# 4 / 2020
27.08.2020

Gut geführte öffentliche Schulen für eine gute Bildung

3. Grundsätze der Führung in Expertenorganisationen

Bevor man über eine gute Führung öffentlicher Schulen nachzudenken beginnt, ist ein Blick über den Gartenhag angezeigt. Einerseits lohnt sich die Konsultation der einschlägigen Fachliteratur. Andererseits soll das Führen an öffentlichen Schulen mit dem Führen in vergleichbaren, ausserschulischen Organisationen verglichen werden. 

Schulen weisen zwar zurecht darauf hin, dass sie bei der Führung ihrer Organisation im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen Unternehmen einige Besonderheiten berücksichtigen müssen. Im Folgenden zeigen wir aber auf, dass private und öffentlich-rechtliche Expertenorganisationen auch viele Gemeinsamkeiten mit Schulen aufweisen. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Führung in Expertenorganisationen können deshalb wertvolle Hinweise für gute Führung an Schulen liefern. Dabei geht es im Gegensatz zum vorangehenden Abschnitt nicht um Führung auf der systemischen Ebene, sondern auf persönlicher und organisatorischer Ebene.

3.1. Was sind Expertenorganisationen?

Gemäss Rybnicek et al. (2016) beschäftigen Expertenorganisationen hoch qualifizierte Expertinnen/Experten. Diese wenden ihr spezialisiertes Wissen auf wechselnde, nicht routinierte Problemstellungen an. Das ist beispielsweise in der Forschung und Entwicklung, in Beratungsunternehmen, bei Verbänden und NGO, an Hochschulen und auch in Schulen der Fall. Expertenorganisationen lassen sich folgendermassen charakterisieren:

  • Qualität und Produktivität: Für die Organisation ist die Leistungsfähigkeit ihrer Expertinnen und Experten die wichtigste Ressource. Sie bestimmt die Qualität und die Produktivität des Unternehmens am stärksten. Die Arbeit der Expertinnen und Experten steht im Mittelpunkt der gesamten Organisation.
  • Individuelle Autonomie: Expertinnen und Experten besitzen genügend Freiheiten, um optimal zu arbeiten und ihre Arbeit. Expertinnen und Experten besitzen genügend Freiheiten, um optimal zu arbeiten und ihre Arbeit gemäss ihren Vorstellungen ausühren zu können. Sie sollten über ausreichende Autonomie bei der Entscheidung über Methoden, Ressourcen und Prozesse verfügen. Auf die individuellen Ziele, Prioritäten und wie stark sich die einzelnen Personen mit dem Unternehmen identifizieren, hat die Führung wenig Einfluss. 
  • Motivation: Expertinnen und Experten fühlen sich eher mit ihrem Beruf als mit ihrer Organisation verbunden. Deshalb ist es schwierig, sie für die Ziele der Organisation zu motivieren.
  • Expertise: Für Expertinnen und Experten ist die Erfahrung auf ihrem Gebiet wichtiger als Hierarchien.​ Führungskräfte müssen deshalb selbst über entsprechende Expertise verfügen. ​​Nur so kann die Akzeptanz unter den Mitarbeitenden sichergestellt werden.
  • Wissen: Wissen ist die Hauptleistung und das Kernangebot der Experten. Ein Wissensaustausch ist deshalb sehr wichtig für das individuelle und organisationale Lernen in einer Organisation. Dieser ist aber schwierig zu bewerkstelligen, da er teilweise im Widerspruch zur individuellen Autonomie steht.
  • Veränderungen: Experten wünschen keine Regeln und sind deshalb gegenüber Veränderungen häufig negativ eingestellt Sie wollen ihrer Arbeit so nachgehen können, wie es ihnen am besten passt.

Diese Charakteristika treffen in einem hohen Mass auch auf Schulen zu, sodass diese im Grundsatz auch Expertenorganisationen sind. 

3.2. Führung in Expertenorganisationen

Aufgrund der oben genannten Merkmale benötigen Expertenorganisationen eine eigene Art der Führung.  Herausforderungen in Expertenorganisationen sind gemäss Erne (2012)

  • Die Definition und das Messen der Produktivität der Experten.
  • Die Experten für die Ziele und Regelungen der Organisation zu motivieren.
  • Die Verbreitung und Nutzung des Wissens innerhalb der Organisation.

Die Führung eines Unternehmens kann in die strategische und operative Führung unterteilt werden. Die strategische Führung umfasst insbesondere die Zielsetzung für die Organisation. Die operative Führung soll das Erreichen der Ziele sicherstellen. Sie beschäftigt sich mit der organisatorischen, planerischen und personellen Führung im Tagesgeschäft einer Organisation. Dabei ist es wichtig, dass die strategische und die operative Führung sauber aufgeteilt sind (Bernstein et al., 2016). So müssen unter anderem Strukturen, Aufgaben und Kompetenzen klar definiert sein, damit die Rollen bekannt sind und keine Aufgaben doppelt oder gar nicht erledigt werden.

In Expertenorganisationen spielt Vertrauen eine grosse Rolle. Da die Tätigkeit zu grossen Teilen nicht beobachtbar und die Produktivität daher nicht klar ersichtlich ist, müssen die Führungspersonen den Expertinnen und Experten Freiräume gewähren und ihnen ihr Vertrauen aussprechen. Entsprechend sind auch Teambildung und die Wertschätzung der Mitarbeitenden zentral. So können der Zusammenhalt und der fachliche Austausch gestärkt werden.

