen, dass sie bei allen kontrollierten Unternehmen oder Lieferanten, mit denen sie sonst wie eine Geschäftsbeziehung haben, die folgenden Punkte berücksichtigt haben:

  • Die Unternehmen müssen die tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen der Handlungen des Unternehmens auf die international anerkannten Menschenrechte und die Umwelt ermitteln.     
  • Die Unternehmen müssen geeignete Massnahmen zur Verhütung von Verletzungen international anerkannter Menschenrechte und internationaler Umweltstandards ergreifen (egal, ob sie ihrem Lieferanten überhaupt entsprechende Vorgaben machen dürfen).     
  • Die Unternehmen müssen bestehende Verletzungen beenden und Rechenschaft über ergriffene Massnahmen ablegen (wiederum egal, ob sie ihrem Lieferanten überhaupt entsprechende Weisungen erteilen dürfen).

Dieser Beweis ist in der Praxis in Bezug auf ein nicht direkt kontrolliertes Unternehmen kaum zu erbringen. Es fehlt mangels Weisungsbefugnis schlichtweg an den Möglichkeiten, an die nötigen Informationen zu gelangen. Damit wird in Kauf genommen, dass sich diese Unklarheiten im Streitfall zulasten des Unternehmens und zugunsten eines Klägers auswirken. Die Muttergesellschaft in der Schweiz müsste für einen ihrer Lieferanten im Ausland, über den sie faktisch gar keinen Einfluss ausüben kann, einen Beweis über etwas erbringen, für was es gar keine verwertbaren Standards gibt. Dies bedeutet nichts anderes, als dass der Entlastungsbeweis scheitern muss und das Mutterunternehmen somit immer haftet, egal ob es Sorgfaltspflichten eingehalten hat oder nicht.

Rechtsimperialismus und Eingriff in die Souveränität anderer Länder

Die Initiative verlangt, dass Schweizer Unternehmen für alles, was irgendwo auf der Welt geschieht und entfernt Berührungen mit ihnen hat, in der Schweiz eingeklagt werden dürfen. Dies führt dazu, dass die Zuständigkeit der Gerichte im Ausland durch die Gerichte in der Schweiz infrage gestellt werden muss. Schadenersatzklagen werden demnach nicht mehr dort erhoben, wo der Schaden eintritt.

Damit werden internationale Entwicklungen, die genau ein solches Auseinanderdriften von Zuständigkeit und Schadensort verhindern wollen, unterlaufen. In vielen Ländern (unter anderem Spanien, Belgien und gar in den USA) wurden in den letzten Jahren die Zuständigkeiten der Gerichte für globale Sachverhalte eingeschränkt.

Auch politisch ist das Signal verheerend. Dem eigentlich zuständigen Staat wird signalisiert, dass sein Recht untauglich ist und seine Gerichte nicht fähig sind. Dies ist nicht nur ein Affront, es stellt auch einen schwerwiegenden Eingriff in die Souveränität der fraglichen Länder dar. Statt diesen die Kompetenz abzusprechen, Zivilprozesse zu führen und diese in die Schweiz zu ziehen, wäre es zielgerichteter, in den entsprechenden Ländern die Gerichtssysteme auszubauen. Nicht nur die Menschen in Entwicklungsländern, auch internationale Unternehmen, die in diesen Ländern investieren, haben ein grosses Interesse an einem funktionierenden Rechtsschutz vor Ort. Eine neue Form von Imperialismus bei Gerichtsstreitigkeiten führt zu einem Zwangsexport der Rechtsprechung.

Vorrang des Schweizer Rechts

Die Initiative verlangt schliesslich, dass das Schweizer Gericht auf jeden Fall Schweizer Recht anzuwenden hat. Dies ist jedoch nicht immer im Sinne des lokalen Vertragspartners. Heute hat man aufgrund unterschiedlicher Rechtsordnungen stellenweise die Rechtswahl: Die Parteien müssen klären, welche Rechtsordnung anwendbar sein soll. Machen Vertragsparteien bewusst oder unbewusst nicht von der Möglichkeit einer Rechtswahl Gebrauch, gilt für sie im Zweifel die Rechtsordnung des Staates, mit dem ein Vertrag die engsten Verbindungen aufweist; das ist meist das Land, in welchem der Verkäufer oder Lieferant seinen Sitz hat. Auch diese Erleichterung, die den Lieferanten im Ausland bevorzugt, will die Initiative diesem wegnehmen.

Unerfüllbare Erwartungen an die internationale Rechtshilfe

Wenn ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz für einen Sachverhalt am anderen Ende der Welt eingeklagt werden könnte, wäre dies für ein Gericht in der Schweiz mit grossen Schwierigkeiten verbunden. Denn die Beweiserhebung und Beweiswürdigung gestaltet sich bei grenzüberschreitenden Prozessen bereits heute als schwierig. Ein Schweizer Gericht darf auf fremdem Territorium keine Beweiserhebungsmassnahmen vornehmen, da Amtshandlungen ausserhalb der Schweiz verboten sind. So dürfen beispielsweise Schweizer Richter nicht zum Augenschein oder für Befragungen ins Ausland fahren.

Das internationale Zivilprozessrecht bietet hier zwar Lösungsansätze: Der Richter in der Schweiz kann über die Instrumente der internationalen Rechtshilfe Behörden im Ausland um Unterstützung anfragen. Diese werden aufgefordert, auf ihrem Gebiet Prozess- oder andere Amtshandlungen vorzunehmen und das Ergebnis dem Gericht in der Schweiz zu übermitteln. Diese Behörde im Ausland wäre nun aber in der Regel ausgerechnet das eigentlich zuständige Gericht, welchem die Schweiz mit der Anfrage sagen müsste, dass es selbst nicht kompetent genug ist, den Fall zu betrauen. Man kann sich leicht vorstellen, wie wenig aktiv dieses Gericht das anfragende Gericht in der Schweiz bei der aufwendigen Ermittlung eines Sachverhalts unterstützen würde.

Auch aus der Perspektive des ausländischen Geschädigten gestaltet sich ein Prozess als grosse Herausforderung: Der Geschädigte müsste beim Gericht in der Schweiz eine schriftliche Klageschrift einreichen, sämtliche Beweismittel detailliert bezeichnen und den Schaden belegen und beziffern. Der Geschädigte wäre hierzu – aus sprachlichen oder finanziellen Gründen – wohl nicht in der Lage. Es würde wohl eine in der Schweiz ansässige NGO einspringen.

Das medienwirksame Spektakel vor Gericht steht im Vordergrund

Das von der Initiative bemühte Feindbild zielt auf den klar widerlegbaren Vorwurf, Unternehmen in der Schweiz verstiessen willentlich gegen die Grundsätze ethischer Geschäftsführung. Bei genauer Betrachtung erkennt man, dass bei der Initiative nicht die Sorgfaltsprüfung der Unternehmen im Zusammenhang mit Menschenrechten und Umweltstandards im Zentrum steht; diese ist bestenfalls Vorwand. Vielmehr wird es den NGOs in der Schweiz ermöglicht, durch eine weltweit einzigartige Ausdehnung der Haftungsbestimmung im Namen von ausgesuchten Opfern im Ausland medienwirksame Prozesse in der Schweiz gegen Schweizer Unternehmen führen zu können.