# 11 / 2016
11.11.2016

Die leeren Versprechen der Vollgeld-Initiative

Regulierungstsunami bahnt sich an

Ausländische und alternative Währungen verdrängen den Schweizer Franken

In den vergangenen Jahren wurde der Bankensektor in ein immer enger werdendes staatliches Regulierungskorsett gezwängt. Die Initianten argumentieren, dass diese Regulierungsflut mit Vollgeld eingedämmt werden könne, weil diverse Vorschriften überflüssig würden. Zwar ist es richtig, dass gewisse bankenspezifische Regulierungen wie der Einlagenschutz auf Sichtguthaben, Staatsgarantien oder sogar Teile der internationalen BCBS-Vorschriften (Basel Committee on Banking Supervision) aufgehoben werden könnten. Jedoch treten an ihre Stellen massive Eingriffe, die nicht nur die Banken, sondern die gesamte Wirtschaft und die Bevölkerung betreffen. Die lokale Flut wird demnach von einem globalen Tsunami abgelöst.

Aufgrund der denkbaren Flucht aus dem Franken ist mit der Etablierung von anderen Währungen – zum Beispiel dem Euro – in der Schweiz zu rechnen. Da in der Schweiz kein geschlossener Euro-Zahlungsverkehr existiert, Währungsrisiken entstünden und keiner den «unsicheren Euro» dem «sicheren Franken» vorziehen würde, betrachten die Initianten dieses Szenario als sehr unwahrscheinlich. Doch erstens ist die vermeintliche Sicherheit des Vollgeldfrankens wie oben beschrieben stark zu relativieren, und zweitens ist dies nicht der einzige Entscheidungsgrund für oder gegen ein Zahlungsmittel. Die Bevölkerung und die Unternehmen könnten – wie sie dies heute überwiegend tun – den zusätzlichen Nutzen der Zinszahlungen höher gewichten als das kleine Restrisiko eines Bank Runs und deswegen künftig die europäische Gemeinschaftswährung dem Schweizer Franken vorziehen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber könnten sich daraufhin auf Lohnzahlungen in Euros einigen und Unternehmen würden zusätzlich Euros akzeptieren, wie dies heute schon in Grenzregionen der Fall ist. Der Euro-Zahlungsverkehr würde sich schliessen und durch das Verschwinden des Frankens wäre auch das Währungsrisiko eliminiert. Dies würde jedoch dem vorgeschlagenen Verfassungstext widersprechen, da die SNB ihren gesetzlichen Auftrag – eine Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes zu führen – nicht mehr erfüllen könnte.

Die Initianten hegen die Erwartung, dass nach einem positiven Entscheid der Schweiz bald auch andere Staaten auf ein Vollgeld-System umsteigen würden. Will sich der Bund nicht ebenfalls dem Prinzip Hoffnung verpflichten, dann wird er mit massiven Regulierungen in den Markt eingreifen müssen, um die Euros wieder aus dem Verkehr zu ziehen und die Schweizer Bevölkerung zurück zum Schweizer Franken zu zwingen. Selbst wenn sich die Hoffnung der Initianten erfüllte, alle Länder kurz nach der Schweiz Vollgeld einführen würden und der Euro somit keine Alternative mehr darstellte, wäre aufgrund der geänderten Rahmenbedingungen damit zu rechnen, dass Alternativwährungen, wie beispielsweise das WIR-Geld oder Bitcoin, einen grossen Nachfrageschub erfahren. Die Initianten sperren sich vordergründig nicht gegen diese Möglichkeit und verkaufen den Fakt, dass der Initiativtext ausdrücklich die Schaffung und Verwendung anderer Zahlungsmittel zulässt, als liberale Errungenschaft. Das gilt aber wie zuvor dargestellt nur, solange der gesetzliche Auftrag der SNB erfüllt werden kann. Ähnlich wie beim Euro-Beispiel müsste der Bund mit Regulierungen und Verboten eingreifen, sobald die Nachfrage der Alternative eine gewisse Höhe erreicht hat. Die Initiative ermöglicht so mitnichten einen Wettbewerb der Währungen. Denn sobald sich eine Währung aufgrund ihrer überlegenen Eigenschaften bei der Bevölkerung durchgesetzt hat, müsste sie in ihrer Verwendung vom Staat entweder stark eingeschränkt oder gleich vollständig verboten werden, um der Verfassung nicht zu widersprechen. Ein liberales Projekt sieht anders aus.

Schöpfung von Franken im Ausland

Wenn Vollgeld aufgrund von Verboten und Einschränkungen die anderen Währungen in der Schweiz verdrängt hat, ergeben sich weitere Möglichkeiten, dieses zu umgehen. So ist beispielsweise die Schöpfung von Schweizer Franken im Ausland denkbar. Obschon die Initianten dies in der Theorie für möglich erachten, halten sie es in der Praxis für irrelevant, weil im Ausland kaum jemand Sichteinlagen in Franken halten werde. Diese statische Sichtweise vernachlässigt die Dynamik, die eine Umstellung auf Vollgeld mit sich bringen würde. Wie die SNB in einem Brief an die Initianten darlegt, ist es durchaus denkbar, dass Frankeneinlagen im Ausland bei veränderten Rahmenbedingungen zunehmend für inländische Transaktionen genutzt werden könnten. Um dies zu unterbinden, müsste erneut der Staat einschreiten – beispielsweise mit Kapitalverkehrskontrollen – und der Wirtschaft und der Bevölkerung entsprechende Kosten auferlegen. Wie auch immer sich die Kunden im Vollgeld-System verhalten – ob sie auf alternative Währungen oder im Ausland geschöpfte Franken ausweichen –, der Staat müsste umgehend einschreiten. Ein umfassender Regulierungstsunami wäre die Folge.

Gezielte Massnahmen statt Vorschlaghammer

Das heutige System funktioniert zwar nicht perfekt, aber doch relativ gut: Seit dem Zusammenbruch der Spar- und Leihkasse Thun im Jahre 1991 erlebte die Schweiz keinen Bank Run. Bankenpleiten konnten ohne grössere Probleme absorbiert werden und die Finanzkrise verlief für die Schweiz relativ glimpflich. Sollte es in Zukunft dennoch zu einer Bankenpleite kommen, sichert die Einlagenversicherung die Kundengelder bis zu einem Betrag von 100’000 Franken. Statt mit dem Vorschlaghammer vorzugehen, sollten dort Massnahmen ergriffen werden, wo es sinnvoll ist. So wurde in den letzten Jahren die Regulierungsdichte im Finanzbereich massiv verschärft. Künftig braucht es nicht mehr, sondern bessere Regulierung.