Weiterbildung ist in Expertenorganisationen von besonderer Bedeutung. So können die Expertinnen und Experten gemäss ihren Fähigkeiten gefördert werden und Führungskräfte können ihre Führungskompetenz ausbauen. Sie ist ein gutes Mittel, um die Motivation in allen Bereichen der Organisation zu erhalten oder zu erhöhen.

Um den Bedürfnissen der Expertinnen und Experten gerecht zu werden, empfiehlt die Literatur einen transformationalen Führungsstil.  Dieser stellt je nach Fähigkeiten und Bedürfnissen der Mitarbeitenden andere Aspekte ins Zentrum. Die Führungsperson ist dann zum Beispiel Coach, Mentorin oder hierarchische Chefin, je nachdem, was gerade am sinnvollsten ist. Das Ziel ist, die Mitarbeitenden intellektuell anzuregen und optimal zu fördern.

In der Managementliteratur wird häufig die Führungsspanne thematisiert. Wie viele Mitarbeitende sollten einer Führungsperson unterstellt sein? Bis vor einigen Jahren war in der Literatur die Rede von einer sehr kleinen optimalen Führungsspanne von 1:4 bis zu 1:7. Heute geht der beobachtete Trend allgemein zu eher grösseren Führungsspannen. Die Frage nach der optimalen Führungsspanne ist nicht abschliessend geklärt, es gibt jedoch einige Faktoren, die einen Einfluss darauf haben. So sind kleine Führungsspannen unter anderem empfohlen, wenn die Aufgaben eher komplex und in ihrer Struktur abwechslungsreich sind, in der täglichen Arbeit hohe Varianzen auftauchen, die Arbeit hohe Risiken für die Organisation birgt, oder die Arbeit wenig automatisiert ist. Wenn die Öffentlichkeit die Ergebnisse der Organisation kritisch verfolgt oder die Entwicklung der Mitarbeitenden im Vordergrund stehen, ist eine kleinere Führungsspanne ebenfalls zu bevorzugen. Auch komplexe organisationale Strukturen, grosse geografische Distanzen oder ein hoher Koordinationsaufwand verlangen eine eher kleine Führungsspanne.

Erkenntnisse aus der Literatur zur Führung an Schulen

Was sagt die spezifische Literatur zum Thema Schulleitung? Auch diese betont, dass Lehrpersonen gewisse Freiheiten und Mitspracherechte besitzen sollten und die Führung den Lehrpersonen Vertrauen entgegenbringen muss. Ein transformationaler Führungsstil, der die unterschiedlichen Bedürfnisse der Lehrpersonen einbezieht, ist ebenso angebracht.

Die Beziehung zwischen der Schulleitung und den Lehrpersonen entspricht weitestgehend derjenigen zwischen Vorgesetzten und Experten in anderen Expertenorganisationen. Schulen sind jedoch insofern ein Spezialfall, als dass politische Akteure und die Öffentlichkeit verstärkt mitreden. Die strategische Führung nehmen die Schulbehörde, respektive der Gemeinderat und die kantonale Schulverwaltung wahr. Schulen müssen also die politische Einbettung und die geteilte Führung berücksichtigen. Zudem erfordert die Leitung einer Schule mehr Koordination zwischen unterschiedlichen Akteuren als die herkömmliche Führung in Expertenorganisationen. Die Aufgaben und Kompetenzen der drei Bereiche, Schulleitung, Schulverwaltung und Schulbehörde, sollten klar geregelt und aufgeteilt sein. Dies ist in der Realität nicht immer der Fall.

New Public Management ist ein Steuerungsmodell, das in der öffentlichen Verwaltung an Bedeutung gewonnen hat. Die klare Trennung der strategischen und operativen Führung ist ein zentrales Element. Gemäss Dubs (2005) ist der New Public Management-Ansatz auch für Schulen sinnvoll. Hierbei ist entscheidend, dass die oberste politisch-administrative Behörde (z. B. ein Erziehungsdepartement) klare Rahmenbedingungen setzt und ein Gesamtkonzept erstellt. Im Rahmen des New Public Management-Ansatzes sollen einzelne Schulen mehr Autonomie erhalten, da so ihre Wirksamkeit erhöht werden kann.

In der Literatur wird für Schulen der Führungsstil «Distributed Leadership» empfohlen.  Dabei ersetzen Rollen Hierarchien. Je nach Thema übernimmt jemand anders die Führung. So können die Expertinnen und Experten entsprechend ihren Fähigkeiten Führungsfunktionen übernehmen. Damit werden wie im transformationalen Führungsstil die Bedürfnisse der Lehrpersonen besonders berücksichtigt. Die Schulleitung interagiert nicht nur als Coach oder Mentorin, sondern überlässt in bestimmten Bereichen oder bei gewissen Projekten die Führung einer Expertin oder einem Experten. Zudem kann so die Schulleitung entlastet werden und sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Diese Fokussierung und Aufgabenteilung helfen dabei, das eigentliche Ziel zu erreichen, nämlich möglichst guten Unterricht zu bieten.