# 07 / 2019
19.02.2019

Institutionelles Abkommen Schweiz-EU: Eine Chance für das bilaterale Verhältnis

Bereiche mit Klärungsbedarf

Unionsbürgerrichtlinie

Obwohl die Unionsbürgerrichtlinie (EUBR) vom InstA mit keinem Wort erwähnt wird, ist sie politisch umstritten. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des FZA 1999 existierte das Konzept der Unionsbürgerschaft bereits, wurde aber nicht übernommen. Tatsächlich enthält Anhang 1 des FZA gewisse Vorgängerrichtlinien, die durch die EUBR ersetzt worden sind. Es ist demnach davon auszugehen, dass Teile der EUBR von der Pflicht der dynamischen Rechtsübernahme erfasst sind, andere nicht. In den künftigen Verhandlungen wird es wichtig sein, die binnenmarktrelevanten Vorschriften, die von der Schweiz übernommen werden müssen, klar von denjenigen abzugrenzen, die darüber hinausgehen und somit von der Schweiz nicht übernommen werden müssen.

Wie im dossierpolitik #01/19 ausführlich dargelegt, werden die Auswirkungen einer teilweisen Übernahme der EUBR auf das bestehende Schweizer Recht überschätzt. Die Rechte von Unionsbürgern entsprechen in den ersten fünf Jahren des Aufenthalts bereits heute dem FZA. Nach fünf Jahren haben EU-Bürger von 15 EUMitgliedstaaten, darunter alle unsere Nachbarländer, schon heute ein Recht auf Niederlassung. Eine Einwanderung in die Sozialsysteme wird auch durch die Rechtsprechung des EuGH verhindert. Ob die Übernahme der EUBR allenfalls zu einer Erschwerung der Ausweisung krimineller Unionsbürger aus der Schweiz führen könnte, kann derzeit nicht abschliessend beurteilt werden. Erste Entscheide des Bundesgerichts lassen aber vermuten, dass die heutige Schweizer Praxis wohl im Rahmen des durch die EUBR den EU-Mitgliedstaaten zugestandenen Ermessensspielraums liegt.

Sozialversicherungen: Vorteil InstA

Ebenfalls zu Diskussionen Anlass gibt die innenpolitisch umstrittene Frage, ob die dynamische Anpassung der Koordination der Sozialversicherungen im Rahmen des InstA für die Schweiz problematisch ist oder nicht. Die Analyse zeigt, dass die Schweiz mit einem InstA bessergestellt ist als ohne: Unabhängig davon, ob nun ein InstA vereinbart wird oder nicht, wird die EU in Zukunft von der Schweiz verlangen, die revidierte Verordnung zur Koordination der Sozialversicherungen in das FZA aufzunehmen, sobald die Revision in der EU verabschiedet worden ist. Das war auch bei früheren Änderungen der Fall. Falls die Revision in der EU vor dem Ende der Legislatur im April 2019 erfolgreich abgeschlossen werden kann, wird die neue Kommission die Verhandlungen mit der Schweiz zur Übernahme in das FZA frühestens 2020 beginnen können. Das InstA setzt einen klaren Rahmen, in welchem die Übernahme erfolgen soll und gibt der Schweiz die Möglichkeit, allfällige überzogene Forderungen der EU vom paritätischen Schiedsgericht klären zu lassen. Sollte es der EU nicht gelingen, die Revision der Koordination der Sozialsysteme vor Ende dieser Legislatur zu verabschieden, muss sie damit in der neuen Legislatur ab 2020 von vorne beginnen. Sollten sich die Schweiz und die EU über die Modalitäten zur Übernahme der revidierten Verordnung in das FZA nicht einigen können, müssten im Falle eines InstA die Ausgleichsmassnahmen der EU verhältnismässig sein und könnten allenfalls dem Schiedsgericht zur Beurteilung vorgelegt werden. Ohne InstA wären weiterhin unverhältnismässige Vergeltungsmassnahmen in sachfremden Bereichen möglich.

