# 11 / 2016
11.11.2016

Die leeren Versprechen der Vollgeld-Initiative

Ein gewaltiges Experiment mit ungewissem Ausgang

Die Schweiz als Versuchskaninchen

Die von den Initianten beschriebenen Vorteile des Vollgeldsystems sind keineswegs gesichert und die Risiken und Nachteile eines solchen Systemwechsels werden grösstenteils ignoriert. Mit der Annahme der Initiative würde die Schweiz zu einem gewaltigen Versuchslabor umgebaut. Als Probanden müsste die Schweizer Bevölkerung herhalten. Die Umstellung auf Vollgeld könnte unabsehbare Folgen haben und das Wachstum und den Wohlstand in der Schweiz gefährden. Kein anderes Land kennt Vollgeld oder hat dieses System jemals ausprobiert. Die Schweiz stünde als Versuchskaninchen vor einer ungewissen Zukunft.

Louisiana und Münzgeld als untaugliche Vergleiche

Die Initianten führen Louisiana und das Münzgeld in der Schweiz als Beweis ins Feld, dass Vollgeld sehr gut funktioniere. Dieser Vergleich hält aber einer detaillierten Analyse nicht stand. Äpfel werden dabei bestenfalls mit Birnen verglichen.

Nach der US-Bankenkrise von 1837 wurde die Bankenregulierung von Washington an die einzelnen Staaten delegiert. Während Texas und Iowa Banken gleich komplett verboten, setzten andere – allen voran New York – auf das sogenannte «Free Banking», ein System ohne jegliche Bankenregulierung. Louisiana entschied sich mit dem Free-Banking-Gesetz von 1853 ebenfalls für einen marktwirtschaftlichen Weg, verpflichtete die Banken jedoch bereits ab 1842, ihre Einlagen und Banknoten zu einem Drittel mit Bargeld und zwei Dritteln mit kurzfristigen Papieren zu decken. Während das New Yorker System sehr erfolgreich war, war auch die Lösung von Louisiana ab den 1850er-Jahren relativ erfolgreich und stabil.

Das Beispiel von Louisiana taugt aber nicht wirklich für einen Vergleich. Damals existierte keine Zentralbank, die als Monopolist Geld in Umlauf brachte. Banken emittierten im Wettbewerb zueinander Banknoten. Das System stellte vielmehr einen Mix aus der Free-Banking-Periode in der Schweiz im 19. Jahrhundert und dem Chicago-Plan dar und funktionierte somit ganz anders als das von den Initianten vorgeschlagene Vollgeld.

Auch das Münzgeld entpuppt sich als untauglicher Vergleich. Der Schweizer Franken wurde zur Zeit der Einführung 1851/52 definiert als fünf Gramm Silber 900 Promille fein. Das Fünffrankenstück war eine Kurantmünze, ihr innerer Wert entsprach also ihrem Nominalwert. Banknoten verbreiteten sich erst ab den 1870er-Jahren stark und auch Buchgeld hatte damals noch nicht seine heutige Dominanz. Franken-Münzen waren neben ausländischen Kurantmünzen weit verbreitet und wurden rege genutzt. Die ersten Franken-Münzen waren jedoch kein Vollgeld, sondern hatten einen inneren Wert, der – ausser bei Rappen-Münzen mit einem Nominalwert von 20 Rappen und weniger – dem Nominalwert entsprach. Seigniorage durch die Prägung von Münzen war somit nur in sehr begrenztem Umfang möglich.

Heute beträgt der Metallwert der Schweizer Münzen nur noch einen Bruchteil ihres Nominalwerts. Entsprechend kann der Bund mit der Münzprägung Seigniorage erzielen. Trotzdem ist ein Vergleich mit dem Vollgeldsystem nicht zulässig. Zum einen bildet der Bund Rückstellungen in der Höhe von 65 Prozent der sich im Umlauf befindenden Münzen. Da gestützt auf Erfahrungswerte mit einem Schwundanteil von 35 Prozent gerechnet wird, kann der Bund selbst bei einem vollständigen Rücklauf der Münzen diese erfolgsneutral gegen Banknoten oder Buchgeld tauschen, indem er auf seine Rückstellung zugreift. Zum anderen beträgt der Münzanteil an der Gesamtgeldmenge mittlerweile weniger als ein Prozent. Die Konsumenten haben die vollgeldähnlichen Münzen grösstenteils durch Banknoten und Buchgeld ersetzt.

Zwei Hauptrisiken aufgrund fehlender Vergleiche

Damit können wir festhalten, dass die Vollgeld-Initiative ein fundamental neues Geldsystem einführen will, das es so in der Geschichte noch nie gegeben hat. Auch wenn andere Geldsysteme Ähnlichkeiten zu Vollgeld aufweisen, lassen sich keine Analogien ableiten. Damit einhergehend sind zwei Hauptrisiken auszumachen: Erstens ist die Unsicherheit gross, ob der Übergang vom heutigen System zum Vollgeldsystem ohne gravierenden volkswirtschaftlichen Schaden gelingen könnte. Zweitens ist stark zu bezweifeln, dass im Vollgeldsystem die gewünschten Effekte resultieren und gleichzeitig die negativen Auswirkungen nicht überwiegen. Vollgeld ist deswegen als riesiges volkswirtschaftliches Experiment zu taxieren, dessen Ausgang höchst ungewiss ist.

Übergang zum Banknotenmonopol

Mit der Übergabe des Banknotenmonopols an die neu gegründete SNB mussten rund drei Dutzend private und kantonale Banken ihr Emissionsrecht abtreten. Der Anteil des Notenumlaufs an der Bilanzsumme betrug 1907 im Schnitt rund zwölf Prozent. Um den Banken genügend Zeit zu geben, die notwendige Liquidität zu beschaffen, wurde eine Übergangsfrist von drei Jahren festgelegt. Bis Ende Juni 1910 mussten die Banken den Gegenwert ihrer emittierten Banknoten zu mindestens 40 Prozent in gesetzlichem Zahlungsmittel und den Rest in Bargeld, Wechseln oder Wertschriften bei der SNB abliefern. Weil die Banknoten zu rund 50 Prozent mit Münzgeld gedeckt waren und die Möglichkeit bestand, Wertschriften zu übergeben, wovon einzelne Banken stark Gebrauch machten, verlief der Übergang relativ reibungslos.

Jedoch ergaben sich für die einzelnen Banken teils grosse Veränderungen. Die privaten Emissionsbanken wurden entweder liquidiert oder fusionierten mit anderen Banken, da ihr Geschäftsfeld verboten wurde. Für die Kantonalbanken und übrigen privaten Banken wirkte sich der Wegfall einer Finanzierungsmöglichkeit negativ auf die Rentabilität aus. Mit dem Wegfall der Noten mussten sie unverzinsliche Betriebsmittel ersetzen, was meist via Aktienkapitalerhöhungen umgesetzt wurde. Dies beschleunigte die Konzentration im Schweizer Bankensektor.