# 2 / 2020
25.06.2020

Biodiversität und Wirtschaft – eine Auslegeordnung

2. Nationale Gesetzgebung und internationale Abkommen der Schweiz zur Biodiversität

Überblick

Die Schweiz hat sich international im Rahmen der UNO-Biodiversitätskonvention zum Schutz der Ökosystemleistungen und der Artenvielfalt verpflichtet. Die sogenannten Aichi-Biodiversitätsziele, welche als Rahmen für nationale und regionale Zielsetzungen bis 2020 dienen, haben in der Strategie Biodiversität Schweiz des Bundesrats Eingang gefunden. Ausserdem hat die Schweiz 2015 als Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung mitunterzeichnet. Die Agenda 2030 ist der global geltende Rahmen zur gemeinsamen Lösung der grossen Herausforderungen der Welt. Dazu gehört auch der Erhalt der Biodiversität. Ziel 15 fordert, Landökosysteme zu schützen, wiederherzustellen und ihre nachhaltige Nutzung zu fördern sowie den Biodiversitätsverlust zu stoppen. Die Strategie Nachhaltige Entwicklung 2016–2019 des Bundesrats orientiert sich an der Agenda 2030; derzeit wird die Nachfolgestrategie erarbeitet. 
Die Bundesverfassung verpflichtet Bund und Kantone, für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen zu sorgen und dabei die natürliche Umwelt des Menschen vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen zu schützen (Art. 2 und 74 der Bundesverfassung). Die Erhaltung und die Förderung der Biodiversität finden in verschiedenen Bundesgesetzen Niederschlag. Dazu zählen das Natur- und Heimatschutzgesetz, das Umweltschutzgesetz, das Jagdgesetz, das Gewässerschutzgesetz, das Fischereigesetz sowie das Gentechnikgesetz. Ein nachhaltiger Umgang mit der Biodiversität wird unter anderem im Raumplanungsgesetz, im Landwirtschaftsgesetz, im Waldgesetz und im Nationalparkgesetz geregelt. 
 

Internationales Biodiversitätsabkommen nach 2020

Die 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP15) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) hätte im Oktober 2020 in Kunming, China, stattfinden sollen. Aufgrund der Corona-Krise wurde sie verschoben. An der Konferenz soll ein neuer globaler Rahmen für die Erhaltung der biologischen Vielfalt nach 2020 verhandelt werden. Der bisherige Strategische Plan startete 2011 und läuft 2020 aus. Er beinhaltet die sogenannten Aichi-Biodiversitätsziele und diente als Rahmen für nationale und regionale Zielsetzungen. 
Das neue Biodiversitätsabkommen basiert auf der Annahme, dass dringende politische Massnahmen erforderlich sind, um den Verlust der biologischen Vielfalt in den nächsten zehn Jahren zu stabilisieren und bei der Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme in den nächsten 20 Jahren Nettoverbesserungen zu erzielen. Auch die OECD sieht das so und attestiert dem globalen Rahmen eine Chance, «die Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen.»  
An der COP15 sollen einerseits Ziele zum Schutz der Fläche definiert werden. Gleichzeitig soll das Abkommen dazu beitragen, die biologische Vielfalt nachhaltig zu nutzen, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Weiter wird eine Ausweitung der Bestimmungen zum Zugang zu genetischen Ressourcen und dem gerechten Vorteilsausgleich («Access & Benefit Sharing», ABS) diskutiert. Bereits heute soll gemäss ABS-Bestimmungen ein Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen der Ursprungsländer genetischer Ressourcen und derjenigen Länder erfolgen, in denen die genetischen Ressourcen genutzt werden. Im Moment laufen Verhandlungen darüber, ob zukünftig auch immaterielle digitale Sequenzinformationen einer Verpflichtung zum Vorteilsausgleich unterliegen sollen. Die offizielle Schweizer Position war bisher eindeutig, dass immaterielle digitale Informationen keine genetischen Ressourcen darstellen und daher nicht von dessen ABS-Verpflichtungen erfasst werden müssen.
 