Was bedeutet eigentlich Integration in den europäischen Binnenmarkt?

Integration in den EU-Binnenmarkt bedeutet gleiche gesetzliche Rahmenbedingungen für europäische und nicht europäische Marktteilnehmer und damit einen freien Zugang der Unternehmen zu den Binnenmärkten der EU und des Vertragsstaats. Davon können Firmen und Einzelpersonen profitieren. Voraussetzung für die Integration sind gleiche Rechtsvorschriften in der EU wie im Land der nicht europäischen Marktteilnehmer. Ein Freihandelsabkommen harmonisiert die Rechtsvorschriften nicht, weshalb damit zwar Marktzugangserleichterungen, nie aber ein freier Marktzugang erreicht werden kann. Ein fiktives Beispiel zeigt auf, wie unterschiedliche Niveaus von Marktzugang eine Firma betreffen: Die Schweizer Firma Heiditech stellt hochwertige Laserschneidewerkzeuge her. Sie exportiert diese Laser in das Land A und in die EU. Mit Land A und der EU hat die Schweiz jeweils ein Freihandelsabkommen abgeschlossen, mit der EU zusätzlich ein bilaterales Marktzugangsabkommen, das eine Rechtsharmonisierung erfordert. Beim Export nach Land A und in die EU zahlt Heiditech wegen des Freihandelsabkommens keine Zölle. Für Land A muss Heiditech mit zusätzlichen Kosten eine andere Variante ihres Lasers herstellen, um den dortigen rechtlichen Vorschriften zu entsprechen. Sie haben ferner einen Vertreter in Land A, der für die Vermarktung der Produkte zuständig ist, gegenüber den Behörden von Land A die Verantwortung für die Einhaltung der nationalen Vorschriften trägt und dafür auch zur Rechenschaft gezogen werden kann. Auch das kostet. Die Heiditech- Laser müssen in der Schweiz eine Konformitätsprüfung bestehen. In Land A muss Heiditech ihre Laser ein zweites Mal prüfen lassen. Dieser zusätzliche Aufwand macht die Laser in Land A 0,5 bis 1,0 Prozent teurer und Heiditech kann weniger exportieren.

Im Gegensatz dazu akzeptiert die EU wegen der Rechtsharmonisierung die Schweizer Konformitätsprüfung und Heiditech kann ihre Laser ohne weitere Kontrollen exportieren. Heiditech hat weniger zusätzliche Kosten durch den Export, kann die Laser in der EU zu attraktiveren Preisen verkaufen und ist den europäischen Konkurrenten gleichgestellt. Der unterschiedliche Marktzugang der Schweizer Firmen in Land A und der EU beeinflusst direkt, wie viel sie in diesen Märkten verkaufen können. Der durchschnittliche Nutzen der Beseitigung der technischen Handelshemmnisse beläuft sich auf fast zwei Milliarden Franken jährlich.

Vom freien Marktzugang profitieren auch Lokführerin Stefanie und Lastwagenfahrer Walter. Das Landverkehrsabkommen öffnet den Strassen- und Schienenverkehrsmarkt der EU für Schweizer Firmen und umgekehrt. Dazu werden die technischen Vorschriften bezüglich Fahrzeuge und beruflichen Zulassungsnormen harmonisiert. Dadurch kann die Lokführerin Stefanie mit einem Schweizer Zug in Italien fahren und ihre Zugpassagiere müssen in Chiasso nicht in einen italienischen Zug mit italienischem Lokführer umsteigen, sondern können bis nach Venedig sitzen bleiben. Die Berufszulassung von Lastwagenfahrer Walter gilt, dank dem Landverkehrsabkommen, auch in Deutschland. Auch der Fahrtenschreiber ist aufgrund der Harmonisierung derselbe. Deshalb darf er die Laser von Heiditech bis nach Stuttgart liefern und muss sie nicht an der Grenze einem deutschen Kollegen übergeben. Das Landverkehrsabkommen hat einen geschätzten jährlichen Wert von rund 500 Millionen Franken.