# 09 / 2018
11.06.2018

Schweizer Handel: Eine wichtige Branche steht vor grossen Herausforderungen

5. Herausforderungen im Handel

Der technologische Wandel als Hauptschwierigkeit

Die Handelsbranche ist im stetigen Wandel. In den letzten Jahrzehnten konnte vor allem im Detailhandel eine Verschiebung vom stationären zum Onlinehandel hin beobachtet werden, insbesondere in den Warengruppen Textilien und Elektronikartikel. Erweiterte technische Möglichkeiten verstärken einerseits den Wettbewerb um Kunden, andererseits führten sie auch zu grossen Produktivitätssteigerungen. Die starke Währung, das Aufkommen der Sharing Economy, aber vor allem auch Protektionismus bringen die Handelsbranche unter Druck. Viele Händler müssen erneut über die Bücher gehen und ihre Geschäftsmodelle anpassen.

Um die Probleme der im Handel tätigen Unternehmen genauer abzubilden, führten economiesuisse und Handel Schweiz im Sommer 2017 eine Umfrage durch. Befragt wurden die Mitglieder von Handel Schweiz, dem Dachverband des Schweizer Handels, dem 34 Branchenverbände und 3800 Handelsunternehmen angehören.

Die Erhebung bringt ans Licht, dass die Digitalisierung und der technologische Fortschritt die grösste Herausforderung für die Branche darstellen (Abbildung 3). Über 60 Prozent aller Umfrageteilnehmer sehen die Digitalisierung als die wichtigste zu bewältigende Schwierigkeit an. Knapp an zweiter Stelle folgt der Onlinehandel. 59 Prozent der Handelsunternehmen orten im Onlinehandel und im E-Commerce eine wichtige Herausforderung für die Branche. In die Top drei schafft es auch der Einkaufstourismus bzw. die Verlagerung der Nachfrage ins Ausland. 53 Prozent aller Erhebungsteilnehmer sehen darin eine grosse Schwierigkeit. Die zunehmende Regulierungsdichte rangiert mit einer Nennung von 37 Prozent auf dem vierten Platz, gefolgt von Protektionismus und Handelshemmnissen, die von etwas über 30 Prozent aller Teilnehmer genannt werden.

Etwa jeder vierte bis fünfte Händler sieht eine Herausforderung in der Logistik, der Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal, den zunehmenden Liefergeschwindigkeiten und im zunehmenden Multi-Channeling. Als weniger problematisch betrachten die Handelsunternehmen die sich verändernde Altersstruktur der Kunden (Stichwort «Silver Economy»), die Zunahme der On-Demand-Produktion, die sich ändernden Zahlungsmethoden, den Einkauf als Erlebnis und den 3D-Druck.

Die grössten Herausforderungen im Handel lassen sich in drei Hauptgruppen aufteilen: Digitalisierung (Digitalisierung und technologischer Fortschritt, Onlinehandel und E-Commerce), Einkaufstourismus und Regulierungen (Regulierungen, Protektionismus und Handelshemmnisse). Auf diese Punkte wird im Weiteren detaillierter eingegangen.

Abbildung 3

Die Digitalisierung und die damit verbundenen Entwicklungen stehen im Sorgenbarometer der Handelsfirmen zuoberst.

Digitalisierung: Schwierigkeiten bei der Umsetzung

Die grössten Herausforderungen der Handelsbranche stellen Themen rund um den technologischen Fortschritt dar: Digitalisierung, Onlinehandel und E-Commerce werden jeweils von 60 Prozent als grösste Herausforderung eingestuft.

Die immer stärkere elektronische Vernetzung und Integration bringt einerseits viele Vorteile und Erleichterungen mit sich. So werden zum Beispiel Händler von der Notwendigkeit entlastet, umfangreiche Geschäftsbeziehungen zu zahlreichen unterschiedlichen Abnehmern zu unterhalten. Es existieren neue B2B-Plattformen, über die Unternehmen untereinander einfacher kommunizieren können. Sie können zudem durch Onlinemarketing und Onlinevertrieb viel einfacher ihre Zielgruppe ansprechen. Andererseits kreiert der technologische Fortschritt auch neue Herausforderungen. So ermöglicht das Internet, Absatzstufen wie den Grosshandel zwischen Hersteller und Endverbraucher auszuschalten und direkten Kundenkontakt herzustellen. Direktbeschaffungen nehmen zu, die Ware geht vermehrt von der Herstellung direkt zum Endverbraucher. Produzenten schliessen sich selbst zu Angebotsplattformen zusammen und schalten den Zwischenhandel aus.

