# 04 / 2018
22.03.2018

Brexit: Auch für die Schweizer Wirtschaft weiterhin ein «moving target»

Gemischtes Bild beim Handel nach dem Brexit

Das Vereinigte Königreich zählte 2017 für die Schweiz zu den Top-5-Exportmärkten für Güter, Dienstleistungen und Direktinvestitionen. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Grossbritannien und der Schweiz sind demzufolge nach wie vor eng. Nichtsdestotrotz zeigt sich beim Handel – basierend auf den aktuellsten Statistiken – ein gemischtes Bild. Während die Exporte im Güterbereich wertmässig rückläufig waren, haben die Dienstleistungen stark zugenommen.

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Im Bereich des Güterhandels ist ein Rückgang bei den Importen (-5%) und Exporten (-1%) zu verzeichnen. Diese Entwicklung lässt sich teilweise durch das im Kontext des Brexit stark schwächelnde Britische Pfund erklären. Dieses hat seit dem denkwürdigen Austritts-Entscheid vom 23. Juni 2016 im Verhältnis zum Schweizer Franken stark an Wert eingebüsst (zeitweise bis zu -18%). Zu den wichtigsten Güterexportkategorien der Schweiz nach Grossbritannien gehören auch 2017 Produkte der Bereiche Chemie und Pharma, Maschinen und Uhren wie auch Dienstleistungen der Finanzindustrie sowie von ICT- und Beratungsunternehmen.

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Wesentlich stärker gingen die Dienstleistungsimporte aus Grossbritannien zurück (-7%), während die Schweizer Dienstleistungsexporte nach Grossbritannien im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um rund 15 Prozent verzeichneten. Auffallend sind insbesondere Beratungen (Exporte +59%) sowie Forschung und Entwicklung (Importe -47%). Insgesamt belief sich das Handelsvolumen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich jüngst auf über 33 Milliarden Franken, zuzüglich des Handels mit Gold und Edelmetallen in der Höhe von rund 18,4 Milliarden Franken. Letztere fallen insbesondere bei den Importen stark ins Gewicht und übertreffen die übrigen Güterimporte um mehr als das Doppelte.

Sehr wichtig ist der Bestand an Direktinvestitionen und die damit verbundene Anzahl Beschäftigungen. 2016 beschäftigten Schweizer Unternehmen gemäss Zahlen der Schweizerischen Nationalbank 96’138 Personen in Grossbritannien. Der Personalbestand britischer Firmen in der Schweiz belief sich im selben Zeitraum auf 26’690 Beschäftigte. Die Bestände an Schweizer Direktinvestitionen im Vereinigten Königreich lagen 2016 bei 54,2 Milliarden Franken (+10% im Vergleich zum Vorjahr). Auch die Bestände aus Grossbritannien in der Schweiz haben sich positiv entwickelt (CHF 51,6 Mrd.). Die Zahlen für 2017 – und damit erste Rückschlüsse auf die Auswirkungen des Brexit auf die Direktinvestitionen – liegen noch nicht vor.

Positive Entwicklung im Luftverkehr

Eine konjunkturelle Abkühlung zeigt sich im Luftverkehr in der Regel durch rückläufige Tendenzen sowohl beim Fracht-, als auch beim Passagierverkehr. Dies lässt sich in Bezug auf Grossbritannien bisher nicht feststellen. Im Gegenteil: 2017 wurden rund 3,4 Millionen Passagiere und 2,6 Millionen Tonnen Luftfracht (Direktflüge) nach Grossbritannien abgefertigt. Dies entspricht einem Anstieg von sechs Prozent im Passagierverkehr im Vergleich zu 2016. Nur nach Deutschland flogen mehr Personen. Die Frachtzahlen blieben konstant. Mit einem Anteil von über sieben Prozent der britischen Passagiere am gesamten Verkehr des Flughafens Zürich zeigt sich auch hier exemplarisch die enge wirtschaftliche Verflechtung beider Länder.

Grossbritannien für alle Exportbranchen (noch) ein Top-10-Markt

Was aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive gilt, bestätigt sich auch mit Blick auf die wichtigen Schweizer Exportbranchen. Gemäss einer Mitgliederumfrage von economiesuisse sowie Angaben der Schweizerischen Nationalbank rangiert das Vereinigte Königreich fast ausnahmslos in den Top 10 der wichtigsten Märkte. Die in der nachfolgenden Tabelle enthaltenen Zahlen zeichnen jedoch ein unvollständiges Bild. Denn für viele Branchen erfasst der «klassische Export» über die Grenze nur einen Teil der Wirtschaftsbeziehungen. Dies trifft insbesondere im Bereich der Dienstleistungen zu. Beispielsweise werden Versicherungspolicen von Schweizer Anbietern auch in Grossbritannien überwiegend lokal abgeschlossen und gehalten – sie werden folglich in der Leistungsbilanz der Schweiz nicht erfasst. Allein die Zurich Versicherung zeichnete 2017 im Vereinigten Königreich Prämienvolumen und Versicherungseinlagen in der Höhe von rund 11,5 Milliarden Franken. Auch das für die Bankenbranche angegebene Volumen erfasst nicht alle exportierten Finanzdienstleistungen.

Auch jenseits grenzüberschreitender Exporte hat die Insel für den Schweizer Finanzdienstleistungssektor eine herausragende Bedeutung. Einerseits versorgen Schweizer Unternehmen über Niederlassungen in London einen wichtigen Teil der Kunden im EU-Markt mit Dienstleistungen. Andererseits nimmt die Stadt aber auch durch die enge Verbindung der Londoner mit der Schweizer Börse eine wichtige Bedeutung ein, etwa hinsichtlich des Euro-Devisenhandels. Schliesslich ist London aber auch für die Betreuung von wichtigen Kunden aus Übersee ein zentraler Handelsplatz.

Tabelle 1

Grossbritannien ist für die Schweizer Wirtschaft somit gar noch bedeutender, als dies die nackten Zahlen bereits vermuten lassen. Darüber hinaus bestehen zwischen den beiden höchst innovativen und diversifizierten Volkswirtschaften mit ihren renommierten Hochschulen auch im Bereich Forschung und Entwicklung enge Verbindungen. Für die Schweizer Zuliefererindustrie der Automobilbranche ist das Vereinigte Königreich ebenfalls ein wichtiger Markt. Zudem sind sowohl britische Touristen, wie auch gut qualifizierte Fachkräfte aus dem Vereinigten Königreich hierzulande hochgeschätzt.

Während die aktuellsten Zahlen weiterhin ein positives Bild der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen der Schweiz mit Grossbritannien zeichnen, ist der Blick in die Zukunft mit ungleich grösseren Unsicherheiten behaftet. Entsprechend schwierig sind Prognosen über die weitere Entwicklung im Bereich Handel und Investitionen. Diese kann, abhängig vom weiteren Verlauf des Brexit, sowohl positiv als auch negativ verlaufen.