Bonsaizüchter in der digitalen Wirtschaft

Denke ich an die Digitalisierung der Wirtschaft und die Reaktion des Staates, denke ich an Bonsais. Was haben Bonsais und die Digitalisierung miteinander zu tun? Nichts, möchte man sogleich antworten, leider ist dem aber nicht so.

Der Megatrend Digitalisierung hat riesiges Potenzial, insbesondere für einen Staat wie die Schweiz. Mit bestens ausgebauter technischer Infrastruktur und der weltweit höchsten Innovationskraft sind wir hierzulande geradezu prädestiniert, auf die digitale Entwicklung zu reagieren. Neue Erfindungen und neue Geschäftsmodelle können unser Leben in grossem Tempo positiv und substanziell verändern. Die Innovation als unser wichtigster Rohstoff kann helfen, unsere Wirtschaft weltweit stark voranzubringen. Digitalisierung kann alle Geschäftsmodelle betreffen, insbesondere auch diejenigen, die zurzeit noch analog basiert sind und bei denen es noch schwerfällt, sich die möglichen Veränderungen vorzustellen. 

Und wie reagiert der Bund auf die Herausforderungen der Digitalisierung? Mit den Instrumenten der Bonsaizucht. Ein Bonsai, ein kleines Bäumchen in einer Schale, braucht für seine Aufzucht Zeit, Präzision und Hingabe. Einen perfekten Baum zu züchten und zu erhalten erfordert, dass die Äste und Wurzeln regelmässig gestutzt werden. Akribisch verfolgen denn auch die diversen Beamten die technologische Entwicklung aus ihren Amtsstuben heraus. Bei jedem aufkeimenden Geschäftsmodell, bei jeder neuen technologischen Möglichkeit werden ein Knöspchen da und ein Spross dort genauestens analysiert, zurückgebunden oder zurückgeschnitten. Das Ziel ist die Ordnung, der kleine, perfekte Baum. 

In der digitalisierten Welt zeigen sich die Grenzen der traditionellen Denkweise der Regulatoren.

Die als Bonsaizüchter agierenden Beamten riskieren so, keine blühenden, über die Grenzen ausstrahlenden Geschäftsmodelle zuzulassen. Stattdessen züchten sie kleine Bonsais.

Jüngstes Beispiel hierzu ist das Rundschreiben der FINMA zur Regelung der Online-Identifizierung. Dieses sieht sehr aufwendige Lösungen vor und geht über gebräuchliche internationale Standards hinaus. Im Bereich der Identifikation von Kunden wird grundlos sogar mehr verlangt, als es die Geldwäschereiverordnung der FINMA oder die Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken vorsehen. Mit einer solchen Regulierung werden Schweizer Unternehmen international nicht wettbewerbsfähig sein. 

Gesetze und Regulierung dürfen digitalen Innovatoren nicht die Luft zum Atmen nehmen. Wurzeln und Äste brauchen Raum. Notwendig sind daher Vorschriften, die zwischen analogen und digitalen Wettbewerbern eine Begegnung auf Augenhöhe ermöglichen und die Herausforderer nicht einschränken.

Soweit Vorschriften notwendig sind, müssen diese technologieneutral und branchenunabhängig formuliert werden. Die Schweiz darf bei den laufenden technologischen Entwicklungen nicht ins Hintertreffen geraten. Im Gegenteil. Regeln haben daher abstrakt formuliert zu werden. Es braucht zudem eine gesamthafte, branchenübergreifende Betrachtung.

Statt vieler Bonsaizüchter in vielen Ämtern braucht es daher einen Wildwärter, der die Möglichkeiten aus einer Gesamtwarte erkennt und statt Bonsais grosse, starke und beeindruckende Bäume wachsen lässt. In der digitalisierten Welt zeigen sich die Grenzen der traditionellen Denkweise der Regulatoren. Eine neue Entwicklung kann nicht einfach in die Schale hinein reguliert werden. Andere Bäume aus dem Ausland wachsen sonst innert Kürze in die Schweiz hinein und nehmen den hiesigen Bonsais die Sonne.