Wieso konnten Putin die Sanktionen bisher nichts anhaben?

Der Westen hat mittlerweile sechs Sanktionspakete gegen Russland beschlossen. Dennoch scheinen diese am Regime in Moskau weitgehend abzuperlen. Wieso vermögen derart scharfe Massnahmen so wenig auszurichten? Dies liegt einerseits daran, dass Schwergewichte wie China und Indien die Sanktionen nicht mittragen. Interessant ist nun aber andererseits, dass Russland seit Jahren Vorbereitungen getroffen hat, um die Wirkung derartiger Sanktionen abzuschwächen.

Die Welt hat sich schon vor dem Ukraine-Krieg stark verändert. Der einst dominierende Westen erhielt starke Konkurrenz aus Asien, wo viele Länder wirtschaftlich rasch aufholten und insbesondere China zur neuen Supermacht emporsteigen konnte. Wenn nun diese Länder die Sanktionen des Westens gegenüber Russland nicht mittragen, können diese leichter umgangen werden. Kurzum: Es gibt heute Alternativen zum Westen.

Doch das Regime hat sich auch systematisch auf diesen Krieg vorbereitet. Nicht nur militärisch hat Russland aufgerüstet. Mindestens fünf Voraussetzungen wurden geschaffen, damit die Sanktionen Russland weniger anhaben können.

1. Zustimmungsraten steigen in Konflikten

Die Propaganda wirkt. Putin wusste aus Erfahrung, dass die russische Bevölkerung zum grossen Teil hinter einem Einmarsch in die Ukraine stehen würde, wenn sie nur genügend darauf vorbereitet würde. Schon die kriegerischen Handlungen in Tschetschenien, Georgien oder auf der Krim führten dazu, dass die Zustimmungsraten zu seiner Präsidentschaft in die Höhe kletterten. Die Schuldzuweisung an die Ukrainer und deren Verteufelung entstand jedoch nicht über Nacht, sondern wurde lange vorbereitet. Dies war auch notwendig, weil auch in der Ukraine teilweise russisch gesprochen wird und viele familiäre Bande zwischen den beiden Ländern existieren. Erst die jahrelange Propaganda schuf die Voraussetzung, dass den Ukrainern die Rolle der «Bösen» zugewiesen werden konnte und die Russen sich auch bei Mangellagen oder Verlusten nicht gegen das Regime auflehnen würden.

2. Leere Gasspeicher erhöhen die Abhängigkeit von Russland

Europa ist von russischem Gas abhängig. Deutschland (und auch die Schweiz) importieren rund die Hälfte ihres Gasbedarfs aus Russland. Die russische Gazprom sorgte dafür, dass gerade die grössten Gasspeicher in Europa im Sommer 2021 nicht wieder aufgefüllt wurden, wie das in der Vergangenheit stets geschehen war. Die Folge war, dass die Gasspeicher in ganz Europa vor dem Winter im Durchschnitt zu weniger als 80 Prozent gefüllt waren. 2019 beispielsweise betrug der Füllstand fast 100 Prozent. Wenn es nicht gelingt, die 80 Prozent vor diesem Winter wieder zu erreichen, wird es kritisch. Russland sorgte also dafür, dass Europa bei einem Gaslieferboykott ins Schwitzen – oder besser: ins Frösteln – kommt.

3. Russland produziert ausreichend Nahrungsmittel für die Bevölkerung

Russland hat die Nahrungsmittelproduktion in den letzten Jahren massiv ausgebaut. Während das Land vor einigen Jahren noch Nettoimporteur beispielsweise von Weizen war, ist es mittlerweile der weltgrösste Weizenexporteur. Auch die Geflügel- oder Schweineproduktion wurde stark ausgebaut. Russland kann somit, zumindest über eine gewisse Zeit, bis Ersatzteile usw. für die Maschinen und Fahrzeuge fehlen, seine Bevölkerung eigenständig ernähren. Die Erfahrung zeigt, dass die Bevölkerung vor allem dann aufbegehrt, wenn Nahrungsmittel knapp oder sehr teuer werden. Auch von dieser Seite ist das russische Regime also kaum angreifbar.

4. Die russische Staatsverschuldung ist sehr tief

Im Jahr 2000 lag Russlands Schuldenquote im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) bei über 135 Prozent. Doch sie wurde in den folgenden Jahren systematisch reduziert und pendelte sich deutlich unter 20 Prozent ein. Zum Vergleich: Die Schuldenquote der Bundes beträgt derzeit mehr als das Doppelte, diejenige von Deutschland liegt bei 80 Prozent, jene von Italien bei 185 Prozent des BIP. Die vergleichsweise winzige Schuldenquote sorgt dafür, dass Russland kaum von internationalen Kapitalgebern abhängig ist. Das hilft, im Falle von Sanktionen eine Währungskrise zu vermeiden. Der Rubel hat sich denn auch nach dem Taucher zu Beginn des Krieges rasch erholt und notiert derzeit sogar etwas stärker als vor dem Einmarsch in die Ukraine.

5. Relativ hohe Fremdwährungsbestände

Russland hat in den letzten Jahren die Fremdwährungsbestände erhöht. Vor dem Ukraine-Krieg betrugen diese etwa 630 Milliarden Dollar. Zwar wurden davon 152 Milliarden, die bei anderen Zentralbanken liegen, durch die Sanktionen eingefroren. Dennoch verbleiben ein paar Hundert Milliarden Devisen, mit denen Russland Importe finanzieren kann. Terminlich nicht ganz geklappt hat die Vorbereitung für den Fall eines Ausschlusses russischer Banken aus dem Finanzsystem Swift. Vor Kurzem aber kündigte Russland an, dass nun eine Alternative in Form einer Blockchain-Plattform namens CELLS zur Verfügung stehe. Zum einen soll das neue System es Russland ermöglichen, die Importe in Rubel zu bezahlen. Zum anderen sollen ausländische Staaten ihre Importe aus Russland in ihrer Landeswährung bezahlen können.

Die Sache lässt sich so zusammenfassen: Die Strategie des Westens, mittels Sanktionen den Rückhalt des Regimes in der russischen Bevölkerung zu untergraben, hat es schwer. Eine Bevölkerung, die genug zu essen hat, für die Energie günstig bleibt, die über Umwege nach wie vor sehr viele Produkte kaufen kann und die den Krieg billigt, wird sich so rasch nicht gegen ihre Regierung auflehnen.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Sanktionen völlig wirkungslos sind. Doch sie entfalten ihre Wirkung erst langfristig: Wenn die Traktoren und Maschinen aufgrund fehlender Ersatzteile stillstehen oder die westliche Technologie für das Militär und die Wirtschaft fehlen, dann werden sich immer mehr Risse im Gebälk zeigen. Hoffen wir, dass die russische Bevölkerung diese Risse eher früher als später wahrnimmt und auch erkennen kann, wer für ihre Probleme wirklich verantwortlich ist.