Der Franken drückt: Wachstum der Schweizer Wirtschaft bleibt unter Potenzial

Rund elf Monate nach dem Entscheid der Nationalbank hat die Schweizer Wirtschaft die starke Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro noch keineswegs verdaut. Sie befindet sich mitten in einem Transformationsprozess, der die konjunkturelle Entwicklung auch 2016 noch stark prägen wird. Rudolf Minsch, Chefökonom von economiesuisse, rechnet im kommenden Jahr mit einem Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 1,2 Prozent.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat am 15. Januar 2015 die Wechselkursuntergrenze zum Euro aufgehoben. Seither fordert der überbewertete Franken die Schweizer Unternehmen heraus und zwingt sie zu Kostensenkungen und Produktivitätssteigerungen. Die Anpassungen an die neuen Währungsverhältnisse fallen von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich aus. Gemäss economiesuisse-Chefökonom Rudolf Minsch «kann in einem Zwischenfazit festgehalten werden, dass die Unternehmen entschieden und schnell auf den Schock reagiert haben». Im Vergleich zu 2011 hätten sich die Importpreise rascher und stärker angepasst. Dasselbe gelte für die Produzentenpreise. Die Produktion in der Schweiz ist also günstiger geworden. Trotzdem ist es im Exportsektor zu einem Arbeitsplatzabbau gekommen. Im Gegensatz zu den Preisanpassungen handelt es sich dabei um einen schleichenden und verzögerten Prozess, der noch über eine längere Zeit nicht abgeschlossen ist. Die Auswirkungen der Frankenaufwertung sind also noch nicht verdaut: Auch 2016 wird die Wirtschaft stark damit beschäftigt sein, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. 

Verhalten positive Signale aus dem Ausland

Der Frankenschock hatte nach Einschätzung von economiesuisse nur deswegen keine dramatischen Auswirkungen auf die Wirtschaft, weil sich die Hauptabsatzmärkte der Schweizer Exportbranchen verhalten positiv entwickelt haben – ein Trend, der sich fortsetzen dürfte. In Europa wachsen insbesondere Deutschland und einzelne nordische Länder relativ robust. Endlich sollte auch Italien die Talsohle definitiv hinter sich lassen können und 2016 – auf tiefem Niveau – mit etwas höheren Wachstumsraten aufwarten. Ein eigentlicher Lichtblick stellt die US-Wirtschaft dar, die Tritt gefasst hat und neue Stellen schafft. Demgegenüber kommt die wirtschaftliche Entwicklung Frankreichs, dem nach Deutschland und USA drittwichtigsten Absatzmarkt der Schweizer Wirtschaft, nicht in Gange. Ein Bremsklotz der europäischen Entwicklung stellt nach wie vor die mangelnde Kreditversorgung dar. Trotz der ultraexpansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank haben KMU in mehreren Ländern weiterhin Schwierigkeiten, einen Kredit zu erhalten.

2015 hat die Wachstumsabschwächung in China aufgeschreckt: Der sinkende Aussenhandel belastete auch viele aufstrebende Länder Asiens und damit auch die Schweizer Exportindustrie. Mittlerweile hat sich die wirtschaftliche Lage im Reich der Mitte etwas stabilisiert, die Wachstumsraten werden in Zukunft aber tiefer ausfallen als in der Vergangenheit. Weiterhin belastet der tiefe Erdölpreis Länder wie Russland, Brasilien, Norwegen oder Mexiko, stützt aber das Wachstum in anderen Ländern. Negativ auf das Investitionsklima wirkt sich die erhöhte politische Unsicherheit im Nahen Osten aus. Im Vergleich zu Anfang Jahr hat sich das Wachstum der Weltwirtschaft etwas abgeschwächt. Immerhin wächst sie moderat und sorgt so dafür, dass die Schweizer Exporteure neben dem starken Franken nicht auch noch mit einer rückläufigen Nachfrage auf den Absatzmärkten zu kämpfen haben. 

Stabilisierung der Exporte im nächsten Jahr

Die Frankenstärke hat zu einem Rückgang der Wertschöpfung in weiten Teilen der Exportindustrie geführt. Besonders betroffen sind Branchen, die stark auf Europa ausgerichtet sind und keine grosse Marge aufweisen – etwa die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie oder die Textil- und Bekleidungsindustrie. Minsch prognostiziert, dass mit Ausnahme der chemisch-pharmazeutischen Industrie und der Medizinaltechnik alle Exportbranchen auch 2016 unterdurchschnittlich wachsen. Dies treffe auch auf den Tourismus zu, der sich nach einem starken Einbruch 2015 im nächsten Jahr aber immerhin stabilisieren sollte. 

Binnenwirtschaft: Gesundheitswesen und Finanzindustrie geben Impulse

Die Binnenwirtschaft stützt weiterhin die Konjunktur, allerdings verleiht sie ihr 2016 insgesamt keine Impulse mehr. Den Grund dafür sieht man beim Wirtschaftsdachverband in den unterschiedlichen Entwicklungen innerhalb der Binnenwirtschaft. Ein eigentlicher Wachstumstreiber stellen in diesem und im kommenden Jahr lediglich die Gesundheitsausgaben dar, die 2016 sogar noch stärker steigen dürften als 2015. Auch die Finanzwirtschaft wächst weiterhin über dem Landesdurchschnitt. Sowohl Versicherungen als auch Banken und Vermögensverwalter erwarten eine durchaus positive Entwicklung der Branchenwertschöpfung, wofür vor allem das Inlandgeschäft verantwortlich ist. Zudem sind im wirtschaftlich schwierigen Umfeld Beratungsdienstleistungen gefragt. Andere Branchen der Binnenwirtschaft entwickeln sich aber unterdurchschnittlich. So leidet der Detailhandel unter dem Einkaufstourismus und sinkenden Preisen. Tiefe Energiepreise belasten die gesamte Energiewirtschaft. Die Bauwirtschaft stabilisiert sich 2016 immerhin nach dem diesjährigen Rückgang.