Einordnung aus Sicht der Wirtschaft

Für die Schweizer Wirtschaft sind die Erhaltung und der Schutz der Biodiversität ein wichtiges Anliegen. Die Schweiz soll den ihr zustehenden Beitrag hierzu leisten. Angesichts der globalen Herausforderung der Biodiversität ist eine internationale Koordination von zentraler Wichtigkeit. 
Allerdings bleiben im Zusammenhang mit der konkreten Umsetzung des Biodiversitätsabkommens bisher viele Fragen offen – z.B. in Bezug auf die Finanzierung. Es bleibt etwa unklar, was mit den Geldern aus dem Vorteilsausgleich passiert, bzw. ob sie wiederum für Biodiversitätszwecke eingesetzt werden. Es ist bisher auch nicht überprüfbar, inwiefern die internationalen Ziele auf nationaler Ebene bei den Mitgliedsstaaten erreicht werden. Allgemein ist es fraglich, ob die Umsetzungs-, Rechenschafts- und Monitoringmechanismen verbindlich gestaltet werden können.
Neue Zugangsregeln zu digitalen Sequenzinformationen im Rahmen des Biodiversitätsabkommens lehnt die Wirtschaft ab – insbesondere bei einer restriktiven, administrativ aufwendigen und finanziell unverhältnismässigen Ausgestaltung. Diese hätte nachteilige Auswirkungen auf den Forschungs- und Werkplatz Schweiz. Eine Abkehr vom bisher freien Zugang zu solchen Informationen in Datenbanken würde drei Hauptprobleme aufwerfen:

  • Administrativer Mehraufwand: In vielen Forschungsgebieten werden routinemässig Hunderte oder sogar Tausende von Gensequenzen aus Datenbanken geladen und analysiert. Wenn in Zukunft für jede einzelne Sequenz vorher abgeklärt werden müsste, was die rechtmässigen Zugangsmodalitäten sind und woher man eine Bewilligung bekommt, würde das zu einem enormen Zusatzaufwand führen, der viele Forschungsansätze praktisch verunmöglichen würde.
  • Finanzieller Mehraufwand: Wird für die Verwendung einer digitalen Sequenzinformation ein Vorteilsausgleich fällig, kann zwischen einer finanziellen Entschädigung (z.B. einem Prozentsatz des Produkterlöses oder einer Zahlung bei jedem Zugang) und einer nicht monetären Form (z.B. durch Forschungszusammenarbeit) unterschieden werden. Je nach Ausgestaltung der Forderungen könnte das sehr teuer werden – vor allem dann, wenn in eine Produktentwicklung nicht nur eine einzelne Sequenzinformation einfliesst, sondern mehrere Hundert oder Tausend davon.
  • Nachteile für den Forschungsstandort Schweiz: Der freie Austausch von Informationen über die Ländergrenzen hinweg ist zentral für die Attraktivität und den Erfolg der Schweizer Forschung. Würde der Zugang zu digitalen Sequenzinformationen erschwert, beeinträchtigte dies den wissenschaftlichen Fortschritt in unserem Land – gerade auch in so wichtigen Forschungsfeldern wie der Biodiversität oder der Pharmazie.
     

Aktionsplan Biodiversität

Der Aktionsplan Biodiversität leitet sich aus der Biodiversitätsstrategie des Bundesrats ab. Die entsprechenden Massnahmen werden in einer ersten Phase zwischen 2017 und 2023 umgesetzt (vgl. Grafik). Der Bundesrat wird 2023 über eine zweite Umsetzungsphase in den Jahren 2024 bis 2027 entscheiden. Der Aktionsplan beinhaltet praktische Fördermassnahmen im Feld, welche die Artenvielfalt und die Schaffung einer sogenannten Ökologischen Infrastruktur fördern sollen. Die Ökologische Infrastruktur besteht aus untereinander vernetzten Lebensräumen, die den Entwicklungs- und Mobilitätsansprüchen der Arten in ihren Verbreitungsgebieten Rechnung tragen sollen. Weiter will der Aktionsplan Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit für die Wichtigkeit der Biodiversität als Lebensgrundlage sensibilisieren.
Die Projektumsetzung erfolgt grösstenteils unter der Federführung des Bundesamts für Umwelt, jedoch in enger Zusammenarbeit mit anderen Bundesstellen (insbesondere mit dem Bundesamt für Strassen, dem Bundesamt für Verkehr und dem Verteidigungsdepartement und dem Bundesamt für Landwirtschaft), den Kantonen und Dritten (z.B. NGO, Forschung). Das Gesamtbudget des Aktionsplans beträgt aufseiten des Bundes für die erste Umsetzungsphase rund 400 Millionen Franken, wobei der grösste Teil der Gelder in die Sofortmassnahmen fliesst.

Der Aktionsplan Biodiversität beinhaltet praktische Fördermassnahmen, die Schaffung politischer Synergien und Wissensvermittlung.