Die stärkere elektronische Vernetzung und Integration führt auch zu einer näher zusammenrückenden Welt. Durch die Ausdehnung grosser internationaler Handelshäuser über die Landesgrenzen hinweg ergibt sich ein harter Kampf um Marktanteile. Wettbewerbsvorteile im Handel sind zunehmend daran geknüpft, immer grössere Datenmengen verfügbar zu machen, schnell zu verarbeiten und sicher auszutauschen.

Wie eine kürzlich publizierte Studie von Handel Schweiz verdeutlicht, sind 96 Prozent der im Handel tätigen Unternehmen davon überzeugt, dass die Digitalisierung ihr Geschäftsmodell verändern wird. Folglich bewerten sich 85 Prozent der Handelsunternehmen als aktiv oder als sehr aktiv im Bereich der Digitalisierung. 91 Prozent der Unternehmen trieben zum Zeitpunkt der Erhebung mindestens ein Projekt zur digitalen Kundenbindung voran.

Auch wenn der Handel bestrebt ist, die Digitalisierung voranzutreiben, so harzt es vor allem bei der Umsetzung. Neun von zehn Unternehmen haben Schwierigkeiten, mit der Digitalisierung Schritt zu halten, obwohl sie in diesen Bereichen zahlreiche Projekte vorantreiben. Die Hauptursachen für das harzige Vorankommen liegen für 80 Prozent der Umfrageteilnehmer an den fehlenden Ressourcen. Die Digitalisierung erfordert von Handelsunternehmen grosse Investitionen in IT (Vernetzung der Systeme), Software (CRM, ERP und Produktionssteuerung) und Personal. Auch die Verbesserung und Automatisierung der eigenen Prozesse bindet Ressourcen und ist eine wichtige Voraussetzung für die Digitalisierung (z. B. der Bau von Hochregallagern). 60 Prozent sehen fehlende technische Voraussetzungen als Dämpfer, während jedes zweite Unternehmen fehlende Fachkräfte und Wissen im Bereich der Digitalisierung beklagt. 50 Prozent der Teilnehmer bekunden Schwierigkeiten bei den aufwendigen internen Abstimmungen.

Beim Onlinehandel sind es vor allem kleinere Betriebe im Detailhandel, die sich gegenüber den digitalen Plattformen benachteiligt sehen. Sowohl bei der Preissetzung als auch beim Zugang zu Kunden können sie nicht mit den Onlineplattformen mithalten.Allein Zalando setzte 2017 624 Millionen Franken mit Schweizer Kunden um.

Die Entwicklungen zeigen, dass der Handel auf die zunehmende Vernetzung und Integration der Märkte reagieren muss. Es stellt sich die Frage, wie die Händler den Veränderungen am besten begegnen sollen. Zunächst ist es wichtig, die Digitalisierung der eigenen Prozesse zu meistern. Im Handel als Schnittstelle in der Wertschöpfungskette mit Just-in-time-Anforderungen ist dies zentral. Insbesondere Warenwirtschaftssysteme (sogenannte ERPs) und Kundenbewirtschaftungssysteme (sogenannte CRMs) müssen eingeführt und optimiert werden. Erst wenn die Digitalisierung der eigenen Prozesse gemeistert ist, kann sich ein Unternehmen die zunehmende Vernetzung und Integration der Märkte zu eigen machen. Und erst dann wird es möglich sein, die Transformation des eigenen Geschäftsmodells erfolgreich anzugehen (z. B. Big-Data-Anwendungen).

Trotz Abschwächung: Einkaufstourismus bleibt ein grosses Problem

Gemäss Untersuchungen der Credit Suisse fliesst jeder zehnte Franken, den Schweizer Konsumenten im Detailhandel ausgeben, in die Kassen von ausländischen Händlern. Der Einkaufstourismus belief sich 2016 auf 10 Milliarden Franken. Nicht nur der stationäre Detailhandel ist von der Nachfrageverschiebung ins Ausland betroffen, sondern auch der Online-Handel. Gemäss dem Verband des Schweizerischen Versandhandels stieg der grenzüberschreitende Online-Handel zwischen 2010 und 2017 von 0.5 auf 1.6 Mia Franken. Seit der Aufhebung der Frankenuntergrenze im Januar 2015 sank der Umsatz des Schweizer Detailhandels kontinuierlich.