Das Wachstum der Binnenwirtschaft wird gemäss Minsch aber durch vier Faktoren gebremst: Erstens werden die Ausgaben von Bund und Kantonen im nächsten Jahr deutlich geringer wachsen als bisher. Zweitens steigen die Arbeitslosenzahlen weiter an. Drittens werden binnenwirtschaftliche Unternehmen verstärkt durch ausländische Anbieter konkurrenziert, was beispielsweise in der Druck- und Verpackungsindustrie schon länger der Fall ist. Viertens erschweren die Währungssituation und Unsicherheiten in Bezug auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Umsetzung der Unternehmenssteuerreform III und Masseneinwanderungsinitiative) die Planbarkeit und reduzieren Investitionen. 

Positiv wirkt sich hingegen die anhaltende Zuwanderung aus, auch wenn sie rückläufig ist und entsprechend für keine zusätzlichen Impulse mehr sorgt. Zudem steigen die Reallöhne bei einer negativen Teuerung von -1,1 Prozent in diesem Jahr und leichten Nominallohnerhöhungen von rund 0,6 Prozent 2016 entsprechend stark an. Generell sinkende Retailpreise und im Speziellen die tiefen Energiepreise fördern den Konsum. Und schliesslich erlauben die tiefen Zinsen höhere Privatausgaben und stützen den Wohnungsbau. Insgesamt ist 2016 mit einem anhaltenden, aber schwächeren Wachstum des privaten und öffentlichen Konsums und einer mehr oder weniger gleichbleibenden Bautätigkeit zu rechnen. 

Konjunkturaussichten 2016

«Das Wachstum der Schweizer Wirtschaft wird auch 2016 mit 1,2 Prozent wiederum deutlich unter ihrem Potenzialwachstum bleiben», erklärte Minsch heute vor den Medien. Dies habe Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit, die mit einer gewissen Verzögerung auch weiterhin leicht zunehmen werde. Er schätzt, dass die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt auf 3,7 Prozent steigt. Die durch den Frankenschock ausgelösten Preisanpassungen seien weitgehend erfolgt, sodass sich die Inflationsrate wieder in Richtung Nullpunkt bewegen werde. 

Konjunkturelle Risiken

Die Schweizer Wirtschaft steht vor einem weiteren herausfordernden Jahr. Das Abwärtsrisiko Nr. 1 besteht in einer weiteren Frankenaufwertung gegenüber dem Euro. Während bei einem Kurs von etwa 1.08 die Herausforderungen gross sind, würden bei einem Paritätskurs die Probleme für viele Unternehmen unlösbar. Ein weiteres Abwärtsrisiko ist ein möglicher Rückschlag der europäischen Konjunktur, denn von einer stabilen Erholung kann hier noch nicht gesprochen werden. Auch die positive Entwicklung in den USA könnte sich als trügerisch erweisen. Das Besondere an diesen Abwärtsrisiken ist, dass sie miteinander verknüpft sind: Bei schwachem Wachstum in den USA würde sich der Dollar wieder abwerten, den Wettbewerbsvorteil der europäischen Exporteure reduzieren, weitere geldpolitische Stimuli der EZB hervorrufen und den Franken wieder ins Schaufenster der internationalen Märkte rücken. Rudolf Minsch betont deshalb: «Je rascher die ultraexpansive Geldpolitik der grossen Zentralbanken beendet wird, desto besser für die Schweizer Wirtschaft.»

Prognosen Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung                                                                       

Veränderung gegenüber Vorjahr (%)          

2012

2013

2014

2015P

2016P

Bruttoinlandprodukt, real

1.1

1.8

1.9

0.9

1.2

Privater Konsum

2.7

2.2

1.3

1.2

1.0

Öffentlicher Konsum

2.1

1.3

1.3

3.0

0.9

Bauinvestitionen

2.9

3.1

3.3

-1.7

0.2

Ausrüstungsinvestitionen

2.8

0.0

1.3

2.1

1.0

 

 

Exporte (Total)1

3.0

0.0

4.2

0.8

2.3

Importe (Total)1

4.4

1.3

2.8

1.2

2.0

1 ohne nicht monetäres Gold und Wertsachen

Prognosen Preise und Arbeitsmarkt

Inflationsrate

-0.7

-0.2

0.1

-1.1

0.0

Arbeitslosenquote

2.9

3.2

3.2

3.3

3.7

Exogene Annahmen*

2015

2016

Wechselkurs CHF/Euro

1.07

1.09

Wechselkurs CHF/$

0.96

1.02

Ölpreis in $

55

55

Wachstumsrate U.S.

2.5

2.8

Wachstumsrate Euro-Zone

1.4

1.8

Wachstumsrate China

6.8

6.3

Kurzfristige Zinsen

-0.8

-0.8

Rendite Bundesobligationen

-0.1

-0.3

* Inputgrössen für die Schätzung der Konjunkturprognosen