Einordnung aus Sicht der Wirtschaft

Aus langfristiger Sicht kann der Aktionsplan Biodiversität dazu beitragen, dass die Wirtschaft auch in Zukunft von biodiversitätsgenerierten Ökosystemleistungen wie Anpassung an den Klimawandel oder natürlicher Schädlingskontrolle profitiert. Dafür ist es zentral, dass die zur Verfügung stehenden Mittel möglichst effizient und effektiv eingesetzt werden, damit das volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Verhältnis positiv ausfällt. Ebenso wichtig für den Erfolg des Aktionsplans ist, dass eine Brücke geschlagen werden kann zwischen der Biodiversitätspolitik des Bundes und anderen Politikbereichen, wie z.B. der Landwirtschaftspolitik oder der Raumplanung. Ebenso entscheidend ist der Einbezug der volkswirtschaftlichen Perspektive. 

Biodiversitätsinitiative

Im März 2019 haben Pro Natura, BirdLife Schweiz, der Schweizer Heimatschutz und die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz eine Doppelinitiative lanciert: die Biodiversitäts- und die Landschaftsinitiative  Die Sammelfrist dauert bis zum 26. September 2020. Die Doppelinitiative steht im Zusammenhang mit der gescheiterten Zersiedelungs-Initiative sowie mit der aus Sicht der Initianten unbefriedigenden Umsetzung des Aktionsplans Biodiversität. 
Die Biodiversitätsinitiative soll im Sinne einer Durchsetzungsinitiative der Biodiversität in der Verfassung mehr Gewicht verleihen. Konkret sollen «genügend Flächen und Geld für unsere Natur» gesichert werden. Darüber hinaus sollen die Zuständigkeitsbereiche von Bund und Kantonen präzisiert werden. Aufseiten des Bundes sind keine effektiven Änderungen ersichtlich, jedoch kann es bei den Kantonen zu gewissen Verschiebungen kommen (beispielsweise in Bezug auf Eingriffe in Schutzgebiete) und zudem möchten die Initianten auf Ebene Bund einen Sachplan ökologische Infrastruktur erwirken. Bei Eingriffen in Schutzgebiete soll ausserdem neu gewährleistet werden, dass «der Kerngehalt der Schutzwerte» ungeschmälert erhalten bleibt.
 

Einordnung aus Sicht der Wirtschaft

Der Initiativtext der Biodiversitätsinitiative ist vage formuliert. Insbesondere bleiben Art und Menge der geforderten «Flächen, Mittel und Instrumente» unklar und müssten in einer Umsetzungsgesetzgebung erfolgen. Eine pauschale und undifferenzierte Schaffung von mehr Biodiversitätsflächen und -geldern ist aus Wirtschaftssicht nicht angezeigt. Zudem ist die Initiative auch aus raumplanerischer Sicht abzulehnen. Die Forderung nach dem Erhalt des «Kerngehalts der Schutzwerte» wird es z.B. in drei Vierteln der Stadt Zürich fast verunmöglichen zu bauen, da das Inventar der schützenswerten Ortsbilder (ISOS) auch zu den Inventaren zählt, die unter die neuen Regelungen der Biodiversitätsinitiative fallen. Heute sind «nur» 11% mit dem Erhaltungsziel A (d.h. Erhalt der Substanz) belegt. Wenn neu nun auch in Gebieten mit weniger strengen Erhaltungszielen der «Kerngehalt» erhalten werden müsste, so bedeutete dies eine massive Verschärfung der Anwendung des ISOS. Es ist schwer vorstellbar, dass dann in einem Gebiet höher und dichter gebaut werden darf, wenn beispielsweise das Erhaltungsziel B (Erhalt der Struktur) gilt und das Gebiet im ISOS wie folgt beschrieben wird: «zweigeschossige Ein- und Zweifamilienhäuser trauf- oder giebelständig gereiht entlang paralleler Quartierswege».
Erfolgreicher Biodiversitätsschutz heisst, die unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen. Dabei gilt es, Zielkonflikte zwischen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aktivität, landwirtschaftlicher Produktion, Ressourcen- und Landschaftsschutz zu adressieren. Bevor neue Finanzierungsinstrumente geschaffen werden, sollten die bestehenden staatlichen Anreize überprüft werden, ob sie der biologischen Vielfalt schaden – dies in Form von Beiträgen, Darlehen und Steuervergünstigungen für Aktivitäten, die z.B. das Zerschneiden von Lebensräumen begünstigen. Ausserdem sollte zuerst evaluiert werden, wo heute ein ungedeckter Finanzierungs- und Flächenbedarf besteht.