Fiebermesser mit hoher Temperatur liegt auf Schweizer Flagge

Corona-Krise: Der Staat ist in der Pflicht

In der gegenwärtigen Krise müssen wir den Fünfer auch aus ordnungspolitischer Sicht für einmal gerade sein lassen, sonst droht eine Kettenreaktion in der Wirtschaft.

Ordnungspolitik bedeutet eigentlich, dass Unternehmen das unternehmerische Risiko tragen. Wenn die Nachfrage nach ihren Produkten zurückgeht, dann müssen sie die erforderlichen Massnahmen einleiten. Wenn Unternehmen dies nicht schaffen, verschwinden sie vom Markt. Der Staat soll nicht intervenieren und den Strukturwandel durch Unterstützungsmassnahmen künstlich hinauszögern.

Doch nun haben wir eine völlig andere Situation: Der Staat verbietet es vielen Unternehmen in diesem Land, ihre Geschäfte weiterzuführen, um die Bevölkerung vor einer Ausbreitung des Coronavirus zu schützen. economiesuisse unterstützt diese Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung, auch wenn sie für die Wirtschaft massiv und einschneidend sind. Restaurants blieben auf ihren Vorräten sitzen, Pisten wurden präpariert, ohne dass sie benutzt werden konnten, die Frühlingskollektion darf nicht mehr im Laden verkauft werden – ein Teil-Shutdown der Wirtschaft über Nacht.

Der Teufel steckt im Detail 

Die betroffenen Unternehmen konnten diese Entwicklung nicht voraussehen. Die Verbote können nun nicht gleichgesetzt werden mit einem Marktrisiko, das der Unternehmer allein zu tragen hat. Wenn die Nachfrage durch eine Rezession einbricht, muss das Unternehmen dieses Risiko tragen. Das Gleiche gilt, wenn seine Produkte zu teuer sind oder nicht mehr der Mode entsprechen. Nun aber hat der Staat über Nacht angeordnet, dass das Skigebiet geschlossen werden muss oder das Restaurant und der Kleiderladen keine Kundschaft mehr empfangen dürfen. Aus der Sicht der betroffenen Unternehmen kommen die staatlichen Massnahmen einer Teilenteignung gleich. Der Staat steht daher in der Verantwortung, die Unternehmen zu unterstützen, die durch seine Entscheide plötzlich in schwerwiegende wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind.

Natürlich steckt der Teufel im Detail. Welche Unternehmen unterstützt man, wie gross ist die Hilfe, wird die Liquidität überbrückt, oder fliessen auch A-fonds-perdu-Beiträge? Umreissen wir daher Massnahmen, die in dieser schwierigen Situation ordnungspolitisch vertretbar sind. Erstens sollten nach Möglichkeit keine neuen Strukturen geschaffen werden. Diese tendieren dazu, lange nachdem die Krise vorbei ist, ihr dann unnötig gewordenes Dasein weiter zu rechtfertigen. Zweitens ist es unmöglich, die vielen Anträge durch eine einzige Institution bearbeiten zu lassen. Eine zentrale Bundeslösung ist daher auch nicht zweckmässig, sondern es braucht dezentrale Lösungen. Drittens sollte die Unterstützung nur denjenigen Betrieben zukommen, die an sich solvent sind. Nicht überlebensfähige Unternehmen, die auch ohne Coronavirus aus dem Markt ausscheiden würden, sollten nicht unterstützt werden. Sonst könnten die Beträge für betroffene Unternehmen nicht ausreichend gross sein. Es nützt nichts, wenn flächendeckend alle Betriebe ein bisschen Unterstützung erhalten.

Bestehende Institutionen nutzen 

Aufgrund dieser drei Punkte sollten nun rasch Lösungen gefunden werden, indem auf bestehende Institutionen zurückgegriffen wird. Zwar verfügen Branchenverbände über etablierte Strukturen, sie haben aber das Problem, dass sie nicht gegen die Interessen einzelner Mitglieder agieren können. Und dies ist unabdingbar, damit nicht Strukturen erhalten werden, die sowieso nicht überlebensfähig sind. Doch viele Branchen haben professionelle Institutionen etabliert, die gemeinsame Branchendienstleistungen anbieten und dennoch unabhängig vom Verband agieren. In der Hotellerie beispielsweise ist dies die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit (SGH), in der Gastronomie Gastroconsult oder bei den Metzgereien die Metzger-Treuhand. Solche Institutionen kennen den Markt und können anhand der vorhandenen Kennzahlen rasch entscheiden, ob eine Unternehmung überlebensfähig ist.


Auch Banken können und sollen ihre Expertise einbringen. Gerade bei Branchen, welche über keine geeignete Institution wie die SGH verfügen wie etwa die Textilindustrie, können Banken die erforderliche Überprüfung übernehmen. Auch die Kantone stehen in der Verantwortung. Diese sind zudem näher an den KMU als der Bund, und sie verfügen auch über die nötigen finanziellen Mittel.


Doch sind wir ehrlich: Selbst wenn die Umsetzung der Unterstützungsmassnahmen dezentral organisiert wird wie hier skizziert – ordnungspolitisch wirklich sauber kann es auch so nicht sein. Es werden vereinzelt Mitnahmeeffekte auftreten, oder nicht überlebensfähige Betriebe werden unterstützt. Wir müssen aber den Fünfer auch aus ordnungspolitischer Sicht für einmal gerade sein lassen, weil sonst eine Kettenreaktion in der Wirtschaft droht. Gerade weil die Schäden massiv sind, müssen wir alles daransetzen, dass die Wirtschaft in der Schweiz nicht ganz lahmgelegt wird. Firmen müssen nach wie vor produzieren können, es muss weitergebaut werden, und die Logistik muss aufrechterhalten werden. Wir brauchen nicht nur ein funktionierendes Gesundheitswesen, sondern auch eine leistungsfähige Wirtschaft, damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben.


Dieser Text ist als Gastbeitrag in der «NZZ» vom 20. März 2020 erschienen.