# 3 / 2022
02.03.2022

Ja zu Frontex - für den Verbleib bei Schengen

Nutzen des Schengen-Abkommens für die Schweiz

International erfolgreiche Polizei- und Justizzusammenarbeit dank Schengen

Im Gegenzug zum Abbau der systematischen Personenkontrollen und dem Ausbau der Reisefreiheit innerhalb des Schengen-Raums ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden intensiviert worden. Ausserdem werden mobile Personenkontrollen im Grenzhinterland oder im Landesinneren im Rahmen der nationalen Ersatzmassnahmen durchgeführt.

Zur Verbesserung der internationalen Verbrechensbekämpfung haben haben die Schengen-Staaten eine europaweite elektronische Fahndungsdatenbank aufgebaut. Das Schengener Informationssystem (SIS II) ist mittlerweile ein zentrales Instrument für die tägliche Fahndungsarbeit der Sicherheitsbehörden und der Schweizer Polizei. Es leistet einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. 2021 gab es gemäss dem Bundesamt für Polizei fedpol insgesamt mehr als 19’000 Fahndungstreffer. Pro Tag erhalten Schweizer Strafverfolgungsbehörden zwischen 40 und 60 Hinweise auf potenziell gefährliche Personen. Heute kann es nicht mehr vorkommen, dass die Schweiz international gesuchten Verbrechern die Aufenthaltsbewilligung verlängert, weil sie keinen Zugang zur europäischen Verbrecherdatenbank hat.

Der Schweizer Zugriff auf die Schengener Fahndungsdatenbank hat die grenzüberschreitende Verbrechensbekämpfung verbessert.

Effektive Verbrechensaufklärung dank internationaler Zusammenarbeit

Die internationalen Fahndungsdatenbanken wie das Schengen-Informationssystem SIS ermöglichen es Schweizer Strafverfolgungsbehörden, Verbrechen mit einem Auslandbezug rasch aufzuklären. 2017 konnte der Bruder des islamistischen Attentäters von Marseille dank Informationen aus der SIS-Datenbank an der Einreise in die Schweiz gehindert und verhaftet werden. 2018 wurde der Partner und mutmassliche Mörder der 2018 in Frutigen ermordeten Daniela S. dank einer Fahndungsausschreibung im SIS innert kürzester Zeit in Frankreich gefasst. Nach Sprengstoffüberfällen 2019 auf Bankomaten in der Nähe von St. Gallen und Zürich wurden zwei Hauptverdächtige aufgrund einer Fahndungsausschreibung im SIS 2020 in Österreich und Dänemark verhaftet. Die Täter hatten eine DNA-Spur hinterlassen, die in der Europol-Datenbank zu Treffern führte. Nach spektakulären Überfällen auf gepanzerte Geldtransporter in der französischen Schweiz in den Jahren 2017 bis 2019 konnte die französische Polizei zudem die kriminellen Banden aus den Vorstädten Lyons 2020 dingfest machen. Der Fahndungserfolg war das Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit zwischen dem Bundesamt für Polizei fedpol, der französischen Nationalpolizei und den Kantonspolizeien. Aber auch die Polizei- und Grenzkontrollbehörden vom Nordkap bis Sizilien haben Zugriff auf die Fahndungsinformationen der Schweizer Behörden. 2019 waren SIS-Fahndungen nach rund 600 zur Verhaftung ausgeschriebenen Personen mit Schweizer Bezug erfolgreich.

Die Zusammenarbeit zwischen den Staaten wird ausserdem durch ein zweites System, das Visa-Informationssystem (VIS) unterstützt. Verweigert die Schweiz einer Person die Einreise, so wird das im VIS vermerkt und die Sperre gilt für alle Schengen-Staaten. Illegale Einreise und Aufenthalt in der Schweiz werden damit schon ausserhalb der Schweiz erschwert. Ist die Schweiz nicht mehr Schengen-Mitglied, haben die Sicherheitsbehörden auch keinen Zugriff mehr auf diese Datenbanken, wodurch sich der für die Wirtschaft wichtige Standortfaktor Sicherheit verringern dürfte.