Der Grosshandel, der den Detailhandel beliefert, leidet ebenso unter dem Einkaufstourismus. Handwerker, Gewerbetreibende und Fachbetriebe stehen ebenfalls unter einem Kostendruck und suchen günstigere Kanäle. Nicht erfasst ist auch das Ausmass des Onlinehandels aus dem Ausland. 2017 sind die Onlineeinkäufe aus dem Ausland um zehn Prozent auf 8,6 Milliarden Franken gestiegen. So kauft heutzutage zum Beispiel der Handwerker seine Werkzeuge immer öfter auf Amazon, also online im Ausland.

Der Einkaufstourismus dürfte sich aber abschwächen. Im letzten Jahr hat der Schweizer Franken gegenüber dem Euro um rund zehn Prozent an Wert verloren. Zudem steigen die nominellen Preise in der EU etwas stärker als in der Schweiz. Entsprechend ist seit Mitte 2017 ein Rückgang des Einkaufstourismus zu beobachten. Unlängst teilte der südbadische Handelsverband mit, dass die Umsätze mit Schweizer Einkaufstouristen um 40 Prozent eingebrochen seien. Ob es sich hierbei tatsächlich um eine Trendwende handelt oder nur um ein vorübergehendes Phänomen, dürfte im Wesentlichen von der Währungssituation abhängen.

Zunehmende Regulierungsdichte

Wie die Ergebnisse zum Vorschein gebracht haben, liegt eine der grössten Herausforderungen des Handels im regulatorischen Umfeld. Auf die Frage, wie die aktuelle Regulierungsdichte auf einer Skala von 1 bis 10 eingeordnet wird, wurde am häufigsten mit 8 geantwortet. Der Mittelwert (Median) aller Antworten liegt bei 7. Daraus ist zu schliessen, dass die Unternehmen das aktuelle regulatorische Umfeld eher negativ bewerten. Und das Regulierungsnetz wird immer dichter: So schätzen rund 78 Prozent der Umfrageteilnehmer die Tendenz als steigend oder eher steigend ein. Lediglich sechs Prozent sehen eine Reduktion der Regulierungsdichte, während jeder Sechste eine gleichbleibende Tendenz feststellt. Vier von fünf Betrieben finden, dass die Politik mehr gegen die Regulierungsdichte machen müsste, wogegen lediglich knapp 15 Prozent umgekehrter Meinung sind.

Abbildung 4

Die Einschätzung der Branche ist deutlich: Die Regulierungsdichte steigt, und Politiker machen nicht genug dagegen.

Umfrage economiesuisse/Handel Schweiz, 2017

Importhandelshemmnisse bremsen besonders stark

Offensichtlich wird das regulatorische Umfeld stetig schwieriger. Angesichts der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung der Handelsbranche ist diese Entwicklung besorgniserregend. Als Schmiermittel eines funktionierenden Wirtschaftssystems darf sie nicht zu stark in ihrem Handeln eingeschränkt werden. Vielmehr ist sie auf gute Rahmenbedingungen angewiesen, damit sie den Schweizer Kunden ein breites Sortiment zu international kompetitiven Preisen bieten kann.

Neben der zunehmenden Regulierungsdichte sind es vor allem Protektionismus und Handelshemmnisse, die der Branche zu schaffen machen. Jeder dritte Betrieb ortet hier Schwierigkeiten für den Handel. Wie die Erhebung weiter zutage bringt, hat der Freihandel für 70 Prozent der Umfrageteilnehmer einen wichtigen oder sehr wichtigen Stellenwert. Auf die Frage, welche Auswirkungen Handelshemmnisse auf die Schweiz haben, antworten entsprechend auch die meisten, dass dadurch unproduktive Branchen entstehen und Innovationen verhindert werden.

Importhandelshemmnisse sind für die Schweiz besonders problematisch, weil sie die inländische Produktion verteuern. Allein durch den Protektionismus im Agrarbereich entgehen der Schweiz jährlich mehrere Milliarden Franken. Auch Handelshemmnisse im Export schädigen die Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Wirtschaft. Als offene Volkswirtschaft ohne namhafte natürliche Ressourcen sind wir in besonderem Masse auf den Zugang zu den Weltmärkten angewiesen. Der stetige Ausbau von Handelsbeziehungen und eine auf Offenheit und Marktzugang ausgerichtete Aussenwirtschaftspolitik sind für eine funktionierende Import- und Exportbranche und somit auch für die Schweizer Wirtschaft zentral.