Das FADO-System schliesslich dient der Erkennung von gefälschten Dokumenten und Identitätsbetrug. Es wird durch Frontex betreut. Namentlich die Polizei-, Grenzkontroll- und Migrationsbehörden, aber etwa auch die Strassenverkehrsämter oder die Zivilstandesbehörden sind darauf angewiesen. Die Schweiz hat seit dem Jahr 2014 jährlich zwischen 3800 und 5100 gefälschte Dokumente identifiziert.

Mit dem Verlust von Schengen würden die Schweizer Strafverfolgungsbehörden den Zugang zu den europäischen Informationssystemen verlieren und bei der internationalen Verbrechensbekämpfung praktisch blind werden.

Grossbritannien hat seit Tag 1 nach dem Brexit keinen Zugang mehr zum SIS

Wie rasch einem Land der wichtige Zugriff auf internationale Fahndungsdatenbanken verwehrt wird, zeigt sich am Beispiel von Grossbritannien. Mit dem Austritt aus der EU hat das Vereinigte Königreich seinen Zugang zu den europäischen Fahndungsdatenbanken verloren. Das Vereinigte Königreich ist auch kein Schengen-Mitglied. Es hat deshalb weder Zugang zum Europol-Informationssystem noch zu dem System, das den Mitgliedstaaten in den Projektanalysen die Suche nach dem Treffer-/kein-Treffer-Verfahren ermöglicht. Was dies für die britischen Strafverfolgungsbehörden bedeutet, lässt sich erahnen, wenn man weiss, dass das Vereinigte Königreich am 31. Dezember 2020 insgesamt 5'753’646 Personenfahndungsausschreibungen im SIS eingestellt hatte. Am 1. Januar 2021 – also gleich am ersten Tag nach dem Inkrafttreten des Brexits – wurde das Vereinigte Königreich vom SIS abgekoppelt und sämtliche Personenfahndungsausschreibungen des Vereinigten Königreichs zu natürlichen Personen wurden gelöscht. Damit verliert das Vereinigte Königreich ein Schlüsselinstrument zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und ist mehr denn je auf den direkten Kontakt und die Mithilfe der europäischen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden angewiesen. Da die Schweiz nicht EU-Mitglied ist, hat sie nur als Schengen-Mitglied Zugang zu den europäischen Fahndungsdatenbanken.

Schengen ist positiv für die Schweizer Volkswirtschaft

2015 wollte die SP-Fraktion vom Bundesrat wissen, welche volkswirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen die Schengen-Assoziierung der Schweiz hat. Eine vom Bundesrat in Auftrag gegebene Studie des wirtschaftlich und politisch unabhängigen Beratungs- und Forschungsbüros Ecoplan kam 2018 zum Schluss, dass das Schweizer BIP bei einem Wegfall des Schengen-Abkommens im Jahr 2030 um bis zu 3,7 Prozent geringer wäre, die jährlichen Pro-Kopf-Einkommen um bis zu 1600 Franken zurückgehen würden und die Exporte um bis zu 5,6 Prozent tiefer ausfallen könnten. Ein Wegfall der Zusammenarbeit mit der EU bei Schengen/Dublin würde zwar Einsparungen von rund 50 Millionen Franken pro Jahr bringen. Mit dem zusätzlichen Wegfall des zur Diskussion stehenden Frontex-Beitrags der Schweiz von 317 Millionen Franken könnte die Schweiz jährlich maximal 95 Millionen Franken einsparen. Allerdings würde der Wegfall von Schengen/Dublin die öffentliche Hand mit bis zu 270 Millionen Franken pro Jahr zusätzlich belasten. Es ist somit unbestritten, dass die Reiseerleichterungen und die internationale Kooperation im Rahmen von Schengen und Dublin die Schweizer Volkswirtschaft positiv beeinflussen. Allerdings müssen die Resultate in einen Kontext gestellt werden.

Wie stark sich ein Wegfall der Abkommen tatsächlich auf das BIP, das Pro-Kopf-Einkommen und auf die Exporte auswirkt, hängt wesentlich von der konkreten Umsetzung respektive dem Verhalten anderer Schengen-Staaten ab. Ecoplan untersuchte insbesondere drei primäre Effekte eines Austritts der Schweiz, die in den nachfolgenden Kapiteln näher erläutert werden:

  1. Ohne Schengen würden an den Schweizer Grenzen wieder systematische Kontrollen eingeführt werden.
  2. Die Schweiz müsste wieder eigene Visa erteilen.
  3. Ohne Dublin käme es wieder zu mehr Asylgesuchen beziehungsweise könnte die Schweiz Zweitgesuchsteller nicht mehr in andere Schengen-Staaten überstellen.

Nun kann man verschiedene Szenarien aufstellen, wie stark diese Effekte ausfallen. Grundsätzlich wäre es denkbar, dass beispielsweise Deutschland auf die Einführung von Grenzkontrollen am Schweizer Zoll verzichten würde. Das würde den oben beschriebenen volkswirtschaftlichen Schaden verringern. Gleichzeitig muss aber auch festgehalten werden, dass Ecoplan für ihre Schätzungen nicht alle möglichen Effekte berücksichtigt hatte.

Wie weiter oben aufgezeigt wurde, ermöglicht das Schengen-Übereinkommen den Schweizer Strafverfolgungsbehörden, auf das Schengen-Informationssystem und somit auf die europaweite Fahndungsdatenbank zuzugreifen. Die hieraus resultierende Erhöhung der inneren Sicherheit floss allerdings nicht in die Modelle über die volkswirtschaftlichen Folgen ein. Somit lässt sich vermuten, dass die Teilnahme der Schweiz an Schengen und Dublin die Schweizer Wirtschaft positiver beeinflusst, als dass die verfügbaren Zahlen belegen.

Die Tourismusregionen brauchen Schengen

Seit die Schweiz bei Schengen dabei ist, müssen Touristen aus Staaten ausserhalb der EU kein zusätzliches Visum mehr lösen, wenn sie neben Berlin, Paris und Mailand auch noch Zürich oder Luzern bereisen wollen. Und das wirkt sich auf die Anzahl Logiernächte aus: Chinesische, indische und arabische Touristen übernachten seither öfter in der Schweiz.

Seit dem Schengen-Beitritt kommen vermehrt Touristen aus China, Indien und den Golfstaaten in die Schweiz.

Zudem zeigt sich, dass Reisende aus China, Indien und den Golfstaaten während ihres Aufenthalts in der Schweiz viel Geld ausgeben – zum Beispiel, wenn sie in Restaurants essen, Uhren kaufen oder Museen besuchen. Insgesamt geben sie pro Tag zwischen 310 und 420 Franken pro Person aus. Das ergibt eine jährliche Bruttowertschöpfung von 1,1 Milliarden Franken gemäss den verfügbaren Zahlen für das Vor-Corona-Niveau. Die Bedeutung dieser Summe für den Tourismus und damit die Schweizer Volkswirtschaft lässt sich folgendermassen verdeutlichen: Die drei erwähnten Touristengruppen steuern knapp sechs Prozent zur gesamten Wertschöpfung der Tourismusindustrie bei. Diese beschäftigt in der Schweiz aktuell über 162'000 Menschen. Vor der Coronapandemie war der Anteil mit über 181’000 Beschäftigen (2018) noch höher.

Ohne die erleichterten Schengen-Visabestimmungen muss mit einem Rückgang von Touristen aus diesen Ländern gerechnet werden. Je nachdem, wie die Schweiz künftig ihre Visa mit jenen der Schengen-Staaten koordinieren kann, werden der hiesigen Tourismusbranche laut Ecoplan jährlich zwischen 200 und 530 Millionen Franken entgehen.

Mit der Wiedereinführung der systematischen Personenkontrollen an den Schweizer Grenzen muss aber auch mit einem Rückgang der europäischen Gäste gerechnet werden, die etwa 30 Prozent aller Logiernächte in der Schweiz ausmachen. So können deutsche Touristen die Alpenfrische auch in Österreich, Frankreich oder Italien geniessen, ohne Personenkontrollen und dadurch bedingte Wartezeiten an den Schweizer Grenzübergängen in Kauf nehmen zu müssen.

Dank Schengen gibt es keine langen Staus an den Grenzen und Warteschlangen an Flughäfen

Dank Schengen gibt es heute an den Schweizer Grenzen keine systematischen Personenkontrollen mehr. Davon profitieren all diejenigen Menschen in den fast 600'000 Fahrzeugen, welche die Schweizer Grenze täglich überqueren. Es ist schwierig vorherzusagen, wie deutsche, französische, österreichische und italienische Beamte künftig Fahrzeuge an den Grenzen überprüfen würden, wenn die Schweiz nicht mehr im Schengen-Raum wäre. Welche Auswirkungen derartige Kontrollen haben könnten, zeigt ein Blick in die Vergangenheit: 2004 hatten deutsche Grenzbeamte vorübergehend systematische Kontrollen von Fahrzeugen eingeführt. Der Verkehr brach kurzerhand zusammen. Die Autos stauten sich am Zoll und die Leute wurden mit langen Wartezeiten konfrontiert. Wie lange die Grenzüberquerer im Falle eines Wegfalls von Schengen effektiv warten müssten, hängt davon ab, wie viele zusätzliche Grenzbeamte die Nachbarstaaten anstellen, wie viele Grenzübergänge sie schliessen und wie stark sie in den Ausbau von solchen investieren würden. Im für die Wirtschaft günstigsten Fall entstehen bei einem Schengen-Austritt Wartekosten von 1,8 Milliarden Franken. Den grössten Teil davon müssten Grenzgänger tragen, aber auch für die übrigen Schweizer Grenzüberquerer fielen Kosten in Höhe von 143 Millionen Franken pro Jahr an. Wenn allerdings die Nachbarstaaten nicht bereit sind, stark in die Infrastruktur an den Grenzen zu investieren, können die Wartekosten bis auf 3,2 Milliarden Franken steigen. Das würde die Wettbewerbsfähigkeit der exportierenden und importierenden Unternehmen massiv verringern.

Ohne Schengen müssten die Schweizer aber nicht nur länger an den Landesgrenzen warten, sondern auch an den internationalen Flughäfen der Schweiz. Bei einem Austritt müssten sie ihre Terminals wieder vereinheitlichen, da diese zurzeit in einen Schengen- und Nicht-Schengen-Bereich aufgeteilt sind. Somit würden Reisende zum Beispiel auch bei Flügen nach Berlin wieder ihren Pass zeigen müssen und an einem entsprechenden Schalter anstehen. Gemäss Schätzungen müsste allein der Flughafen Zürich zwischen 65 bis 125 Millionen Franken investieren und abschreiben.

Schengen macht den Schweizer Forschungs- und Wissenschaftsstandort attraktiver

Die Schengen-Visa haben sich nicht nur positiv auf den Schweizer Tourismus ausgewirkt. Es erleichtert auch das Reisen für ausländische Geschäftsleute, was wiederum zu mehr Aufträgen für Schweizer Unternehmen führen kann. Das trifft auch auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu, was die Attraktivität des Schweizer Forschungs- und Wissenschaftsstandorts steigert. Mit einem Schengen-Visum kann beispielsweise eine brasilianische Professorin der ETH Zürich ohne bürokratische Umstände für zwei Tage nach Berlin an eine Konferenz reisen. Gleichzeitig kann eine indische Forschergruppe, die in Paris an einem Projekt arbeitet, eine Fachtagung in Genf besuchen – ohne dass sie das Schweizer Konsulat in Frankreich aufsuchen und ein Visum beantragen muss.

Reisefreiheit stärkt internationales Genf

Es begann mit der Gründung des Roten Kreuzes im Jahr 1863, dass Genf sich zur weltweit wohl begehrtesten Gastgeberin für internationale Organisationen und Anlässe entwickeln konnte. Genf steht für Diplomatie, globales Engagement und multilaterale Zusammenarbeit. Genf ist aber nicht die einzige Stadt, die um solche Organisationen und Anlässe buhlt. Wien oder Kopenhagen sind namhafte Mitbewerber aus dem Schengen-Raum. Deshalb ist Genf besonders darauf angewiesen, dass die Schweiz Teil des Schengen-Raums bleibt und das Schengen-Visum beibehält.